Protocol of the Session on May 17, 2001

Unterbrechung: 13.31 Uhr.

Wiederbeginn: 14.34 Uhr.

Meine Damen und Herren! Wir setzen die durch die Mittagspause unterbrochene Beratung fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Zweite Beratung

Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt

Gesetzentwurf der Fraktion der CDU - Drs. 3/3585

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft - Drs. 3/4537

Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/4569

Berichterstatter aus dem Ausschuss ist der Abgeordnete Herr Ernst. Ich bitte Sie, das Wort zu nehmen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der oben genannte Gesetzentwurf ist in der 42. Sitzung am 14. September 2000 dem Ausschuss für Bildung und Wissenschaft überwiesen worden.

Mit dem Gesetzentwurf ist die Fraktion der CDU erneut in die Diskussion über das 13. Schuljahr, das durch den Landtag erst Ende des Jahres 1997 beschlossen worden ist, eingetreten. Der Entwurf beabsichtigt, Eltern und Schülern, die dies wünschen, ein Abitur nach zwölf Schuljahren zu ermöglichen. Demnach sollen die Gesamtkonferenzen der Gymnasien darüber entscheiden, ob an ihrer Schule das Abitur nach zwölf oder nach 13 Jahren abgelegt werden kann. Um angesichts der Verkürzung der Schulzeit die schulische Ausbildung effizienter zu gestalten, wird zudem angestrebt, in den Klassen 5 und 6 der Gymnasien wieder eine schulformbezogene Förderstufe einzurichten.

Der Ausschuss hat sich in seiner Sitzung am 4. Oktober 2000 darauf verständigt, in Abweichung von der üblichen Praxis einer Anhörung von Interessenverbänden, Institutionen und Sachverständigen zu diesem Gesetzentwurf ein Gespräch mit Sachverständigen durchzuführen, die in der zweiten Wahlperiode des Landtages der Enquetekommission „Schule mit Zukunft“ angehört haben.

Im Vorfeld der Beratung hat der Ausschuss schriftliche Stellungnahmen von weiteren Sachverständigen und von Kultusministerien anderer Bundesländer eingeholt, die auch den Experten der ehemaligen Enquetekommission zur Verfügung gestellt worden sind. Das Gespräch des Ausschusses mit ihnen fand am 17. Januar dieses Jahres statt. In Auswertung des Gesprächs mit den Sachverständigen führte der Ausschuss am 14. März sowie am 9. Mai Beratungen zum Gesetzentwurf durch.

In Anbetracht der anstehenden Debatte kann ich, denke ich, auf eine Darstellung der unterschiedlichen Ansichten der Fraktionen zu dieser Thematik an dieser Stelle verzichten.

Am Ende der Beratung hat die Abstimmung zu dem Gesetzentwurf dazu geführt, dass dieser bei vier Befürwortungen und acht Gegenstimmen abgelehnt wurde.

Ich bitte Sie im Namen des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft, der vorliegenden Beschlussempfehlung Ihre Zustimmung zu geben. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Dr. Hein, PDS, und von Frau Stolfa, PDS)

Vielen Dank, Herr Ernst. - Im Ältestenrat ist dazu eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Vorher hat Herr Minister Harms um das Wort gebeten. Bitte, Herr Minister.

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorschläge der CDU, die in dem Entwurf zur Änderung des Schulgesetzes zum Ausdruck kommen, haben wir bereits bei der Einbringung intensiv diskutiert. Lassen Sie mich kurz in Erinnerung rufen, dass die Vorschläge nicht nur unpraktikabel sind, sondern auch die Rahmenbedingungen außer Acht lassen, nach denen die Schulzeit bemessen werden muss.

Wenn man sich die bundesweite Diskussion ansieht, so ist festzustellen, dass viele Bundesländer mit Modellen zur Schulzeitverkürzung arbeiten, so beispielsweise Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, auch Sachsen-Anhalt.

(Zuruf von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Wir tun dies, weil wir glauben, dass künftig viele Wege, auch zeitlich unterschiedlich lange, zum Abitur notwendig sein werden.

Ich möchte im Folgenden auf drei wesentliche Faktoren eingehen, die dafür sprechen, den mit guten Gründen eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Erstens. Wir benötigen zukünftig nicht weniger, sondern entschieden mehr akademisch ausgebildete Menschen. Während der Anteil der Abiturienten in den OECDLändern im Durchschnitt bei 40 % liegt, beträgt er in Deutschland nur 28 %. Hinsichtlich der Akademiker liegt

der OECD-Schnitt bei 24 %, in Deutschland hingegen bei 16 %.

Die demografische Entwicklung und der jetzt schon feststellbare Bedarf an qualifizierten Bildungsabschlüssen verlangen daher eine breite Bildungsbeteiligung, die ein regelhaftes zwölfjähriges Schulzeitmodell - ich betone: für alle - nicht gewährleisten kann. Daher greift auch der populistische Verweis der CDU auf die zwölf Schuljahre in der DDR nicht, da dort der Anteil der Abiturienten zwischen 12 und 15 % lag, den zweiten Bildungsweg eingerechnet.

Auch erste Erfahrungen aus dem Saarland, wo man zum kommenden Schuljahr, beginnend mit den 5. Klassen, auf ein zwölfjähriges Abitur umstellt, zeigen einen Rückgang der Zahl der Anmeldungen zum Gymnasium.

Dass diese Belastungen zu Auswirkungen auf die Breite der Jahrgänge führen, wird ohnehin nicht ernsthaft bestritten. Auch die Untersuchung der PH Erfurt zur Belastung von Schülerinnen und Schülern im Vergleich zwischen zwölf- und 13-jährigen Durchgängen zum Abitur, die bei der Einbringung zitiert wurde, kann nur bedingt weiterhelfen, weil der Zeitpunkt der Untersuchung in Thüringen dafür sorgte, dass der neu vereinbarte Umfang der Schulzeit eben noch nicht erreicht war. Professor Weißhaupt, einer der Autoren der Studie, sagt auch in seiner Stellungnahme zum CDU-Gesetzentwurf - ich darf mit Ihrer Genehmigung zitieren, Herr Präsident -:

„Was sollte aber diese schulpolitische Absicht in einem Land, das in wenigen Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung eigentlich den kompletten Altersjahrgang zur Hochschulreife führen müsste, um in zehn bis 15 Jahren den Bedarf des Landes an hoch qualifizierten jungen Arbeitskräften befriedigen zu können?“

Soweit Professor Weißhaupt.

Zweitens. Ein durch die Wahlmöglichkeit der Schulen entstehendes, im Prinzip zufälliges Nebeneinander von zwölf- und 13-jährigen Bildungsgängen, wie es die CDU in ihrem Antrag vorschlägt, würde in der Tat zu einem unkalkulierbaren Wirrwarr führen. Es hätte schwerwiegende politische Nebenwirkungen.

Wenn beide Gymnasialformen in erreichbarer Nähe zum Wohnort vorgehalten werden müssen - dies müssten sie ja wohl, um die Chancengleichheit sicherzustellen -, entstehen erhebliche zusätzliche Fahrtkosten, gegebenenfalls auch ein Internatsbedarf, wenn sich Kinder für dasjenige Gymnasium entscheiden, das weiter vom Wohnort entfernt ist.

Dabei ist zu beachten, dass ein Gymnasium mit verkürztem Durchlauf bei einer geschätzten Eignungsquote von 25 % im ländlichen Raum den Einzugsbereich von vier Gymnasien umfassen müsste. Wir sollten uns dies auch angesichts der aktuellen Debatte um die Schulentwicklungsplanung praktisch vorstellen.

Bei einem Vorhalten von zugweisen Schnellläuferklassen könnten diese Züge nur an vierzügigen, vielleicht an stark dreizügigen Gymnasien ernsthaft fachlich vertreten werden. Ein erheblicher Teil unserer Gymnasien kann dieses nicht darstellen. Sie kommen damit zu weiteren Problemen in der Fläche.

In einem dritten Aspekt möchte ich - gegen meine Gewohnheiten - die bayerische Staatsministerin für Unterricht und Kultus, Frau Hohlmeier, zitieren. Sie schreibt

zum Gesetzentwurf der CDU - ich darf mit Ihrer Erlaubnis zitieren, Herr Präsident -:

„Die in Punkt 1 der Begründung zum Gesetzentwurf der CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt angeführten Hinweise auf den internationalen Standard bei der Schulzeitdauer sowie die mit einer Schulzeitverkürzung sich ergebenden Möglichkeiten zum früheren Eintritt in das Berufsleben sind mit Vorsicht zu bewerten.

Die zahlenmäßig meisten Einwohner der EU haben eine 13-jährige Schulzeit bis zur Erlangung eines Abschlusses, der dem deutschen Abitur entspricht. Wo die Schulzeit kürzer ist, werden in der Regel Vorsemester, Ganztagsschulen und Samstagsunterricht benötigt, um den erforderlichen Standard zu erreichen. Viele Länder verleihen nach zwölf Jahren auch lediglich eine fachgebundene und keine allgemeine Hochschulreife und machen die Zulassung der Studenten von Hochschuleingangsprüfungen abhängig.“

Soweit das Zitat von Frau Ministerin Hohlmeier, der ich selten zustimme. Aber wo sie Recht hat, hat sie Recht. Sie wird unterstützt vom Vorsitzenden des bayerischen Philologenverbandes. Auch das ist jemand, den ich nicht häufig zitiere. Er sagte zu den Belastungen - ich darf ebenfalls zitieren aus dem Presse- und Informationsdienst des bayerischen Philologenverbandes vom letzten Montag -:

„Während in Bayern lediglich ca. 2 % der Abiturienten die Prüfungen nicht bestehen, schafften in Sachsen im letzten Jahr rund 13 % der Zwölftklässler diese nicht, weil sie aus Überforderung entweder durchfielen oder zurücktraten.“

(Herr Gürth, CDU: Und in Sachsen-Anhalt?)

Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir gerade in diesem Feld nicht mit Schnellschüssen arbeiten, mit Schnellschüssen, wie sie in dem Gesetzentwurf der CDU zum Ausdruck kommen.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Wer hat denn hier schnell geschossen, Herr Minister? Wer hat das 13. Schuljahr schnellschüssig eingeführt?)

Das führt, Herr Dr. Bergner, zum Kern der Angelegenheit, den man mit Bittbriefen zu untersetzen versucht hat. Es ging nämlich darum, dass Sie dem Landtag und dem Ausschuss einen in den Folgen nicht durchdachten, schlampigen Gesetzentwurf vorgelegt haben.

(Zustimmung bei der SPD - Lachen und Wider- spruch bei der CDU - Herr Dr. Bergner, CDU: Ha!)

Sie selbst - - Das heißt, nicht Sie, Herr Dr. Bergner, Sie haben sich an den Beratungen im Ausschuss nicht beteiligt, Sie waren nicht da, als diese Angelegenheit fachlich erörtert wurde, sondern Frau Feußner musste sagen, wir sollten das Ganze eher als eine Art Entwurf begreifen, über den man noch einmal reden müsste und an dem man herumoperieren könnte.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Meine Damen und Herren! Wer einen Gesetzentwurf vorlegt, der sollte diesen in der Tat auch ernst meinen und wollen, dass er Gesetz wird. Das ist eine Mindestanforderung an die Beratungsstrukturen innerhalb des Landtages.

Deshalb meine ich, wir sollten weiterhin den Weg gehen, mit dem Angebot „13 kompakt“ unnötige Übergangs

zeiten zu vermeiden. Wir sollten darüber nachdenken, warum es durch überlange Studienzeiten und hohe Abbrecherquoten zu einer Verlängerung des Weges bis zum Berufsabschluss kommt. Wir sollten ferner darüber nachdenken, wie man den jungen Menschen, die schneller zu einem Abitur kommen können, dies ermöglichen kann. Wir sollten aber diesen Gesetzentwurf ablehnen. - Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.