Protocol of the Session on May 17, 2001

da das Gewaltschutzgesetz noch nicht verabschiedet worden ist.

So sehr die Grundintention des Gesetzentwurfes der CDU-Fraktion zu begrüßen ist, der Entwurf passt noch nicht in die Zeit. Wir sollten vielmehr so verfahren, wie es im Programm der Landesregierung vorgesehen ist.

Es muss sich andererseits niemand Sorgen machen, dass die Polizei in unserem Land ohne eine schnelle vorgezogene Gesetzesänderung nicht handeln könnte. Sie hat bereits jetzt rechtliche Möglichkeiten, die in Fällen häuslicher Gewalt wirksame Maßnahmen erlauben und im Übrigen tatsächlich auch ergriffen werden. Der Inhaber einer Wohnung kann schon jetzt aus ihr verwiesen oder an ihrem Betreten durch Verbot gehindert werden, sofern das zur Abwehr einer dringenden Gefahr erforderlich ist.

Ganz in diesem Sinne hat die Innenministerkonferenz vor einer Woche in Schierke im Hinblick auf Fälle von häuslicher Gewalt festgestellt, dass die polizeirechtlichen Instrumentarien an sich ausreichend sind, um in dem gebotenen Maße den notwendigen Schutz bedrohter Opfer sicherzustellen.

Nach dem Programm der Landesregierung ist daher richtigerweise nicht eine Erweiterung, sondern lediglich eine Präzisierung der polizeirechtlichen Instrumentarien nach dem In-Kraft-Treten des Gewaltschutzgesetzes des Bundes erforderlich. Welcher Handlungsbedarf im Hinblick auf eine Präzisierung nach Punkt und Komma besteht, kann aus den bereits genannten Gründen derzeit nicht abschließend beantwortet werden.

Ich darf Ihnen im Namen der Landesregierung versichern, dass es keinesfalls darum geht, notwendige Maßnahmen, die sofort erfolgen könnten, aufzuschieben. Das, was sofort erledigt werden kann, tun wir bereits. So findet in Sachsen-Anhalt bereits seit längerer Zeit eine aktive Beratung der Opfer häuslicher Gewalt durch die Opferberatungsstellen des Sozialdienstes der Justiz, ferner durch die Stelle für die sozialpädagogische Begleitung für Opfer sexueller Gewalt bei der Polizeidirektion Magdeburg sowie beim Amts- und Landgericht Magdeburg statt. Auch werden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zur Gefahrenlage häuslicher Gewalt ausund fortgebildet.

Hervorheben möchte ich das für das dritte Quartal in der Stadt Halle geplante Interventionsprojekt zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen in häuslichen Gemeinschaften. Neben einer Netzwerk- und Sensibilisierungsfunktion wird das Ziel verfolgt, effektive Interventionsmöglichkeiten bei Fällen häuslicher Gewalt zu entwickeln und bestehende Unterstützungsangebote zu optimieren. Dieses Projekt wird durch eine statistische Erfassung und Auswertung häuslicher Gewalt durch die Polizeidirektion Halle begleitet.

Meine Damen und Herren! Sie sehen, die Landesregierung handelt. Sie hat die Maßnahmen ergriffen, deren sofortige Umsetzung geboten und sinnvoll ist. Lassen Sie uns hinsichtlich der weiteren Bestandteile unserer Konzeption so verfahren, wie im Aktionsprogramm der Landesregierung vorgesehen, und über eine Polizeirechtsänderung zu gegebener Zeit entscheiden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Bevor ich zur Debatte der Fraktionen aufrufe, darf ich Schülerinnen und Schüler der Comenius-Sekundarschule in Salzwedel unter uns begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Für die PDS-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Tiedge.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Landtagssitzung am 25. Januar 2001 haben wir uns - das nicht zum ersten Mal - bereits sehr umfassend mit diesem so schwierigen, aber äußerst wichtigen Thema beschäftigt. Konsens vor allem der demokratischen Fraktionen war es, dass ein breites Spektrum von gesetzlichen Bestimmungen, ein gesamtgesellschaftliches Umdenken, aber auch eine Fülle von begleitenden Maßnahmen notwendig sind, um Frauen, Kinder und Männer vor häuslicher Gewalt zu schützen.

Mit etwas Verwunderung habe ich in der Rede von Frau Liebrecht, CDU-Fraktion, Folgendes nachgelesen - mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitiere ich -:

„Nun muss aber folgende Frage erlaubt sein: Welche polizeilichen Eingriffsbefugnisse werden zusätzlich zu den in den §§ 36 ff. des Polizeigesetzes vorhandenen Befugnissen benötigt?

Wenn das vom Bundeskabinett am 13. Dezember 2000 beschlossene Gewaltschutzgesetz in Kraft treten sollte, kann das Opfer mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung darüber entscheiden, ob der Gewalttäter unter Androhung einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe aus dem Umfeld des Opfers verbannt wird.

Das Opfer ist und bleibt Herrin des Verfahrens. Werden aber die polizeilichen Befugnisse ausgeweitet, kann nicht mehr das Opfer entscheiden, sondern die Polizei entscheidet über das weitere Verfahren.“

Die PDS-Fraktion hat Ihre damalige Rede so verstanden, dass Sie nicht für eine Erweiterung der polizeilichen Befugnisse sind. Warum bringen Sie dann diesen Gesetzentwurf ein? Warum stellen Sie ihn zu diesem Zeitpunkt, zu dem auch die CDU-Fraktion wusste, dass das Landesprogramm beschlossen war?

(Frau Ferchland, PDS: In Eile! So plötzlich!)

Ich möchte an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit sagen: Dieses Thema eignet sich nicht für parteipolitische Profilierungsversuche.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Der vorliegende Gesetzentwurf scheint aber genau dies zu sein. Was soll diese losgelöste Befugniserweiterung hinsichtlich einer Wegweisung für die Polizei, ja sogar für die Verwaltungsorgane ohne Beschränkung auf die Dauer von sieben Tagen? Am achten Tag ist der Täter wieder im häuslichen Bereich und die Gewaltspirale geht unvermindert weiter oder eskaliert sogar.

Erfahrungen in Österreich haben bewiesen, dass es überhaupt keinen Sinn macht, einzelne Elemente eines Gesamtkonzeptes isoliert in Gang zu setzen.

Das von Ministerin Frau Dr. Kuppe im Januar dieses Jahres angekündigte Landesprogramm zur Bekämpfung häuslicher Gewalt ist vom Kabinett beschlossen worden. Das ist ein erster, sehr begrüßenswerter Schritt. Schwerpunkt dieses Programms ist ein konsequentes und einheitliches Vorgehen aller bei dieser Thematik Beteiligten, wie der Justiz, des Jugendamtes, der Beratungsstellen, der Frauenhäuser und der Polizei - aber eben nicht nur der Polizei.

Zentrale Elemente notwendiger Rahmenbedingungen müssen sein die Schaffung von Interventionsstellen, Weiterbildungsmaßnahmen bei Polizei und Justiz, eine Änderung der Strafgesetzgebung, Spezialabteilungen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften, aber auch Beratungsstellen für die Täter, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, gewaltfrei zu leben.

Erst wenn das gewährleistet ist, sind wir bereit, mit Ihnen auch über eine Änderung polizeilicher Befugnisse zu reden, unter strikter Wahrung verfassungsmäßig garantierter Grundrechte der Opfer im Verhältnis zu den Grundrechten des Täters. Das scheint bei Ihrem Antrag überhaupt keine Rolle zu spielen.

Aus diesen Gründen werden wir uns zu Ihrem Gesetzentwurf der Stimme enthalten.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Lin- demann, SPD)

Für die FDVP-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Helmecke. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich inhaltlich nur auf einige Aspekte des Gesetzentwurfes beschränken; denn eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Entwurf würde den vorgegebenen Zeitrahmen sprengen.

Da Gewalt im häuslichen Nahbereich nicht immer gleichbedeutend mit Strafbarkeit ist, hätte es sich angeboten, einen kurzen Blick auf § 1 Abs. 2 SOG zu werfen. Sie hätten festgestellt, dass der Schutz privater Rechte gemäß SOG den Verwaltungsbehörden und der Polizei nur dann obliegt, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne verwaltungsbehördliche oder polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. Damit ist der Gewaltschutz, soweit er nicht von strafrechtlicher Bedeutung ist, eine Angelegenheit der Gerichte und nur aushilfsweise Aufgabe der Polizei. Aus dem Vorgenannten folgt, dass der Entwurf nicht auf § 1 Abs. 2 SOG ausgerichtet ist.

Frau Liebrecht, der FDVP-Fraktion ist dieser Entwurf somit zu unbestimmt. Es ist fraglich, was inhaltlich unter dem zu bestimmenden Umkreis der Wohnung zu verstehen ist. Sollen Geschäftsräume, befriedetes Besitztum oder andere einwirkende Rechtskreise vom Umkreis der Wohnung erfasst sein?

Darüber hinaus wird offen gelassen, welcher Personenkreis denn als verweisungsfähig einzuordnen ist. Wie gedenken Sie den verfassungsrechtlichen Konflikt zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Unverletzlichkeit der Wohnung zu regeln? Welcher Wohnungsbegriff ist von Ihnen gemeint? Welche Wohnraumberechtigung steht in Rede? Wie wollen Sie den Konflikt zwischen Besitz und Mitbesitz regeln?

Erachten Sie es für die polizeilichen Maßnahmen als hinreichend, dass Mietmitberechtigung ausreicht? Wie wollen Sie die Konfliktsituationen lösen, wenn bei einem gesetzlich erfassten Adressatenkreis Eigentum, Miete und Untermiete in Rede stehen?

Schließlich, meine Damen und Herren, sind Sie in dem Gesetzentwurf dazu übergegangen, einen neuen Gefahrenbegriff einzuführen. Der Musterentwurf zu einem einheitlichen Polizeigesetz und das SOG kennen die gegenwärtige erhebliche Gefahr in den von Ihnen vermittelten Inhalten nicht. Auch Artikel 13 des Grundgesetzes gibt darauf keine Antwort. Und in Artikel 17 Abs. 3 der Landesverfassung ist ebenfalls Fehlanzeige vermeldet.

Es ist schon kurios, wenn Sie in dem von Ihnen begehrten § 36 SOG mit zwei Gefahrengraden operieren. Für eine Platzverweisung nach geltendem Recht ist nun einmal schlicht und einfach eine Gefahr erforderlich. In dem von Ihnen vorgelegten Entwurf erachten Sie aber die gegenwärtige erhebliche Gefahr für Leib oder Leben oder Freiheit für einen Bewohner derselben Wohnung für erforderlich.

Wir haben in Ihrem Entwurf inhaltliche Interessenkonflikte festgestellt. Wenn Sie die lösen, werden Sie vielleicht feststellen, dass der Gesetzentwurf eigentlich überflüssig ist. Daher ist zu dem Gesetzentwurf noch Folgendes festzustellen:

Die Problematik des familiären Gewaltpotenzials ist nach geltender Rechtslage umfassend zu lösen. Gewaltbereite Personen können nach geltender Rechtslage bereits nach § 36 SOG durch Platzverweis verwiesen werden. Soweit das Gefahrenpotenzial andauert, kann nach § 37 SOG eine Ingewahrsamnahme erfolgen.

Wenn Sie eine sinnvolle Regelung im Hinblick auf das Thema hätten einbringen wollen, hätte es sich angeboten, die Dauer der Freiheitsentziehung an die bayerischen Verhältnisse anzugleichen, und zwar in der Form, die Freiheitsentziehung durch einen Gesetzentwurf auf bis zu 14 Tage auszudehnen. Dann hätte der mit der Angelegenheit befasste Richter auf der Grundlage der §§ 37, 38 und 40 SOG die Möglichkeit, eine Freiheitsentziehung so lange anzuordnen, bis die Opfer die zivilrechtlichen Entscheidungen veranlasst und erwirkt haben. Nichts anderes weist der auf Bundesebene eingebrachte Gesetzentwurf inhaltlich aus.

Meine Damen und Herren! Es ist nicht Aufgabe der Polizei, gesellschaftlich nicht bewältigte Konflikte zu lösen. Als Feuerwehr kann die Polizei nur Zeit gewähren, um die der Familie obliegenden Pflichten zu ermöglichen. Letztlich bleibt auch offen, wohin die Adressaten der polizeilichen Maßnahmen verwiesen werden sollen.

Meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, wir wissen um die Wichtigkeit und Dringlichkeit des von Ihnen hier angesprochenen Problems. Leider haben wir aber in Ihrem Gesetzentwurf mehr Fragen als Antworten gefunden. Darum stellt sich für uns die Frage, ist dieser Gesetzentwurf überhaupt so durchführbar, funktioniert das überhaupt. Wenn das nicht der Fall ist, dann muss dies im Ausschuss konkretisiert werden. Wir stimmen einer Ausschussüberweisung deswegen zu. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDVP)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Leppinger.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Herr Minister, es stellt sich wirklich die spannende Frage, wer hier wen treibt oder wer wem hinterherläuft. Ich denke, diese Urheberdiskussion ist müßig und hilft den Betroffenen wenig. Ich habe kein Problem damit, wenn die CDU unserer politischen Linie folgt. Nein, im Gegenteil, dann kann sie ja so falsch nicht sein.

Bereits seit über einem Jahr befasst sich der Landtag mit dem Problem der häuslichen Gewalt. Dazu hat es eine Anhörung im Ausschuss für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport gegeben. Darüber hinaus gibt es einen Beschluss der Innenministerkonferenz zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt und die Bundesregierung brachte das Gewaltschutzgesetz auf den Weg.

Bereits bestehende gesetzliche Regelungen, eingebettet in das Landesprogramm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder, sowie die Schärfung des Bewusstseins für dieses Problem und die zeitnahe Umsetzung von noch erforderlichen gesetzlichen Präzisierungen können zur Lösung des Problems beitragen.

Ich möchte allerdings davor warnen, dass man isoliert - so wie es die CDU getan hat - einen Paragrafen im Polizeigesetz ändert und denkt, man ist damit schon Herr des Problems. Schön wäre es, wenn es so einfach ginge.

So sieht zum Beispiel das bayerische Innenministerium keine Veranlassung für ein neues Polizeigesetz im Freistaat. Der Staatsekretär Regensburger will dies im Zuge eines Platzverweises und der Ingewahrsamnahme durchsetzen.

Gerade bei der häuslichen Gewalt steht man vor einem besonderen Problem, da ein Großteil der Opfer und Täter untereinander verwandt bzw. bekannt ist. Viele Opfer scheuen sich aus diesem Grund davor, an die Öffentlichkeit zu gehen, sodass man davon ausgehen kann, dass zu der Statistik, die für das Jahr 2000 6 018 Anzeigen wegen Körperverletzung enthält, wovon in 2 725 Fällen die Täter aus dem Verwandten- bzw. Bekanntenkreis kommen, eine Dunkelziffer hinzukommt.

Bei der Problematik arbeiten Sozialministerium, Justizministerium und Innenministerium eng zusammen. Einerseits wurde vom Sozialministerium, wie schon erwähnt, das Landesprogramm aufgelegt, das als Ansatzpunkt für die Vorbeugung gegen Gewalt die Chancengleichheit von Frauen und Männern hat und insbesondere Schwerpunkte auf Bildung und Erziehung in der Schule und in den Angeboten der Jugendarbeit setzt. Vorgesehen sind unter anderem Fortbildungsmaßnahmen und Kommunikationstraining für Lehrkräfte sowie eine stärkere Sensibilisierung der Jugendarbeit für die Gewaltproblematik und ein Training zur Konfliktbewältigung.

Im Polizeibereich werden Schwerpunkte im Hinblick auf die dezentralen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen in den Polizeibehörden und -einrichtungen gesetzt. Mit dem Runderlass vom 15. August 2000 wird geregelt, dass die bislang unter dem Titel „Familienstreitigkeiten“ geführten Aus- und Fortbildungsveranstaltungen nunmehr unter der Problematik „Häusliche Gewalt“ geführt werden.