Protocol of the Session on March 2, 2001

Dann würde ich Sie bitten, noch einmal zum Pult zu kommen.

Frau Abgeordnete, können Sie mir bitte sagen, was dieses Mannheimer Institut entschieden hat?

Es ging um den Vorschlag von Herrn Werthebach, man solle in Deutschland ebenfalls eine Art Sprachgesetz zur Pflege und Bewahrung der deutschen Sprache einführen. Dieses Mannheimer Institut - das ist wirklich eine maßgebliche Instanz in Deutschland - hat die Auffassung vertreten, dass ein solches Sprachgesetz eher Unsinn hervorbringen würde. Es hat empfohlen, man solle in den Schulen und vor allen Dingen auch in der Öffentlichkeit und in den Medien deutlich machen, was ein wirklich guter Stil der deutschen Sprache sei. Das Institut hat außerdem empfohlen, man solle in den Schulen sehr stark Fremdsprachen lehren, damit Schülerinnen und Schüler auch bemerken, wann sie Unfug reden, indem sie beispielsweise Anglizismen gebrauchen.

(Beifall bei der PDS - Frau Wiechmann, FDVP: Sollte man!)

Frau Abgeordnete Wiechmann, eines zur Klarstellung: Es gibt eine Geschäftsordnung. Danach erteilt der amtierende Präsident das Wort. Er muss auch verhindern, dass unentwegt dazwischengesprochen wird. Ich will eines ganz deutlich sagen: Mir sind lebhafte Debatten mit Zwischenrufen lieber, als wenn es hier langweilig wäre. Aber es muss auch eine bestimmte Ordnung eingehalten werden, damit wir uns gegenseitig verstehen können. Darauf lege ich Wert.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von Herrn Schomburg, CDU)

Ein Redebeitrag der DVU-FL-Fraktion ist nicht angemeldet worden. - Offensichtlich bleibt es dabei. Dann hat für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Herr Schomburg das Wort.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Politik und Medien haben ein neues Thema entdeckt: den Untergang der deutschen Sprache. Nun ist es für breite Schichten der Bevölkerung tatsächlich ärgerlich, wenn

es in den elektronischen Medien nicht mehr für notwendig erachtet wird, ein Gespräch mit einem englischsprachigen Partner zu übersetzen, oder wenn man beim Gang durch die Warenhäuser nur noch nach Erwerb des Abiturs die Bezeichnungen verschiedener Waren interpretieren kann.

Wenn jemand vor 30 Jahren ausgewandert wäre und nun zum ersten Mal wieder nach Deutschland käme, würde er einen massiven Einfluss von Anglizismen in der deutschen Alltagssprache entdecken. Was der schönheitsbewussten Frau ihr „Facelift“ ist, das ist dem Soldaten sein „out of area“, dem Unternehmer sein „just in time“, dem Medienmenschen sein „Infotainment“, dem Pädagogen sein „Learning by Doing“, dem Linguisten sein „Native Speaker“, dem Erotiker sein „Safer Sex“, dem Künstler seine „Performance“, manchem von uns seine „Midlife-Crisis“ und der Landesregierung ihre „Corporate Identity“ oder dem deutschen Beamtentum seine „Workaholics“.

(Heiterkeit bei der CDU, bei der SPD, bei der PDS und bei der DVU-FL - Zustimmung von Herrn Wolf, FDVP)

Daraus auf die Notwendigkeit einer Sprachpolizei, eines Sprachgesetzes oder eines Bundessprachenamtes zu schließen, ist wieder eine der typischen deutschen Überreaktionen. Die Erfahrung mit der missglückten Rechtschreibreform auf administrativem Wege sollte uns Warnung genug sein.

Auch wenn die Franzosen versuchen, gesetzlich ihre Sprache zu schützen, wird dieser Weg dadurch nicht besser. Wenn Deutschland ebenfalls diesen Weg beschritte, hätte dies lediglich zur Folge, dass sich nach den Franzosen auch die Deutschen der internationalen Lächerlichkeit preisgäben. Inzwischen hat übrigens das französische Verfassungsgericht Teile dieses Gesetzes aus dem Jahre 1994 für verfassungswidrig erklärt.

Es gibt einen Unterschied zwischen Deutschen und Franzosen: Während es in Deutschland quer durch alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen zum guten Ton gehört, an passenden und unpassenden Stellen Weltoffenheit, Bildung, Flottheit - um nicht „Modernität“ zu sagen - und Gefeitsein vor Nationalismus durch das Einfließenlassen von englischem Vokabular zu demonstrieren, gibt es in Frankreich in weiten Kreisen der Bevölkerung einen Konsens darüber, dass solche Anglizismen tunlichst zu vermeiden sind.

Meine sehr verehrten Damen Herren! Sprache ist nichts Konstantes, Festes, sondern etwas Lebendes, sich ständig Erneuerndes. Griechische, lateinische, italienische, slawische, französische und englische Begriffe werden heute als ganz selbstverständliche Bestandteile der Sprache verwendet.

Aber auch innerhalb der deutschen Sprache gibt es ständig Veränderungen. Das Wort „Student“, dessen Ursprung lateinisch ist, verschwindet heimlich, still und leise aus unserem Sprachgebrauch und wird durch das politisch korrektere, weil geschlechtsneutrale „Studierende“ ersetzt. Auch verschwinden „Bürger“, „Bauer“, „Lehrer“ als Einzelwesen. Wer den politisch korrekten „Abgeordneten“ und „Abgeordnetinnen“ zuhört, kann verstehen, warum sich Finnen und Schweden weigern, noch ins Deutsche zu übersetzen: Es ist einfach zu lang.

Zum anderen werden von Gruppen der Gesellschaft Fremdwörter zur Identifizierung der Gruppenzugehörig

keit benutzt. So charakterisiert das englische Wort „Kids“ für „Kinder“ eine Erziehungshaltung der Generation der heute etwa 30- bis 40-Jährigen.

(Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)

Übrigens ist vieles von dem, was uns heute so vermeintlich anglophon daherkommt, nichts als eine Verballhornung und Entstellung der englischen Sprache. Zwei Beispiele: Der Frisör ist neuerdings der „Hairplace“, und es gibt auch Bäckereien, über denen „Bakeshop“ steht.

Aber auch deutsche Redewendungen stammen aus dem Englischen. Zum Beispiel die Redewendungen „das macht Sinn“ oder „einmal mehr“ oder „das ist der Punkt“ sind englischen Ursprungs.

Die englischen Muttersprachler nehmen den internationalen Austausch von Begriffen übrigens viel gelassener. „Schadenfreude“, „Blitzkrieg“, „Realpolitik“ und „Gemütlichkeit“ sind nach dem Krieg in den Wortschatz der Engländer eingeflossen.

Aufgrund der Vielzahl englischsprachiger Länder auf dem Globus und aufgrund der militärischen, ökonomischen, wissenschaftlichen und kulturellen Dominanz der Vereinigten Staaten in der heutigen Welt wird auch die englische Sprache ihren Siegeszug als „Lingua franca“ fortsetzen, auch wenn Politiker und Deutschlehrer dies beklagen. Manchmal wird es unsere Sprache bereichern, manchmal wird es unnötig sein, manchmal falsch und hässlich.

Schon im 17. und 18. Jahrhundert haben Sprachpuristen versucht, dem massiven Einfluss von englischen und vor allem französischen Wörtern auf die deutsche Sprache entgegenzuwirken. Gelungen ist dies bei „Bahnsteig“ statt „Perron“, bei „Ausflug“ statt „Exkursion“, weniger gelungen bei „Zitterweh“ statt „Fieber“, „Leichentopf“ statt „Urne“, „Süßchen“ statt „Bonbon“, „Lotterbett“ statt „Sofa“ oder „Meuchelpuffer“ statt „Revolver“.

(Heiterkeit bei der CDU, bei der SPD, bei der PDS und bei der DVU-FL)

Noch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts kämpfte der jüdische Schriftsteller Eduard Engels gegen die „Verwelschung“ der deutschen Sprache, stellte am Ende seines Lebens dann aber fest:

„Nein, es gibt kein Mittel, es gibt keine Rettung. Die deutsche Sprache wird untergehen.“

Lassen Sie mich zum Ende kommen mit einem Zitat des Altmeisters der deutschen Sprache Johann Wolfgang von Goethe, der in seinen „Maximen und Reflexionen“ schrieb:

„Die Gewalt einer Sprache ist nicht, dass sie das Fremde abweist, sondern dass sie es verschlingt. Ich verfluche allen negativen Purismus, dass man ein Wort nicht brauchen soll, in welchem eine andere Sprache vieles und Zartes gefasst hat.“

Zum Schluss noch ein Wort von dem ehemaligen Generalsekretär der KPdSU, Herrn Gorbatschow. Ich möchte es neudeutsch zitieren und damit unsere Ablehnung zu dem Antrag beschließen: Wer kein Feeling für das richtige Timing hat, der ist out.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der PDS - Zustimmung von Herrn Büchner, DVU-FL, und von Herrn Kanne- gießer, DVU-FL)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Dr. Fikentscher. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss Sie jetzt insofern enttäuschen, als ich mir nicht so viel Mühe gegeben habe wie Kollege Schomburg und Kollegin Stolfa. Ich werde zu diesem Antrag, den wir ablehnen, nur drei kurze Bemerkungen machen.

Bei der Einbringung wurde der Satz verwendet: „Millionen in Deutschland lebende Erwachsene beherrschen nicht die deutsche Sprache.“ Einige von ihnen sitzen offenbar in der FDVP-Fraktion.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei der PDS - Frau Wiechmann, FDVP: Bitte etwas lauter reden! Das kommt hier nicht an!)

Jedenfalls finde ich in den wenigen Zeilen des Antrages schon zwei Stellen, bei denen sichtbar wird, dass die deutsche Sprache offenbar nicht beherrscht wird. In der dritten Zeile fehlt ganz klar ein „zu“

(Heiterkeit bei der PDS)

und es muss auch nicht „wirksame Sprachschutzgesetze“ heißen, sondern sicherlich „geltende“; denn wenn man wüsste, dass sie wirksam wären, brauchte man nicht zu fragen, ob sie irgendetwas ausgerichtet hätten.

(Heiterkeit bei der PDS)

Wer also nach der deutschen Sprache so fragt, der sollte sich bemühen, diese selbst richtig anzuwenden.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von Herrn Büchner, DVU-FL)

Die zweite Bemerkung. In der Begründung beruft man sich auf das Europäische Jahr der Sprachen 2001. Die erste große Säule, auf der der Gedanke für dieses Jahr beruht, ist, dass die sprachliche Vielfalt in Europa bewahrt werden soll; nicht etwa nur die deutsche Sprache, sondern alle Sprachen und auch alle Dialekte sollen bewahrt werden. Es ist kein Nationalismus dabei zu bemerken.

(Frau Wiechmann, FDVP: Dialekte sind die deutsche Sprache! Sie haben ja wirklich keine Ahnung!)

Das Zweite, was Sie gänzlich unterschlagen haben, ist die Förderung der Mehrsprachigkeit in diesem Europäischen Jahr der Sprachen, ist der Wunsch, dass viele Europäer viele Sprachen sprechen mögen, um den Austausch zwischen den Völkern, den Nationen und den die verschiedenen Sprachen Sprechenden zu fördern.

Dieser gesamte Ansatz hat überhaupt nichts mit Ansätzen des Nationalismus zu tun, sondern ist genau das Gegenteil. Sie erwecken allerdings den Eindruck und wollen dies auch so deutlich, dass Sie sich nur um die deutsche Sprache und nicht um die Vielfalt und um die Vielsprachigkeit kümmern.

(Frau Wiechmann, FDVP: Lesen Sie unseren Antrag, Herr Fikentscher! Sie haben das offen- sichtlich nicht getan!)

Eine letzte Bemerkung. Es ist gelegentlich schon eine Zumutung gewesen - das begann im Jahr 1998 bei Ihrem Wahlkampf und setzt sich hier im Landtag bei dem, was man von Ihnen gehört hat, fort -, Ihre Sprache

zu hören. Dennoch würden wir uns nicht an einem Gesetz beteiligen, das uns davon befreien würde.

(Frau Wiechmann, FDVP: Ich erinnere an „ab- schmettern“! Das ist Ihre Sprache!)

Wir bauen vielmehr darauf, dass die deutsche Wahlbevölkerung im nächsten Jahr darüber anders entscheidet. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)