Protocol of the Session on March 1, 2001

(Zuruf von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Ist es da nicht geradezu die zwingende Pflicht des Gesetzgebers, Herr Bergner, den wirtschaftlichen Realitäten Rechnung zu tragen? Hierbei geht es nicht um Marktvorteile. Hierbei geht es um den landesrechtlichen Rahmen zur Sicherung von Chancengleichheit für einen Bereich, der somit auch und gerade wesentlicher Bestandteil der mittelständischen Industrie in diesem Lande ist.

Zweitens. Nach Herrn Gürths Meinung werden sich nun sozusagen als Relikt sozialistischer Vergangenheit krakenhaft und flächendeckend Kombinate in SachsenAnhalt ausbreiten.

Ich habe es schon einmal gesagt: In Bayern existieren seit der Verabschiedung eines im Übrigen in den wesentlichen Bestandteilen adäquaten Gesetzes bereits 33 solcher Kombinate. Erst vor einigen Wochen wurde eine positive Zwischenbilanz veröffentlicht. Es entzieht sich im Moment noch meiner Vorstellungskraft, dass diese gesetzlichen Grundlagen für die Bildung der bayerischen Kombinate auf intensives Betreiben der SPD und der PDS hin geschaffen worden sein sollen.

Zu der von Ihnen, Herr Gürth, geäußerten Befürchtung, diese dann landesweit in Sachsen-Anhalt agierenden Kombinate würden ihre Tätigkeit auf neue Geschäftsfelder ausdehnen, wie das der Telekommunikation, möchte ich Ihnen raten, die bereits gängige Praxis zur Kenntnis zu nehmen. So hat beispielsweise die Stadt Magdeburg bereits im Jahr 1999 eine Gesellschaft „Kommunale Informationsdienste“ im Einvernehmen mit dem Kartellamt gegründet.

Drittens. Es wird immer Erscheinungen unlauteren Wettbewerbs geben, aber insgesamt bin ich davon überzeugt, dass die Kommunalpolitiker sehr verantwortungsbewusst mit einem wesentlichen Standbein kommunaler Infrastruktur, nämlich mit dem Mittelstand, umgehen werden.

(Zustimmung von Herrn Sachse, SPD)

Fazit: Wir müssen der Entwicklung nach der Verabschiedung des Gesetzes größte Aufmerksamkeit widmen, und zwar hinsichtlich seiner spezifischen Wirkung für Sachsen-Anhalt und unter Beachtung der Dynamik im europäischen Raum.

Das Gesetz ist und bleibt ein notwendiger Schritt zur Sicherung eines wesentlichen Bestandteils mittelständischer Industrie in Sachsen-Anhalt und sollte nicht für billige Stimmungsmache missbraucht werden. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Danke. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Hoffmann. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf beinhaltet keine grenzenlose Liberalisierung des Gemeindewirtschaftsrechts zugunsten kommunaler Unternehmen, wie in den letzen Tagen des Öfteren fälschlicherweise in den Zeitungen zu lesen war. Es wird von dem Grundsatz des Vorrangs der Privatwirtschaft vor der kommunalen Wirtschaft ausgegangen. An diesem Grundsatz wird auch zukünftig festgehalten werden.

Nur wenn ein öffentlicher Zweck die Betätigung rechtfertigt - das sind kumulierende Voraussetzungen in § 116, Herr Gürth -, das Unternehmen nach Art und Umfang in

einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde sowie zum voraussichtlichen Bedarf steht und nur wenn der öffentliche Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt wird oder erfüllt werden kann - so steht es im Gesetzestext -, darf sich die Gemeinde wirtschaftlich betätigen. Wenn die Privatwirtschaft die Aufgaben besser und wirtschaftlicher erfüllt, fehlt es an der Erforderlichkeit kommunalwirtschaftlicher Betätigung. Geschieht dies trotzdem - es gibt hierbei zugegebenermaßen einige Verwerfungen im Land -, muss die Kommunalaufsicht einschreiten.

Lediglich bei den Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge, wie unter anderem in den Bereichen der Energie- und der Wasserversorgung, des öffentlichen Verkehrs und des Betriebs von Telekommunikationsnet- zen besteht kein Nachrang der kommunalen Wirtschaft gegenüber der Privatwirtschaft.

Es geht nur um eine Klarstellung bestehender Regelungen, um eine Anpassung an die Praxis und um eine geringfügige Erweiterung im Bereich der Telekommunikation. Der Anlass dafür - das ist mehrfach betont worden - sind Veränderungen im EU-Recht.

Auf die von Teilen der CDU verbreitete falsche Behauptung, dass durch dieses Gesetz kommunale Kombinate eingeführt werden sollen, möchte ich Folgendes entgegnen: Das kann nicht der Fall sein, da die wirtschaftliche Betätigung nur unwesentlich erweitert wird, wie ich es eben beschrieben habe. Oder sind Sie etwa als Aufsichtsratsmitglied Ihrer Stadtwerke, Herr Gürth, gegen Stadtwerke und gegen entsprechende andere Einrichtungen mit nicht wenigen Arbeitsplätzen?

Meine Damen und Herren! Die Gemeinden müssen im Übrigen, bevor sie eine Aufgabe selbst übernehmen, umgehend und umfassend prüfen, ob die beschriebenen Voraussetzungen zutreffen. Dies trifft auch für die Entscheidung über die Organisationsform zu, bei der eine Analyse über die Vor- und Nachteile der öffentlichen oder der privatrechtlichen Organisationsform durchgeführt werden muss. Durch die Einführung des Anstaltsgesetzes wird der Gemeinde als weitere Unternehmensform neben dem Eigenbetrieb auch die Anstalt des öffentlichen Rechts zur Verfügung gestellt. Diese Organisationsform gewährleistet mehr Flexibilität und Selbständigkeit als die Form des Eigenbetriebs.

Meine Damen und Herren! Um eines klarzustellen und für Teile der CDU den Weg des Gesetzes nochmals aufzuzeigen, möchte ich sagen: Der Gesetzentwurf durchlief den Landtag und drei Ausschüsse und hat eine umfangreiche Vorgeschichte, wie der Innenminister bereits betonte. An diesen Beratungen konnten Sie sich beteiligen. Das haben Sie auch getan. Im Innenausschuss haben wir sehr intensiv darüber gesprochen.

Umso mehr verwundert es, dass ich in der Zeitung lesen musste, dass die CDU fordert, dieses Gesetz zu stoppen. Der Innenminister hat eine Information des Deutschen Städtetages kundgetan. Wir sind demnach auf dem richtigen Weg. Auch der Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen Jörg Hennerkes sagt - ich zitiere -:

(Herr Gürth, CDU: Der ist das schlimmste Bei- spiel in dieser Angelegenheit, das es in Deutsch- land gibt!)

„Die Landesregierungen müssen das Gemeindewirtschaftsrecht vor dem Hintergrund der Marktöffnungen weiterentwickeln und untereinander

vereinheitlichen. Es müssen die Rahmenbedingungen für eine chancengleiche Wettbewerbsteilnahme für die öffentlichen Unternehmen geschaffen werden.“

Es geht um die Chancengleichheit, nicht darum, die Privatwirtschaft totzumachen, im Gegenteil.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Sachse, SPD: Richtig!)

Sachlich ist hierzu auch zu sagen, dass die Fehlentwicklungen durch die jeweiligen Kommunalaufsichten verhindert werden müssen. Da diese hier und da in den Landkreisen dazu nur unzureichend in der Lage sind, meine Damen und Herren insbesondere von der CDUFraktion, spricht dies doch eher dafür, dass Sie sich von ihrer Verweigerungshaltung in Sachen Kreis- und Gebietsreform etwas entfernen müssen.

(Zuruf von Frau Wernicke, CDU)

Das heißt, die Kommunalaufsichten müssen endlich in eine Kompetenz versetzt werden. Es gibt genügend Beispiele. Ich will nur den Saalkreis nennen. Es gibt eine ganze Reihe von Landkreisen, in denen die Kommunalaufsicht nur sehr unzureichend funktioniert. Würden Sie Ihre Verweigerungshaltung in dieser Frage endlich aufgeben - möglicherweise aus wahltaktischen Gründen nach den Kommunalwahlen in diesem Jahr -, dann würde diese Diskussion auf einer anderen Basis geführt werden können.

(Zuruf von Frau Wernicke, CDU)

Abschließend ist festzuhalten, dass die Interessen der privaten Wirtschaft in den vorliegenden Gesetzentwürfen hinreichend berücksichtigt werden. Ausschlaggebend für die wirtschaftliche Betätigung einer Gemeinde ist die Gemeinwohlorientierung und nicht ausschließlich die Gewinnerzielungsabsichten.

Mit dem Gesetzentwurf ist mehr Transparenz verbunden. Er sichert Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt, nicht irgendwo anders, etwa in der Energiewirtschaft in Baden-Württemberg oder in Frankreich. Er stärkt gleichzeitig die demokratischen Rechte der Gemeinde- und Stadträte.

Abschließend möchte ich bemerken: Ich stehe doch hoffentlich nicht in dem Verdacht, dass ich dem Sozialismus, Herr Gürth, fröne.

Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Er ist dringend nötig. - Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und von Minister Herrn Dr. Püchel)

Abgeordneter Herr Hoffmann, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Herrn Gürth zu beantworten?

Gern.

Bitte.

Verehrter Herr Kollege Hoffmann, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie den Eindruck haben, dass zum

Beispiel die Kommunalaufsicht in Sachsen-Anhalt nicht immer so funktioniert, wie sie funktionieren müsste?

In den Landkreisen, die dafür nach § 116 zuständig sind, ist das teilweise der Fall. Es liegen einige Dinge vor, wodurch ich den Eindruck habe, dass § 116 nicht richtig angewandt wird. Dazu hat auch der Innenminister nicht nur in diesem Hause einiges ausgeführt. Das spricht dafür - um Ihre Frage zu beantworten -, dass die Kompetenz in diesen Kommunalaufsichten erhöht werden muss. Das wiederum spricht dafür, dass es größere Einheiten geben muss, in denen man sich die Kompetenz und das erforderliche Know-how auch leisten kann.

Gut dass Sie die Frage so beantwortet haben. Das war eigentlich nur eine Verständnisfrage, um meine eigentliche Frage anzuschließen.

Wenn Sie diese Meinung vertreten, wie erklären Sie dann den Umstand, dass Sie feststellen, die Verwaltungseinheiten müssten viel größer und damit nach Ihrer Ansicht leistungsfähiger werden, und dass Sie schon jetzt, wo sie noch nicht so leistungsfähig sind, das kommunale Wirtschaftsrecht ändern? Warum warten Sie nicht, bis Sie die leistungsfähigen Einheiten haben, die Sie sich wünschen?

Das ist wie die Frage, was eher da war, das Huhn oder das Ei. Wir haben einen Anlass. Das war das EU-Recht. Wir haben eine lange Diskussion darüber geführt. Viele kommunale Unternehmen und Stadtwerke warten auf eine Entscheidung. Für diejenigen, die sich schon jetzt in diesen Bereichen betätigen,

(Herr Sachse, SPD: Das ist schon die Praxis!)

obwohl sie das nach der Gesetzeslage eigentlich nicht dürften, beispielsweise im Bereich der Telekommunikation, müssen wir jetzt unbedingt handeln. Deshalb bitte ich auch Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

(Herr Sachse, SPD: Richtig!)

Ich bedauere, dass Sie das augenscheinlich anders sehen.

Es gibt eine weitere Frage vom Abgeordneten Herrn Dr. Bergner. - Bitte.

Herr Kollege, sind Sie der Meinung, dass Sie die Aussage, je größer die Einheiten, desto effizienter die Kommunalaufsicht, anhand der unterschiedlichen Kreisgrößen im Land Sachsen-Anhalt und anhand kommunalaufsichtlicher Entscheidungen beweisen können? Ich könnte Ihnen Entscheidungen aus großen Kreisen nennen, die durchaus zu beanstanden gewesen wären.

Herr Kollege Bergner, dort, wo Menschen handeln, werden auch Fehler gemacht. Wer arbeitet, macht Fehler. Auch in größeren Strukturen werden Fehler gemacht. Niemand ist fehllos. Aber es spricht vieles dafür, größere Struktureinheiten zu bilden, um die Kompetenz der Kommunalaufsicht in den Landkreisen zu stärken. Dazu

gehört unser Vorhaben der Kreis- und Gebietsreform. Das ist ein wesentliches Element, damit die kommunale Selbstverwaltung gestärkt werden kann. Ich fordere Sie in diesem Zusammenhang auf, Ihre Verweigerungshaltung endlich abzulegen. - Danke schön.