Protocol of the Session on January 26, 2001

Ich appelliere noch einmal an dieses Haus: Stimmen Sie unserem Antrag zu. Nehmen Sie das Problem ernst. Wir sollten in dem zuständigen Fachausschuss sachlich mit diesem Thema umgehen.

Herr Gürth, sind Sie bereit, eine Frage von Dr. Süß zu beantworten? - Bitte, Herr Dr. Süß.

Herr Gürth, habe ich Sie darin richtig verstanden, dass Sie das EU-Beihilferecht mit Blick auf den sehr komplizierten Transformationsprozess für ausreichend halten?

Herr Dr. Süß, im Zusammenhang mit dem EU-Beihilferecht möchte ich an unseren letzten Besuch bei Kommissarin Schreyer und bei der Generaldirektion der Kommission in Brüssel erinnern. Dort wurde uns sehr ausführlich erläutert, welche Positionen im Detail zur Debatte standen.

Im Ergebnis dieses Besuches - wir als CDU waren im Vorfeld schon dort - stelle ich zum heutigen Zeitpunkt fest, dass das vorhandene europäische Beihilferecht und die hier in die Kritik geratenen Regelungen in Artikel 88 Abs. 2 und 3 des EG-Vertrages aus meiner Sicht nicht geändert werden müssen. Es geht nicht um das Beihilferecht in der jetzt vorliegenden Form.

(Herr Dr. Süß, PDS: Das wollte ich nur wissen!)

Es geht darum, wie man mit dem Beihilferecht umgeht; denn vor Jahren hatten wir genau dasselbe Recht. Die Verfahren sind aber damals nicht so langwierig gewesen.

Deutschland hat ein besonderes Problem, weil es ein föderales Staatssystem hat. Gegenüber der EU ist nur Deutschland Ansprechpartner. Die Kommission interessiert nicht, welcher Wirtschaftsminister eines Landes welche Position zu welchem Beihilfefall hat, sondern sie lässt sich vom Bundeswirtschaftsministerium berichten. Die Zwischenschritte von der EU zum Bund, vom Bund zum Land und vom Land zum Unternehmen und zurück sind deshalb etwas länger. Aber sie sind seit Jahren so.

In den letzten eineinhalb bis zwei Jahren haben wir die Tatsache zu verzeichnen, dass die Verfahren immer länger dauern und dass im Ergebnis dieser Verfahren auch Arbeitsplätze ohne Not gefährdet werden. Das wollen wir ändern. Darüber müssen wir sprechen. Es geht nicht um eine Rechtsänderung.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Die Debatte ist beendet. Wir kommen zum Abstimmungsverfahren.

Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion in der Drs. 3/4131 ab. Wer sich diesem Änderungsantrag anschließt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei drei Enthaltungen ist der Änderungsantrag angenommen.

Wir stimmen nunmehr über den Antrag der CDU-Fraktion in der Drs. 3/4097 in der geänderten Fassung ab. Wer sich dem anschließt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer großen Anzahl von Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt 10 erledigt.

Meine Damen und Herren! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung

Auswirkungen der Äußerungen des Ministers für Wirtschaft und Technologie Herrn Gabriel im „Spiegel“

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/4079

Der Antrag wird durch den Abgeordneten Herrn Scharf eingebracht. Bitte schön, Herr Scharf.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir in der heutigen Debatte denjenigen, die den Überblick zu verlieren drohen zwischen den Transferleistungen der Solidarpaktverhandlungen, der Bundes- und der EU-Mittel im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung sowie möglicherweise dem Finanzausgleich, etwas helfen wollen, dann sollten wir uns zu Anfang auf ein gemeinsames Ziel besinnen.

Ludwig Erhard hat es seinerzeit mit den Worten „Wohlstand für alle“ auf den Punkt gebracht. Damals wie heute ging es um die Verbindung einer marktwirtschaftlichen Ordnung einerseits mit den humanen Idealen unserer Kultur andererseits. Dieses Leitbild der sozialen Marktwirtschaft, von Ludwig Erhard maßgeblich geprägt, hat nichts von seiner grundsätzlichen Bedeutung für unser Wirtschaftssystem eingebüßt.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Niemand bestreitet, dass dank dieses Systems diese Ziele in den alten Bundesländern weitgehend erreicht sind. Ist das Ziel in Sachsen-Anhalt ebenso in Sichtweite, wie es der Wirtschaftsminister in seinem „Spiegel“-Interview anzudeuten beliebte? - Eigentlich sollte sich der Wirtschaftsminister mit ganzer Kraft der Förderung der Wirtschaft dieses Landes widmen.

Meine Damen und Herren! Wie soll mittelfristig die Wirtschaftsförderung ausgestaltet werden, damit die Neugründung von Unternehmen erleichtert wird? Wie kann das schlechte Wirtschaftsklima verbessert werden?

(Frau Budde, SPD: Wir haben kein schlechtes Wirtschaftsklima!)

Meine Damen und Herren! Wie kann die Arbeitslosigkeit verringert werden? Welche Rolle soll dabei dem zweiten Arbeitsmarkt zukünftig zukommen?

Der Anlass unserer heutigen Debatte lautet: Welche Handlungsstrategie verfolgt eigentlich die Landesregierung bei der Vorbereitung eines Solidarpaktes II?

Meine Damen und Herren! Bestreitet etwa jemand, dass Sachsen-Anhalt im Konzert der neuen Bundesländer die schwierigen Verhandlungen mit dem Bund und mit den alten Bundesländern nur erfolgreich führen kann, wenn es eine klare Strategie verfolgt und eine klare Sprache spricht?

(Zustimmung bei der CDU)

Hingegen, meine Damen und Herren, ist in SachsenAnhalt immer wieder - erneut durch die Äußerungen von

Wirtschaftsminister Gabriel im „Spiegel“ vom 15. Januar 2001 - nicht zu erkennen, welchen Kurs die Landesregierung eigentlich verfolgt. Aus der Frage nach der Richtlinienkompetenz im Kabinett Höppner folgt eine weitere, nämlich die nach der inneren Befindlichkeit dieser Landesregierung.

(Zustimmung bei der CDU)

Offensichtlich gelingt es dieser Regierung in ganz wesentlichen Fragen nicht mehr, mit einer Stimme zu sprechen. Oder hat jeder Minister im Kabinett, um in einem Bild zu sprechen, vielleicht im Schlauchboot SachsenAnhalt sitzend, ein Paddel in die Hand gedrückt bekommen; der eine kann damit spielen, ein anderer schlägt damit um sich und der Dritte döst. Aber wo ist die Richtlinienkompetenz, um zu einem einheitlichen, koordinierten Handeln zu kommen?

(Beifall bei der CDU)

Nur kursorisch will ich an einige wichtige Wirtschafts- und Sozialmarktdaten erinnern. Bis 1993 hatten wir ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum. Im Jahr 1999 betrug die Wachstumsrate blamable 0,8 %. Seit rund sieben Jahren haben wir ununterbrochen die höchste Arbeitslosigkeit. Das interessiert fast keinen mehr von den Kollegen links von uns.

(Herr Sachse, SPD: Das ist eine Unterstellung!)

Jetzt kommt ein harter Fakt: Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen in Sachsen-Anhalt betrug 1999 insgesamt 1,044 Millionen Menschen. Das sind rund 17 000 Arbeitsplätze weniger als im Jahr 1998.

Meine Damen und Herren! Der tatsächliche Verlust an regulären Arbeitsplätzen ist höher, da sich durch die Umwidmung der 630-DM-Arbeitsverhältnisse die Zahl der Versicherungspflichtigen statistisch erhöht hat, ohne dass Arbeitsverhältnisse hinzugekommen sind.

(Zustimmung bei der CDU, von Herrn Wolf, FDVP, und von Herrn Weich, FDVP)

Meine Damen und Herren! Die reine Statistik hat bei dieser schwierigen Situation sogar noch etwas verschönernd mitgewirkt.

Wir sind leider weiterhin das einzige Bundesland mit einem negativen Gewerbesaldo. Ich will aufhören, die schlechten Daten aufzuzählen, weil ich unser Land nicht schlechtreden will.

Meine Damen und Herren! Schlichte Gemüter sehen diese Entwicklung mit Sorge. Sie sehen darin den nicht schnell genug vonstatten gehenden Aufholprozess in diesem Lande. Aber der Wirtschaftsminister, meine Damen und Herren, sieht darin lauter Erfolge, die ihn sogar darüber sinnieren lassen, dass die Ostförderung in absehbarer Zeit deutlich zurückgeführt werden könnte.

Meine Damen und Herren! Die Zahlen im Lande Sachsen-Anhalt sprechen nicht dafür, dass wir schon so weit vorangekommen sind.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Meine Damen und Herren! Bei aller Vertracktheit der besonderen Situation in Sachsen-Anhalt gibt es jedoch viele Gemeinsamkeiten aller neuen Bundesländer. Auf der Grundlage der Gutachten von Forschungsinstituten einigten sich die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder und Bundeskanzler Schröder am 29. Mai 2000

auf eine gemeinsame Einschätzung und Vorbereitung der Verhandlungen über den Solidarpakt II.

Dies, meine Damen und Herren, war ein großer Erfolg, da nunmehr durch die Arbeit dieser Institute Fakten wissenschaftlich belegt wurden und eventuellen Ressentiments oder gar Vorurteilen der Boden entzogen wurde. Wir sind endlich weggekommen von der Einzelfalldiskussion. Wir haben ein fundiertes Gutachten für die objektive Einschätzung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in den neuen Bundesländern erhalten.

Insgesamt wird von einem teilungsbedingten infrastrukturellen Nachholbedarf im Bereich von Ländern und Gemeinden von ca. 300 Milliarden DM im Jahre 2005 ausgegangen. Dies alles vor dem Hintergrund einer über das Jahr 2005 hinaus zu erwartenden weit unterdurchschnittlichen kommunalen Steuerkraft; die ist in diesen Diskussionen noch nicht einmal hinreichend gewürdigt worden.

Darüber hinaus sind Investitionen des Bundes in den in seiner Verantwortung stehenden Infrastrukturbereichen Bundesfernstraßen und Schienen erforderlich. Allein für die Bundesfernstraßen sind nach dem Gutachten des RWI Investitionen in Höhe von 24 Milliarden DM erforderlich.

Auf Sachsen-Anhalt bezogen wären die als notwendig erachteten Aus- und Umbaumaßnahmen an Bundesstraßen schon zu 85 % durchgeführt worden. Dabei hinken im Übrigen die landeseigenen Straßen, für die wir selbst die Verantwortung tragen, mit nur 33 % gewaltig hinterher.

Hinzu kommt ein Nachholbedarf in der gewerblichen Wirtschaft mit einem Volumen von ca. 260 Milliarden DM. Dazu gehört ein Fördervolumen von ca. 100 Milliar- den DM. Alle diese Zahlen sind unstreitig unter allen neuen Bundesländern.

Bis zum Jahr 2004 wird Ostdeutschland eine Infrastrukturausstattung von etwa 70 % des westdeutschen Niveaus erreicht haben. Damit wird innerhalb von 15 Jahren nach der Herstellung der deutschen Einheit und ausgehend von einem Anfangswert von ca. 40 % im Jahre 1991 erst die Hälfte des Infrastrukturbedarfs befriedigt sein. Das ist ein durchaus nicht zu zerredender und ein bemerkenswerter Erfolg; es ist jedoch erst die Hälfte der Strecke.