Protocol of the Session on January 25, 2001

Alles in allem fordern wir die Landesregierung dazu auf, auf Bundesebene und im Bundesrat ihren Einfluss dahin gehend geltend zu machen und darauf hinzuwirken, dass eine Rentenreform verabschiedet wird, die den Zukunftsfragen unserer Gesellschaft besser Rechnung trägt als das, was bisher vorliegt. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Liebe Kollegin, ich danke für die Einbringung.

Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion in der Reihenfolge FDVP, SPD, DVU-FL, CDU, PDS vereinbart worden. Zunächst erteile ich jedoch für die Landesregierung Ministerin Frau Dr. Kuppe das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Der Bundestag wird sich morgen in zweiter und dritter Lesung mit den Gesetzentwürfen zur Reform der Rentenversicherung befassen. Das Konzept, über das die Parlamentarierinnen und Parlamentarier zu beschließen haben, ist das Ergebnis intensiver Bemühungen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen um einen möglichst breiten Konsens, insbesondere mit der Opposition und mit den Gewerkschaften.

Ob die zustimmungspflichtigen Regelungen im Bundesrat eine Mehrheit bekommen werden, ist zurzeit offen. Die Anrufung des Vermittlungsausschusses scheint

ziemlich gewiss zu sein. - So weit zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens.

Wer die Entwürfe, die der Bundestag morgen beraten wird, mit dem vorliegenden Antrag vergleicht, stellt zunächst fest, dass die im Antrag genannten Ziele zu einem erheblichen Teil bereits in den Gesetzesentwürfen enthalten sind. Das sehe ich etwas anders als Sie, Frau Dirlich.

Teil der Reformpläne ist beispielsweise der Entwurf eines Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dies ist verankert in Artikel 8 a der Ausschussdrucksache 14/1186. Ziel ist es, einen Grundsicherungsanspruch zur Verhinderung verschämter Altersarmut ohne Rückgriffe auf die Kinder zu schaffen. Durch die Beratung und Weiterleitung von Anträgen durch die Rentenversicherung soll die hinreichend bekannte Hemmschwelle in Bezug auf das Sozialamt genommen werden.

Dieser Gesetzentwurf stellt sozialpolitisch einen wesentlichen Fortschritt dar, wenngleich einige Details in der Ausgestaltung noch zu klären sein werden. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wird damit außerhalb des Sozialhilferechtes vor allem für alte Menschen eine eigenständige soziale Leistung vorgesehen, die den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt sicherstellt.

Im Alter sind Menschen ohne ausreichende Rentenansprüche, oftmals aufgrund lang andauernder Arbeitslosigkeit, mangelhaft abgesichert. Wenn sie nicht über weitere Mittel verfügen, sind sie in solchen Fällen nicht in der Lage, sich selbst zu helfen. Der bisherige Weg, diese Menschen auf die Sozialhilfe zu verweisen, stellt keine adäquate Lösung dar. Die Aufgabe der Sozialhilfe ist es, in Einzelfällen bei vorübergehender Notlage nachrangig den notwendigen Lebensunterhalt sicherzustellen und Hilfen zur Überwindung der Notlage zu gewähren. Außerdem hält nicht selten die Angst vor dem Unterhaltsrückgriff auf die Kinder vor allem ältere Menschen vom Gang zum Sozialamt ab.

Eine dem sozialen Gedanken verpflichtete Lösung muss einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz wählen, der eine würdige und unabhängige Existenz sichert. Genau diese Anforderung erfüllt der erarbeitete Gesetzentwurf über eine bedarfsorientierte Grundsicherung. Damit sind die Vorstellungen der PDS zur Verhinderung der verschämten Altersarmut durchaus in den Reformplänen berücksichtigt.

Das gilt auch für weitere Punkte des Antrages. So wird beispielsweise die geforderte Koppelung des Rentenniveaus an die Entwicklung des gesellschaftlichen Wohlstands dadurch sichergestellt, dass die Renten bereits in diesem Jahr an die Nettolohnentwicklung angepasst werden. Ursprünglich sollte das erst im Jahr 2002 passieren.

(Frau Stange, CDU: Das verkaufen Sie jetzt nicht als Erfolg!)

Weiterhin werden erste Schritte zu einer eigenständigen Alterssicherung von Frauen weg von den abgeleiteten Rentenansprüchen der Männer umgesetzt, obwohl ich mir hierbei auch weitergehende Regelungen vorstellen kann.

Auch die Forderung nach einer strikten Beibehaltung der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung wurde im parlamentarischen Verfahren zum Teil umgesetzt. Sie haben darauf hingewiesen,

Frau Dirlich. Mit der Einbeziehung der betrieblichen Altersversorgung in die staatliche Förderung werden auch die Arbeitgeber an der Finanzierung der kapitalgedeckten Vorsorge beteiligt.

Ich muss jedoch auch feststellen, dass manche Vorstellungen der PDS, wie sie im Antrag zum Ausdruck kommen, Systemveränderungen innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung zum Ziel haben, über die weiter zu diskutieren sein wird. Ich nenne insbesondere die Forderung nach der Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht, auch für Beamte und Selbstständige, sowie die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe für die Wirtschaft als Ersatz für den Arbeitgeberanteil. Ich interpretiere Letzteres als eine Möglichkeit, mehr Gerechtigkeit zwischen personalintensiven und kapitalintensiven Unternehmen zu erzielen.

Sie alle wissen, dass sich diese Forderungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht durchsetzen lassen. Die Landesregierung beabsichtigt daher nicht, die fast fertige Rentenstrukturreform nach fast zwei Jahren am Ende des Diskussionsprozesses durch erkennbar nicht mehrheitsfähige Forderungen zu gefährden.

Insbesondere bei ostspezifischen Problemen wie der Schließung von Lücken im Versicherungsleben bei Arbeitslosigkeit, bei den Problemen der so genannten Altgeschiedenen der DDR und bei der jetzt gleichzeitig behandelten erneuten Novellierung der Rentenüberleitung haben wir uns aktiv in die Diskussion eingebracht.

Kern der anstehenden Rentenreform ist es jedoch, die Weichen zu stellen, die unser Alterssicherungssystem zukunftssicher machen, und es auf die sich verändernden demografischen Entwicklungen vorzubereiten. Konkret bedeutet dies: Die heutigen und die künftigen Beitragszahlenden sowie die Wirtschaft dürfen nicht überfordert werden. Das Leistungsniveau ist auch für die künftigen Rentnerinnen und Rentner auf einem angemessenen Standard zu halten.

Wie sehr sich die Rahmenbedingungen ändern, will ich anhand weniger Zahlen verdeutlichen. Als im Jahr 1957 die heute noch geltende dynamische Rente in der alten Bundesrepublik geschaffen wurde, war ein Drittel der Bevölkerung 20 Jahre alt und ein Sechstel der Bevölkerung 60 Jahre und älter. 90 % der Beschäftigten waren damals Vollzeitbeschäftigte. Erwerbsfähig war man in der Regel vom 15. bis zum 65. Lebensjahr. Die Lebenserwartung betrug durchschnittlich 70 Jahre. Die Laufzeit der Rente war demzufolge sehr begrenzt.

Wie sieht es im Jahr 2030 aus? - Nach den jetzt vorliegenden Prognosen wird es genau umgekehrt sein: Nur gut ein Sechstel der Deutschen wird dann jünger als 20 Jahre sein und ein Drittel älter als 60 Jahre. Die Lebenserwartung wird bei durchschnittlich ca. 80 Jahren liegen. Nur noch etwas mehr als die Hälfte der Deutschen wird in Vollzeit arbeiten - soweit das prognostizierbar ist -, der Rest in einem fragmentierten und dennoch hochkomplexen Arbeitsmarkt. Die Rentenlaufzeiten werden sich mehr als verdoppeln.

Wir haben gestern von Peter Glotz beim Empfang der IHK Halle-Dessau Prognosen zu diesem Problemfeld gehört. Kein noch so gutes Rentensystem kann es auf Dauer verkraften, dass immer weniger Beitragszahlende für immer mehr Rentenbeziehende einen immer längeren Rentenbezug finanzieren. Ich glaube, das muss auch die PDS anerkennen.

Es ist nicht richtig, dass - wie Sie in der Begründung zu Ihrem Antrag behaupten - die Gefahren der demo

grafischen Entwicklungen überschätzt würden. Es ist eine Herausforderung, sich mit der demografischen Entwicklung auseinander zu setzen und darauf konstruktiv und politisch sinnvoll zu reagieren. Wir können die Entwicklung nicht ignorieren. Wir müssen vielmehr darauf reagieren und Vorsorge treffen. Genau das wird mit diesem Rentenstrukturreformgesetz versucht.

Um die Herausforderung zu meistern, denke ich, muss die gesetzliche Rentenversicherung um eine weitere Säule ergänzt werden. Mit dem Aufbau der zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge wird die Alterssicherung auf eine breitere finanzielle Grundlage gestellt. Sie soll es ermöglichen, den im Erwerbsleben erreichten Lebensstandard auch im Alter zu gewährleisten.

Die Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern zeigen, dass es für die Weiterentwicklung eines zukunftsfähigen Alterssicherungssystems Erfolg versprechend ist, durch eine Mischung aus solidarischer umlagefinanzierter Rente und einer kapitalgedeckten zusätzlichen Altersvorsorge eine gute Absicherung im Alter zu erreichen.

Natürlich kann und darf es bis zum Jahr 2030 - das ist ein magisches Datum - keinen gesetzgeberischen Stillstand geben. Selbstverständlich bedarf es auch zukünftig weiterer Modernisierungsschritte in unserem Rentensystem. So sind weitere Regelungen zur eigenständigen Alterssicherung der Frauen, aber auch zur Vereinheitlichung der Alterssicherungssysteme notwendig. Das schaffen wir aber nicht in einem Schritt. Das ist eine Aufgabe für die Zukunft.

(Frau Stange, CDU: Das haben Sie damals im- mer gefordert! - Herr Bischoff, SPD: Vor 15 oder 20 Jahren hätte man das machen müssen!)

Aber es gilt jetzt, die Weichen zu stellen, die ersten Schritte in die richtige Richtung zu gehen. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis für die nun wieder eingetretene totale Verweigerungshaltung der CDU.

(Beifall bei der SPD)

Die Bundesregierung ist Ihnen an vielen Stellen entgegengekommen. Es sind auch gute Lösungen, bessere Lösungen als im ursprünglichen Konzept zustande gekommen.

(Zurufe von Frau Feußner, CDU, und von Frau Stange, CDU)

Besonders fassungslos, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU-Fraktion, bin ich über die geplante und schon auf den Weg gebrachte Kampagne, in der Bundeskanzler Gerhard Schröder gewissermaßen als Krimineller zur Fahndung ausgeschrieben war.

(Oh! bei der CDU)

Das war politisches Ungut.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Sie kleben diese Plakate nun nicht. Darüber freue ich mich.

(Frau Feußner, CDU: Die brauchen wir nicht mehr zu kleben, die kennt jetzt jeder!)

Ich hoffe, dass mit dieser Entscheidung, die Plakate nicht zu kleben, Ihre Bereitschaft verbunden ist, sich wieder auf einen konstruktiven Dialog zur Zukunft der Alterssicherung in Deutschland einzulassen.

(Unruhe bei der CDU)

Ich sage an dieser Stelle für die Landesregierung noch einmal: Wir meinen, dass die Rentenstrukturreform auf einem richtigen Weg ist, dass die ersten richtigen Schritte gegangen worden sind, die nötig sind, ein stabiles Rentenniveau für Alt und Jung zu erreichen.

Deswegen sehe ich keine Notwendigkeit für eine Zustimmung zum Antrag der PDS. Ich meine, dass wir im Ausschuss die Ergebnisse der Beratungen im Bundestag und im Bundesrat diskutieren sollten.

Frau Dr. Kuppe, würden Sie eine Frage von Frau Krause beantworten?

Ja.

Bitte schön, Frau Krause.

Frau Dr. Kuppe, wie werten Sie die Einschätzung von Sozialverbänden und von Gutachtern, die die Vorbereitung dieser Rentenreform begleitet haben, dass die Reform, so wie sie angedacht ist, vor allen Dingen für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Frauen die Gefahr der Altersarmut mit sich bringen werde?

Ich führe in diesem Zusammenhang einige in den Begründungen genannte Ursachen aus:

Erstens. Frauen werden bei der Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor in erheblichem Maße benachteiligt.