Protocol of the Session on October 13, 2000

- Dann warte ich noch.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20:

Beratung

Feststellenprogramm in der Kinder- und Jugend- arbeit

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/3687

Der Antrag wird durch die Abgeordnete Frau Dr. Weiher eingebracht. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist etwas schwierig, nach den vorhergehenden Debattenbeiträgen wieder zum Ernst der Sache zurückzukehren. Ich versuche es trotzdem.

Die Wahrnehmung von Kindern und Jugendlichen in der Öffentlichkeit wird zunehmend von schlagzeilenträchtigen Themen in den Medien bestimmt. Gewalt an und von Kindern, Rechtsextremismus unter Jugendlichen, Jugendarbeitslosigkeit und Kinderarmut sind nur einige Punkte, die im Augenblick das Image dieser gesellschaftlichen Gruppe bestimmen. Man könnte fast Steigerungsformen des Wortes „Jugend“ in der Art einführen: Jugend hat Probleme, Jugend macht Probleme, Jugend ist ein Problem.

Aktionismus, kurzzeitige Forderungen nach dem Gießkannen- oder Windhundprinzip, Modellprojekte, die Modelle bleiben, Forderungen nach schärferen Strafen sind nur einige Beispiele, wie die Politik und Politiker versuchen zu reagieren.

Kann Politik überhaupt reagieren? Welche Lösungsansätze kann denn Politik bieten, damit sich nicht nur in der Öffentlichkeit das Bild über Kinder und Jugendliche wandelt, sondern damit sich für die Situation von Kin

dern und Jugendlichen in dieser Gesellschaft etwas ändert? Lösungsansätze sind unter anderem im Kinder- und Jugendhilfegesetz des Bundes und in den Ausführungsgesetzen der Länder festgeschrieben. Aber zu oft werden sie nicht als Verpflichtung, sondern als freiwillige und damit verzichtbare Aufgabe angesehen.

Wohl jeder kennt Diskussionen auf kommunalpolitischem Gebiet, die sich darum drehen, was denn nun wichtiger wäre, der Belag der Straße von A nach B oder die Sanitäranlagen eines Jugendklubs. Oft sind Jugendliche die Verlierer.

Sachsen-Anhalt hat sich im Jahr 1996 für einen anderen Weg entschieden. In dem Jahr wurde mit dem Ausreichen der Jugendpauschale begonnen, die sich mittlerweile zu einem Renner entwickelt hat, zwischenzeitlich auch in Thüringen existiert und möglicherweise auch in Sachsen Nachfolger findet.

Dieses Förderinstrument in der Jugendhilfe erlaubt es, den kommunalen Handlungsspielraum durch die dauerhafte und pauschale Förderung von Projekten und Initiativen zu erweitern. Voraussetzung für eine flexible Handhabung in der Kommune ist natürlich das Vorhandensein eines inhaltlichen Gesamtkonzeptes mit Schwerpunkten und Prioritäten, die auch einer laufenden Überprüfung unterzogen werden müssen, also eine qualifizierte Jugendhilfeplanung. Über die Jugendpauschale ist es auch möglich, Fachkräfte zu fördern; aber die Mittel reichen dafür nicht.

Mit dem Folgeprogramm, dem Feststellenprogramm, ist es seit 1998 nicht nur gelungen, die bisherige Diskontinuität und fast alleinige Abhängigkeit von AB-Maßnahmen in einigen Teilen zu beenden. Es ist auch gelungen, ein Netz von qualifizierten und motivierten Fachleuten in unterschiedlichen Bereichen der Jugendhilfe zu spannen, das vor allem nicht jedes Jahr an verschiedenen Stellen bröckelt oder Löcher bekommt.

Wer in der Jugendarbeit engagiert ist, weiß um die Sensibilität dieser Arbeit, um die intensive Beziehungsarbeit, die hierbei geleistet werden muss. Er weiß auch, dass das nicht allein mit ehrenamtlichen oder ABM-Kräften zu leisten ist. Zu stabilen und verlässlichen Rahmenbedingungen für Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit gehören neben entsprechenden materiellen Dingen wie Räumlichkeiten eben auch und insbesondere Fachkräfte.

Als wichtig erachten wir, dass durch das Feststellenprogramm auch mögliche strukturelle Ungleichheiten, die in diesen Bereichen auf kommunaler Ebene durchaus existieren, ausgeglichen werden können, obwohl nach wie vor genügend Defizite bestehen und diese auch nicht per Erlass aus der Welt zu schaffen sind.

Es wäre auch von unserer Seite aus ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die kommunale Selbständigkeit und würde andere Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten produzieren, wenn wir festlegen würden, wie viel Prozent der finanziellen Mittel für offene Jugendarbeit, für Mädchenarbeit, für Streetworking und andere Dinge zur Verfügung stehen. Das muss im Jugendhilfeausschuss unter Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen ausgeschritten werden. Grundlage sollte dafür natürlich die Planung bilden.

Aber die Situation in den Landkreisen und in den kreisfreien Städten ist sehr unterschiedlich. Dementsprechend existieren auch unterschiedliche Bedarfe, die sich ändern können.

Wir erwarten von dem Bericht über die erfolgte Evaluierung, um den wir in unserem Antrag bitten, natürlich nicht nur positive Aussagen, sondern vor allem auch kritische Hinweise und Empfehlungen, wie in der Folgezeit ab 2002 mit der Fachkräfteproblematik in dem Teil- bereich der Jugendhilfe umgegangen werden kann.

Es gibt eine Reihe von Fragen, die mit der jetzigen Richtlinie nicht gelöst werden. So sind zum Beispiel die Stadt-Umland-Problematik oder ein möglicher Ausgleich für Städte, in denen viele junge Menschen aufgrund eines Studiums ihren Nebenwohnsitz haben, was in den Statistiken jedoch keinerlei Beachtung findet, zu nennen.

Inwieweit ist die Kooperation oder Vernetzung über Kreisgrenzen möglich? Dies ist gerade angesichts der Diskussion über eine Kommunalreform ein Thema. Welche Möglichkeiten gibt es vor Ort, die Anzahl der Feststellen zu erweitern? Sind mehr Mittel, der Ausstieg von Trägern, die Kürzung von Beschäftigungszeiten oder eine degressive Förderung die richtigen Wege, oder existieren andere Möglichkeiten, über die gemeinsam mit Betroffenen diskutiert werden muss?

Ein Letztes. Das Feststellenprogramm hat durch die vierjährige Laufzeit Verlässlichkeiten und Sicherheiten auf der kommunalen Ebene produziert, denen man nicht durch plötzliches Ändern oder Auslaufen des Programms den Boden entziehen kann. Die Jugendarbeit war und ist auf einmal ein Stück planbar geworden. Ein verantwortungsvolles Miteinander ist gefragt, damit es Ende des Jahres 2001 nicht zu einem plötzlichen Bruch kommt. Gefragt ist eine Weiterqualifizierung der entstandenen Strukturen.

Ich hoffe, dass letztendlich alle Beteiligten eine qualitativ hochwertige, durch Kontinuität und Kreativität geprägte Jugendförderung wollen. Deshalb bitte ich Sie, sich dem Antrag unserer Fraktion anzuschließen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Für die Fünfminutendebatte der Fraktionen wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: SPD, FDVP, CDU, DVU-FL, PDS. Zunächst erteile ich jedoch für die Landesregierung Ministerin Frau Dr. Kuppe das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Das Feststellenprogramm ist ein auf vier Jahre begrenztes Programm. Es läuft bis zum Ende des Jahres 2001. Deshalb haben wir aus den bisherigen Erkenntnissen eine vorläufige Analyse vorgenommen und erste Vorschläge für die Weiterführung dieses Programms in unserem Haus entwickelt. Zu diesen Vorschlägen und zur Analyse hat bereits eine erste Diskussion im Landesjugendhilfeausschuss stattgefunden.

Wir wollen gemeinsam überlegen, wie die Zukunft des Feststellenprogramms aussehen könnte. Deswegen bin ich selbstverständlich bereit, in den genannten Ausschüssen einen Bericht vorzulegen und auch die Vorschläge, die bisher erarbeitet wurden, zu unterbreiten.

Ich bitte dabei aber um Verständnis, dass die konkreten Ergebnisse aus dem Haushaltsjahr 2000 frühestens nach Vorlage der Verwendungsnachweise im Juni 2001 korrekt berücksichtigt werden können. Deshalb schla- ge ich Ihnen vor, die Ergebnisse des Jahres 1999 als

Grundlage zu verwenden und die voraussehbaren Ergebnisse des laufenden Haushaltsjahres mit zu berücksichtigen. Ich glaube, dies ist für die Gesamteinschätzung auch einigermaßen unschädlich, da es sich ausschließlich um eine Personalkostenförderung handelt, die nur geringfügigen Änderungen unterliegt.

Ich begrüße ausdrücklich die im Antrag vorgesehene Anhörung von Vertreterinnen und Vertretern der öffentlichen und freien Jugendhilfe und der kommunalen Spitzenverbände; denn die vor Ort Handelnden sind für die Entscheidungen zum konkreten Personaleinsatz verantwortlich.

Deshalb halte ich es auch beim Feststellenprogramm, das unmittelbar in einen kommunalen Aufgabenbereich hineinwirkt, für notwendig, dass Jugendämter und Jugendhilfeausschüsse in den Landkreisen und kreisfreien Städten auch im eigenen Wirkungskreis eine Evaluation vornehmen. Dann können Qualität und Wirksamkeit der eigenen Entscheidungen vor Ort besonders gut reflektiert werden. Dann ist es möglich, gemeinsam Analysen vorzunehmen, wie sich gegebenenfalls die Bedarfslage vor Ort verändert hat, wie die Planungsprozesse in der Jugendhilfe für die Zukunft vor Ort aussehen sollen, sodass für eine mögliche Weichenstellung für die Fortführung dieses Programms auch die notwendigen Diskus- sionsgrundlagen gemeinsam erarbeitet werden. - Danke.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Danke, Frau Ministerin. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Steckel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Rahmen der 42. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt wurde mit den Stimmen von SPD, CDU und PDS ein Bekenntnis für Toleranz und Zivilcourage sowie gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit abgegeben. Damit haben wir uns in Sachen Rechtsextremismus, was die Bewertung und Bekämpfung betrifft, eindeutig positioniert. Dies ist richtig und gut so.

Meine Damen und Herren! Das Ausmaß der Verbreitung antidemokratischer, rechtsextremer Orientierungen unter Jugendlichen ist aus meiner Sicht beängstigend und erschreckend zugleich. So hat sich zum Beispiel eine rechte Jugendkultur unter Zustimmung weiter Teile der Gesellschaft nicht nur entwickelt, sondern auch etabliert.

Ohne die Hintergründe für das Entstehen antidemokratischer, rechtsextremer Orientierungen näher zu beleuchten, ist festzustellen, dass es nicht d i e Ursache für die Entwicklung solcher Einstellungen gibt, sondern mehrere. Wenn dies so ist, dann ist die Beseitigung antidemokratischer, rechtsextremer Orientierungen eine Querschnittsaufgabe für alle gesellschaftlichen Organisationen und politischen Akteure, und zwar mit dem Ziel, eine zivile Gesellschaft zu schaffen, die frei von Rassismus, Diskriminierung und Ungleichbehandlung ist.

Meine Damen und Herren! Ich bin davon überzeugt, dass das Feststellenprogramm im Rahmen der Jugendhilfe gegenwärtig und vielleicht auch in Zukunft zu dem eben Gesagten einen Beitrag leisten kann, indem es nämlich Kontinuität und Qualität in die pädagogische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen sowie jungen Heranwachsenden bringt.

Aus finanzpolitischer Sicht, meine Damen und Herren, ist bereits jetzt absehbar, dass der Diskurs zur Weiterführung des Feststellenprogramms nach 2001 von einer betriebswirtschaftlich-ökonomischen Rationalität geprägt sein wird. Doch, meine Damen und Herren Jugendpolitiker und Jugendpolitikerinnen, achten wir darauf, dass dieser Diskurs eine - seine - Relativierung erfährt, und zwar im Sinne der Qualität und Kontinuität der Jugendhilfe.

Meine Damen und Herren! Zur Intention des PDSAntrages, die sich in der Frage bündelt: Wie geht es mit dem Feststellenprogramm nach 2001 weiter? - Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Evaluierung, die wir in den Ausschüssen für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport, für Inneres und für Finanzen diskutieren werden, ist diese Frage dann zu beantworten. - Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Für die FDVP-Fraktion hat der Abgeordnete Herr Mokry das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nur ein Wort zu der Einbringerin von der PDSFraktion. Sie sagten zu Anfang Ihrer Ausführungen, dass die Jugend ein Problem sei. - Nicht die Jugend ist das Problem, sondern die Politik. Das ist das Problem. Perspektivlosigkeit und die hohe Jugendarbeitslosigkeit sind die ausschlaggebenden Punkte, aus denen Gewalt überhaupt erst entsteht. Politik ändern und neue Wege gehen,

(Zuruf von Frau Dirlich, PDS)

sind nur einige Punkte, um der Gewalt entgegenzuwirken. Die FDVP geht neue Wege.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Für uns stellt sich zu diesem Antrag ganz ernsthaft die Frage nach dem Warum. Ausschlaggebend für diesen Antrag ist sicherlich die doch sehr vage Auskunft zur Fortführung des Feststellenprogramms von Frau Dr. Kuppe bei der Haushaltsberatung im Ausschuss für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport.

Laut der Aussage von Frau Dr. Kuppe soll das Feststellenprogramm novelliert werden. Genauere Festlegungen sind noch nicht getroffen, da die Beratungen dahin gehend noch laufen. Von daher sollte doch erst einmal abgewartet werden, inwieweit es denn Änderungen geben wird und in welchem Umfang.

Ihr Antrag, meine Damen und Herren der PDS, ist lediglich ein Antrag auf Berichterstattung, die ohnehin durch die Landesregierung erfolgt. Dem wäre schon Genüge getan, wenn Sie im Ausschuss für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport einen Antrag auf Selbstbefassung gestellt hätten. Vielleicht hätten auch die anderen Fraktionen noch ein paar Fragen parat gehabt, die dann insgesamt zu einem Fragenkatalog hätten zusammengestellt werden können. In diesem Zusammenhang geht es sicherlich um Arbeitsplätze und um den Fortbestand der Jugendarbeit.

Die von Ihnen beispielsweise geforderte Auskunft über den Mittelabfluss hätte bereits in der letzten Ausschusssitzung zum Haushalt 2001 erfolgen können. Wir wollen

die Bedeutsamkeit dieser Thematik nicht herunterspielen, aber dieser Antrag hätte durchaus auch in Form einer Kleinen Anfrage gestellt werden können und hätte heute in diesem Plenum nicht debattiert werden müssen.