Protocol of the Session on October 12, 2000

Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Dr. Kuppe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Wir diskutieren seit Jahren über die schwierige Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung in Ostdeutschland, die an erster Stelle ein Einnahmeproblem hat. Die Einnahmen belaufen sich im Vergleich zu denen im Westen auf ca. 77 bis 80 %, die Ausgaben liegen bei ca. 90 %.

Wir waren uns schon vor drei bis vier Jahren darüber einig, dass es keine isolierten und dann auch noch exorbitanten Beitragserhöhungen vor allem bei den regionalen Krankenkassen in Ostdeutschland geben darf. Das würde einen enormen Standortnachteil für uns bedeuten.

Deswegen war ich damals sehr froh darüber, dass es noch unter der alten Bundesregierung mit dem damaligen Bundesgesundheitsminister Seehofer einvernehmlich gelungen ist, eine Finanzspritze für die GKV-Ost zustande zu bringen. Der Bundestag hat damals das Finanzstärkungsgesetz verabschiedet, nach dem rund 1,2 Milliarden DM als Solidaraktion von den Kassen West an die Kassen Ost flossen.

Wir hatten aber trotzdem noch die Sozialmauer, nämlich den getrennten Risikostrukturausgleich in Ost und West. Dabei ist der Mangel zwischen den Ostkrankenkassen praktisch intern verteilt worden. Deswegen war es im vergangenen Jahr im Zuge der Gesundheitsgesetzgebung mein prioritäres erklärtes Ziel, den gesamt- deutschen Risikostrukturausgleich zu erreichen.

Das ist gelungen, wenn auch derzeit dagegen angegangen wird. Sie wissen, dass Baden-Württemberg eine Verfassungsklage gegen den gesamtdeutschen RSA anstrebt und auch Bayern diese Regelung verurteilt.

Unterdessen wissen wir aber, dass der gesamtdeutsche Risikostrukturausgleich allein wiederum auch nicht ausreicht. Er berücksichtigt im Wesentlichen solche Kriterien wie Alter, Geschlecht, EU-Renten, BU-Renten.

Die Bundesregierung, das Bundesgesundheitsministerium hat ein Gutachten zur Wirksamkeit des Risikostrukturausgleiches als wichtigstem Instrument für die Steuerung des Wettbewerbes, als wichtigstem Ordnungsrahmen im Wettbewerb der Krankenkassen in Auf-trag gegeben. Es liegt derzeit der Zwischenbericht der Gutachter vor. Diese sagen ganz eindeutig: Der Risikostrukturausgleich bleibt weiterhin wichtig, um Risiko-selektion zu vermeiden, um Anreize bei den Kassen zur Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung zu setzen, um aber auch zu Beitragssatzgerechtigkeit beizutragen.

Ich denke, hierin liegt wirklich der Schlüssel. Wir brauchen einen präzisierten Risikostrukturausgleich, der beispielsweise auch für unsere AOK dann zusätzliche Finanzflüsse ermöglichen würde, wenn dort höhere Risiken versichert sind, wie zum Beispiel nahezu alle Dialysepatientinnen und -patienten in unserem Land. Derartige Nachteile werden zurzeit nicht ausgeglichen.

Es gibt noch einen weiteren Bereich, wo es zu Einnahmeverlusten für den niedergelassenen Bereich kommt. Er

betrifft die Kopfpauschalen, die Kassen den Vertragsärzten für die ambulante Versorgung zahlen, und zwar am Sitz der Krankenkasse der Versicherten und nicht am Wohn- und Behandlungsort, sodass bei zunehmender Inanspruchnahme von Betriebskrankenkassen oder virtuellen Krankenkassen Finanzströme in andere Länder gehen. Es gibt den Fremdkassenausgleich, der aber das hier bei den Krankenkassen und damit auch bei der KV entstehende Defizit nicht ausräumt.

Derzeit versucht die Bundesregierung, auch auf unsere Intervention hin, noch in diesem Jahr eine Selbstverwaltungsregelung zustande zu bringen. Wenn das nicht gelingt, dann brauchen wir auch für diesen Fall eine gesetzliche Regelung.

Meine Damen und Herren! Für mich steht an erster Stelle in diesem Bereich neben der medizinischen Versorgung, die gesichert sein muss, dass wir am Prinzip der Beitragsstabilität festhalten; denn das ist auch für unser Land ein Wirtschaftsfaktor. Dies ist insbesondere für Ostdeutschland wichtig. Deswegen muss es auch eine Ausgabensteuerung geben.

Wir haben durch die Gesundheitsreform 2000 einige Elemente in die Hand bekommen, die wirklich extensiv genutzt werden müssen. Das ist die integrative Versorgung, bei der wir in unserem Land erste gute Ansätze haben, zum Beispiel bei der Diabetikerversorgung. Das ist ausbaubar. Ausbaubar ist auch der Vorrang der Prävention, die Unterstützung der Prävention und der Gesundheitsvorsorge.

Ausbaubar ist darüber hinaus auch die Steuerung von Kosten durch den niedergelassenen Bereich, beispielsweise was die Verschreibemöglichkeiten und auch die Einweisungshäufigkeit in den stationären Bereich anbelangt. Bei der Einweisungshäufigkeit liegen wir nach dem Saarland an vorderster Stelle in Deutschland. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Kosten in diesem Bereich und geht zulasten der ambulanten Seite.

Die aktuelle Finanzsituation in den Kassen kann ich nur am Beispiel der AOK, also der landesunmittelbaren Kasse, nach der vorläufigen Übersicht für das erste Halbjahr in etwa darstellen: Die Einnahmen pro Mitglied haben sich positiv entwickelt. Sie liegen um 6 % höher als im vergangenen Jahr. Das ist insbesondere dem verbesserten Risikostrukturausgleich und den Einnahmen aus der Versicherung der geringfügig Beschäftigten zu danken.

Die Leistungsausgaben je Mitglied sind im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls gestiegen. Davon profitieren im Moment insbesondere der Heil- und Hilfsmittelsektor, der Krankenhaussektor und der Bereich der nieder- gelassenen Ärzte.

Beim letzteren Bereich will ich nicht verhehlen, dass es Schwierigkeiten gibt. Wir haben derzeit ein neues System, nämlich getrennte Budgets für die Hausärzte und für den fachärztlichen Bereich. Das ist politisch gewollt. Ich finde es auch richtig, dass es eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung gibt. Aus diesem Bereich hört man derzeit auch wenig Klagen.

Es gibt möglicherweise Verwerfungen in einigen Sektoren des fachärztlichen Bereiches. Hierzu, muss ich allerdings deutlich sagen, gibt es derzeit noch keine konkreten Daten. Die Ärzte haben bisher nur Abschlagshonorarzahlungen erhalten. Zurzeit laufen die Budgetverhandlungen zwischen KV und Kassen noch, sodass

über das Fachärztebudget abschließend noch gar nichts ausgesagt werden kann.

Ich appelliere an dieser Stelle aber an die KV, ihre Instrumente innerhalb der Selbstverwaltung zu nutzen. Ich verstehe beispielsweise eine Entscheidung der Vertreterversammlung der KV nicht, durch die die Stützung des Punktwertes für das ambulante Operieren aufgehoben wurde. Das stärkt nicht den Vorrang der ambulanten Versorgung, sondern schadet ihm.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von der Regierungsbank)

Danke sehr. - Für die Fraktion der FDVP erteile ich dem Abgeordneten Herrn Wolf das Wort. Bitte, Herr Wolf.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorweg einige Zahlen, welche die Tendenz aufzeigen. Dazu dann die Presseerklärung des Bundesgesundheitsministeriums vom 28. Februar 1998, die schon den Alarm anzeigte. In der Zeit von 1991 bis 1997 stiegen die ärztlichen Kosten auf 133,3 %, jedoch die Verwaltungs- kosten und sonstigen Ausgaben auf 2 949,4 %.

Licht in die sonstigen Ausgaben bringt uns zum Beispiel, dass die AOK in Thüringen mit „Viva“ einen Musikwettbewerb startete. Die Gewinner erhielten Preise, aber keiner wurde gesund. Das ist symptomatisch und nicht dem Auftrag entsprechend.

Logisch, dass dann 67 % der Deutschen die Gesundheitspolitik von Rot-Grün ablehnen. So zu lesen in „Arzt und Wirtschaft“, Ausgabe 9 des Jahres 2000, Seite 74.

So hört man weiter, wie Frau Fischer für das Jahr 1999 Zahlen der GKV präsentierte: 1 Milliarde DM Überschuss, davon 300 Millionen DM in Mitteldeutschland. Was stimmt denn nun? Ist man nun reich oder ist man pleite? Demnach nur ein Märchen von der Kostenexplosion? - Fest steht, mit 14,03 Milliarden DM wurde im vergangenen Jahr ein neuer Rekord bei den reinen Verwaltungsausgaben erreicht.

Dennoch, es gibt keine Alleinschuld der Kassen. Herausragende Probleme sind unter anderem: der Rückgang der Beschäftigungsquote, das Altersspektrum der Bevölkerung und immer mehr beitragsfreie Leistungsempfänger.

Zur Abrechnung der Behandlungskosten. Jüngsten Pressemitteilungen ist zu entnehmen, der Patient solle quasi zum Gutachter in eigener Sache avancieren und mit seiner Unterschrift die Richtigkeit der abzurechnenden erfolgten Behandlung dokumentieren. - So viel Hilflosigkeit darf nicht entstehen. Das ist einfach nicht delegierbar.

Noch ein paar Dinge, die nicht gern gehört werden, aber zu sagen sind: Ein weiterer Grund für die Finanzmisere ist die Krankenversicherung für Fremd- und Gastarbeiter. Ist es denn nicht so, meine Damen und Herren, dass diese alleinig bei der gesetzlichen

(Zuruf von Frau Stolfa, PDS)

- ja, ich verstehe Ihre Aufregung - Krankenversicherung abgesichert sind?

Meine Damen und Herren! Tatsache ist, dass für diese Versicherten laut Abkommen zum Beispiel mit einer türkischen Krankenkasse eine Mitversicherung der Fami

lienangehörigen besteht, allerdings unter der Gesetzgebung für türkische Krankenkassen. Das hat zur Folge, dass nicht nur die direkten Familienangehörigen, wie in Deutschland, versichert sind, sondern auch andere, die dazu gehören. Deutsche Krankenkassen sind aufgrund dieser aberwitzigen Abkommen gezwungen, auch noch Tante, Onkel, Nichte etc. in den Leistungsumfang voll einzubeziehen.

Dieser Umstand einer Superversicherung führt nicht, wie man annehmen sollte, zu höheren Beitragssätzen für die betreffenden Versicherten, sondern nur zum Mittelabfluss zulasten der deutschen Krankenversicherten.

(Zustimmung bei der DVU-FL)

Da wächst der Wunsch nach Gleichstellung für den deutschen Einzahler, der sich zu Recht fragt, ob er zweiter Klasse ist. Die Realität allerdings beantwortet ihm die Frage.

Warum eine Beitragsbemessungsgrenze? Hierbei werden die Besserverdienenden ohne vernünftigen Grund bevorteilt. Reichtum teilen, die einmalige Chance, vom Wort zur Tat zu kommen, gilt eben gerade für den Einbringer. Und Sie hatten unlängst keine symbolischen 100 DM für Zwangsarbeiter übrig. So viel nur zum Charakter des Einbringers.

Aber weiter: Wenn eine Krankenkasse zu einem geringeren Beitragssatz genauso effektiv und leistungsbezogen arbeiten kann wie eine andere, ist das ein ziemlich schlagender Beweis. Es wäre hierbei vielleicht zu überlegen, ob es möglich ist, eine einheitliche Regelung der Beitragssätze unter bestimmten Auflagen, zum Beispiel Umstrukturierung der Verwaltung zur Kosteneinsparung, herzustellen, um annähernd gleiche Ausgangslagen zu schaffen.

Wir sind aber nur in einer Aktuellen Debatte. Mehr nicht.

Die Rolle des Euros: Die Abschätzung der Folgen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr vage, aber die bisherigen Erfahrungen mit der Kunstwährung lassen nichts Gutes ahnen.

Die Pharmaindustrie: Sie mischt ebenfalls mit. Auf der einen Seite schraubt sie die Preise für Arzneimittel in Deutschland ins Unermessliche und auf der anderen Seite sind deutsche Pharmazeutika in anderen EU-Ländern preiswerter zu haben als in Deutschland.

Das Spektrum an Krankenkassen: Die Zahl von über 1 200 Krankenkassen und privaten Krankenversicherern hat ein Ausmaß angenommen, bei dem es für den Bürger ausgeschlossen ist, eine optimale Entscheidung herbeizuführen. Er ist wieder der Verlierer.

Wir haben an dieser Stelle kritische Punkte angemerkt, auch für diejenigen, die sie nicht hören wollen. Dieses Haus kann keine Reparatur leisten, da dies nicht in der Kompetenz des Landes liegt. Vielleicht hätten Sie sich die Aktuelle Debatte über einen allgemein bekannten Tatbestand verkneifen sollen, dann hätten Sie nicht so viel Unliebsames gehört. - Danke.

(Beifall bei der FDVP - Zuruf von Frau Stolfa, PDS)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Wir begrüßen Schülerinnen und Schüler des Burg-Gymnasiums Wettin.

(Beifall im ganzen Hause)

Die Debatte wird mit dem Beitrag von Professor Dr. Böhmer für die CDU-Fraktion fortgesetzt. Bitte, Herr Professor.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frau Kollegin Krause hat das große und breit angelegte Thema der Finanzsituation der Krankenversicherungen in Sachsen-Anhalt auf einen einzigen Punkt reduziert, nämlich auf den Umstand, dass Versicherte derzeit ihre Kasse wechseln, weil ihnen eine andere, billigere Krankenkasse angeboten wurde. Dies hat allerdings - darin gebe ich Ihnen vollkommen Recht - Ausmaße angenommen, die einer Korrektur und Nachregelung bedürfen.

Ich habe an anderer Stelle schon gesagt und ich sage es auch hier: Bestünde zwischen den Krankenkassen kein Unterschied, dann brauchten wir nur eine Einheitskasse, die wir bei der Sozialversicherung schon einmal hatten. Es hat Vorteile, dass es ein gegliedertes Kassensystem mit Unterschieden gibt. Diese Vorteile sollten wir bewahren.

Auch ein bestimmter Wettbewerb zwischen den Kassen hat einen Sinn. Zum Beispiel dämpft dieser die internen Verwaltungskosten und vielleicht auch die Ausgaben für Neubauten und eigene Gebäude. Wenn Sie in eine fremde Stadt kommen und Sie sehen ein großes gläsernes Hochhaus, dann ist das meistens eine Versicherungskasse.