Protocol of the Session on October 12, 2000

Danke sehr. - Die Debatte zum Thema Krankenversicherung wird mit dem Beitrag der Abgeordneten Frau Brandt abgeschlossen. Bitte, Frau Brandt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der im Jahr 1996 eingeführten Wahlfreiheit der gesetzlichen Kassen hat zeitgleich eine Entwicklung eingesetzt, die politisch nicht gewollt sein konnte: Immer mehr jugendliche und gesunde Versicherte verlassen die großen Volkskassen und wechseln zu den Betriebskrankenkassen.

Was auf den ersten Blick nach einem gesunden Wettbewerb aussieht, zieht den Zerfall des solidarischen Krankenkassensystems nach sich. Es lässt sich schnell auf die Formel bringen: Beitragsgünstige Kassen für Junge und Gesunde auf der einen Seite und Alte und Kranke in den großen Volkskassen mit deutlich höheren Beitragssätzen auf der anderen Seite. Seit 1996 sind rund eine Million Beitragszahler von den großen Volkskassen zu den Betriebskassen fluktuiert.

Meine Damen und Herren! Einen solch sensiblen Bereich, wie er mit dem Krankenkassensystem dargestellt wird, kann nicht einfach nur nach den Regeln des Wettbewerbs beurteilen. Als vor fast 120 Jahren die Krankenversicherung durch den genialen konservativen Staatsmann Otto von Bismarck eingeführt wurde, war sie als Solidarsystem gedacht und hat bis zum Jahr 1996 - durch alle politischen Systeme hindurch - auch funktioniert.

Aus diesem Grund sind wir von der DVU-FL dafür, dass der Staat unter den Krankenkassen für einen Finanzausgleich sorgen sollte. Die Beitragskluft, meine Damen und Herren, muss ausgeglichen werden, damit das Solidarsystem nicht zusammenbricht.

Wir sehen auch, dass mit der deutschen Einheit die Lebenserwartung gestiegen ist. Man braucht nur in seinen Bekanntenkreis zu schauen und wird feststellen, dass einige unter den Bedingungen der DDR-Medizin gar nicht mehr unter uns weilen würden. Das, meine Damen und Herren, muss eben bezahlt werden, aber nach dem Solidaritätsprinzip, wie vorhin schon erwähnt.

Wir haben das beste Sozialsystem der Welt, und es scheint uns erhaltenswert, kann aber nicht funktionieren, wenn neu gegründete Krankenkassen ihre Mitglieder selektieren und nur junge Menschen aufnehmen. Auch diese werden einmal alt und brauchen dann vermehrt die Betreuung durch die Krankenkassen. Ob das von ihnen in jungen Jahren eingezahlte Geld aber dann noch für solche Aufgaben vorhanden sein wird, mag von uns bezweifelt werden. - Ich bedanke mich.

(Zustimmung von Herrn Kannegießer, DVU-FL)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Beschlüsse zur Sache werden gemäß § 46 unserer Geschäftsordnung

nicht gefasst. Damit ist das erste Thema im Rahmen der Aktuellen Debatte beraten.

Ich rufe das zweite Thema der Aktuellen Debatte auf:

Rentenpläne der Bundesregierung - willkürliche Kürzungen statt Generationengerechtigkeit für die Bürger Sachsen-Anhalts

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/3703

Es wird folgende Reihenfolge für die Debatte vorgeschlagen: CDU, DVU-FL, PDS, FDVP und SPD. Zunächst hat die Antragstellerin, die CDU-Fraktion, das Wort. Danach spricht Frau Ministerin Dr. Kuppe. Bitte, Herr Dr. Bergner, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte kann eigentlich nur Auftakt einer parlamentarischen Diskussion sein, die wir in den nächsten Monaten zu diesem Thema im Hohen Hause führen müssen. Warum müssen wir als Landesparlament sie führen, obwohl es eine Bundesentscheidung ist? Ich nenne zwei Gründe.

Zum einen: In dem Umfang, in dem zum System der Altersversorgung steuerfinanzierte oder steuergeförderte Elemente hinzukommen, werden die Landesparlamente - übrigens auch über Bundesratsentscheidungen - an der Finanzierungsabwägung beteiligt sein, und wir sollten uns schon Gedanken dazu machen, worüber das Land Sachsen-Anhalt im Bundesrat zu entscheiden hat.

Ein zweiter Punkt ist, glaube ich, besonders wesentlich: Bei der Frage, wie wir das System der Altersversorgung und der gesetzlichen Rentenversicherung in Zukunft gestalten, wird sich die Frage stellen, ob und wie viel Altersarmut wir in den nächsten Jahrzehnten in SachsenAnhalt haben werden, ob und in welchem Umfang wir Generationengerechtigkeit realisieren können.

Aktuell an dieser Debatte ist vor allem der Umstand, dass Minister Riester jetzt mit einer Vorlage in den Deutschen Bundestag gehen will und dass wir gut beraten sind, die Positionen gleich zu Beginn zu klären.

Nun hat Herr Professor Böhmer bereits die Situation der Vergangenheit in Erinnerung gerufen mit dem Zitat des Ministerpräsidenten, dass die SPD sich in dieser Frage in der Vergangenheit, als es um das Blüm’sche Reformmodell ging, „absichtsvoll ungenau“ geäußert habe.

Meine Damen und Herren! Ich denke, das ist noch etwas zaghaft umschrieben. Wenn ich die Materialien der SPD aus dem Jahr 1997 unter dem Titel „Strukturreform statt Leistungskürzung“ betrachte, wenn ich mich an die Debatte im Bundestagswahlkampf 1998 erinnere, muss ich sagen, zwischen den Wahlkampfversprechen der SPD aus dem Jahr 1998 und dem, was Riester jetzt vorgelegt hat, klaffen Welten. Ein Paradigmenwechsel hat stattgefunden.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb muss man sich nicht wundern, wenn die Sozialverbände den Begriff „Rentenlüge“ geprägt haben, der für ein so heikles Thema wie die Rentenversicherung eine wirklich schwierige Ausgangslage in der Diskussion beschreibt. Ich habe auch noch in Erinnerung, wie Sie, Frau Minister Kuppe, uns angegriffen haben, weil wir - Herr Professor Böhmer und ich waren damals in der Rentenkommission der CDU - das Blüm’sche Rentenmodell verteidigt haben.

Ich möchte - dazu lade ich Sie ein - im Lichte Ihrer damaligen Kritik die jetzt von Herrn Riester unterbreiteten Vorschläge gemessen wissen.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Scharf, CDU: Das ist der Punkt!)

Beginnen wir bei der damaligen Kritik am Demografiefaktor.

Meine Damen und Herren! Wenn ich den Ausgleichsfaktor von Herrn Riester betrachte, der erst im Jahr 2011 erhoben werden soll, aber dann dramatische Auswirkungen für später hinzugekommene Rentner haben wird, kann ich nur feststellen: Das hat mit Generationen- gerechtigkeit überhaupt nichts zu tun.

(Zustimmung bei der CDU)

Er gefährdet das Rentensystem in einer sehr problematischen Weise. In den Jahren 2008 bis 2010 werden nämlich viele Menschen versuchen, ihre Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung noch unter den bis dahin gültigen Bedingungen geltend zu machen, und das Rentensystem droht zu kollabieren. Diesbezüglich war der Blüm’sche Demografiefaktor nun wirklich um Welten besser als der von Riester vorgeschlagene.

(Zustimmung bei der CDU)

Zweiter Punkt. Der Vorwurf der Rentenkürzung war „absichtsvoll ungenau“ - meinetwegen. Aber ich fordere, dass wir wenigstens jetzt absichtsvoll genau über das Rentenniveau nach dem Riester‘schen Modell reden. Die Nettoanpassung hat jetzt Bezüge, die sich nicht mehr allein an dem Nettolohn orientieren, sondern bei denen gewissermaßen die private Altersvorsorge gleich abgezogen wird. Dann kommen wir bei den Eckrentnern auf ein Rentenniveau von nicht 64 %, wie bei dem Blüm’schen Modell, sondern von 60 oder 61 %. Darüber sollten Sie absichtsvoll genau reden, damit wir wissen, worüber wir debattieren.

(Beifall bei der CDU - Frau Stange, CDU: Ge- nau!)

Ein weiterer Punkt ist die zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge. Wir wissen, dass der Übergang dazu nötig ist. Ich will Ihre polemischen Forderungen von damals, dass die paritätische Finanzierung unbedingt aufrechterhalten werden müsse, jetzt nicht in Erinnerung rufen, obwohl das aus der Sicht der Arbeitnehmervertreter, übrigens auch in der CDU, ein erhebliches Problem ist.

Mich beschäftigt vor allem die Frage, unter welchen Bedingungen Sie die Förderung einer privaten Vorsorge etablieren wollen.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Dr. Bergner.

Diesbezüglich habe ich Bedenken, die ich abschließend noch kurz umschreiben will. Eine staatliche Förderung gibt es nur für diejenigen, die mindestens die von der Bundesregierung vorgesehenen Beiträge ansparen. Auch bei Familien mit unteren und mittleren Einkommen, die einen Anspruch auf den Kinderzuschlag haben, werden alle diese Zuschläge davon abhängig gemacht, dass man bei dieser Einkommenshöhe den geforderten vollen Betrag sparen kann. Ich kann Ihnen die Zahlen aus Zeitgründen jetzt nicht nennen.

Bitte - -

Wer sich mit diesen Zahlen vertraut macht, der wird bemerken, dieses Modell bedeutet Solidarität mit den Starken, nicht mit den Schwachen. Das sollte dann auch ganz deutlich gesagt werden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Herr Präsident!

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Abschließend möchte ich einen Satz sagen, wenn Sie gestatten. Ich habe aus dem Wahlkampf der SPD eine Karte mit dem Bild von Gerhard Schröder. Darunter steht:

„Ich gebe Ihnen neun gute Gründe, SPD zu wählen. Der zehnte heißt Kohl. Bewahren Sie diese Karte auf. Sie werden sehen, dass wir halten, was wir versprechen.“

Bitte kommen Sie zum Schluss, Herr Dr. Bergner. Sie haben Ihre Redezeit bereits um zwei Minuten überschritten.

Ich habe die Karte aufgehoben. Was dort über die Rente steht, ist sehr interessant und sollte weiter vertieft werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDVP)

Ich möchte noch einmal feststellen, dass eine Fünfminutendebatte vereinbart worden ist, nicht sieben Minuten. - Die Landesregierung hat das Wort. Bitte, Frau Dr. Kuppe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Der demografische Wandel, meine Damen und Herren, stellt die Sozialpolitik vor große Herausforderungen.

(Herr Scharf, CDU: Das ist doch keine neue Er- kenntnis!)

- Ich denke, Sie haben es nötig zuzuhören, Herr Scharf.

(Herr Dr. Daehre, CDU, lacht)

Es gibt einen Schrumpfungsprozess und einen Alterungsprozess. Das beschwört vor allem zwei Verteilungskonflikte zwischen den Generationen herauf, nämlich einen schon bestehenden kurzfristigen auf dem Arbeitsmarkt und einen vorhersehbar eintretenden Verteilungskonflikt in der Alterssicherung.