Protocol of the Session on September 14, 2000

Unser Antrag soll dazu einen Beitrag leisten und soll ein Zeichen setzen. Auch wenn mir die Form missglückt erscheint und es offensichtlich, wie wir bei dem Tagesordnungspunkt 22 sehen, auch anders geht, wenn ich also lieber einen Antrag von drei Fraktionen statt zwei Anträgen gesehen hätte, werbe ich dennoch unein

geschränkt für die Zustimmung aller drei großen Fraktionen zu den gleich lautenden Inhalten. - Ich danke Ihnen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustimmung von Herrn Remmers, CDU, von Herrn Sommerfeld, CDU, und von der Regie- rungsbank)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Ich teile Ihnen jetzt die Reihenfolge und die Redezeiten mit: PDS zwölf Minuten, FDVP fünf Minuten, DVU-FL fünf Minuten, CDU 14 Minuten, SPD 24 Minuten. Der Landesregierung stehen 24 Minuten zur Verfügung. Die Landesregierung wird durch den Ministerpräsidenten vertreten, der unmittelbar nach dem Beitrag der PDS-Fraktion das Wort nehmen wird.

Ich bitte jetzt Frau Dr. Hein um ihren Redebeitrag für die PDS-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rechtsextremistische Gewalt und Straftaten bilden seit längerem ein Kontinuum in der bundesdeutschen Gesellschaft. Nun werden sie endlich auch als solches wahrgenommen. Mit der im Sommer begonnenen öffentlichen Debatte um Ausländerfeindlichkeit und offene rassistische Gewalt, mit der Debatte um ein Verbot der NPD und der Aufforderung zu mehr Zivilcourage hat dieses Thema endlich den Stellenwert erhalten, den es seit Jahren verdient.

Die zunehmenden Angriffe auf Ausländer und Ausländerinnen, der Mord an Alberto Adriano in Dessau und das Bombenattentat in Düsseldorf in diesem Sommer haben jene auf den Plan gerufen, die um den Wirtschaftsstandort Deutschland bangen, und das zu Recht.

(Zuruf von Herrn Kannegießer, DVU-FL)

Dennoch: Dies kann erst der Anfang einer Debatte sein und nicht schon deren Höhepunkt und schon gar nicht deren Ziel. Nach wie vor werden die Gefahren und Auswirkungen rechtsextremen Denkens unterschätzt. Es ist kein Problem, das sich allein durch die schärfere Anwendung von Rechtsmitteln, wiewohl auch das nötig ist, und durch die stärkere Präsenz von Polizei erledigen ließe.

Ohne eine breite gesellschaftliche Ächtung rechten, faschistischen und rassistischen Denkens wird diese Entwicklung nicht aufzuhalten sein. Aufhalten müssen wir sie aber. Das gebietet die Verpflichtung gegenüber der Geschichte und gegenüber der Zukunft.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Herr Weich, FDVP: Ach!)

Stärkung zivilgesellschaftlichen Widerstandes, Stärkung nicht rechter Jugendstrukturen und Unterstützung bei der Entwicklung von Gegenstrategien, wie es von dem Verein „Miteinander“ angestrebt wird, sind notwendiger denn je. Denn längst ist Rechtssein unter Jugendlichen schick geworden und nicht einmal das Sprichwort „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder“ stimmt noch.

Allerdings ist rechte Gewalt nicht nur ein Problem verblendeter Jugendlicher, als das sie häufig dargestellt wird. Wir wissen längst: Fremdenhass, Bereitschaft zur Gewalt gegen Andersdenkende und anders Aus

sehende kommen aus der Mitte dieser Gesellschaft. Rechtsextremes Denken ist auch heute noch - und zunehmend - eine Gefahr für die Demokratie, auch wenn der „Fränkische Tag“ vor wenigen Tagen mit Bezug auf die Thesen der CSU Mittelfranken die rechten Parteien - ich zitiere - „als keine ernsthafte Bedrohung“ für die Demokratie in Deutschland betrachtet hat.

Zu lange wurden die Gewaltauswüchse rechtsextremen Denkens unter dem Teppich der gesellschaftlichen Öffentlichkeit gehalten. Sie galten und gelten vielleicht noch vielen als ein - ich zitiere den Soziologen Chrapa - „zeitweiliger Schmutzfleck einer sonst heilen Welt“.

Im Land Sachsen-Anhalt war es zum Beispiel durchaus nicht unumstritten, dass es sich bei dem Mord an Frank Böttcher um eine rechte Gewalttat handelte. Nach den Himmelfahrtskrawallen in Magdeburg gab es schon Bemühungen, das Image der Stadt auch unter Kleinreden der wirklichen Probleme international aufzupolieren.

(Herr Scharf, CDU: Das stimmt aber nicht, Frau Dr. Hein!)

- Das sehe ich schon so.

In den letzten Jahren wurde zudem das Problem rechtsextremer Gewalt gern als ein Ostproblem dargestellt und damit als kein Problem der Bundesrepublik Deutschland. Damit konnte man in der offiziellen Gesellschaft die Frage nach den Ursachen und nach dem Ausmaß ein gutes Stück vor sich herschieben. Allerdings haben die verständlichen Proteste über die Äußerungen des Kriminologen Pfeiffer zum kollektiven Töpfchensitzen die öffentliche Diskussion im Osten auch nicht unbedingt befördert, und auch diese ist notwendig.

Die Zeitung „Tagesspiegel“ befasst sich heute in einer ausführlichen Dokumentation mit den Opfern rechter Gewalt und stellt fest, dass anstelle der von der Bundesregierung registrierten 26 Toten seit 1990 mindestens 93 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen sind, und sie zählt sie auf. Unter ihnen sind 32 Ausländerinnen und Ausländer, aber auch Menschen deutscher Nationalität, unter ihnen 15 Obdachlose, aber auch Behinderte. Gewalt gegenüber Schwächeren, Fremden und Andersdenkenden - das ist das einigende Band dieser Betroffenengruppen.

In den letzten Jahren ist ein Widerstandspotenzial gewachsen, das inzwischen auf breite gesellschaftliche Bündnisse aufbauen kann. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Gewerkschafter, Kirchenleute, Künstler, Vereine und Verbände, Kommunalpolitikerinnen und auch Landespolitiker haben sich in die erste Reihe gestellt und Bündnissen gegen Rechts zum Leben und zu öffentlicher Akzeptanz verholfen.

Hans-Jochen Tschiche und Jürgen Weißbach will ich hier nur stellvertretend und beispielhaft nennen. Ohne Menschen wie sie gäbe es heute dieses Maß an öffentlichem Bewusstsein noch nicht. Trotzdem blieb die Beteiligung breiter Kreise der Bevölkerung bislang vergleichsweise gering.

Die rassistische und menschenfeindliche Gewalt ist nur die Spitze einer tiefer in der Gesellschaft verwurzelten Akzeptanz rechten Denkens. Drohbriefe an die Stadtverwaltung in Dessau, offenes Unverständnis über die Protestwelle und die Solidarisierung mit den in der Stadt lebenden Ausländerinnen und Ausländern nach dem Mord an Alberto Adriano, sogar eine Solidarisierung mit den Tätern, all das gibt es auch in unserer Gesellschaft -

offen oder durch schweigende Akzeptanz, und es ist kein Problem der Jugend.

Eine Studie aus Leipzig belegt, dass jeder zehnte Mann und jede zwölfte Frau Verständnis für diese Art von Protest rechter Marschierer habe. Die Umfrage offen-bare - so die „Leipziger Volkszeitung“ - eine breit gefächerte Mischung aus Sorge, Ablehnung, Mitleid und Verständnis gegenüber jenen, die rechtsradikalen Ideen hinterherlaufen.

Auch darum bleiben heute viele Mitbürgerinnen und Mitbürger hinter der Gardine, wenn Bündnisse gegen Rechts auf der Straße gegen rechte Aufmärsche protestieren. Daran wird deutlich, wie groß und wie dringlich die Aufgabe ist, vor der die Demokratinnen und Demokraten stehen, um Zivilcourage gegen rechtes Denken und rechte Gewalt zu entwickeln.

Darum ist es an der Zeit, aus diesem Landtag heraus ein gemeinsames Zeichen zu setzen. Ideologische Grabenkämpfe gehören heute nicht hierher.

Wie wollen wir denn zu mehr öffentlicher Zivilcourage aufrufen, wenn wir nicht einmal in diesem Haus über alle politischen Differenzen und Meinungsverschiedenheiten hinweg, wie groß und grundsätzlich sie sonst auch erscheinen mögen, eine gemeinsame Erklärung abgeben können?

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Das hat die PDS-Fraktion bewogen, um einen gemeinsamen Antrag mit SPD und CDU zu ringen. Immerhin, es ist ein Text entstanden, hinter den sich SPD, CDU und PDS stellen können. Dass es in den Auffassungen der einzelnen Parteien unterschiedliche Bewertungen gibt, ist den Ursprungsanträgen ebenso zu entnehmen wie früheren Debatten, die wir hier im Landtag geführt haben, und eigentlich auch der heutigen Debatte. Deshalb braucht man das jetzt auch nicht weiter zu erörtern und sich großartig damit auseinander zu setzen. Wichtig ist das Gemeinsame dieses Anliegens und das ist heute auch schon deutlich geworden. Allerdings gibt es leider keinen gemeinsamen Antrag.

Es ist nicht an uns, zu erklären, warum das nicht gelungen ist. Das müssen schon die Kolleginnen und Kollegen von der CDU der Öffentlichkeit erklären.

(Frau Feußner, CDU: Genau! Damit haben wir auch kein Problem!)

Es ist bedauerlich, dass Sie sich des Vehikels eines in der Sache falschen, gleichzeitig verharmlosenden und gleichsetzenden Vorspanns bedienen müssen, der in die falsche Richtung geht und den die PDS nun wirklich nicht akzeptieren kann.

(Herr Remmers, CDU: Warum nicht?)

Wir werden aber alles uns Mögliche tun, damit es am Ende doch zu einem gemeinsamen, weil gleich lautenden Standpunkt von PDS, SPD und CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt kommt. Im Übrigen haben das kommunale Gremien dieses Landes schon hinbekommen.

Es ist fünf Minuten vor zwölf. Viele Menschen, Politikerinnen, Künstlerinnen und Wirtschaftsleute haben das erkannt. Warum sollte es uns nicht möglich sein, in dieser für die Demokratie derzeit wichtigsten Sache ein gemeinsames Zeichen zu setzen? - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Ich erteile dem Herrn Ministerpräsidenten Dr. Höppner das Wort. Bitte, Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist eine Stunde des Parlaments, und nachdem ich die drei letzten Reden gehört habe, glaube ich, dass es auch wirklich eine gute Stunde dieses Parlamentes ist. Ich jedenfalls bin außerordentlich froh darüber, und ich will darum auch meinerseits nicht in einem größeren Beitrag auf dieses Thema eingehen, weil ich glaube, dass sich das, was hier gesagt worden ist, in vielfältiger Weise unterstreichen lässt.

Ich habe mich in den vergangenen Jahren - so kann ich es wohl sagen - zu diesem Thema klar und, wie ich hoffe, auch eindeutig geäußert. Deswegen will ich die Gelegenheit wahrnehmen, seitens der Landesregierung zu sagen, dass wir außerordentlich froh darüber sind, dass diese qualifizierte Debatte hier zustande gekommen ist.

Wir haben die Chance, ein Signal von großer Gemeinsamkeit zu geben; denn genau das braucht das Land: Eine große gemeinsame Bewegung gegen diese Art rechtsextremer Gewalt und gegen dieses sich verbreitende rechtsextreme Gedankengut.

(Zustimmung von Herrn Bischoff, SPD)

Die Landesregierung ist immer wieder dankbar für alle diejenigen, die Ideen einbringen, wie diese Bewegung in unserem Lande größer werden kann.

Wir empfinden den entsprechenden Beschluss, so er gefasst wird, als Ermutigung, unsere Anstrengungen mit unserem Programm und auch darüber hinaus weiter fortzusetzen, indem wir dieses Programm bereichern und durch weitere Elemente festigen.

(Zustimmung bei der SPD)

Es ist gesagt worden und ich kann das nur unterstreichen: Jeder, der an der Zukunftsfähigkeit unseres Landes, an einer guten Zukunft für alle interessiert ist, muss sich selber fragen, was er tun kann.

Die Landesregierung, das versichere ich Ihnen, wird sich die Frage ebenso stellen, was sie tun kann, und das dann auch in Gang setzen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der FDVP spricht jetzt der Abgeordnete Herr Wolf. Im Anschluss daran spricht der fraktionslose Abgeordnete Herr Miksch.

(Unruhe bei der SPD)

Bitte, Herr Wolf.