Protocol of the Session on June 23, 2000

(Beifall im ganzen Hause)

Die Debatte wird in folgender Reihenfolge durchgeführt: FDVP, CDU, PDS, SPD, DVU-FL. Für die FDVPFraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Wolf. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bekanntlich bilden manche einen Arbeitskreis, wenn nicht weitergewußt wird. Aber die höhere, veredelte Form eines solchen Handelns findet sich bei der Landesregierung, indem sie ohne Unterlaß und ohne Not Gesetze einbringt oder ändert.

(Frau Mittendorf, SPD: Keine Ahnung!)

Wenn diese Landesregierung schon in vielen entscheidenden Positionen, wie Wirtschaft, Arbeitslosigkeit und so weiter,

(Frau Mittendorf, SPD: Keine Ahnung!)

die Position eines unangefochtenen Schlußlichtes einnimmt, hat sie durchaus noch eine weitere Chance, nämlich im Guinness-Buch einen Eintrag für überflüssige Gesetzentwürfe zu erhalten. Um einen derartigen handelt es sich nämlich hierbei.

Dabei ist es für die Landesregierung typisch, daß sie wie im Grimmschen Märchen von Hase und Igel den Hasen spielt und immer dann am Ziel ankommt, wenn andere Länder bereits aus Erfahrung klug geworden sind und die Zielstellung revidiert haben - Stichwort 13. Schuljahr. Ich kann es nicht lassen, in diesem Zusammenhang auch die Kopfnoten zu erwähnen. Eine neueste Umfrage, auf die sich auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft bezog, ermittelte, daß 87 % der Bürger wieder Kopfnoten auf den Zeugnissen ihrer Kinder sehen möchten.

Kurzum, die Landesregierung sollte diesen Gesetzentwurf dem Reißwolf anvertrauen, wie sie es mit an Herrn Höppner gerichteten Bürgerbriefen ebenfalls tut.

Die Einführung fester Öffnungszeiten an Grundschulen kollidiert mit der Realität und mit den Wünschen von Eltern und Schülern. Das wissen Sie genau.

(Frau Mittendorf, SPD: Keine Ahnung! Keine Ah- nung!)

Wieder gleicht in der Begründung des Gesetzentwurfes der Inhalt einer Wundertüte, in die man beliebig hineingreifen kann und bei nüchterner Betrachtung feststellt, nichts drin. Was auf dem Jahrmarkt normal ist, muß man hierbei allerdings verübeln. Wenn aber hochamtliche Unterschriften für die Qualität der Wundertüte bürgen, so bleibt das Täuschung und Vorspiegelung falscher Tatsachen.

(Unruhe bei der SPD und bei der PDS)

Entschuldigung. - Meine Damen und Herren! Ich muß um mehr Ruhe bitten. Abgeordnete werden auch für das Zuhören bezahlt. Sie müssen nicht immer diskutieren.

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS - Herr Kühn, SPD: Das ist Schmerzensgeld!)

Danke schön, Herr Präsident. - Sie haben gehört, Schmerzensgeld wird eingefordert. Das freut mich.

(Lachen und Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Da hilft auch in der Begründung die Aneinanderreihung von Begriffen und deren fast parodistisch wirkende Kombination nicht. Es bleibt dabei: Viel Wind, keine Bewegung.

Zur Arbeitsaufgabe der pädagogischen Mitarbeiterinnen an Grundschulen mit festen Öffnungszeiten gehört die Betreuung der Kinder mit erzieherisch wirksamen Ritualen bei Spiel- und Entspannungsangeboten und bei der Gestaltung von Bewegungsaktionen. Ich vermisse allerdings dabei den Einsatz von DDR-typischen Win

kelementen und die kollektive Fliegenfängerei aus der chinesischen Kulturrevolution.

(Zuruf von der PDS: Was?)

Wie immer bei den tollkühnen und witzigen Gesetzentwürfen steht in der Begründung zu den Kosten und Belastungen der Kommunen: Ob diese Einschätzung zutrifft, wird sich erweisen. Das ist ein Ding!

(Lachen bei der SPD und bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Eine pädagogische Mitarbeiterin ist verantwortlich für einen Klassenzug mit vier Klassen. Dabei gebe ich zu bedenken, sie sollte auch hochgewachsen sein, damit sie die Übersicht behält.

(Oh! bei der PDS)

Da kann mächtig toll gewunken und gemeinsam gefrühstückt werden und im Interesse der individuellen Förderung der Schüler so gearbeitet werden.

Gehen Sie doch bitte in den Bericht zur Schulsozialarbeit in Sachsen-Anhalt und dort in die entsprechenden Abschnitte zur Sicht der jüngeren Schülerinnen und Schüler auf Schulhorte, zur Schulfreude und zu den Vertrauenspersonen der Schüler. Nach dem Lesen wird sich die Erkenntnis dazu durchsetzen, daß dieser Gesetzentwurf nur jene Stimmung bei Schülern und Eltern verstärkt, die mit „null Bock“ sehr zutreffend beschrieben wird.

(Zuruf von Frau Stolfa, PDS)

Das zwingt uns, den vorliegenden Gesetzentwurf abzulehnen, natürlich verbunden mit der Bitte, weitere regierungsamtliche Versuchsreihen an Schülern und Eltern nicht mehr zuzulassen. Versprochen sei eines schon: Schmerzhafte Informationen zum Thema werde ich zielgerichtet weitergeben. - Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Bevor ich die nächste Debattenrednerin aufrufe, darf ich Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Südost aus Bernburg begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich denke, Sie sind mit mir einer Meinung, daß wir möchten, daß die Schülerinnen mit dem Eindruck nach Hause gehen, hier wird ernsthaft gearbeitet.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Ich rufe für die CDU die Abgeordnete Frau Feußner auf. Bitte schön.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Die pädagogischen Leitideen dieser Landesregierung für die Grundschulen scheinen sich in immer kürzeren Abständen zu verändern.

Sollten bei der Förderstufe alle Kinder noch möglichst lange gemeinsam lernen, reißt allein die offene Schuleingangsphase in der von Ihnen favorisierten jahrgangsübergreifenden Form die Lerngruppen in zwei Jahren zweimal auseinander. Während diese Schuleingangsphase damit begründet wurde, daß Kinder mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in die Schule kommen, leugnen Sie noch heute erkennbare Leistungsunterschiede nach vier Schuljahren und schafften

darum die Schullaufbahnempfehlung ab und führten die Förderstufe ein.

Nun zum Gesetzentwurf selbst.

Erstens. Für die CDU ist es ein erheblicher Unterschied, ob man eine Grundschule mit festen Öffnungszeiten als Angebot ermöglicht oder ob man sie ausnahmslos vorschreibt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDVP)

Als Angebot auf Freiwilligkeitsebene neben der traditionellen Grundschule oder auch als Ganztagsschule begrüßen wir sie. Für ein solches Angebot wäre aber keine Gesetzesänderung erforderlich. Das Schulgesetz sieht die Grundschule mit festen Öffnungszeiten jetzt schon vor, und es gibt nach Auskunft der Landesregierung bisher nur 23 solcher Schulen auf freiwilliger Basis.

Zweitens. Wenn Sie von einer Grundschule mit festen Öffnungszeiten sprechen, meinen Sie in Wirklichkeit eine Grundschule mit verlängertem Anwesenheitszwang. Damit vollziehen Sie eindeutig einen Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern.

(Beifall bei der CDU)

Meinen Sie wirklich, daß alle Kinder während fünfeinhalb Stunden in der Schule besser aufgehoben sind? Meinen Sie wirklich, der Staat wäre für alle Kinder der bessere Erzieher und Betreuer?

(Frau Mittendorf, SPD: Für manche! - Frau Kau- erauf, SPD: Für viele!)

Das wäre eine ungeheuerliche Anmaßung. Darum hat die von Ihnen geplante Verlängerung der Anwesenheitspflicht für alle Kinder, ob Sie dies unmittelbar beabsichtigen oder nicht, gegenüber der bisherigen Grundschule mit freiwilligem Hortbesuch für mich geradezu etwas Totalitäres. Auch wenn Sie, Herr Harms, das aufgegriffen und gesagt haben, fünfeinhalb Stunden, das ist gerade so das Maß, das greift nicht direkt in das Erziehungsrecht ein - ich habe dazu andere Argumente gehört. Wir haben uns schließlich auch schon mit diesem Entwurf beschäftigt.

Drittens. Was soll der positive Ertrag für die Kinder aus dieser verlängerten Anwesenheitspflicht sein? Mehr Unterricht? Aus Gewerkschaftskreisen - auch das haben Sie bereits vorgetragen - wurde im Gegenteil schon die Befürchtung geäußert, daß nicht mehr, sondern weniger Unterricht als bisher stattfinden wird.

Der Minister bestätigt dies indirekt, wenn er in einem Interview erklärt, daß die Kinder in der Grundschulzeit insgesamt nicht weniger Freizeit haben werden als bisher. Man könnte allenfalls hoffen, daß dieser Unterricht durch die verlängerte Öffnungszeit kindgerechter strukturiert wird; das wäre eine positive Sache. Ich befürchte allerdings, daß in der Praxis nicht wesentlich mehr herauskommen wird, als daß alle Kinder in der Schule gemeinsam zu Mittag essen.

Viertens. Schon dies deutet darauf hin, daß alle pädagogischen Argumente für diesen Gesetzentwurf Scheinargumente sind. Der Landesregierung geht es nicht vorrangig um eine pädagogische Verbesserung, sondern um eine Arbeitsbeschaffung für Hortnerinnen,

(Zustimmung bei der CDU)