Protocol of the Session on June 22, 2000

Sie haben mich hiermit wirklich empfindlich getroffen, vor allen Dingen damit: Wenn ich eines nicht leiden kann, dann daß man meinen Namen „Püchel“ mit s schreibt.

Unter der Überschrift „Kurz vor Ultimo noch juristische Bedenken“ wurde gestern in einem „MZ“-Artikel noch einmal Kritik an den Regelungen zum Zeugenschutz geübt. Namentlich der GBD äußert verfassungsrechtliche Bedenken, weil nicht zu erkennen sei, wer die Urkunden erstellen und Eintragungen in die Register vornehmen könne. Die gleiche Kritik kam vom GBD erstmalig und unangekündigt in der abschließenden Innenausschußsitzung.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Ein merkwürdiger Vor- gang! - Herr Gärtner, PDS: Sie hätten es lesen müssen! Es stand bereits in dem Gutachten drin!)

Ich hätte es im übrigen kooperativer gefunden, - ich habe ein Problem mit meinem Ohr, tut mir leid -

(Heiterkeit - Zuruf von Herrn Gärtner, PDS)

- aufgrund einer Erkältung, Herr Gärtner - wenn der GBD bereits im Vorfeld der Innenausschußsitzung seine Zweifel kundgetan hätte,

(Herr Becker, CDU: Sehr gut!)

ohne die Abgeordneten und Beamten damit im Innenausschuß zu überraschen. Im SOG, in der StPO sowie im niedersächsischen Polizeigesetz sind entsprechende Rechtsbegriffe bereits enthalten. Ich teile die verfassungsrechtlichen Bedenken des GBD - nicht zuletzt aus diesem Grunde - nicht.

In der Praxis bedeutet dies, daß die Polizei beispielsweise die Ausstellung entsprechender Papiere bei den Meldebehörden veranlaßt, von denen sie dann ausgestellt werden. Ein Anruf genügt, um zu wissen, daß es der Polizei nicht möglich ist, im Panzerschrank Blankoausweise vorrätig zu halten und sie selbst auszufüllen. Mit der Regelung ist es der Polizei erlaubt, zum Zweck des Zeugenschutzes neue Papiere zu beantragen. Die zuständigen Behörden erhalten die Berechtigung, solche Papiere ausstellen zu dürfen. Niemand muß sich mehr auf irgendwelche Notstände in solchen Fällen berufen.

Herr Minister, kommen Sie bitte zum Ende.

Ja, ich komme zum Ende.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Oh!)

Mit der Änderung wird auch nicht in Bundesrecht eingegriffen; denn wir ändern keine Bundesgesetze, sondern nur das Landesgesetz. Im Kern geht es um den Schutz eines Zeugen, der bereit ist, bei der Aufklärung von Straftaten zu helfen, und sich damit in bestimmten Fällen einer Gefahr für Leib und Leben aussetzt. Wer will die Verantwortung übernehmen, wenn ein Zeuge ohne Schutzmaßnahmen deshalb zu Schaden kommt?

Meine Damen und Herren! Die Änderungen der gesetzlichen Grundlagen im SOG werden, isoliert betrachtet, nicht für mehr Sicherheit sorgen; denn die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfordert eine Vielzahl aufeinander abgestimmter Maßnahmen, die alle Bereiche der Polizei unseres Landes betreffen und nach kontinuierlicher Fortentwicklung verlangen.

Herr Minister, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen. Sie haben bereits eine Minute überzogen.

Ich komme zum Abschluß.

(Zuruf von Herrn Becker, CDU)

Der vorliegende Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlußempfehlung des Innenausschusses ist jedoch ein wichtiger Baustein für ein Mehr an Sicherheit, der sich nicht gegen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger richtet, sondern dem Schutz vor Kriminalität dient. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zur vorliegenden Beschlußempfehlung und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Herr Dr. Daehre, CDU: Prima!)

Meine Damen und Herren! Die derzeitige Debatte wird von Gästen der Landeszentrale für politische Bildung verfolgt, die wir hiermit herzlich begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Rothe das Wort. Bitte, Herr Rothe.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Innenminister hat die Novellierung des Polizeirechts im Sinne von Max Weber mit Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß vorangetrieben,

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Be- cker, CDU - Frau Bull, PDS: Das kann doch nicht wahr sein!)

wobei er in der öffentlichen Wahrnehmung - das gebe ich zu, Frau Bull - lagebildabhängig mal die eine, mal die andere Qualität in den Vordergrund hat treten lassen.

(Zuruf von Frau Bull, PDS)

Meine Damen und Herren! Im Rückblick auf die Expertenanhörung am 31. Mai bedauere ich, daß kein Ausschußmitglied - auch ich nicht - auf die Idee gekommen war, zu beantragen, daß die Anhörung in öffentlicher Sitzung durchgeführt werden soll.

Ich bin der Meinung, daß der Regierungsentwurf durch diese Anhörung in eindrucksvoller Weise bestätigt worden ist. Insbesondere die Praktiker, auch soweit sie Polizeigewerkschaften vertreten, haben ihn als zielführend bewertet, wobei sie sich teilweise noch weitergehende Eingriffsbefugnisse für die Polizei wünschten.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist wichtig!)

Ich will das am Beispiel der lagebildabhängigen Kontrollen erläutern. Zu den weiterreichenden Forderungen gehörte es, die Effizienz der polizeilichen Arbeit zu steigern, indem man diese Kontrollen statt nur auf Bundesfernstraßen im gesamten öffentlichen Verkehrsraum zuläßt, wie das der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion fordert.

Wir Sozialdemokraten wollen demgegenüber die räumliche Einschränkung, weil es um die Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität geht, vor allem auf den Achsen A 9 und A 2. Dieser kriminalgeographische Bezug ins Ausland soll gewahrt bleiben. Das wäre er nicht, wenn man diese Kontrollen im gesamten öffentlichen Verkehrsraum durchführte.

(Herr Scharf, CDU: Und Sie meinen, die benut- zen keine anderen Straßen?)

Es kann auch sein - -

(Herr Becker, CDU, meldet sich zu einer Zwi- schenfrage)

- Bitte.

Bitte, Herr Becker, stellen Sie Ihre Frage.

Herr Kollege, geben Sie zu, daß Praktiker aus den Bundesländern gesagt haben, wenn wir diese von Ihnen jetzt zitierte Regelung angehen, würden wir uns bewußt dumm stellen?

(Herr Dr. Bergner, CDU: Und das Ausweichen auf andere Straßen provozieren!)

Ist Ihnen das nicht mehr im Ohr? Ist das nicht gesagt worden?

Herr Kollege Becker, ich sehe nicht die Gefahr, daß Fahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen und verdächtiger Fracht sich dann über die Landstraße von Freyburg/Unstrut nach Naumburg quälen,

(Herr Dr. Daehre, CDU: Das kann sein, weil die so schlecht ist!)

sondern ich denke schon, daß sich das auf den Bundesfernstraßen abspielen wird.

(Zuruf von der PDS: Aber sicher sind Sie nicht?)

Meine Damen und Herren! Es kann auch sein, daß der eine oder andere Fahndungserfolg unterbleibt, weil wir auf eine verdachtsunabhängige Identitätsfeststellung verzichten und statt dessen eine bloße Auskunftspflicht

statuieren. Wir tragen damit in vollem Umfang dem Urteil des Verfassungsgerichtes des Landes MecklenburgVorpommern Rechnung, wonach die im Fall einer Identitätsfeststellung bei Nichtmitführen eines Ausweises möglichen Folgemaßnahmen eine Eingriffsintensivität beinhalten, die nicht ohne einen adäquaten Verdacht gerechtfertigt ist.

Meine Damen und Herren! Während den einen unser Gesetzentwurf nicht weit genug geht, gibt es andere, die unsere Vorstellungen als überzogenen Grundrechtseingriff ablehnen. Ein Kritiker von Rang ist der Landesbeauftragte für den Datenschutz, der in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 30. Mai hinsichtlich der Personenkontrollen im öffentlichen Raum zu dem Schluß gekommen ist, keiner der vorliegenden Gesetzentwürfe sei hinreichend verfassungskonform.

Dem ist entgegenzuhalten, daß wir bei den Personenkontrollen, die es in allen Nachbarländern SachsenAnhalts schon gibt, eine Kombination von grundrechtsschützenden Beschränkungen der Eingriffsbefugnis vorsehen, wie es sie in keinem dieser Nachbarländer gibt. Das heißt, der Ihnen heute zur Entscheidung vorliegende Gesetzentwurf ist der vergleichsweise liberalste. Deshalb werte ich auch das Nein des Datenschutzbeauftragten persönlich als eher verfassungspolitisch denn verfassungsrechtlich begründet.

Auch die Ausführungen des Datenschutzbeauftragten zur Videoüberwachung haben wir sorgfältig studiert. Nicht zuletzt aufgrund der Hinweise von Herrn Kalk haben wir in der Ausschußsitzung am 9. Juni die geplanten Tonaufnahmen an gefährlichen Orten aus dem Gesetzentwurf herausgenommen und in der Gesetzesformulierung klargestellt, daß mittels Bildübertragung beobachtet werden soll, ohne daß Bilder aufgezeichnet werden, solange kein strafprozessualer Verdacht vorliegt.

In einem Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden vom 19. Juni 2000 regt der Datenschutzbeauftragte an, in Artikel 3 des Regierungsentwurfes anstelle einer einmaligen Berichtspflicht der Regierung über den Einsatz und die Wirksamkeit von Bild- und Tonübertragungen nach Ablauf von zwei Jahren eine wiederholte Information jeweils nach dem Zeitintervall von zwei Jahren vorzusehen. Zur Begründung führt er an, daß die ersten Langzeitstudien zur Videoüberwachung, die in Großbritannien erstellt worden sind, darauf hindeuten, daß man damit zwar anfangs erfolgreich zur Zurückdrängung der Kriminalität beigetragen hat, diese Kontrollen aber mit der Zeit einen Teil ihrer Wirksamkeit einbüßen.

Wir haben im Ausschuß am 9. Juni 2000 bereits über einen ähnlichen Vorschlag des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes diskutiert. Im Ergebnis sind wir zu dem Schluß gekommen, daß die Festsetzung einer einmaligen Berichtspflicht sachgerecht ist. Dem Landtag steht es ohnehin frei, später weitere Berichte der Landesregierung zum Thema Videoüberwachung anzufordern. Im übrigen möchte ich anmerken, daß die vorgesehene Überwachung an Kriminalitätsschwerpunkten in Sachsen-Anhalt nicht mit dem britischen Modell eines flächendeckenden Einsatzes von Videokameras vergleichbar ist.

Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat sich die Diskussion über die SOG-Novelle alles andere als leicht gemacht. Wir sind der Auffassung, daß es zu kurz gegriffen wäre, wenn Freiheit ausschließlich als Schutz vor staatlichen Eingriffen verstanden würde.