Protocol of the Session on April 7, 2000

- Sie macht davon keinen Gebrauch. Dann ist die Debatte abgeschlossen.

Wir kommen zum Abstimmungsverfahren. Niemand hat eine Ausschußüberweisung beantragt. Aus dem Antrag geht hervor, daß dies offensichtlich nicht gewollt ist. Wir stimmen also direkt über den Antrag ab.

Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag bei einer größeren Zahl von Gegenstimmen abgelehnt worden. Der Tagesordnungspunkt 17 ist damit beendet.

Ich rufe, wie vereinbart, den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung

Kulturwirtschaftsbericht Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/2923

Der Antrag wird von dem Abgeordneten Herrn Eckel eingebracht. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über Kulturwirtschaft zu sprechen, sich also mit der Frage zu beschäftigen, welchen Stellenwert Kulturwirtschaft im Land hat und welches Verhältnis zur öffentlich geförderten Kultur besteht, ist spannungsreich. Das Spannungsfeld liegt zwischen der Eigendynamik der Kulturwirtschaft auf der einen Seite und den Impulsen, die aus erwerbswirtschaftlichen Potentialen öffentlich geförderter Kultur hervorgehen können, auf der anderen Seite.

Wie kann meine Fraktion guten Gewissens behaupten, Kulturwirtschaft zähle zu den wachstumsintensiven Branchen, und das, obwohl gängige Analysen zu Sachsen-Anhalt zumindest nicht vorliegen?

Dazu vier Thesen. Die erste These lautet: Zwischen öffentlich geförderter Kultur und Kulturwirtschaft bestehen wechselseitige funktionale Beziehungen. Wer, meine Damen und Herren, wollte bestreiten, daß künstlerische und kulturelle Inhalte öffentlich geförderter Kultur grundlegende Vorleistungen und Vorprodukte der Kulturwirtschaft erbringen, die wesentlich das Bestehen und die Entwicklung kulturwirtschaftlicher Unternehmungen beeinflussen, oft sogar deren Voraussetzungen sind?

Die Förderung der Instrumentalausbildung beispielsweise unterstützt den Musikalienhandel, Autorenförderung

den Büchermarkt; für Galerieunternehmungen sind standortnahe Museen, die öffentlich gefördert werden, ein wichtiger Faktor.

Selbst Arbeitsteilungen zwischen öffentlich geförderten Kultureinrichtungen und Kulturwirtschaftsbetrieben sind in einigen Teilmärkten durchaus üblich und funktionieren. Denken Sie an Bibliotheken, die für Ausleihe und Vermittlung von Literatur stehen, während Verlage und Buchhandlungen für deren Herstellung bzw. deren Verbreitung sorgen.

Öffentlich geförderte auch kulturelle Bildung sowie Aus- und Weiterbildung sind wesentlich für die Herausbildung eines kulturellen Umfelds, die Nachfrage nach kulturellen Leistungen und die Weiterentwicklung kulturwirtschaftlicher Unternehmen.

Hier schließt meine zweite These an, die schlicht heißt: Kultur schafft Arbeit. Ein Aspekt sind die Möglichkeiten des öffentlich geförderten Arbeitsmarkts. Die Feststellung, daß 28 % der geförderten Projekte und 20 % der geförderten Arbeitnehmerinnen Kulturarbeit verrichten, kann allerdings auch die Frage provozieren, ob Kulturprojekte nicht bereits von der Arbeitsmarktförderung abhängig sind und sich die Kommunen mehr und mehr aus der Finanzierung von Kulturarbeit herausziehen.

Ein anderer Aspekt ist der Anteil der Kulturwirtschaft an der Gesamtwirtschaft. Im Rahmen der Fachtagung meiner Fraktion zum Thema „Kultur schafft Arbeit“ wurde kürzlich festgestellt, daß die steuerbaren Umsätze der Kulturwirtschaft in Sachsen-Anhalt im Jahr 1997 einen Betrag von 3 Milliarden DM, also etwa 3,5 % der Gesamtwirtschaftsleistung des Landes, ausmachten.

Die Betrachtung der Verteilung der Steuerpflichtigen auf die Teilbereiche in der Kulturwirtschaft zeigt folgendes: In der Kulturwirtschaft entstehen Arbeitsplätze in der Regel kleinbetrieblich strukturiert, mit relativ geringem Kapitalaufwand, mit einem hohen Anteil neuer Technologien und Kommunikationsmittel und doch gleichzeitig hohem Erlebnischarakter, mit und für Menschen, die sich gern verändern, hohe Umstellungsfähigkeit besitzen, kontakt- und kooperationsfreudig und mit Perspektiven mittlerer Dauer zufrieden sind. Das sind alles Anzeichen, die in gegenwärtig typischen anderen Wachstumsbranchen auch anzutreffen sind.

Mit dem Stichwort Wachstum bin ich bei der dritten These. Steigende Nachfrage nach kultureller Leistung und geänderte Kulturauffassungen fördern das Wachstum der Kulturwirtschaft. Der steigende Bildungsgrad der Menschen und die gestiegenen Einkommen der Haushalte erhöhen europaweit Ansprüche an und die Nachfrage nach kulturellen Leistungen. Die Ausgaben privater Haushalte für Kunst und Kultur sind in den letzten Jahren um mehr als 3 % angestiegen. Nicht zu vergessen ist der enorme Freizeitgewinn durch Arbeitszeitverkürzungen, Frühverrentungen, steigende Lebenserwartung und andere Gründe mehr. Es steht also ein materiell gut ausgestattetes, riesiges Freizeitvolumen bereit, an kulturellen Leistungen teilzuhaben.

Das allgemein steigende Interesse am kulturellen Erbe führte zur Verdoppelung der Besucherzahlen bei Ausstellungen und Museen. Ein anderes Zeichen sind die unterschiedlichsten Arten, Denkmale nicht mehr nur als stummes Reich der ewigen Werte zu betrachten, sondern die ewigen Werte erlebbar, sie zu öffentlichen Foren, Orten des Austausches, zu Veranstaltungsplätzen bis hin an die Grenze zum Kommerz zu machen, den im übrigen der nicht fürchten muß, der an die

Eigenständigkeit von Kunst und Kultur glaubt. Wir sind von der Eigenständigkeit der Kunst und Kultur in Sachsen-Anhalt überzeugt.

Zugleich verändern sich Kulturauffassung und Kulturbegriff, was meines Erachtens gerade für die Diskussion in Sachsen-Anhalt wichtig ist.

Deshalb meine vierte und letzte These: Öffentliche Kultur und Kulturwirtschaft sind kreative und ökonomische Partner. Dazu gehört, daß sich Kunst und Kultur, Wirtschaft und Politik als Partner verstehen.

Meine Damen und Herren! Denken wir uns nicht im eigenen Kulturbegriff oft als die Kulturpfleger und die Kulturbewahrer, manchmal schwer in der Lage, diesen Kulturbegriff kritisch zu reflektieren? Üben wir nicht alljährlich, beispielsweise bei Haushaltsverhandlungen, die Wiederholung des - fast will ich sagen - zufälligen Rituals des Eigentlich-müßten-wir-alles-anders-Machen und denken doch erneut etatistisch in strengen Ressorts?

Keine Frage hingegen ist für uns das, worauf der Wuppertaler Kulturdezernent Antworten hatte: Kulturwirtschaft muß sich rechen, wenn sie wachsen soll. Kulturpolitik muß gewährleisten, daß die öffentliche Verantwortung für die Qualität der Kultur erhalten bleibt. Kultur schafft nur Arbeit, wenn die Ökonomen nicht nur rechnen, sondern den Kulturprodukten auch Zeit lassen. Kultur braucht beides, die Pflege der kulturellen Wurzeln und die Bereitschaft, die Kraft des Marktes zu nutzen. Kulturpolitik muß Partnerschaft mit allen pflegen, mit Stadt- und Regionalpartnern, mit Wirtschafts- und Sozialpartnern.

Wir sind überzeugt, daß ein Kulturwirtschaftsbericht in Sachsen-Anhalt die Notwendigkeit dieser Partnerschaft unterstreichen wird. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Ka- sten, PDS)

Vielen Dank, Herr Eckel. - Auch hierzu hat sich vor der Debatte der Fraktionen Herr Minister Dr. Harms gemeldet. Bitte schön.

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Eckel, für viele Menschen ist es selbstverständlich, daß Kreativität und kulturelle Ausdrucksformen zu den vitalen Kraftquellen der Gesellschaft zählen. Musik, Literatur, bildende Kunst, Architektur, Design und vieles andere mehr sind Ausdruck eines vielfältigen kreativen und künstlerischen Schaffens.

Keineswegs selbstverständlich ist aber, daß diese Kreativitäts- und Kulturbereiche zu den wesentlichen Wachstumsbranchen unserer Wirtschaft gehören. Themen wie Buchmarkt und Internet, Musikindustrie und Digitalisierung, bildende Kunst und Multimediatechniken, Film- und audiovisuelle Industrie und Telekommunikationsmärkte bestätigen dieses täglich aufs neue.

Herr Eckel hat zu Recht darauf hingewiesen, daß eine steigende Nachfrage nach kreativen und kulturellen Leistungen, verursacht durch höhere Lebenserwartung, höheres Bildungsniveau, aber auch durch die Zunahme arbeitsfreier Zeit, in fast allen europäischen Ländern registriert wird.

Kulturtourismus, kulturelle Freizeitgestaltung und individueller Kulturkonsum haben sich zu Kernbegriffen in der öffentlichen Debatte entwickelt. Diese Dynamik führt zu einer stetigen Verschmelzung der kreativen kulturellen und technologischen Leistungen bzw. Produkte. Das heißt, traditionelle Markt- und Spartengrenzen lösen sich auf und steuern auch auf neue Wirtschafts- und Entwicklungstendenzen zu.

Als Teilbereich des Dienstleistungssektors übernehmen Kultur-, Medien- und Unterhaltungsbranchen in Verbindung mit neuen Technologien mehr und mehr die Rolle eines Motors für Beschäftigung und Wachstum. Differenzierte Schätzungen in diesem Bereich gehen davon aus, daß allein die Kulturwirtschaft im engeren Sinne in Umsatzgrößen mehr als das Drei- bis Vierfache dessen ausmacht, was die öffentliche Kulturfinanzierung und förderung dem Kulturbetrieb zur Verfügung stellt.

Der Begriff Kulturwirtschaft entzieht sich bisher einer paßgenauen Definition. Inzwischen ist in unterschiedlichen Forschungsansätzen klar geworden, daß es sich bei der Kulturwirtschaft um eine Art Branchenmix handelt, der sich auf die privatwirtschaftlichen Kultur- und Medienbetriebe und Unternehmen bezieht.

Nicht gemeint ist das Verhältnis von Kultur und Wirtschaft im Sinne von Kultursponsoring. Ebensowenig zählt der öffentlich finanzierte Kulturbetrieb in der Ausprägung von Staats-, Landes- und Stadttheatern, öffentlichen Bibliotheken, Museen und dergleichen zur Kulturwirtschaft im engeren Sinne. Aber - Herr Eckel hat das bereits dargestellt - zwischen beiden Bereichen gibt es enge Beziehungen. Auch der öffentlich finanzierte Kultursektor hat Auswirkungen auf den privatwirtschaft- lichen Bereich.

Das entscheidende Definitions- und Erfassungskriterium für Kulturwirtschaft ist vielmehr der erwerbswirtschaftliche Charakter der Firmen und der selbständig Tätigen in der Musikindustrie, auf dem Buchmarkt, in der Filmwirtschaft, im Designbereich, in der Architektur, in Künstlerateliers usw.

Die wachsende Aufmerksamkeit für diese kulturellen und kreativen Potentiale ist ganz offensichtlich ein Signal vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Strukturwandels. Ernsthafte wirtschaftspolitische Studien belegen, daß die Kulturwirtschaft eine überdurchschnittliche Wachstumsdynamik aufweist, so beispielsweise der Kulturwirtschaftsbericht des Landes Nordrhein-Westfalen insbesondere zur Medienbranche.

Die Europäische Kommission hat sich dieser Frage angenommen und beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit der Frage des kulturellen Arbeitsmarktes. Sie kam Mitte der 90er Jahre zu dem Ergebnis, daß Kultur in der Tat auch einer der zukunftsträchtigen Bereiche für die Schaffung von Arbeitsplätzen ist.

Vor diesem Hintergrund freue ich mich, daß es gelungen ist, einen Projektantrag des Kultusministeriums, unterstützt vom Wirtschaftsministerium des Landes, bei der Europäischen Kommission durchzusetzen, so daß ein Kulturwirtschaftsbericht auch für das Land SachsenAnhalt finanziert wird.

Ich will nur einige Zielsetzungen kurz skizzieren:

Erstens sollen die Möglichkeiten dargestellt werden, wie durch die Förderung aus EU-Strukturfonds in den Bereichen Kulturwirtschaft und Kulturtourismus Arbeitsplätze geschaffen werden können, um wirtschaftliches Wachstum zu stimulieren.

Zweitens soll die wirtschaftliche Bedeutung der Kulturwirtschaft für das Land Sachsen-Anhalt in Relation zu seiner Wirtschaftsstruktur aufgezeigt und insbesondere im Verhältnis zu anderen Schlüsselbranchen dargestellt werden.

Drittens soll die Analyse der Kulturwirtschaft hinsichtlich ihrer Strukturen und Stärken in den verschiedenen Teilbereichen, wie etwa in der Bauwirtschaft, in der Denkmalpflege und im Kulturtourismus, erfolgen und dargestellt werden.

Dabei sollen viertens auch teilmarktspezifische Schwerpunkte in den Regionen dargestellt und ihr Beitrag für die Regionalentwicklung untersucht werden.

Fünftens soll die Situation in anderen Bundesländern und Regionen Europas mit in den Blick genommen werden.

Sechstens sollen denkbare Handlungsfelder zur Förderung der Kulturwirtschaft vor diesem Hintergrund Gegenstand der Untersuchung sein.

Siebentens sollen Verflechtungen zwischen den öffentlich geförderten kulturellen Aktivitäten und Institutionen und der Kulturwirtschaft beleuchtet werden.

Danach werden wir im Juni 2001 - bis dahin soll diese Arbeit geleistet sein - über einen sehr differenzierten Bericht diskutieren können, der mehr Transparenz in die komplexe Struktur dieses Bereiches bringt.

Ich hoffe aber auch, daß wir zwischenzeitlich in den Ausschüssen, insbesondere im Kulturausschuß, über die Aktivitäten berichten können. Ich bin der Ansicht, daß auch Zwischenergebnisse interessante Ansatzpunkte für die weitere Entwicklung sowohl der Kulturförderung als auch für den Einsatz der Mittel aus den EU-Strukturfonds ergeben können. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Von den Fraktionen liegen insgesamt vier Wortmeldungen vor. Die Beiträge erfolgen in der Reihenfolge FDVP-, CDU-, PDS- und SPD-Fraktion. Ich bitte jetzt Frau Wiechmann, für die FDVP-Fraktion das Wort zu nehmen. Bitte.