Protocol of the Session on April 6, 2000

Es wäre viel sinnvoller, wenn wir uns im Ausschuß im Rahmen der Selbstbefassung mit diesem Thema beschäftigen würden. Vielleicht können wir uns darauf einigen, daß wir dieses Thema in einer der nächsten Ausschußsitzungen behandeln. Stimmen Sie mit mir darin überein, daß wir uns im Rahmen der Selbstbefassung mit diesem Thema ausführlich beschäftigen sollten?

Das ist für mich unstrittig.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Danke!)

Diese Fragen sind so bedeutungsvoll, daß wir uns einem entsprechenden Antrag nicht verschließen werden.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Man kann nicht oft ge- nug darüber reden!)

Wir hatten am Freitag eine sehr umfangreiche Tagesordnung, so daß wir diese Dinge nicht aufgreifen konnten. Es ist schon wichtig, wenn in diesem Plenum die politischen Positionen der einzelnen Parteien dargestellt werden. Deshalb wurde diese Aktuelle Debatte beantragt. Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich nachher positionieren. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister Herrn Dr. Heyer)

Herr Mokry hat jetzt für die FDVP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als vor 14 Tagen der „Spiegel“ erschien, lockte das Titelbild kaum mehr Leser als bisher - ein ICE-Triebwagen versehen mit einem Schneckenhaus und der Überschrift „Langsam, teuer und unflexibel“. Schocktherapie für die Bahn schreckt weder Leser noch Bahnbedienstete ab.

Die einzige Frage, die bewegt, ist die: Kann es eigentlich noch schlimmer kommen?

Wenn ich auch Lokführer bin, klingt es doch für mich wie ein Märchen aus uralten Zeiten, wenn noch ältere Eisenbahner mit leicht verklärtem Blick sich daran erinnern, daß die Leute nach dem „Fliegenden Hamburger“ die Uhr exakt stellen konnten. Beim heutigen Bahnverkehr kann das nur geschehen, wenn man Uhren ohne Zeiger hat.

Ich bin Eisenbahner. Genau wie meine Berufskollegen bringen wir Verständnis für viele Schwächen und Mängel auf, aber irgendwann ist unsere Geduld am Ende.

Es ist kein erfreulicher Anblick, wenn man heute die einst reizvollen Bahnanlagen betrachtet, die einer allgemeinen Verlotterung unterliegen. Dieser Anblick hebt weder den Drang, mit der Bahn zu fahren, noch stimuliert dieser Anblick die Motivation der Bahnbeschäftigten. Man findet sich eben damit ab.

Nichts ist gefährlicher als die Gleichgültigkeit und das Abfinden mit Mängeln und Schwächen. Aber genau diese Gefahr sehe ich bei der jetzigen Unternehmenspolitik der Deutschen Bahn. Wer die große Rute schwingt, fördert keine Freude, keine Betriebsverbundenheit, sondern er weckt Ängste um den Arbeitsplatz und beschleunigt entstehende Unsicherheiten, vor allem bei den Älteren.

Meine Damen und Herren! Natürlich bedarf es Veränderungen in den materiellen Voraussetzungen, in der Qualifikation und im Verhalten des Personals. Ich finde es beleidigend für Bahnbeschäftigte, die über Jahrzehnte unter schwierigsten Bedingungen - oft im Schichtdienst - gearbeitet haben, daß sie heute vom Bundesverkehrsminister Klimmt als Angehörige einer Behördenbahn eingeordnet werden. Verantwortlich für eine solche Zuordnung sind doch jene, die ein einst intaktes System zum Spielball von Behörden auserkoren haben. Viele dieser Experimentierhanseln sind mit riesigen Abfindungen ausgeschieden und ruinieren jetzt andere Bereiche in Wirtschaft und Politik.

Ein weiteres Beispiel: Selbst Krippenkinder finden sich im Irrgarten von Altjeßnitz besser zurecht als gebildete Erwachsene im Tarifdschungel der Deutschen Bahn.

(Zustimmung von Herrn Dr. Daehre, CDU, und von Herrn Schomburg, CDU)

Auch die Beschäftigten der Bahn sehen nicht mehr durch. Die Auskünfte an Reisende sind entsprechend, wie jüngst eine Reportage des MDR-Fernsehens bewies.

Traurig stimmt mich, daß DB Cargo die Transportleistungen bei Gütern um ein Viertel reduzieren und auf die Straße umlagern will. Dieses können wir angesichts

der mit Lkw überlasteten Straßen so nicht mehr hinnehmen.

Wenn die Bahntochter Cargo so nicht mitspielen will, dann kann sie doch mal. Es gibt genügend andere Eisenbahnverkehrsunternehmen, die bereits jetzt Güterverkehr in Konkurrenz zur Bahn fahren. Als Beispiel möchte ich die in Magdeburg ansässige Verkehrsfirma PBSV nennen. Dort sitzen in der Chefetage ehemalige Reichsbahner, und das Unternehmen läuft und boomt.

Es zeigt mir ganz klar auf: Solange bei der Bahn nicht wieder solche Leute in den Chefetagen eingesetzt werden, die von der Pieke auf Eisenbahner gelernt, die als kleine Weichenschmierer angefangen und sich hochgearbeitet haben, so lange wird es mit der Bahn weiter abwärts gehen.

Wenn es um die Bahn geht, dann sind sich nicht nur die Verkehrsminister der einzelnen Bundesländer einig, sondern auch im Landtag besteht sicherlich Konsens darüber, daß wir die Bahn brauchen. Sie, Herr Verkehrsminister Dr. Heyer, erhalten von unserer Fraktion und von unserer Partei volle Unterstützung, wenn es um den Erhalt der Strecken der Deutschen Bahn geht. Ein solches Herangehen findet nicht nur die Unterstützung der Beschäftigten der Deutschen Bahn AG, sondern auch der Beschäftigten der vielen anderen Privatbahnen. Darauf kann man bauen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDVP)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt die Abgeordnete Frau Weiß das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor zwei Tagen erst haben sich die Verkehrsminister der Länder mit der Spitze der Deutschen Bahn AG getroffen. Ganz entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten ist Herr Verkehrsminister Heyer nach seiner Rückkehr in Magdeburg nicht vor die Presse getreten. Statt markige Worte in die Welt zu setzen, schwieg er beharrlich.

Offensichtlich hat Herr Heyer begriffen, daß er niemanden mehr davon überzeugen muß, wie schlecht er mit Herrn Mehdorn auskommt. Das schlechte Verhältnis dieser Landesregierung zum ehemaligen Eisenbahnmonopolisten wirkt sich in einer Zeit, in der richtungsweisende Entscheidungen von der Deutschen Bahn AG getroffen werden, für Sachsen-Anhalt auf verheerende Art und Weise aus.

Welches sind die Grundlagen der Bahnreform? Die alte Bundesregierung hat im Jahr 1994 eine Bahnreform beschlossen. Kernpunkt dieser Bahnreform war die Entschuldung der Bahn AG zum Beginn der Reform. In einem Zeitraum von zehn Jahren sollte die Sanierung abgeschlossen sein. Zum Ende der Bahnreform im Jahr 2004 wird der DB-Konzern eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals in Höhe von 10 % erreichen.

Im nunmehr siebenten Jahr der Bahnreform befindet sich die Deutsche Bahn in einer ernsten wirtschaftlichen Lage. Diese hat Herrn Mehdorn dazu bewogen, ein durchgreifendes Sparprogramm durchzusetzen. Einigen unter Ihnen mögen die damit verbundenen Streckenstillegungen - immerhin die am weitesten gehenden seit den 70er Jahren - zu radikal erscheinen.

Meine Damen und Herren! Die Kollegen der Regierungsfraktion sollten erkennen, wie inkonsequent es ist, wenn einerseits durch den Bundesfinanzminister ein Sparkurs eingeläutet wird, der der Bundesregierung das Überleben überhaupt erst ermöglicht hat, und andererseits ein Landesverkehrsminister in der Öffentlichkeit drauflos poltert, der nicht einmal weiß, wie man „sparen“ buchstabiert.

(Herr Sachse, SPD: Das ist zu stark! - Herr Felke, SPD: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)

Meine Damen und Herren! Diese Landesregierung bringt die allerbesten Voraussetzungen mit, um sich mit der Bahn an einen Tisch zu setzen und sicherzustellen, daß die Interessen von Sachsen-Anhalt bei der Unternehmenspolitik der Deutschen Bahn AG Berücksichtigung finden. Immerhin sind, wenn Herr Heyer und Herr Klimmt sich treffen, die Genossen unter sich.

Herr Mehdorn schließlich verdankt seine Ernennung dem Generalsekretär der SPD, Herrn Müntefering. Eine ganze Reihe von Entscheidungen des Herrn Mehdorn zeigt aber, daß diese Landesregierung in einer beispiellosen Weise einflußlos ist.

Dies zeigt sich erstens an der Entscheidung der Bahn, die sogenannte Amerika-Linie an Sachsen-Anhalt vorbei über Wittenberge zu bauen. Herr Heyer hat eine Streckenführung über Sachsen-Anhalt zur Chefsache erklärt. Herr Höppner hat ihm bei den Verhandlungen mit Herrn Mehdorn den Rücken gestärkt. Was hat es genutzt? - Gar nichts.

(Herr Sachse, SPD: Beide haben sich gut einge- bracht!)

Zweitens wollen wir über die ICE-Anbindung von Magdeburg sprechen. Wenn Sie einmal das ICE-Netz betrachten, werden Sie erkennen, daß keine einzige Schnelltrasse Sachsen-Anhalt richtig einbindet. Ich frage Herrn Minister Heyer, ob das so bleiben kann und was er zu tun gedenkt, um das zu ändern.

Drittens die angekündigten Streckenstillegungen der Bahn. Sachsen-Anhalt ist mit fast 10 % betroffen. Statt rechtzeitig die Lage zu sondieren, poltert Herr Heyer, nachdem die Entscheidung gefallen war, zwar medienwirksam, aber erfolglos herum.

Ein Beispiel aus meiner Region, dem Kreis Halberstadt. Die allererste Stillegung betrifft die Strecke Nienhagen - Dedeleben. Trotz zweimaliger Besichtigung der beiden Brückenbauwerke muß die Strecke stillgelegt werden. Eines der von Herrn Heyer favorisierten Projekte war aber gerade der Lückenschluß von Dedeleben nach Jerxheim in Niedersachsen, immerhin ein Projekt mit einem Umfang von 56 Millionen DM. Nunmehr ist alles in Frage gestellt. Für 25 Mitarbeiter der Bahn eröffnet sich eine ungewisse Zukunft. Was des einen Leid ist, ist des anderen Freud. Ein Busunternehmen freut sich und hat gleichzeitig einen Bus gekauft und eine Frau ein- gestellt.

Ich frage mich aber auch, wie es mit der Bahnreform weitergehen soll. Seit Herr Mehdorn von Herrn Müntefering auf dem Chefsessel der Bahn AG installiert worden ist, hat er einen Kurs eingeschlagen, der nicht immer konsequent war.

Einerseits muß die Bahn sparen, um ihren Modernisierungskurs fortzusetzen. Was dies bedeutet, erleben wir an vielen kleineren Bahnhöfen: Fahrkartenautomaten, die vor allem von älteren Menschen kaum bedient wer

den können, haben das Servicepersonal ersetzt. Für das junge Publikum wird hingegen die Fahrplanauskunft durch das Handy eingeführt. Demnächst wird Buchen und Bezahlen per Handy möglich sein.

Ein so zukunftsweisendes und für den Standort Deutschland richtungweisendes Projekt wie der Transrapid hingegen wird eingestellt. Jetzt sind Überlegungen im Gange, den Transrapid statt dessen in den Niederlanden fahren zu lassen. Im Hinblick auf das verschenkte Potential für die deutsche Wirtschaft können einen diese Entscheidungen mit Enttäuschung erfüllen.

Ein letztes Wort. Im Zuge der Bahnreform lohnt es sich auch, über eine Privatisierung nachzudenken. Herr Sachse sprach ebenfalls davon. Vielleicht können die für die Bahn unrentablen Strecken von flexibleren Eisenbahnunternehmen weiterbetrieben werden. In SachsenAnhalt ist immerhin mit der Burgenland-Bahn eine erfolgreiche Privatisierung gelungen.

Ich glaube, mit der SPD, vielleicht auch mit der PDS, können wir das - das ist eben schon von Herrn Dr. Daehre angeregt worden - im Ausschuß im Rah- men der Selbstbefassung noch einmal auf die Tagesordnung setzen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerk- samkeit.

(Beifall bei der CDU)

Für die DVU-FL hat der Abgeordnete Herr Büchner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Feststellung, daß sich der Ruf der Deutschen Bahn AG in den letzten Jahren verschlechtert hat, ist uns allen nicht neu. Hohe Preise, Zugverspätungen und ein allgemein schlechter Kundenservice sind wohl die Hauptpunkte der wachsenden Kritik aus der Bevölkerung.

Wenn sich auch die Reisebedingungen weitgehend verbessert haben, was wir gar nicht in Abrede stellen wollen, so scheint doch die Entwicklung in den letzten Jahren zu stagnieren.

Verkehrsminister Heyer hat mehrfach betont, daß die Reise in Richtung Flächenbahn gehen muß und nicht in Richtung Schrumpfbahn. Dies wird von uns, der DVU-FL, voll und ganz mitgetragen, aber nicht nur im Hinblick auf den öffentlichen Personennahverkehr, sondern vor allem mit Blick auf den zu erwartenden Anstieg des Gütertransports.

Fachleute sagen für die nächsten zehn Jahre eine Steigerung des Güteraufkommens um 30 % voraus. Das ist nach unserer Ansicht auf den schon jetzt übervollen Straßen nicht mehr zu machen, und auf den Straßen in den neuen Bundesländern schon gar nicht. Also muß die Devise lauten: Ein Großteil des Gütertransports zurück auf die Schiene.

Die geplante Schwerverkehrsabgabe muß daher voll und ganz für diese Aufgabe eingesetzt werden. Mit dieser Maßnahme macht man sich natürlich bei den Spediteuren etwas unbeliebt. Die Regierung muß allerdings verhindern, daß man auf ausländische Billiganbieter ausweicht, um die Gewinnhöhe beim Straßentransport zu halten.