Protocol of the Session on April 6, 2000

Für die PDS-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Tiedge. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein altes Rechtssprichwort besagt: Bei Geschäften stimmen Anfang und Ende selten zusammen. Ist der Anfang süß, ist das Ende sauer. Tut der Anfang weh, so tut das Ende wohl.

Hoffen wir, daß das auch auf das heute zu behandelnde Reformvorhaben zutrifft. Der Volksmund sagt, stelle drei Juristen eine einfache Frage und du bekommst fünf unterschiedliche, komplizierte Antworten.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD)

Daß es aber auch Ausnahmen von der Regel gibt, zeigen die Stellungnahmen zum vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung. Von Politikern wird völlig zu Recht verlangt, sich durch Anhörungen die Sachkenntnis zu verschaffen, die es ihnen ermöglicht, vernünftige Entscheidungen zu treffen; ich gebe zu, daß das sehr idealisiert dargestellt ist.

Zum Entwurf der Amtsgerichtsreform sind sehr umfangreiche Anhörungen durchgeführt worden. Bei der ersten Anhörung haben sich Juristen aus Interessenvertretungen und Berufsverbänden sowie Vertreter der Gewerkschaften zum Gesetz geäußert. Es gab zum Erstaunen für unsere Fraktion fast durchgängig einhellige Auffassungen in Form von Zustimmung.

Kritische Bemerkungen gab es lediglich zum Zeitpunkt der Einbringung, insbesondere im Hinblick auf die beabsichtigte Justizreform der Bundesregierung. Der Referentenentwurf der Bundesregierung zur Reform des Zivilrechtes liegt vor und wird sehr kontrovers diskutiert, wobei gegenwärtig die ablehnenden Meinungen überwiegen. Warten wir ab, ob sie kommt.

Ich fasse das Ergebnis der Anhörung der Verbände zusammen, wobei ich eingestehe, daß das nicht ganz korrekt ist, da nicht alle Vertreter identische Aussagen getroffen haben. Wichtig war für alle die Tatsache, daß die Amtsgerichte auf Kreisebene beibehalten werden, wobei die beabsichtigte Reform als ein Teil der Funktional- reform angesehen wird.

Es wurde auch über Erfahrungen in den Nachbarländern berichtet, in denen der Sitz der Kreisverwaltung und der Sitz des Amtsgerichtes auseinanderfielen. Das hat sich als nicht günstig erwiesen, weil persönliche Kontakte wegbrachen.

Des weiteren waren alle der Meinung, daß leistungsstarke und dienstleistungsorientierte Gerichte entstehen müssen, die die personellen und sachlichen Voraussetzungen für eine reibungslose und effektive Erledigung der anstehenden Aufgaben bieten. Die komplizierten Sachverhalte sowie die Vervielfachung der Rechtsprechung und der juristischen Fachliteratur erfordern eine erhöhte Spezialisierung der Richter.

Vor allen von den Gewerkschaften wurde gefordert, daß es zu keinem Personalabbau kommen darf, wobei die geplante Zeitschiene begrüßt wurde.

Das sind alles eindeutige Aussagen. Man kann ihnen zustimmen, oder man kann sie ablehnen. Wir dürfen sie jedenfalls nicht ignorieren, nur weil sie den eigenen politischen Intentionen nicht entsprechen oder weil man aus der Rolle als Opposition heraus einfach dagegen sein muß. Würden wir nur diesen Aussagen folgen, müßten wir heute vorbehaltlos der Reform zustimmen.

Es gab aber selbstverständlich eine Anhörung der kommunalen Vertreter, die aus ihrer lokalen Sicht die Reform betrachtet und zum Teil erhebliche Vorbehalte geäußert haben. Teilweise deckten sich diese Vorbehalte mit denen der PDS-Fraktion, die wir bereits sehr früh geäußert haben, insbesondere hinsichtlich der Standorte Köthen, Osterburg, Hettstedt, Genthin und Staßfurt.

Beide Anhörungen waren für uns zusammengenommen die Grundlage dafür, nach einem Kompromiß zu suchen. Der Begriff Kompromiß benennt schon unser Problem. Wenn man einen Kompromiß schließt, kann man seine Vorstellungen nicht 100prozentig durchsetzen.

Während für die Standorte Köthen, Hettstedt und Osterburg Lösungen in der Form gefunden wurden, daß die Amtsgerichtsstandorte vorerst als zusätzliche Standorte beibehalten werden - zumindest Hettstedt und Osterburg, bei Köthen besteht keine zeitliche Begrenzung -, konnte zu den Standorten Genthin und Staßfurt kein Konsens erreicht werden.

Für den Erhalt des Amtsgerichts in Köthen sprach für uns das Argument, daß der Landkreis nach einer Schließung der einzige Landkreis ohne ein Amtsgericht gewesen wäre. Das Prinzip der Einräumigkeit wäre grundlos durchbrochen worden.

Für Hettstedt spricht insbesondere das Argument, daß es eines der am besten funktionierenden Amtsgerichte im Land Sachsen-Anhalt ist. Aber wichtiger noch ist die Tatsache, daß in Hettstedt eine psychiatrische Klinik gebaut werden soll, die kreisübergreifend zuständig sein soll. Bei einer Schließung des Amtsgerichtes wären die Betreuungsverfahren sowohl aus Personal- als auch aus Kostengründen kaum noch leistbar gewesen.

Für Osterburg spricht insbesondere die Tatsache, daß es sich um einen großen Flächenkreis handelt. Der Aspekt der Bürgernähe muß unbedingt berücksichtigt werden. In einem so großen Kreis mit nur einem Amtsgericht würde die Bürgernähe zwangsläufig verloren- gehen.

Für die Standorte Genthin und Staßfurt sprachen ausschließlich Kostenfragen. In Genthin wurden bisher hohe Investitionen getätigt, und in Staßfurt existieren langfristige Mietverträge. Herr Remmers, Sie können mir glauben, daß persönliche Rücksichtnahmen bei unserer Entscheidung keine Rolle spielten.

Für Genthin schien kurzzeitig eine Lösung für die Nachnutzung gefunden worden zu sein, die leider wie eine Seifenblase zerplatzte. Aus diesem Grunde haben wir den bereits zur Sprache gebrachten Entschließungsantrag eingebracht, mit dem die Landesregierung in die Pflicht genommen wird, für die Standorte Genthin und Staßfurt adäquate Nachnutzungen zu gewährleisten, da erst dann Haushaltsmittel für die Zusammenlegung freigegeben werden können.

Dabei möchte ich auf eine redaktionelle Änderung zu unserem Entschließungsantrag eingehen. Natürlich können nur Haushaltsmittel gesperrt werden, die vorher eingestellt worden sind. So müssen die Worte „notwendige Haushaltsmittel“ durch die Worte „einzustellende Haushaltsmittel“ ersetzt werden.

Ich weiß, daß es für beide Standorte nur der Spatz in der Hand ist. Ich denke aber, zumindest das sind wir den Standorten schuldig.

Die Mitglieder unserer Fraktion werden ganz unterschiedlich abstimmen. Das Abstimmungsverhalten reicht

von Ablehnung bis Zustimmung. Sicherlich spielt bei dem einen oder anderen auch Lokalpatriotismus eine Rolle.

Auch ich bin natürlich nicht ganz frei davon. Deswegen möchte ich an Herrn Minister Keller, der zur Zeit leider nicht anwesend ist, die Bitte äußern,

(Herr Dr. Daehre, CDU: Wanzleben!)

daß er nunmehr dafür Sorge tragen möchte, daß das ALF wie versprochen in Wanzleben angesiedelt wird.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Oh! Leute! - Herr Schom- burg, CDU: Das wird nichts! - Frau Stange, CDU: Scheinheiligkeit! So wird Politik gemacht! - Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Da ich meine Rede mit einem Sprichwort begonnen habe, möchte ich nun mit einem Spruch von Arthur Schnitzler enden. Herr Präsident, ich zitiere mit Ihrer Genehmigung.

(Unruhe bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren! Ich bitte darum, sich das Zitat in aller Ruhe anzuhören.

„Wäre Politik unter der Voraussetzung vollkommener Wahrheit, wäre Rechtsprechung auf der Grundlage vollkommener Gerechtigkeit überhaupt nur möglich, dann brauchten wir weder Politiker noch Juristen.“

Ich danke.

(Beifall bei der PDS - Frau Ludewig, CDU, lacht)

Frau Tiedge, sind Sie bereit, eine Nachfrage vom Abgeordneten Herrn Dr. Daehre zu beantworten? - Sie winkt ab.

(Herr Gallert, PDS: Noch mal Wanzleben nicht! Jetzt reicht’s hier! - Frau Tiedge, PDS: Kein Lo- kalpatriotismus! - Zurufe von der CDU)

Dann rufe ich als nächsten Redner für die FDVPFraktion den Abgeordneten Herrn Wiechmann auf. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung thematisiert das von ihr eingebrachte Vorhaben, die Neugliederung der Amtsgerichte, unter anderem damit, daß wir an der Schwelle des dritten Jahrtausends stehen und die Anforderungen der Allgemeinheit und der einzelnen Rechtsuchenden angesichts der Globalisierung des Wettbewerbs und der Einigung Europas nur von leistungsfähigen und modernen Gerichten bewältigt werden können.

Das ist schon bemerkenswert und sicher auch richtig. Aber das dritte Jahrtausend ist nicht erst in diesem Jahr angebrochen oder bricht vielleicht erst im kommenden Jahr an - das ist eine Rechenfrage -, sondern der Zeitablauf ist schon in den 50er Jahren eingetreten. Das ist das Problem. Damit ist gegebenenfalls auch die Problemstellung an sich fraglich.

Auch der Hinweis auf das gesetzgeberische Vorhaben des Bundesgesetzgebers zum Zwecke der Reform des Zivilverfahrens- und Strafverfahrensrechts ist vordergründig. Die bundesgesetzlichen Denkvorgaben können zwar in die Lagebeurteilung des Landesgesetzgebers einfließen, sie dürfen aber nicht landesrechtliche Entscheidungen vorwegnehmen, die als solche noch nicht spruchreif sind.

Wenn schon bundesgesetzliche Absichten herbeizitiert werden, um die landesrechtlichen Vorhaben verwirklichen zu können, dann hätte die Verantwortungslast der Landesregierung genau einen gegenteiligen Schluß nach sich ziehen müssen, und zwar den Schluß zu der Aufstockung der Zahl der Richterplanstellen, der zusätzlichen Schaffung von Planstellen für die Staatsanwaltschaften einschließlich der Amtsanwaltschaften und der Erhaltung der Amtsgerichte insgesamt als Eingangs- gerichte.

Dabei geht es der Landesregierung doch gar nicht darum, zugunsten des Bürgers einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, sondern darum, die marode Finanzlage auf Kosten der Bürger und der Justiz zu sanieren. Die Landesregierung schafft mit dem Entwurf mehr Probleme, als sie löst. Wie eine Steigerung der Effizienz - das wurde heute schon erwähnt - erreicht werden soll, bleibt allein ihr Geheimnis.

Wenn nunmehr vorgesehen ist, daß die Amtsgerichte mit regelmäßig - ich betone das Wort regelmäßig - zehn Richterstellen ausgestattet sein sollen, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit hingegen ist, daß die Fehlstellen bis auf zehn Richterstellen durch Umsetzung von freigewordenen Planstellen bei den aufzulösenden Amtsgerichten ausgeglichen werden. Hier ist zumindest nicht bekannt, daß die Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzministerium um die Schaffung weiterer Richterstellen nachgesucht hat, geschweige denn, daß solche Planstellen in einem vorläufigen Geschäftsverteilungsplan bereits ihren Niederschlag gefunden hätten.

Ähnlich ist es mit der Absicht, die Bürgernähe zu erhalten. Wie die Neuordnung für die Gerichtseingesessenen transparent und bürgerfreundlich sein soll, bleibt auch ein Geheimnis.

Die Landesregierung tut so, als würde sich nichts ändern und alles beim alten bleiben. Auf der Strecke bleibt der Bürger, meine Damen und Herren. Er wurde und wird auf der ganzen Ebene verunsichert. Wie soll er Gebietsreform, Verwaltungsreform und Gerichtsreform auseinanderhalten und noch bewerten? Ihm fehlt doch meistens das administrative Verständnis. Mit allen Reformen kann er nicht allzu viel anfangen.

Die Gerichtsreform bedeutet für ihn in der Regel, daß er nun nicht mehr weiß, zu welchem Gerichtsbezirk er eigentlich gehört. Dem Bürger ist auch nicht zu vermitteln, aus welchen Gründen die Amtsgerichte neu gegliedert werden sollen, während die Verwaltungsgerichte, die Sozialgerichte, die Arbeitsgerichte, die Landgerichte sowie die Oberlandesgerichte und die Staatsanwaltschaften aus dem Vorhaben der Landesregierung ausgeklammert werden.

Meine Damen und Herren! Uns allen liegt ein Schreiben der Stadträte, der Bürger und der Bürgermeister von Genthin und Staßfurt vor. Herr Remmers hat hier ein Plädoyer für den Erhalt der beiden Gerichtsstandorte gehalten. Ich möchte mich diesem Plädoyer - man soll nicht Eulen nach Athen tragen wollen - anschließen. Wir

werden gegen den Gesetzentwurf, aber für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU stimmen. - Danke schön.

(Beifall bei der FDVP)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Brachmann. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fange meine Rede etwas anders an, Herr Remmers, als ich das ursprünglich vorhatte. Sie haben der Ministerin eine kleinkarierte Reform vorgeworfen. Wir hätten noch über weitergehende Dinge reden können, aber ich denke, das war bei Ihnen nicht zu erkennen. Aber das Grundproblem ist doch, daß Sie, Herr Remmers, solange Sie Justizminister waren, nicht einmal eine kleinkarierte Reform in diesem Lande auf den Weg gebracht haben.