Protocol of the Session on March 10, 2000

(Zuruf von Frau Ferchland, PDS)

Selbst wenn ich von der Lehrbuchmeinung, Demokratie sei Volksherrschaft, weggehe und Demokratie mit Mitbestimmung übersetze, macht es immer noch keinen Sinn bezüglich des Geschlechterverhältnisses.

Der Antrag der PDS-Fraktion will einerseits eine Analyse des erreichten Entwicklungsergebnisses bezüglich der Chancengleichheit zwischen Mädchen und Jungen in den allgemein- und berufsbildenden Schulen während der letzten vier Jahre. Sie will andererseits einen Katalog konkreter Vorhaben zu diesem Themenkomplex.

Ich möchte nicht auf die einzelnen Schwerpunkte eingehen, da unserer Ansicht nach die Rahmenrichtlinien, die Schulbücher, die Medien sowie auch die Informationen zur Berufsorientierung auf die Auseinandersetzung mit der Geschlechterfrage ausreichend eingehen und im Unterricht genügend Raum haben.

Im Rahmen der Zulassungsverfahren für Schulbücher und Unterrichtsmaterialien für Sachsen-Anhalt ist ein Kriterium immer die Rollenfrage zwischen Jungen und Mädchen, und das nicht nur im Geschichtsbuch, sondern in jedem einzelnen Buch, wie etwa den Englischbüchern. Ich spreche hierzu wirklich aus eigenen Erfahrungen.

Aus diesen Gründen lehnt die CDU-Fraktion den Antrag der Fraktion der PDS ab.

Der Änderungsantrag der SPD-Fraktion faßt den PDSAntrag nur moderat zusammen und fordert, ein weiterführendes Konzept für die Jahre 2001 bis 2004 im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und im Ausschuß für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport zu beraten.

Ich bin davon überzeugt, daß es in unserem Bundesland Chancengleichheit in den Schulen gibt. Aber das sollte auch nicht zur Gleichmacherei der Geschlechter führen; Jungen sollten noch Jungen bleiben dürfen und Mädchen ebenso Mädchen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDVP - Zuruf von Frau Fischer, Leuna, SPD)

Seien wir doch ehrlich: Wo ist denn noch das tradierte Rollenklischee vorhanden, wenn nicht in Ihren eigenen Köpfen? - Danke schön.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDVP)

Frau Abgeordnete Ludewig, die Abgeordnete Frau Bull hat eine Frage. Sind Sie bereit zu antworten? - Bitte, Frau Bull.

Frau Kollegin, wenn wir davon ausgehen, daß die Prägung von Berufswünschen, von Berufsbildern vor allem in der Schule stattfindet, wie erklären Sie sich dann, daß Mädchen - ich habe die Prozentzahlen nicht im Kopf, ich muß mich dafür entschuldigen - vorwiegend in mädchentypische, schlechter bezahlte Berufe drängen, die vorwiegend mit den Bildern „dienen“ und „assisti-eren“ beschrieben werden, und daß Jungen vorwiegend im naturwissenschaftlichen Bereich zu finden sind? - 85 %, bekomme ich gerade gesagt. - Das ist die erste Frage.

Die zweite Frage: Das Thema hatten wir heute früh schon einmal. Es ist allgemein bekannt, daß die Gewalt körperlicher Natur vor allem eine Sache von Jungen ist

(Unruhe)

Meine Damen und Herren! Ich möchte darum bitten, den Geräuschpegel etwas zu senken. Wir verstehen hier vorn nichts mehr.

und daß Mädchen Gewalt in anderer Weise ausüben. Welche Alternative sehen Sie, diesem Problem beizukommen, daß das Gewaltverhalten von Jungen und Mädchen sehr, sehr verschieden ist?

Das sind zwei Fragenkomplexe, die Sie angesprochen haben. Ich möchte auf den ersten eingehen.

Ich weiß, daß ein Mädchen, wenn es Kfz-Mechaniker werden will, das oftmals nicht kann, weil die IHK dem Kfz-Meister sagt, er müsse dafür eine gesonderte Toilette einbauen,

(Frau Fischer, Leuna, SPD: Das wird doch geför- dert!)

weil die vorhandene nur für die männlichen Mitarbeiter da sei. Da das ein Kostenfaktor ist, passiert das oftmals nicht. Das ist nicht immer unbedingt gleichzusetzen, also darin stecken noch andere Schwierigkeiten als im schulischen Bereich.

Für mich sind Mädchen einfach auch Mädchen. Ich denke, daß da auch Unterschiede vorhanden sind und

daß sich Mädchen auch gern mit anderen Fragen beschäftigen als Jungen. Mädchen haben nicht den Hang, unbedingt Lkw-Fahrer oder Mauermeister zu werden. Es liegt auch ein bißchen an der Physis der Frau, würde ich sagen.

(Frau Bull, PDS: An der Biologie?)

- Ja, vielleicht auch. - Wenn sie das Bedürfnis haben - Eine Freundin von mir hat in Leipzig auf dem Bau gearbeitet. Entschuldigen Sie bitte, sie sagt auch, das möchte ich nicht ein Leben lang machen. - Ich denke, das gibt es auch. Warum soll das nicht in Ordnung sein? - Danke schön.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDVP)

Danke sehr. - Für die SPD-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Mittendorf das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ludewig, ich bin sehr dafür, daß Jungen Jungen bleiben, daß Mädchen Mädchen bleiben, daß Männer Männer bleiben und daß Frauen Frauen bleiben.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU, bei der PDS und bei der FDVP)

Aber ich sage Ihnen eines: Wer sich mit der Geschichte der Geschlechtererziehung in Deutschland befaßt hat, der weiß um die historischen Schwierigkeiten einer chancengleichen Bildung für Mädchen und Jungen.

(Zustimmung bei der SPD)

Das begann bei den Problemen im Hinblick auf die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht von Jungen und Mädchen.

(Frau Ludewig, CDU: Jetzt ist aber nicht mehr vor hundert Jahren!)

- Hören Sie mal zu, dann können Sie anschließend fragen. - Es ging über die Errichtung von sogenannten Höheren Töchterschulen im 18. und 19. Jahrhundert bis zu einer durchgängig koedukativen, also gemeinsamen Beschulung von Jungen und Mädchen, Schulpraxis nach 1945 bzw. 1949 zunächst nur in der DDR, aber ab den 60er, 70er Jahren auch in der Bundesrepublik.

In der Gegenwart stellt sich die Frage nach einer Chancengleichheit von Mädchen und Jungen in der Schule unter einem anderen Blickwinkel. Heute geht es nicht mehr um zu erstreitende Rechtsansprüche, sondern es geht vielmehr - das haben gerade Ihr Redebeitrag und einige dumme Zwischenbemerkungen gezeigt - um die Bewußtseinsbildung sowohl der in der Schule Agierenden als auch in der Gesellschaft insgesamt. Gesetzesregelungen, Verordnungen, Erlasse, aber auch Rahmenrichtlinien bieten keine Gewähr für die entsprechende Berücksichtigung in der Praxis; der Bewußtseinsprozeß ist das Problem.

Konkret: Wenn Untersuchungsergebnisse zum Beispiel belegen, daß im Unterricht nur 35 % der Beiträge von Mädchen stammen, daß Schulbücher auch heute in der Mehrheit ein überholtes Geschlechterrollenverständnis reproduzieren und auch die Sprache als das Kommunikationsmittel in der Schule Rollenklischees verbreitet, müssen Wege beschritten und Maßnahmen eingeleitet werden, die einen Sensibilisierungsprozeß bei den betreffenden Personenkreisen zur Folge haben.

Das bedeutet, daß sich diejenigen, die in der Schule agieren, sich dieses Themas überhaupt bewußt werden müssen; denn es ist bei weitem nicht so, daß sich jeder des Problems bewußt ist, wie wir gerade gesehen haben.

(Zustimmung bei der SPD, von Frau Bull, PDS, und von Frau Stolfa, PDS)

Das Kultusministerium hatte mit der Konzeption „Chancengleichheit für Jungen und Mädchen in der Schule“ von 1996 diese Problematik aufgegriffen und konkrete Maßnahmen zur Reduzierung der vorhandenen Chancenungleichheit benannt und beschrieben. Mit der Vorlage eines Erfahrungs- und Ergebnisberichtes zur erwähnten Konzeption im Jahr 1999 in den Ausschüssen für Bildung und Wissenschaft sowie für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport wurde einem Landtagsbeschluß Rechnung getragen. Gleichzeitig informierte der Bericht über Schlußfolgerungen sowie anschließend geplante Vorhaben.

Einen Bestandteil des Maßnahmenkatalogs des Kultusministeriums stellt unter dem Buchstaben K die Selbstverpflichtung für eine Fortschreibung des Konzeptes dar. Dabei sollen neue bildungspolitische Sachstände berücksichtigt werden. Eine Veröffentlichung der überarbeiteten Konzeption ist vorgesehen und sicherlich auch nötig.

Der Antrag der Fraktion der PDS läßt in seiner Grundintention diesen Bezug vermissen und engt den für eine solche Folgekonzeption notwendigen zeitlichen Rahmen ein. Mit dem von unserer Fraktion vorgelegten Änderungsantrag wird dem ohnehin geplanten Folgekonzept der Landesregierung der entsprechende Zeitrahmen gegeben.

Die bis zum Jahr 2004 vorgenommene Zielplanung erscheint uns sinnvoll, um den langfristigen und kontinuierlichen Sensibilisierungs- und Bewußtseinsbildungsprozeß unterstreichen und aufzeigen zu können sowie ihn durch konkrete Vorhaben und Projekte zu untersetzen.

Im Interesse einer entsprechenden qualitativen Umsetzung dieses Anspruches soll das Folgekonzept im Frühjahr 2001 den sich damit befassenden Ausschüssen vorgelegt werden.

Bei der Fortschreibung des Konzepts sollen die unter Nr. 3 des Berichtes geplanten Vorhaben und Maßnahmen des Kultusministeriums, unter anderem die Integration des Geschlechteraspektes in die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte, die reflexive Koedukation, eine Auswertung abgeschlossener Modellversuche zu fachspezifischer und phasenweiser Monoedukation, die Förderung gleicher Zugangschancen von Mädchen und Jungen zu Ausbildung, Studium und Beruf und die Herstellung eines Handlungskataloges zur Erarbeitung der Aspekte der Chancengleichheit in den Rahmenrichtlinien für die Schulfächer in allen Schulformen, erarbeitet und dargestellt werden.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, in diesem Zusammenhang ergibt sich auch die Notwendigkeit, das Programm zur Durchsetzung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in Sachsen-Anhalt in die Fortschreibung einzubeziehen sowie Aspekte des GenderMainstreamings zu berücksichtigen, das heißt, die Bezugnahme auf alle Politikfelder zu sichern.

Vor dem dargestellten Hintergrund bitte ich, unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Dem von der PDS vor

geschlagenen Verfahren würde unsere Fraktion folgen können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr. - Die Fraktion der FDVP hat auf einen Beitrag verzichtet, so daß die Runde jetzt mit dem Beitrag von Frau Bull geschlossen wird. - Sie verzichtet.

Wir kommen zum Abstimmungsverfahren zu den Drs. 3/2763 und 3/2808. Es ist auf der einen Seite ein Änderungsantrag vorgetragen worden, nämlich den SPDAntrag in den PDS-Antrag zu integrieren. Gleichzeitig ist aber die Überweisung in die Ausschüsse für Bildung und Wissenschaft und für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport beantragt worden. Wenn dem so ist, lasse ich jetzt über die Überweisung abstimmen. Damit wären beide Anträge in den genannten Ausschüssen. Federführend soll der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft beraten.

Wer sich diesem Antrag auf Ausschußüberweisung anschließt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Keine Stimmenthaltung, aber eine Reihe von Gegenstimmen. Die Anträge sind somit in die Ausschüsse für Bildung und Wissenschaft und für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport überwiesen worden. Meine Damen und Herren! Damit ist der Tagesordnungspunkt 32 beendet.