Protocol of the Session on March 10, 2000

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/2808

Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Bull. Bitte, Frau Bull, Sie haben das Wort.

Meine Damen und Herren! Zu dem Gegenstand des vorliegenden Antrags haben wir bereits im Dezember 1998 ausführlich debattiert. Da mich aber auch einer der werten Kollegen in meiner Fraktion am Dienstag gefragt hat, was das denn soll, habe ich mir überlegt, daß ich doch noch einmal drei Sätze zu den grundlegenden Anliegen sagen müßte.

(Herr Dr. Rehhahn, SPD: Nicht mehr!)

- Nicht mehr, okay.

Gender-Mainstreaming liegt im politischen Trend. Ich denke, das dürfte sich in den Parteien herumgesprochen haben. Das heißt ins Deutsche übersetzt nichts anderes als: Die Geschlechterfrage lauert überall, oder anders gesagt: Jede politische Frage ist zu einer Hälfte eine Männerfrage und zur anderen Hälfte eine Frauenfrage.

Wenn es allerdings zur Sache geht, meine Damen und Herren, erlebt das beliebte Spiel „Schraps hat den Hut verloren“ fröhlichen Urstand, weil es sehr bequem ist. Ich erinnere an unsere Debatte zu den gleichstellungspolitischen Eckwerten zur Verwaltungsreform. Damals hat der Innenminister hier die Hände gehoben und gemeint, er könnte überhaupt nichts tun; man müßte warten, bis ein Wertewandel in die Gänge kommt.

Der Wirtschaftsminister seinerseits wünscht sich unausgesetzt, daß seine Beschäftigungspolitik im Rahmen der Wirtschaftsförderung geschlechtsneutral sein möge. Sie ist es aber nun einmal nicht. Fakt ist, knapp 30 % der geschaffenen Arbeitsplätze gehen an Frauen.

Der Kultusminister hat als Schraps - mit Verlaub gesagt - schon einmal ganz schlechte Karten; denn ich denke, die Schule ist eine der gesellschaftlichen Institutionen, die mit ziemlicher Intensität gerade soziale Geschlechter prägen und vor allem die vorgefundenen real existierenden Geschlechterverhältnisse nahezu ungebrochen fortsetzen.

Ich will das nur an einem Beispiel verdeutlichen. Sie alle kennen die Geschlechterpyramide bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen. Die Ansprechpartner in Kindertagesstätten und in der Grundschule sind zu ca. 90 % weiblich. Das umgekehrte Verhältnis finden wir an Hochschulen. Die Betreuungskräfte, die Ansprechpartner von Studierenden sind nur noch zu 10 bis 15 % weiblich, in der Regel männlich.

Soziale Kompetenz wird aber am intensivsten im Kindergarten und in der Grundschule vermittelt. Das heißt, soziale Kompetenz bekommen Mädchen und Jungen in aller Regel von Frauen vermittelt.

(Zuruf von der CDU: Das ist doch gut!)

Das wiederum heißt, daß ihre eigene persönliche Erfahrung bezüglich der Rollenzuschreibung, nämlich daß die Gesellschaft die Verantwortung für soziale Kompetenz in aller Regel den Frauen zuschreibt, sich wiederfindet, fortgesetzt wird und zementiert wird.

Wenn man diesen Kreislauf durchbrechen will, hat das Konsequenzen. Ich will auch das an einem Beispiel erläutern.

Wenn man, wie im Kultusministerium, Modellversuche plant, um die soziale Kompetenz von Mädchen und Jungen in der Schule zu erhöhen, dann kann Chancengleichheit in dem Falle nicht nur heißen, alle dürfen teilnehmen, keiner muß draußen bleiben. Es geht vielmehr

darum, soziale Kompetenz auch vor dem Hintergrund dessen zu schulen, daß sie natürlich zwischen den Geschlechtern sehr unterschiedlich verteilt ist. Die Geschlechterrolle, die soziale Geschlechterzuschreibung zwischen Mädchen und Jungen gehört auf den Prüfstand, und zwar kritisch.

Zum Antrag selbst. Seit 1996 gibt es meines Wissens ein hausinternes Konzept zur Chancengleichheit von Mädchen und Jungen. Die Landesregierung war beauftragt, in den Ausschüssen für Bildung und Wissenschaft sowie für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport zu berichten.

Im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ist es - ich formuliere es vorsichtig - den Vertreterinnen und Vertretern der Landesregierung eher gelungen, eine Erfolgsbilanz zu ziehen. Im Ausschuß für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport ist das bekanntermaßen etwas schwieriger.

Ich will an der Stelle am Rande erwähnen, daß es durchaus hilfreich wäre, in einer Zusammenarbeit, gerade was die Berichterstattung anbelangt, sich nicht gegenseitig die Taschen vollzuhauen, sondern wirklich mit dem Pro und Kontra sachlich umzugehen. Ich denke, auch die Mitglieder des Gleichstellungsausschusses können sehr wohl damit umgehen, wenn es vernünftige sachliche Gründe dafür gibt, warum das eine oder andere nicht stattgefunden hat oder bestimmte Dinge ausfallen müssen.

(Zustimmung bei der PDS)

Unter dem Strich ist klar geworden, daß das Konzept „Chancengleichheit für Mädchen und Jungen“ in den letzten Jahren offensichtlich auf Sparflamme gelaufen ist. Deshalb stellen wir diesen Antrag, der die Landesregierung auffordert, das Konzept unter den beschriebenen Qualitätsmerkmalen und mit Blick auf die beschriebenen Inhalte fortzuschreiben. In den genannten Ausschüssen soll darüber berichtet werden.

Zum Änderungsantrag der SPD. Damit haben wir als Fraktion kein Problem, vorausgesetzt, er ist als Ergänzungsantrag gedacht. Deshalb würde ich vorschlagen, im Antrag der PDS den ersten Abschnitt gegen den Änderungsantrag der SPD auszutauschen. In dem Satz „Inhalte des Konzeptes sollen sein“ schlage ich vor, die Worte „unter anderem“ einzufügen. Dann würde die Einleitung lauten: „Inhalte des Konzeptes sollen unter anderem sein“.

Ich bitte um Zustimmung. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der PDS)

Danke sehr. - Für die Landesregierung spricht der Kultusminister Herr Dr. Harms.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die seit 1996 bestehende Konzeption „Chancengleichheit von Mädchen und Jungen in der Schule“ ist bekannt. Die Zielrichtung, glaube ich, ist in diesem Hause überhaupt nicht umstritten.

Die beiden vorliegenden Anträge machen deutlich, daß eine Fortschreibung erwünscht ist. Die bisher geführten Diskussionen - Frau Bull, Sie haben dazu ja einiges

gesagt - machen ebenfalls deutlich, daß eine Fortschreibung notwendig ist. Dabei möchte ich sagen, daß ich Ihre Äußerung, das sei bisher auf Sparflamme gekocht worden, so nicht teilen möchte.

(Frau Bull, PDS: Das sollen Sie auch nicht ma- chen!)

Das Konzept des Gender-Mainstreaming meint auch, daß die Geschlechterfrage zu einer Alltagsfrage in den Ministerien werden soll.

(Frau Bull, PDS: Ach!)

Nun haben manchmal Alltagsfragen in Ministerien die Eigenart, daß sie so veralltäglichen, daß ihnen vielleicht der aus Ihrer Sicht notwendige Biß fehlt. Das will ich nicht bestreiten. Aber es wird kontinuierlich an diesen Fragen gearbeitet.

Die Landesregierung teilt die zugrunde liegende Auffassung, daß Chancengleichheit ein Postulat ist, dessen Durchsetzung tatsächlich einen langen und vor allem kontinuierlichen Prozeß erfordert. Ich bin nicht nur bereit mitzuarbeiten, sondern auch persönlich daran interessiert, daß wir in dieser Frage weiterkommen.

Dabei unterstütze ich auch den Änderungsantrag der SPD ausdrücklich; denn ich glaube, die dort vorgenommene Fristsetzung ergibt die notwendige Zeit, um das zu erreichen, was gewollt ist, nämlich konkrete Schritte zu benennen, sie so zu konkretisieren, daß sie auch abrechenbar werden. Das ist in den bisherigen Texten manchmal noch nicht ausreichend der Fall.

Wenn man sich mit der Frage beschäftigt, wird deutlich, daß die rechtlichen Grundlagen ausreichend sind. Wir haben kein Problem damit, rechtliche Grundlagen verändern zu müssen. Wir haben vielmehr ein Umsetzungsproblem, und wir haben ein Problem der Wahrnehmung der beteiligten Personen. Ich schließe mich durchaus mit ein. Auch das Hohe Haus wird das sicherlich an der einen oder anderen Stelle erlebt haben.

Das heißt, es geht vielmehr darum, eine Bewußtseinsveränderung in Schulen, Schulverwaltungen und Elternhäusern herbeizuführen, beispielsweise auch bezüglich der geschlechtsdifferenzierten Herangehensweise im Technikunterricht und ähnlicher Fragen. Daran werden wir mit Nachdruck arbeiten.

Sie haben mir mit dem Vorschlag, in Ihrem Antrag die Worte „unter anderem“ einzufügen, eine Kritik weggenommen. Ich wollte sagen, daß die von Ihnen angesprochenen Punkte tatsächlich nur Teile dessen ansprechen, worüber wir diskutieren müssen. Es geht auch um Fragen, die nicht nur currikularer Natur sind, sondern die den Schulalltag und auch die Wahrnehmung in der Familie betreffen.

Ich bin gern bereit, mich für mein Haus dieser Aufgabe zu stellen. Ich denke, daß wir dann im Frühjahr 2001 mit sehr konkreten Punkten hier in die nächste Runde gehen können. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Danke sehr. - Die Fraktion der DVU-FL hat auf einen Redebeitrag verzichtet.

(Frau Bull, PDS: Gott sei Dank!)

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Ludewig zu Ihnen. Bitte sehr, Frau Ludewig.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 1. März 2000 teilte das Statistische Landesamt mit, daß in dem laufenden Schuljahr 49,2 % aller Schüler Mädchen sind. Ihr Anteil an den Gymnasien liegt mit 57 % erheblich über diesem Durchschnitt. Der Anteil der Mädchen an den Sonderschulen liegt mit 36 % erheblich unter dem Durchschnitt.

Im Lichte dieser Mitteilung erscheint es nicht abwegig, wenn man sich bei einem Antrag mit der Überschrift „Chancengleichheit von Mädchen und Jungen in der Schule“ fragt, ob nicht auch die Chancen von Jungen gegenüber Mädchen verbessert werden müßten.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDVP)

Jedenfalls ist an den schulischen Leistungen eine Benachteiligung von Mädchen für mich nicht erkennbar. Aber es geht Ihnen auch, wie Sie in dem PDS-Antrag ausführen, um das Anliegen einer Demokratisierung der Gechlechterverhältnisse.

(Zustimmung von Frau Bull, PDS)

Ich muß ehrlich gestehen, ich kann mit diesem Ausdruck nichts anfangen.

(Frau Fischer, Leuna, SPD: Ach!)

Wo sind denn die Geschlechterverhältnisse in der Schule undemokratisch? Meines Wissens werden bei den Wahlen in der Schule, zum Beispiel bei Klassensprecherwahlen, die Stimmen von Mädchen genauso gezählt wie die von Jungen.

(Zuruf von Frau Ferchland, PDS)