Protocol of the Session on March 9, 2000

- Die Anzahl der Pendler hat durchaus Einfluß auf die Zahl der Arbeitslosen in einem Land. In den Ländern Thüringen und Brandenburg gibt es wesentlich mehr Menschen, die nach Berlin, nach Niedersachsen oder in andere westdeutsche Bundesländer auspendeln. Damit sinkt dort die Arbeitslosigkeit. Bei uns gibt es weniger Pendler, und unter anderem auch deswegen haben wir eine höhere Arbeitslosenquote.

(Beifall bei der SPD - Herr Weich, FDVP: Na ja!)

Danke sehr. - Für die Fraktion der CDU erteile ich dem Abgeordneten Herrn Gürth das Wort. Bitte, Herr Gürth.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sachsen-Anhalt ist ein Land mit guten Entwicklungschancen. Für den Standort Sachsen-Anhalt sprechen unsere Traditionen im Maschinenbau, in der Chemie, unser wissenschaftliches Know-how, die Technikakzeptanz in der Bevölkerung, unsere zentrale Lage als Brükkenkopf zu den osteuropäischen Märkten und vieles mehr. Wenn wir uns in dieser Einschätzung einig sind, müßten wir auch in dem Punkt einig sein, daß SachsenAnhalt dann nicht das Schlußlicht in der Arbeitslosenstatistik sein dürfte, sondern eigentlich mit der Spitzenreiter im Wettbewerb um die Arbeitsplätze sein müßte.

(Beifall bei der CDU)

Das ist aber nicht so, und es ist deshalb nicht so, weil wir eine konzeptionslose und schwache Minderheitsregierung haben.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDVP und bei der DVU-FL)

Wir reden nicht die Zukunft dieses Landes schlecht, wir geben nur dieser Regierung keine Zukunft, die die Zukunft dieses Landes verbaut.

(Beifall bei der CDU)

Nach sechs Jahren Regierungszeit kann man die Verantwortung für die ununterbrochenen Arbeitslosenrekorde unseres Landes nicht mehr auf Vorgängerregierungen und Dritte schieben. Da muß man sich selbst an die Nase fassen und prüfen, was man falsch gemacht hat.

Meine Damen und Herren! Es ist auch eine untaugliche Entschuldigung, immer darauf zu verweisen; es ist eine Entschuldigung für eigenes Versagen.

Wir hatten von 1991 bis 1993 in Sachsen-Anhalt die größten Massenentlassungen in Ostdeutschland zu bewältigen, weil wir auch die größten Kombinate Ostdeutschlands hier hatten mit den Umstrukturierungsproblemen. Dennoch waren wir bis 1993 im Jahresdurchschnitt nicht ein einziges Jahr das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit in Deutschland.

Solche Herausforderungen hatte die Regierung Höppner nie zu meistern. Aber im Jahr 1994, mit dem Jahr der

Regierungsübernahme durch Herrn Höppner, haben wir die rote Laterne in der Arbeitslosenstatistik übernommen.

Es hat in Deutschland noch keinen einzigen Ministerpräsidenten gegeben, der es geschafft hat, sechs Jahre lang ununterbrochen jeden Monat die höchste Arbeitslosigkeit Deutschlands zu haben. Wenn dies nicht so traurig wäre, Herr Höppner, müßte man Sie eigentlich für das Guinness-Buch der Rekorde als erfolglosester Ministerpräsident Deutschlands vorschlagen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU, bei der FDVP und bei der DVU-FL - Lachen bei der SPD und bei der PDS)

Die Ursachen für die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechten volkswirtschaftlichen Kennziffern liegen hauptsächlich an Ihrer verfehlten und konzeptionslosen Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Herr Höppner, Sie müssen heute die Frage beantworten, warum Sachsen-Anhalt seit Ihrer Regierungsübernahme ohne Unterbrechung die höchste Arbeitslosigkeit hat. Sie müssen sich fragen lassen, wieso anstatt der von Ihnen versprochenen Senkung der Arbeitslosen-quote auf unter 10 % der Abstand von Monat zu Monat größer wird, und Sie müssen sich fragen lassen, was Sie denn endlich dagegen zu tun gedenken.

Meine Damen und Herren! Die Arbeitsmarktdaten sind so niederschmetternd, daß sie bei der monatlichen Veröffentlichung jedesmal ein Anlaß für den Rücktritt von Herrn Höppner sein müßten.

Wir können die Arbeitslosigkeit nur dann bekämpfen, wenn wir wieder mehr für Investitionen, mehr für den Infrastrukturausbau und mehr für die Wirtschaftsförderung dieses Landes tun. Wir brauchen wieder eine Wirtschaftspolitik, mit der wir den bestehenden Mittelstand stärken und Existenzgründungen in Zukunftsbranchen gezielt fördern. Und wir müssen wieder erreichen, daß Bundes- und EU-Mittel in diesem Land nicht mehr verfallen.

Wir brauchen mehr Unternehmen. Statt dessen gab es im Jahr 1999 mehr Gewerbeab- als Gewerbeanmeldungen. Wir sind das einzige Land mit einem negativen Gewerbesaldo. Während sich Sachsen am Jahresende 1999 über 5 746 mehr Gewerbean- als Gewerbeabmeldungen freuen konnte, hatte Sachsen-Anhalt 1999 unter dem Strich 140 Gewerbeanmeldungen weniger als Gewerbeabmeldungen.

Die Zahl der Insolvenzen verharrt mit 1 633 Fällen auf dem Höchststand des Jahres 1998 und ist doppelt so hoch wie in Mecklenburg-Vorpommern.

Als Folge dieser völlig konzeptionslosen Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Minderheitsregierung gingen allein im Jahr 1999 rund 56 000 Arbeitsplätze in diesem Land verloren.

Wir brauchen mehr Unternehmen. Wie soll sich aber eine Existenzgründerkultur entfalten, die neue Jobs schafft, wenn die Landesregierung die Existenzgründerprogramme einstellt? Wie will man gegen die Tatsache vorgehen, daß der schmerzliche Marktanpassungsprozeß und der Strukturwandel im Baugewerbe Sachsen-Anhalt wieder einmal stärker als anderen Bundesländern zu schaffen macht, wenn man in jedem Jahr die Investitionsquote im Haushalt kürzt?

Der Landesverband der Bauindustrie spricht von den stärksten Auftragsrückgängen im Land Sachsen-Anhalt

in den letzten zehn Jahren. Der Rückgang ist mit 19,1 % in Sachsen-Anhalt doppelt so hoch wie im Durchschnitt der neuen Bundesländer.

Meine Damen und Herren! Wie wollen wir dies ändern? Die Fragen, die sich die Arbeitslosen in den Arbeitsämtern und auf den Straßen stellen, müssen beantwortet werden. Diese Landesregierung hat aber keine Antwort für die Lösung dieser Probleme.

Anstatt eines Regierungschefs, der überregional dafür bekannt ist, daß er Hoffnungen macht und Investoren in dieses Land bringt, haben wir einen Regierungschef, der eher Mitleid erregt und darüber schwadroniert, daß sich die Ossis zweitklassig fühlen. Was machen Sie? - Sie bieten den Menschen in diesem Land eine zweitklassige Regierung als Antwort auf diese Frage.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDVP und bei der DVU-FL)

Die Minderheitsregierung Höppner ist ein Auslaufmodell mit einem bereits definierten Verfallsdatum. Doch es ist schlimm, daß Sachsen-Anhalt dieses Durchwursteln noch länger ertragen muß. Ich hoffe, Herr Höppner, Sie ziehen daraus die Konsequenzen. Entweder Sie steuern in Ihrer Politik um, oder Sie übernehmen die Verantwortung und machen Platz für Leute, die es besser können als Sie.

(Beifall bei der CDU, bei der FDVP und bei der DVU-FL - Frau Lindemann, SPD: Solche wie Sie?)

Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat wie die Fraktion der DVU-FL auf einen Redebeitrag verzichtet. Ich erteile der Abgeordneten Frau Dirlich für die PDSFraktion das Wort. Bitte, Frau Dirlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns in einer Aktuellen Debatte. Das Thema Arbeitslosigkeit ist immer aktuell. Man könnte im Grunde jedesmal, in jeder Landtagssitzung, eine solche Debatte führen. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, alle Debatten herauszusuchen, die wir dazu bereits geführt haben, es hätte nämlich zu lange gedauert. Aber die spannende Frage war, welche neuen Ergebnisse die heutige Aktuelle Debatte bringen wird.

Sie hat weder neue Zahlen noch neue Fakten gebracht. Sie hat keine neuen Argumente gebracht. Alles, was wir gehört haben, hat den Neuigkeitswert der Zeitung vom vergangenen Jahr, wenn man vielleicht davon absieht, daß wir heute gerade die neuesten Zahlen auf dem Tisch haben.

Es gibt auch dort keine neuen Trends, keine überraschenden Wendungen,

(Herr Gürth, CDU: Stimmt!)

und keine neuen Lösungsvorschläge, auch von der CDU nicht.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Von Ihnen erst recht nicht!)

Es gab vielleicht den einzigen neuen Aspekt, daß der Frauenanteil an der Arbeitslosigkeit in einigen Arbeitsamtsbereichen den der Männer nicht mehr übersteigt, was schon erstaunlich ist, aber von der Fraktion der FDVP glatt übersehen wurde. Es wäre ein positiver An

satz gewesen. Doch sind Sie heute morgen nicht angetreten, um einen solchen zu finden.

(Zustimmung von Frau Wernicke, CDU)

Was ist neu? - Frau Helmecke kommt im Gewande ihrer neuen Partei daher.

(Herr Mertens, FDVP: Schön!)

Neu ist auch, daß, während die DVU immerhin von der überwältigenden Zustimmung der Wählerinnen und Wähler für ihre Wahlaussagen oder Wahlziele faseln konnte, auch dieses Argument in den Querelen um Pöstchen und Geld den Bach hinunterging.

(Zuruf von Herrn Weich, FDVP - Frau Wiech- mann, FDVP: Das haben Sie falsch verstanden, Frau Dirlich!)

Die Frage der Zukunftsfähigkeit Sachsen-Anhalts stellt sich möglicherweise nicht. Was in Frage steht, sind die Machtspiele in den hier anwesenden mehreren rechten Fraktionen.

(Frau Wiechmann, FDVP: Zur Sache, Frau Dir- lich!)

- Ich bin bei der Sache; denn Ihr Thema heißt „Zukunft von Sachsen-Anhalt“.

(Frau Wiechmann, FDVP: Ein wichtiges Problem im Lande! 21,9% Arbeitslosigkeit!)

Lassen Sie die Rednerin bitte ausreden.

Immerhin wäre es interessant gewesen, die Lösungsvorschläge einer Partei zu hören, die sich am Wählerwillen vorbei im Landtag etabliert hat.