Protocol of the Session on June 1, 2023

Er wies auf Georg Dertinger hin. Ihnen fiel noch der Name Hugo Hickmann ein. Ich sage Ihnen: Jakob Kaiser, Ernst Lemmer, Walther Schreiber, Andreas Hermes. Das waren die Gründer der Ost-CDU nach dem Zweiten Weltkrieg.

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Die wären nie zur AfD gegangen! – Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Darum geht es gar nicht. – Was Sie in der Debatte aber verschweigen: Bereits auf dem 6. Parteitag im Oktober 1952 sind die 22 „Thesen des christlichen Realismus“ in der Ost-CDU verabschiedet worden. Deshalb stand die Ost-CDU 1953 still am Rande, stand 1956 beim ungari

schen Aufstand still am Rande, verurteilte nicht den Einmarsch 1968 und hat 1972 die privaten Betriebe in der DDR mit enteignet.

Diese Partei haben Sie nach der Wende aufgenommen. Die Vergangenheitsbewältigung fehlt, meine Damen und Herren. Wenn Sie diese Vergangenheitsbewältigung geleistet haben, dann können Sie sich hier ehrlich hinstellen und über Freiheit und Ähnliches diskutieren.

(Beifall bei der AfD)

Ich habe Ihnen drei Rederunden lang zugehört. Herr Urban hat Ihnen noch eine Steilvorlage gegeben.

Herr Barth, Sie haben ein Mikrofon.

Aber Sie halten es trotzdem nicht für nötig, dazu etwas zu sagen. Das enttäuscht mich schwer.

(Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE)

Herr Hartmann, bitte.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Sehen Sie, Herr Barth: Die eigene Geschichte verleugnet man nicht, zu der steht man. Sie haben den Vorteil, dass Sie mit Teilen Ihrer Partei hier offenkundig Werbung für Rechtsnachfolge machen, nur die Zeitabfolge passt da nicht ganz.

Wir stehen zu einer Geschichte, zu der auch eine Ostbiografie gehört, auch mit Sichtweisen, die wir kritisch betrachten. Wir sind aber auch Teil der Partei, die diesen deutschen Einigungsprozess möglich gemacht hat, und Teil der Partei, die im Westen dieser Republik über Jahrzehnte an der Überzeugung einer deutschen Einheit festgehalten hat. Deswegen ist die Wahrheit nicht schwarz oder weiß, sie ist grau und hat unterschiedliche Facetten.

Wenn es Ihnen wichtig gewesen wäre, hätte ich auch die 200 Namen engagierter ostdeutscher Christdemokraten aufführen können. Das können wir aber noch nachholen.

Einen Punkt noch, Herr Barth, zur Billigkeit Ihrer Argumentation. Das hat nächstes Jahr gar nichts, so rein gar nichts mit 1953 zu tun. Der sächsische Souverän wird eine Entscheidung treffen, und danach wird es geordnet zur Entscheidung über eine Regierungsbildung kommen – in welcher Konstellation auch immer.

Da werden – und ich hoffe, das ist nicht Ihre Fantasie – keine russischen Panzer über sächsische Straßen rollen und Menschen beschießen, es werden keine Menschen festgenommen werden oder ihr Leben lassen müssen, Herr Barth. Das ist der Unterschied. Deswegen ist das, was Sie gemacht haben, unzulässig.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE)

Ein letzter Satz, um das noch einmal klarzumachen: Die CDU hat eine klare Position in Deutschland: dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben wird. Das sage ich immer wieder, damit es keine Irritationen gibt, vor oder nach der Wahl. Da soll jeder vorher wissen, wo er steht.

Es gibt noch einen Unvereinbarkeitsbeschluss, damit es auch da keine Irritationen gibt: Das gilt auch für DIE LINKE. Wir werden keine Regierung mit der LINKEN oder der AfD bilden.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Christian Piwarz)

Alles andere dazwischen wird man nach den Wahlergebnissen sehen, meine sehr geehrten Damen und Herren – um das noch einmal klarzustellen und Ihre Fantasien ein bisschen einzuordnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Christian Piwarz – Zuruf des Abg. Marco Böhme, DIE LINKE)

Ich sehe, es gibt jetzt keine Wortmeldungen mehr. Dann frage ich die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Herr Ministerpräsident.

(Unruhe)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über den 17. Juni 1953 hier im Sächsischen Landtag zu sprechen, an ihn zu erinnern und ihn zu würdigen, 70 Jahre danach, war an sich eine gute Idee.

Und es war auch richtig, aber wenn man sich diese Debatte anschaut, wie sie so mit perfiden Argumenten versehen und wie sie so entgrenzt ist, dann bleibt auch etwas Verstörendes dabei zurück.

Meine Damen und Herren! Wir wollten an diesem Tag an diese eine Million mutiger Menschen erinnern, die aus heutiger Sicht etwas vollkommen Selbstverständliches getan haben: für Demokratie auf die Straße zu gehen und ihre Meinung zu sagen, sich zu artikulieren über wirtschaftliche Normen – wir würden heute sagen Tarifauseinandersetzungen –, dass man dazu eine Haltung haben kann, dass man seine Interessen durchsetzt. Damals hat so viel Mut dazu gehört. Dieses Ereignis war prägend für die kommenden Jahrzehnte und hatte mit Sicherheit auch einen Einfluss darauf, dass die Friedliche Revolution 1989 friedlich geblieben ist.

Wir wollten daran erinnern, dass diejenigen, die damals dabei gewesen sind, jahrzehntelang Angst hatten, Repressionen erleiden mussten und auch ihre Kinder und Enkel noch davon betroffen gewesen sind; betroffen von etwas, was wir heute vollkommen selbstverständlich finden und was heute überhaupt keine Diskussionsgrundlage mehr ist. Man merkt an dieser Debatte, dass es unterschiedliche Sichtweisen und auch unterschiedliche Schwerpunkte gibt. Aber

man sieht auch, wie es die letzten zwei Tage keine Debatte gegeben hat, die nicht vonseiten der AfD-Fraktion missbraucht worden wäre, um zu spalten, mit einem wirklich radikalen Populismus verächtlich zu machen, über Ausländer herzufallen und die politischen Institutionen und Parteien dieses Landes zu diskreditieren.

(Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN und der SPD – Jörg Urban, AfD: Unsinn!)

Meine Damen und Herren, ich sage das regelmäßig in Veranstaltungen: Gehen Sie in diesen Landtag, hören Sie sich egal welche Debatte an, und Sie werden wissen, warum diese Leute nie Verantwortung in unserem Land haben dürfen. Und warum es aus meiner Sicht ein großes Glück ist, dass wir diese Koalition bilden konnten.

(Lachen bei der AfD)

Wir können uns darüber streiten. Wir haben da unterschiedliche Meinungen. Wenn man sich die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland anschaut, dann sind das alles immer noch Diskussionen in einer Tonlage, die hätte man vor 30, 40 Jahren noch als viel zu weich empfunden. Es gehört auch dazu, dass man sich miteinander streitet, aber eine Regierung aus der demokratischen Mitte ohne Extremisten zu haben, ist ein großer Wert.

(Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN und der SPD)

Ich würde diese Entscheidung heute genauso treffen. Ich würde diese Regierung heute genauso noch einmal bilden. Und es ist so, meine Damen und Herren, dass ein Volk, ein Wahlergebnis sich eine Regierung sucht und nicht andersherum. Wir arbeiten jeden Tag dafür, dass wir nach dem Wahltag im kommenden Jahr genauso eine demokratische Regierung aus der Mitte bilden können. Ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass das auch gelingt, weil dieser radikale Populismus immer mehr Menschen abstößt. Ich glaube, dass das auch sichtbar wird.

(Zuruf von der AfD: Schauen wir mal, ob das die Bürger auch so sehen! – Jörg Urban, AfD: Das zeigen die Umfragewerte!)

Meine Damen und Herren! Wir haben, als es 1990 wieder möglich geworden ist, jedes Jahr an den 17. Juni in Görlitz erinnert. Ich war als junger Mensch dabei, später als Ministerpräsident. Am Anfang waren die Menschen vom Bautzen-Komitee noch da. Das waren beeindruckende Persönlichkeiten, fand ich als junger Mensch, und ich fragte mich, wie die das ausgehalten haben, im Gefängnis zu sitzen und dann doch nicht gebrochen zu sein. Wissen Sie, das waren Antikommunisten und Antistalinisten, aber das waren auch Antifaschisten. Diese alten Männer und Frauen haben es nicht ertragen, dass jemand von der NPD dazukam. Und die wollten nichts, aber auch gar nichts mit der AfD zu tun haben, weil sie so, so froh waren, dass in diesem Land Freiheit herrscht,

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, den BÜNDNISGRÜNEN und der SPD)

dass Demokratie herrscht, dass man seine Meinung sagen kann, dass man sich über den richtigen Weg streiten kann, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zurufe von der AfD: Blödsinn! Äpfel und Birnen verwechselt!)

Die Menschen wollen das nicht mehr, dieses Bösartige, dieses Verletzende, dieses Niedermachende. Und Christian Hartmann hat vollkommen recht: Was für ein wunderbarer Zufall, dass an diesem 17. Juni hier im Sächsischen Landtag eine Einbürgerungsveranstaltung stattfindet,

(Jörg Urban, AfD: Der größte Hetzer im Land ist Herr Kretschmer!)

abgesehen davon, dass 1953 sich niemand in der DDR einbürgern lassen wollte, sondern dass die Leute alle in die andere Richtung abgehauen sind. Es ist doch wunderbar, dass es Menschen gibt, die sich zu diesem Land bekennen,

(Unruhe bei der AfD – Glocke des Präsidenten)

die hier Bürger werden wollen, die einen Beitrag dazu leisten. Diesen Menschen zu sagen, ihr seid hier willkommen, wir wollen dieses Land weiter gemeinsam aufbauen und gestalten – das ist die Botschaft.

Ich bin dankbar, dass in den vielen vernünftigen Reden auch für diejenigen, die uns heute als Zuschauer dieser Debatte begleiten, deutlich geworden ist, dass die überwiegende Mehrheit des Parlaments und der Gesellschaft zu diesen Ereignissen steht. Wir verwehren uns gegen ein selektives Erinnern. Wir wollen einen breiten Diskurs und eine lebendige Erinnerungskultur für beide deutsche Diktaturen. Meine Damen und Herren, die deutsche Geschichte kann man nur verstehen, wenn man die ganze Breite des vergangenen Jahrhunderts mit allem, was damit zusammenhängt, sieht.

Ich habe mit großer Überzeugung einen Raum in der Staatskanzlei nach Georg Gradnauer benannt, dem ersten sächsischen Ministerpräsidenten und einer beeindruckenden Persönlichkeit. Christian Hartmann hat über Hugo Hickmann oder über Georg Dertinger gesprochen. Man kann andere nennen, Herbert Belter beispielsweise, der so ähnlich wie die Weiße Rose, aber eben einige Jahrzehnte später, versucht hat, für Freiheit einzutreten. Diesen Menschen ein ehrendes Gedenken zu erhalten, ist wichtig. Wichtig ist auch, mit jungen Menschen darüber zu sprechen, warum es so gewesen ist, und warum es wichtig ist, dass wir für Demokratie eintreten. Bei allem Streit, meine Damen und Herren, verbindet uns als Demokraten viel mehr als uns trennt. Wir dürfen uns vor diesem Argument auch nicht scheuen zu debattieren, zu streiten, uns miteinander auch anzulegen, wie dieses Land den richtigen Weg findet.

Wenn ich das beispielsweise mit dem Bundeswirtschaftsminister tue, in einer Art und Weise, dass ich ihn als Menschen und Demokraten respektiere, und dass eine Zusammenarbeit immer möglich ist. Das ist das, wofür die Leute 1989 auf die Straße gegangen sind. Es ist gut so, dass

wir dies im Gedächtnis behalten und dass wir für diese Werte auch gemeinsam eintreten und kämpfen.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.