Protocol of the Session on June 1, 2023

Das erleben wir bei jeder Gelegenheit.

Sowjetische Panzer, die gegen Demonstranten eingesetzt werden, nahezu in einem Satz mit der sächsischen Gesundheitsministerin zu nennen, ist unerträglich.

(Beifall bei der SPD – Jörg Urban, AfD: Nein! Nein, das ist weit auseinander gewesen!)

Bei mir ist das so angekommen und ich glaube nicht nur bei mir. Das sind diese Konnotationen, die Sie in einer unsäglichen Weise – wir haben es auch gestern Nachmittag erlebt – vollziehen.

(Zuruf von der AfD)

Meine Damen und Herren! Für die Debatte um den 17. Juni bin ich sehr dankbar. Es hat auch meine Familiengeschichte berührt. Mein Vater ist mit 15 Jahren in Riesa, er war Maurerlehrling, fast verhaftet wurden. Es hätte zur Deportation kommen können, weil sowjetische Soldaten meinten,

(Jörg Urban, AfD: Wir wollen lernen aus der Vergangenheit! – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Lernen?! – Marco Böhme, DIE LINKE: Ihr wollt hetzen!)

er wäre ein Spion.

(Unruhe)

Ich bin dankbar dafür, an dieser Stelle sagen zu dürfen, dass die SPD – –

(Starke Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Herr Barth, es tut mir leid, ich bin auf dem rechten Ohr schwerhörig.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den BÜNDNISGRÜNEN – Heiterkeit – Zurufe von der AfD)

Deshalb kann ich das, was Sie sagen, nicht so gut verstehen.

(Zurufe)

Die SPD braucht sich, wenn wir an den 17. Juni 1953 erinnern, nicht verstecken.

(Jörg Urban, AfD: Ihr wart Teil der SED!)

Zu dem Hinweis der BÜNDNISGRÜNEN: Paula Piechotta ist in der LVZ so zitiert worden, dass die BÜNDNISGRÜNEN die einzige Nicht-Blockpartei gewesen wäre, die den Neustart in das wiedervereinigte Deutschlang gewagt hat. Das war nicht fair und freundlich. Das wollte ich an dieser Stelle einmal gesagt haben.

Sozialdemokratismus war ein Vorwurf, der in der DDR schlimmste Folgen haben konnte. Es ist in Görlitz dazu gekommen, dass die SPD von jungen Leuten neu gegründet werden sollte. Das wurde schnell gewaltsam zerschlagen.

Aus einem dritten Grund bin ich für diese Debatte dankbar. Meine Damen und Herren, der 17. Juni bringt etwas in Erinnerung, das eine genuine Leistung der Menschen der DDR, der Ostdeutschen war. Es war vielleicht nicht die beste Idee, den Tag der Deutschen Einheit, der in der alten Bundesrepublik am 17. Juni gefeiert wurde, auf den 3. Oktober zu legen. Es ist passiert, aber ich halte das Datum für nicht so glücklich.

Ich möchte aber jetzt etwas anderes in den Mittelpunkt meiner wenigen Minuten, die ich noch habe, stellen. Herr Hartmann, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wir fahren einmal zusammen nach Bautzen in die Gedenkstätte des Stasi-Knasts und legen dort gemeinsam Blumen an der Stehle für Georg Dertinger nieder. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass die CDU diesen Helden des Juni 1953 so vergisst. Er war der erste Außenminister der DDR und Mitglied der CDU. Er hat den Görlitzer Vertrag verhandelt, nicht allein, weil Stalin das wollte, sondern er hat aus tiefster Überzeugung den Frieden mit Polen gewollt.

Sein Sohn, der noch in Leipzig lebt, sagte mir: Aus der Feder meines Vaters ist die Stalin-Note geflossen.

(Zuruf des Abg. Andreas Nowak, CDU)

Als die Stasi ihn loswerden wollte, hat sie Georg Dertinger, diesen Mann der CDU, für über zehn Jahre in den StasiKnast nach Bautzen gesteckt. Ich glaube, wir sollten einmal zusammen hinfahren und dort für Georg Dertinger – – Es ist wahrlich nicht meine Aufgabe, die CDU zu verteidigen, aber es gab mutige CDU-Leute, die gerade im Juni 1953 gegen das System der SED angehen wollten.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Ich habe eine Idee oder eine Vorstellung, warum dieser Mann so sehr vergessen ist. Ja, er hat in meiner Heimatstadt Meißen –

Die Redezeit ist verstrichen.

– 1950 den christlichen Sozialismus ausgerufen. Das ist wahrscheinlich genau der Punkt. Die West-CDU hat damals – –

Herr Kollege Richter!

Deshalb wurde er vergessen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Schade, dass ich nicht noch mehr Zeit habe. Aber die Einladung, nach Bautzen zu fahren, gilt.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung – Andreas Nowak, CDU, steht am Mikrofon.)

Wir hörten den Kollegen Frank Richter. Er sprach für die SPD-Fraktion am Ende dieser ersten Runde. Ich sehe eine Kurzintervention von Herrn Kollegen Nowak an Mikrofon 4. Ist das der Fall?

Das ist richtig, Herr Präsident. Herr Richter, ich freue mich, dass Sie Georg Dertinger hier im Plenum erwähnt haben. Er ist aber nicht vergessen. Wir sind als CDU Leipzig jedes Mal am 17. Juni sowohl bei den öffentlichen Gedenkveranstaltungen beteiligt als auch mit einer eigenen Kranzniederlegung beim Denkmal für die Opfer auf dem Südfriedhof dabei. Sein Sohn Christian Dertinger – ich habe lange mit ihm im Kirchenchor gesessen – ist Mitglied bei uns in der Partei. Insofern freue ich mich, dass Sie auf diese wichtige Persönlichkeit hinweisen – vergessen ist er aber natürlich nicht.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt kommt die Reaktion auf die Kurzintervention. Ich gebe erneut Herrn Kollegen Richter das Wort.

Ich bin dankbar und beruhigt und kann nur sagen, er hat noch viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Wenn wir uns mit der Geschichte dieses Mannes beschäftigen, reicht sie in ihrer Bedeutung weit über die Stadt Leipzig hinaus und verdient einen anderen Stellenwert in der Erinnerungskultur des Freistaates Sachsen.

Vielen Dank. Wir eröffnen die zweite Rederunde. Für die einbringende CDU ergreift Herr Kollege Christian Hartmann erneut das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werter Herr Richter, wir kommen dazu noch einmal ins Gespräch. Aber es soll Zeiten gegeben haben, da hätten Sie das auch innerparteilich mit uns diskutieren können.

(Frank Richter, SPD: Das habe ich getan, Herr Hartmann!)

Insoweit sind die Erkenntnisse in Ordnung.

Herr Urban, Sie können natürlich über Otto Nuschke sprechen und der CDU damit Vorhaltungen machen. Ich spreche, wenn ich über CDU spreche, gerne über etwas anderes. Ich rede über Menschen wie Prof. Hugo Hickmann, Opfer zweier Diktaturen. Er liegt bei mir in Langebrück auf dem Friedhof, und es wäre dem Hohen Hause angemessen, sich um dieses Grab intensiv zu kümmern. Er war Vizepräsident dieses Hohen Hauses. Er wurde 1950 mit den Worten „Hängt die Sau auf!“ aus dem Land getrieben und seiner politischen Ämter beraubt. Er war einer der Gründer der CDU Deutschland und hier im Osten.

Bei mir in Langebrück – Sie können den Radius auch weiter ziehen – erleben Sie Menschen, die im Widerstand gegen die DDR großgeworden sind. Zu nennen sind zum Beispiel Dietrich und Eckhard Koch bei der Universitätskirche in Leipzig, die im Widerstand gegen dieses System waren. Eckhard Koch war jahrelang CDU-Mitglied bei mir in Langebrück. Nicht, dass wir immer einer Meinung wären, aber er ist jemand, der aus Überzeugung mit Leidenschaft für die Freiheit des Einzelnen und die Verantwortung des Einzelnen streitet.

Deshalb ist Freiheit die eine Seite der Medaille. Freiheit in Verantwortung rundet das Bild ab, die Verantwortung mit dieser Freiheit umzugehen und die Konsequenzen zu tragen. Ich glaube, eines der Probleme unserer Zeit ist nicht die Frage der Freiheit, auch wenn es politische Diskussionen über Einschränkungen gibt. Das Problem unserer Zeit ist Freiheit in Verantwortung. Wir kollektivieren gerne die Verantwortung, die trotzdem Sache des Einzelnen ist. Darum geht es aus meiner Sicht: Freiheit in Verantwortung.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Freiheit ist kein statischer Zustand, der einmal erreicht und für immer gesichert ist. Freiheit muss kontinuierlich gegen interne und externe Angriffe verteidigt werden. Es ist in unserer modernen Demokratie stets ein schwieriger Drahtseilakt zwischen öffentlichen und privaten Interessen. Für unser modernes Freiheitsverständnis ist es daher gerade konstitutiv, dass die Menschen ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen führen können. Diese Selbstbestimmtheit bedeutet allerdings auch Selbstverantwortung, das heißt noch einmal: die Konsequenz des eigenen Handelns zu tragen. Das ist nicht Aufgabe des Staates.

(Beifall bei der CDU)

So wird aus dem Thema ein Schuh. Wir als CDU stehen für Freiheit in Verantwortung. Manchmal, Herr Urban, habe ich in Ihren Ausführung das Gefühl, Sie beklagen nicht die Frage der Freiheit, sondern den Anspruch, dass Ihre Sichtweise der Dinge die Mehrheitsmeinung einer Gesellschaft sein sollte und muss. Das ist sie nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Für die CDU sage ich an der Stelle eines deutlich, und das hat etwas mit Klarheit der Position zu tun; von mir, von unserem Spitzenkandidaten, dem Ministerpräsidenten,

(Jörg Urban, AfD: Na ja!)

vom Landesvorstand dieser Partei war vor der Wahl eines klar zu hören: Wir werden mit der AfD keine Zusammenarbeit und keine Koalition bilden.