Wir hörten gerade Frau Kollegin Schwietzer von der AfD-Fraktion. Jetzt erteile ich Frau Kollegin Kuhfuß von den BÜNDNISGRÜNEN das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleg(inn)en! Nach Frau Schwietzer zu sprechen ist für mich immer bisschen eine Herausforderung, weil ich sehr verleitet darin bin, die Dinge, die sich komplex darstellen, auch diesem Haus noch mal mitzugeben. Die Pflegeversicherung ist wirklich etwas sehr Anspruchsvolles, und ich kann Ihnen jetzt etwas von der grünen Bürgerversicherung erzählen. Das lasse ich aber alles; ich mache es mal viel platter.
Frau Schwietzer ist darauf eingegangen, dass ambulante Pflege quasi von Angehörigen durchgeführt wird. Ich würde das gern noch einmal als Beispiel nehmen, um klarzumachen, dass wir in Deutschland drei verschiedene Versorgungsformen haben, nämlich die häusliche Pflege, bei der die Angehörigen pflegen. Diese kann ergänzt werden durch häusliche Pflege, bei der ein ambulanter Pflegedienst kommt. Das sind meistens kleine Autos, aus denen sympathische Menschen herausspringen und sich in extremer Hektik um ältere Menschen kümmern, und die stationäre Pflege, was wir so als Pflegeheim kennen. Wenn die ambulante und die häusliche Pflege zusammenkommen, dann liegt sozusagen Ihre Pflegekraft neben Ihnen im Ehebett. Also, nur um noch mal klarzumachen, wie komplex das ist
und dass es schon Sinn macht, wenn man sich als Abgeordneter ein wenig mit der Thematik beschäftigt.
Ich bin sehr dankbar für den Antrag der LINKEN und ein bisschen unglücklich darüber, dass wir den jetzt so spät besprechen. Wir werden den Antrag ablehnen, aber ich glaube, es ist immer wieder sinnvoll, sich mit dezidierten Anträgen der guten Opposition wirklich ordentlich zu beschäftigen.
Wir haben 1995 die Pflegeversicherung eingeführt, und die Pflegeversicherung hat aus heutiger Sicht einen grundlegenden Architekturfehler. Es ist quasi eine Versicherung, die nur einen Teil der Leistungen versichert. Man kann auch sagen, man versichert sich damit im Zweifelsfall in die Armut.
Wir haben das 1995 gemacht, weil alle Menschen, die quasi nicht über das komplette Vermögen verfügt haben, ihre Pflege zu gewährleisten, immer Sozialhilfeempfänger waren. Diese Pflegeversicherung hat uns eine Weile getragen, und wir müssen zugeben – und da bin ich völlig bei dem Antrag der LINKEN –, dass sie uns heute nicht mehr so trägt.
Was ich aber nicht so sehe ist, dass auch die Reformschritte, die wir unternehmen, kompletter Humbug sind. Auch wenn ich mir vielleicht persönlich hier einen ganz großen Wurf wünschen würde, der dann aber eine Bürgerversicherung wäre, in die alle einzahlen – was aber auch heißt, dass wir deutlich mehr einzahlen müssen, um uns gegen dieses Lebensrisiko Altern, wofür es übrigens nur die Alternative gibt, vorher zu sterben, abzusichern –, glaube ich trotzdem, dass das, was an den kleineren Pflegeversicherungen gemacht worden ist, sinnvoll ist. Insbesondere, wenn wir noch mal auf den Antrag der LINKEN zurückgehen, in dem es sehr um stationäre Pflege geht, ist das wirkungsvollste Mittel, stationäre Pflege zu verhindern, die häusliche Pflege zu stärken. Da hat uns der Beschluss vom letzten Freitag, den ich jetzt nicht in Gänze ausführen möchte, weil ich kognitiv in der Lage bin, meine Reden auch zu abendlicher Stunde abzukürzen, glaube ich, etwas gebracht.
Wir haben 84,5 % der Pflegebedürftigen, die zu Hause gepflegt werden, und um diese Menschen müssen wir uns auch wirklich kümmern. Aber wir haben eben auch die Menschen, die im Pflegeheim sind, und diese Pflege ist jetzt eine Armutsfalle geworden. Diese Armutsfalle spüren die Menschen, wie es Frau Schaper gesagt hat am Beispiel von Frau Fischer oder Frau Fleischer – den Namen habe ich mir jetzt nicht gemerkt. Aber diese Armutsfalle merken auch unsere Kommunen, weil sie immer mehr als Ausfallbürge tätig werden. Von daher kann ich nur hoffen, dass es diesmal gelingt, dem Finanzminister auf Bundesebene in der nächsten Runde deutlich mehr Geld zu entlocken, um hier reinzugehen und zum Beispiel die Frage zu Investitionskosten in der Pflege usw. usf. anders zu beantworten.
Wir möchten außerdem noch einmal darauf hinweisen, dass die Pflegeversicherung für alle bezahlbar bleiben muss und dass wir hier immer in einem Dilemma sein werden. Mehr Beiträge heißt höhere Arbeitsnebenkosten, weniger Beiträge heißt, dass wir weniger aus der Pflegekasse bezahlen können. Auch die Pflegekasse kann nur ausgeben, was dort drin ist.
Wir werden den Antrag der LINKEN ablehnen; aber ich finde es unheimlich wichtig, dass eine gute Opposition genau diese Fehlstellen, die herausfordernd für uns sind, immer wieder beleuchtet.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! In der Diskussion zum zweiten Sozialbericht spielte das Thema Pflege bereits eine zentrale Rolle. Es ist ein Thema, das jeden von uns früher oder später persönlich oder auch im Freundes- oder Familienkreis trifft.
Viele Menschen in Ostdeutschland schauen mit bangem Blick auf die Rente und das Älterwerden. Die Eigenanteile in den Pflegeheimen steigen weiter. Viele wissen heute schon nicht mehr, wie sie die Kosten stemmen sollen. Diesbezüglich gebe ich Frau Schaper vollkommen recht. Genau aus diesem Grund wurden in der vergangenen Legislaturperiode mehrere Gesetze zur Stärkung der Pflege im Bund verabschiedet und wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Besonders in der ambulanten Versorgung wurde deutlich gemacht, dass es hier um die Stärkung geht. Wir haben qualitativ hochwertige Pflege zu Hause ermöglicht und die finanziellen Belastungen für die Pflegebedürftigen dort gesenkt.
Auch in der aktuellen Legislaturperiode hat sich die Bundesregierung auf zahlreiche Leistungsanpassungen für Pflegebedürftige verständigt. Doch die finanzielle Lage der sozialen Pflegeversicherung ist bereits seit vielen Jahren angespannt. Das strukturelle Defizit der Pflegeversicherung aufgrund des demografischen Wandels und der damit einhergehenden Ausgaben trifft auf pandemiebedingte Sonderbelastungen und inflationsbedingt steigende Ausgaben.
Die nun vorgelegte Pflegereform des Bundes erfüllt nicht alle Erwartungen. Ja, auch das kann ich nachvollziehen, auch mit dem Blick auf die angespannte Haushaltslage. Doch es werden wichtige Leistungsanpassungen angegangen, unter anderem zum 1. Januar 2024 die Leistungszuschläge, die die Pflegekassen an die Pflegebedürftigen in vollstationären Einrichtungen zahlen. Je nach Verweildauer werden 5 bis 10 % der pflegebedingten Anteile zusätzlich abgedeckt, und so wird zur Reduzierung des Eigenanteils beigetragen. Geld- und Sachleistungen werden ab 2025 und 2028 jeweils in Anlehnung an die Preisentwicklung automatisch dynamisiert. Das monatliche Pflegegeld sowie die Leistungen für die Inanspruchnahme
Es wird einen gemeinsamen Jahresbeitrag geben, der eine Kombination aus Verhinderungs- und Kurzzeitpflege ermöglicht. Darüber hinaus stabilisiert der Bund durch eine moderate Beitragssatzanhebung um 0,35 Prozentpunkte mittelfristig die soziale Pflegeversicherung.
All das sind Maßnahmen, die den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen konkret helfen werden. Das Thema Pflege ist damit natürlich nicht durch. Die intensiven Diskussionen in Bund und Land verdeutlichen, dass es in und für die Pflege keine einfachen Lösungen gibt. Das Konzept der Linksfraktion, Eigenanteile zu deckeln und Erhöhungen pauschal abzuschließen, ist in der Theorie sicher wünschenswert – ich wünsche mir das auch manchmal –, doch die Realität sieht anders aus.
Die Forderungen in dem Antrag werden nicht aus reiner Unlust oder mangelndem Problembewusstsein nicht umgesetzt. Die Problembeschreibung mag durchaus zutreffend sein. Der vorliegende Antrag bringt uns jedoch nicht voran, und deshalb lehnen wir ihn ab.
Das war Frau Kollegin Lang. Sie sprach als Letzte in dieser Rederunde für die SPD-Fraktion. Es ist auch kaum noch Redezeit vorhanden. Gibt es weiteren Redebedarf aus den Fraktionen? – Das kann ich nicht erkennen. Damit hat jetzt die Staatsregierung das Wort. Bitte, Herr Staatsminister Dulig.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen Menschen mit mehr Pflegebedarf unterstützen. Das heißt, Eigenanteile und die Ausgaben der Sozialhilfeträger begrenzen. Die Pflegekosten sind deutlich gestiegen, sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Das geht teilweise auf eine positive Nachricht zurück. Seit 1. September 2022 wird Pflege- und Betreuungspersonal endlich nach Tarif bezahlt. – Dazu kam aber jetzt noch die Inflation.
Der Verband der Ersatzkassen hat dazu Zahlen, die den Druck zeigen. Um gut 25 % ist in Sachsen der durchschnittliche einrichtungseinheitliche Eigenanteil an den Pflegekosten ohne Ausbildungskosten gestiegen. Das waren 25 % zwischen dem 1. Juli 2022 und dem 1. Januar 2023. Im Bundesdurchschnitt waren es noch 18,2 %. Die Zuzahlungen insgesamt, dazu gehören beispielweise Unterkunft und Verpflegung sowie die Investitionskosten, sind zwischen Juli 2022 und Januar 2023 in Sachsen um 13,6 % gestiegen; bundesweit waren es 9,8 %.
Die Zuzahlungen wurden durch die seit Januar 2022 geltenden Leistungszuschläge der Pflegeversicherung zu den Pflegekosten etwas reduziert. Diese sind nach der Dauer des Heimaufenthalts gestaffelt. Trotzdem betrug die Steigerung von Juli 2022 bis 2023 im ersten Jahr 13,3 %, im
Im ambulanten Bereich haben wir aktuell keine Zahlen zu den Preissteigerungen. Aber hier bedeuten höhere Leistungen, dass weniger Leistungen genutzt werden. Als Länder haben wir daher durch Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz im Jahr 2022 eingefordert: Die Eigenanteile müssen weiter reduziert werden, indem die Leistungszuschläge angehoben werden. Die Sachleistungsbeträge sollen in der ambulanten Pflege angehoben und die Pflegeleistungspauschalen dynamisiert werden.
Die Forderungen wurden im aktuell in der Abstimmung befindlichen Pflege-, Unterstützungs- und Entlastungsgesetz teilweise aufgegriffen. Mehr Leistungsverbesserungen waren offenbar in dem verfügbaren Finanzrahmen noch nicht möglich.
Diese Punkte finden sich jetzt wieder: die Anhebung der Leistungszuschläge ab dem 1. Januar 2024 um 5 bis 10 Prozentpunkte, die Stärkung der häuslichen Pflege durch die Erhöhung des Pflegegeldes zum 1. Januar 2024 um 5 %, die Erhöhung der ambulanten Sachleistungsbeträge zum 1. Januar 2024 um 5 % aufgrund der lohnbedingt steigenden Pflegevergütung in ambulanten Pflegeeinrichtungen, die Dynamisierung der Geld- und Sachleistungen zum 1. Januar 2025, und zwar um 4,5 %, und zum 1. Januar 2028 in Anlehnung an die Preisentwicklung sowie die langfristige Leistungsdynamisierung. Die Bundesregierung will dazu noch in dieser Legislaturperiode Vorschläge erarbeiten.
Das reicht aber noch nicht aus. Diese Entlastungen wirken nicht ausreichend. Wir brauchen weitere Schritte. Das Ziel ist eine nachhaltige und generationengerechte Finanz- und Strukturreform der Pflegeversicherung. Wir stehen vor enormen Aufgaben, die uns die demografische Entwicklung stellt. Wir brauchen mehr Personal bei gleichzeitig anhaltendem Personalmangel. Die Pflegebedürftigen und die Sozialhilfeträger müssen finanziell entlastet werden, und die häusliche Pflege muss durch Entlastung der pflegenden Angehörigen und Zugehörigen gestärkt werden.
Der Bund plant, die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung grundsätzlich in einem nächsten Reformschritt anzugehen. Das umfasst auch die Ausgabenseite. Bis zum 31. Mai 2024 werden Empfehlungen der Bundesregierung für eine stabile und dauerhafte Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung unter der Federführung des BMG erarbeitet. Bis zu dieser Sommerpause soll der Bericht des BMG über die Evaluation der Eigenanteilsbegrenzung in der vollstationären Versorgung durch Leistungszuschläge vorliegen.
Als Länder bringen wir uns selbstverständlich in die Diskussion auf Bundesebene ein. Dabei ist alles in den Blick zu nehmen, auch die Frage nach einem Sockel-SpitzeTausch bis hin zu einer echten Vollversicherung ohne Beteiligung des Pflegebedürftigen an den Pflegekosten. Die Expertise muss dabei breit einbezogen werden.
Im Koalitionsvertrag des Bundes wurde eine Expertenkommission zur Prüfung einer freiwilligen, paritätisch finanzierten Vollversicherung verankert. In Sachsen legen wir gerade die Richtlinie zur Förderung von Kurzzeitpflegeplätzen auf. Ziel ist der Herbst dieses Jahres. Aktuell befinden wir uns vor den vielleicht wichtigsten Weichenstellungen in der Pflegeversicherung seit Jahrzehnten. Diese sind dringend nötig. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen spüren den Druck durch die steigenden Preise. Wir haben große Aufgaben zu bewältigen, die uns insbesondere die Demografie stellt. Wie bereits dargestellt: Die Antworten darauf erarbeiten wir und der Bund bereits.
Zu uns sprach Herr Staatsminister Dulig. Wir kommen jetzt zum Schlusswort, und wie angekündigt, hören wir das jetzt von Frau Kollegin Schaper.
Herren! Ich möchte noch einmal aus den Handlungsempfehlungen der Enquetekommission zitieren: „Die Herausforderung, die es in Bezug auf die Organisation der pflegerischen Versorgungsinfrastruktur zu bewältigen gilt, ist eine der großen, gesamtgesellschaftlichen Aufgaben vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und damit einhergehender Pflegebedürftigkeit älterer und behinderter Menschen. Bund, Land und Kommunen sind ebenso wie die Akteure vor Ort und jede und jeder Einzelne als Teil der Gesellschaft dazu aufgefordert, Verantwortung für die positive Entwicklung der pflegerischen Versorgung zu übernehmen.“
Die Kommission empfiehlt dem Freistaat darüber hinaus, ein Konzept zu entwickeln, um künftige Belastungen für pflegebedürftige Heimbewohnerinnen und -bewohner sowie Angehörige zu erleichtern. Dies kann auf dem Weg der institutionellen Förderung, in Form eines Investitionsprogramms, einer individuellen Förderung, eines Pflegewohngeldes oder anderer geeigneter Maßnahmen erfolgen.
Das ist vier Jahre alt. Seitdem hat sich trotz des dramatischen Drucks und obwohl Sie immer wieder betonen, dass da etwas wird, nicht viel geändert. Daher wollten wir mit unserem Antrag noch einmal darauf aufmerksam machen.
Ich nehme sehr positiv zur Kenntnis, dass die GRÜNEN, die SPD, die CDU und Sie, Herr Minister, ein positives Signal dazu senden, dass der Handlungsdruck erkannt ist. Deshalb freue ich mich darauf, dass in den nächsten Plenarsitzungen eine eigene Initiative kommt.