Protocol of the Session on May 24, 2019

Die Staatsregierung hat mit ihrer Fachregierungserklärung „Sachsen: Heimat für Fachkräfte“ Sachsen faktisch zum Einwanderungsland für Fachkräfte aus aller Welt erklärt. Das ist unrealistisch.

(Dagmar Neukirch, SPD: Wir brauchen Fachkräfte, Herr Beger! Wir brauchen Fachkräfte!)

Das ist Wahlkampfgedöns aus der Kategorie „Multikulti um jeden Preis“. Wir haben einen Rechtsrahmen, den wir von Sachsen aus nicht ändern können. Ich glaube nicht, dass Herr Dulig und die SPD ein Einwanderungsgesetz in Berlin durchsetzen können.

Schauen wir uns zunächst einmal den realistischen Teil, den EU-Rahmen, an. Sachsen hat ja mit Polen und Tschechien zwei EU-Nachbarländer, deren Bürger schon heute hier legal arbeiten und leben dürfen. Es kann aber auch nicht unser Ziel sein, den Fachkräftemarkt dieser Nachbarländer gleichsam leersaugen zu wollen. Das wird auf die Dauer auch nicht gelingen. Die Wirtschaftsentwicklung in Polen und Tschechien ist stärker als in Sachsen. Die Konkurrenz um Fachkräfte wird also stärker, auch grenzüberschreitend.

Wie können die Regierung und der Gesetzgeber im Rahmen der Zuständigkeiten des Freistaates zu einer Verbesserung der Situation beitragen? Auch hierzu sage ich: bodenständiger werden. Unsere Regierung betreibt eine Akademisierung am Markt vorbei.

Natürlich haben wir in Sachsen mit die besten Universitäten in Deutschland. Aber was bringen sie für die Volkswirtschaft des Freistaates Sachsen? Viele Studierende bleiben nach dem Abschluss nicht in Sachsen. Andere werden wegen eines Überangebotes von Absolventen unterwertig als Sachbearbeiter eingesetzt. Das, was wir verloren haben, ist ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Studium und Ausbildungsberufen.

Es geht dabei aber auch um eine falsche Psychologie: die Vorstellung, dass man als Akademiker angesehener sei oder eine besser bezahlte Stelle bekomme. Oft bleibt dieser Wunsch heute unerfüllt, weil das Gleichgewicht nicht mehr stimmt. Ein Handwerker mit eigenem Betrieb wird häufig beruflich zufriedener sein.

Die Ausbildungsberufe müssen vom Freistaat künftig mindestens ebenso gefördert werden wie die Hochschulausbildung, auch finanziell. Die Ausbildungsberufe müssen in Schule und Öffentlichkeit wieder ein positives Image erhalten.

In den allgemeinbildenden Schulen sollte schon viel mehr Wissen über die modernen Berufsbilder vermittelt werden. Oft haben die Schüler unzutreffende Vorstellungen

von den Ausbildungsberufen. Die Schüler müssen frühzeitig in Kontakt kommen mit den faszinierenden beruflichen Möglichkeiten, die es auch außerhalb des Studiums gibt – auch mit den Fertigkeiten, die dort in der Praxis gefordert sind.

Das bedeutet auch Austausch zwischen Handwerk, KMUs und allgemeinbildenden Schulen. Gleichzeitig soll die Vermittlung von praxisverwertbaren Kenntnissen in den MINT-Fächern ein starker Schwerpunkt sein.

Wie der Herr Minister zu Recht bemerkt, hat Sachsen eine viel zu hohe Quote von Schülern, die ohne Abschluss die Schule verlassen: 8 %. Das kann nicht sein. Es handelt sich auch bei ihnen um Menschen mit Potenzial. Nicht nur aus menschlichen, sondern auch aus volkswirtschaftlichen Gründen kann man sie nicht einfach links liegenlassen.

Eine solche Schule, die die Schüler herausfordert, die es ihnen schenkt, aber auch abverlangt, sich berufsfähig zu machen und auf eigenen Füßen zu stehen, wird motivierender sein als die Sozialpädagogen, die ihnen der Minister zur Seite stellen will.

Um solch eine Schule zu schaffen, die die jungen Menschen besser als bisher auf das Abenteuer Leben vorbereitet, muss natürlich ein intensiver Austausch zwischen dem Kultusministerium und den Wirtschaftsbranchen erfolgen. Man muss als Regierung auch bereit sein, etwas früher aufzustehen. Wir von der AfD sind dazu bereit.

Kommen wir zurück zur weltweiten Strategie von Minister Dulig. Ich gebe zum Nachdenken ein kurzes und einfaches Beispiel aus dem Lehrbuch der Nationalökonomie von Thomas Sowell – ich zitiere: „Ein Busfahrer in Schweden verdient 50-mal so viel wie ein Busfahrer in einem westafrikanischen Land. Nicht, weil er 50-mal so gut Bus fährt wie der Westafrikaner, nein, wahrscheinlich kann der Westafrikaner besser Bus fahren, weil er unter viel schwierigeren Straßenverkehrsbedingungen arbeiten muss.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ah!)

Wahrscheinlich ist der Westafrikaner gleichzeitig noch sein eigener Bordingenieur und ist in der Lage, seinen Bus instand zu halten. Trotz all dieser Kompetenz verdient er nur den 50. Teil des Busfahrers in Schweden.“

Sie können in diesem Beispiel, wenn Sie mögen, Schweden durch Sachsen ersetzen.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Fängt beides mit „S“ an!)

Warum also verdient der Europäer 50-mal so viel, obwohl er persönlich keine höhere Kompetenz hat?

Nun, dem entspricht die Frage: Welchen Umständen verdanken wir überhaupt unseren Wohlstand in Europa?

(Zuruf von den LINKEN: Dem nicht!)

Die Nationalökonomie gibt darauf eine für manche verblüffende Antwort: Wir sind reich dank der Institutio

nen, der Erfahrungen und des Sozialkapitals, das unsere Erbväter angesammelt und an uns weitergegeben haben.

(Zurufe von den LINKEN)

Verblüffend ist, dass es nicht in erster Linie unser Sachkapital ist, das ausschlaggebend ist.

(Zuruf von der SPD: Hoho!)

Das hat man festgestellt, als sich entwickelte Länder des Westens nach nahezu totaler Zerstörung im Kriege sehr schnell wieder aufgebaut haben.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Wenn Sie den vielen Unsinn glauben, muss ich mich echt nicht wundern! – Weitere Zurufe)

Demgegenüber gelang es etwa beim Irak unter ähnlichen materiellen Hilfen von außen nicht. Wie man an dem Beispiel des Busfahrers sieht,

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Machen Sie mal Ihr Buch wieder zu und gehen Sie in die Realität!)

ist es oft weniger das konkrete Humankapital einer Einzelperson, das deren Wohlstand begründet. Daraus folgert die Nationalökonomie, dass einer der Faktoren, die für viele von uns in Europa unseren gegenwärtigen Wohlstand sichern, die grundsätzliche Mobilität im weltweiten Arbeitsmarkt ist.

Denn eines ist klar: Könnte der Busfahrer aus Westafrika nach Sachsen kommen, dürfte er in Sachsen arbeiten und seine Arbeitsbedingungen aushandeln, dann würde er den Bus in Sachsen fahren – vielleicht zum halben Preis – und der Sachse wäre arbeitslos. Genau das ist der Punkt.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Deswegen gibt es den Mindestlohn!)

Wenn ich die Botschaft dieser Fachkräfteallianz höre,

(Starke Unruhe und Zurufe von den LINKEN)

dass zur Fachkräftesicherung die Zahl ausländischer Arbeitskräfte verdoppelt werden soll, dann verheißt das für die Zukunft der einheimischen Arbeiter unserer Region nichts Gutes.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Sören Voigt, CDU)

Kollege Beger sprach gerade für die AfD-Fraktion. Als vorletzter Redner in dieser Runde spricht für die Fraktion BÜND

NIS 90/DIE GRÜNEN Herr Kollege Dr. Lippold.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich leiste es mir jetzt einmal, etwas dichter am Thema Fachkräftestrategie zu bleiben.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sehr gut!)

Ich habe von meiner Fraktion auch nicht den Auftrag bekommen, den Absturz bei der Europawahl noch zu bekämpfen.

(Zuruf von der CDU: Was, die GRÜNEN stürzen ab?!)

Sachsen hat eine neue Fachkräftestrategie. Nach einem Beteiligungsverfahren hat das Kabinett am vergangenen Dienstag die Fachkräftestrategie 2030 verabschiedet. Die Fachkräftestrategie umfasst vier Haupthandlungsfelder mit zehn strategischen Zielen.

Über 40 % der Unternehmen suchen gegenwärtig bereits Fachkräfte. Bis 2030 wird das Erwerbspersonenpotenzial in Sachsen – das sind alle erwerbsfähigen Menschen zwischen 15 und 65 Jahren – um rund 328 000 Personen zurückgehen. Bereits in den nächsten zehn Jahren wird jeder fünfte Beschäftigte in Sachsen in die Rente gehen. Die für mich zentrale wirtschaftspolitische Aussage der Fachkräftestrategie ist – ich zitiere: „Der Fachkräftemangel wird zum größten Wachstumsrisiko für den Wirtschaftsstandort Sachsen.“ Weil man über Wachstumsdefinitionen immer streiten kann, füge ich hinzu: Der Fachkräftemangel wird zur wahrscheinlich größten Existenzbedrohung für viele gerade kleine und mittlere Unternehmen, von denen Sachsen geprägt ist.

Die Fachkräftestrategie ist zunächst einmal ein recht umfangreicher Problemaufriss. Die eigentliche Herausforderung ist es und wird es sein, geeignete und konkrete Maßnahmen und Projekte abzuleiten, Verantwortlichkeiten zu benennen, Ressourcen bereitzustellen, den Erfolg zu evaluieren, um gegebenenfalls nachsteuern zu können.

Das drückt etwa die Vizepräsidentin der IHK Chemnitz aus, wenn sie einschätzt: Wir begrüßen, dass die Fachkräftestrategie 2030 an vielen Stellen konkrete Ziele, Empfehlungen und Verantwortlichkeiten zur Fachkräftesicherung im Freistaat benennt. Entscheidend bleibt aber, welche Maßnahmen tatsächlich abgeleitet werden und schlussendlich auch in der Wirtschaft zu spüren sind.

Oder um es mit Winston Churchill zu formulieren: „Egal wie wunderbar die Strategie, von Zeit zu Zeit sollte man mal einen Blick auf die Ergebnisse werfen.“

Da es nicht die erste Fachkräftestrategie ist, sondern eine Fortschreibung, und daraus nicht zum ersten Mal Maßnahmen und Richtlinien resultieren, sondern es schon welche gibt, kann man einmal genauer hinschauen. Dann wurden und werden eben mit einer Fachkräfterichtlinie, über die die Landkreise mit Budget ausgestattet werden, bisher auch Projekte gefördert, die nicht nachhaltig waren oder sind. Die x-te Internetplattform für Rückkehrer oder Busfahrten zu regionalen Unternehmen, bei denen außer Busfahrer und Veranstalter niemand mitgefahren ist, sind nur zwei Beispiele.