Nun gibt es auf einmal eine neue Hoffnung oder eine neue Herausforderung in der Lausitz: Strukturwandel. Auf einmal ist eine Unmenge Geld da, und vor Ort weiß man kaum, wohin mit dem vielen Geld. Das ist auch kein Wunder. Die Staatsregierung hat 30 Jahre lang die Energiewende blockiert. Da kann man natürlich vor Ort auch keine Gedanken entwickeln, um ein Leitbild für eine zukünftige Lausitz aus dem Boden zu stampfen.
Schauen wir einmal in die Projektliste der Infrastrukturmaßnahmen, die die Lausitzer Kreise jetzt eingereicht haben: Das ist der papiergewordene Nachweis der jahrzehntelangen Ignoranz von gleichwertigen Lebensbedingungen zwischen Stadt und Land. Straße, Schiene, Breitband – über 100 Infrastrukturmaßnahmen. Sie sind doch nicht innovativ, das sind Uraltprojekte, die teilweise seit Jahrzehnten auf ihre Umsetzung warten.
Meine Damen und Herren! Ich hätte noch einige Beispiele. Ich sage Ihnen nur eins: Geben Sie der kommunalen Ebene mehr Vertrauen. Lassen Sie insbesondere in Bezug auf Strukturwandel einen Strukturwandel von unten zu, der die Leute mitnimmt, denn sie wissen, was wir vor Ort brauchen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Leben auf dem Land attraktiver zu machen war zentraler politischer Punkt unserer Fraktion in den letzten 18 Monaten. Einige Beispiele dafür: Im November 2017 hatten wir die Bildung einer EnqueteKommission vorgeschlagen. Diese sollte ein Konzept zur Verbesserung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum ausarbeiten. Einen Monat später, im Dezember, hatten wir unseren Gesetzentwurf „Förderung der Kommunen im ländlichen Raum“ eingebracht. Sie erinnern sich? Den Kommunen sollten über zwölf Jahre mehr als 100 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Im Juni 2018 hatten wir die kostenlose Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs für Schüler, Auszubildende und Rentner in ihrem Wohnsitzlandkreis gefordert. Ich möchte auch an drei Anträge zur Förderung des Breitbandausbaus erinnern –
Fragen wir uns aber: Was sind die Initiativen der Staatsregierung seit dem neuen Ministerpräsidenten gewesen? Es ist richtig, Sie verabreichten im Monat Mai 2018 den ländlichen Gemeinden eine Art Beruhigungspille in Höhe von 30 Millionen Euro jährlich über insgesamt drei Jahre. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Sie bereits einen Monat später eine Aufwandsentschädigungserhöhung für ehrenamtliche Ortsvorsteher beschlossen haben. Dadurch ist das zugewendete Geld in vielen ländlichen Kommunen wieder für die Erhöhung der Ehrenamtspauschalen aufgebraucht worden. Effekt: null. Steuermillionen im Länderfinanzausgleich werden immer noch nach Kopfteilen unter dem Stichwort „Veredelungsfaktor“ ungerecht verteilt. Beenden Sie endlich dieses System und bauen Sie das Finanzausgleichsgesetz mit modernen Komponenten um.
Gibt es noch weiteren Redebedarf bei den Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich jetzt die Staatsregierung ums Wort. Herr Minister Dulig, bitte.
Kolleginnen und Kollegen! „Versöhnen statt spalten“ ist nicht nur der Titel dieser Debatte, sondern war auch, wie schon genannt, das Lebensmotto von Johannes Rau.
Er hat das damals nicht nur zu seinem Lebensmotto gemacht, sondern es uns vor allem ins politische Stammbuch geschrieben, weil es darum geht, was auch unsere Aufgabe ist. Und ich glaube, sie ist dringender denn je. Denn in den hysterischen Zeiten, in denen wir gerade leben, scheint das Trennende stärker zu werden als das Verbindende, scheint es mehr Kräfte zu geben, die es auseinandertreibt, die Fliehkräfte werden größer. Das, was wir eigentlich brauchen, ist doch dieses neue Wir-Gefühl, bei dem es um die gemeinsame Verantwortung geht, auch füreinander da zu sein. Das ist doch mit Versöhnen gemeint. Sich für den anderen auch zu interessieren, Verantwortung zu übernehmen.
Wir leben in einer Zeit, in der man sich inzwischen dafür rechtfertigen muss, dass man Verantwortung übernimmt, und das bezieht sich nicht nur auf uns in der Politik. Davon können auch viele in den Vereinen ein Lied singen. Versöhnen statt spalten ist dringender denn je. Das ist nicht nur eine Aufgabe, die man jetzt an uns Politikerinnen und Politiker delegieren kann. Wer darf sich denn frei machen von dieser Herausforderung? Genau das ist der Punkt, warum wir das auf die Tagesordnung gesetzt haben.
Wenn sich ein Institut wie das IWH Gedanken über die wirtschaftliche Situation in Ostdeutschland macht und Lösungsvorschläge unterbreitet, dann ist das seine Aufgabe. Darüber wird sich wahrscheinlich niemand aufregen. Wenn man sich jetzt die zehn Punkte anschaut, die präsentiert werden, dann kann man durchaus feststellen: So neu sind die Gedanken und die Vorschläge nicht. Was mich so aufregt und wirklich erbost hat, ist die Tatsache, dass man sich nur, um eine Bedeutung, eine Öffentlichkeit für diese Thesen, für dieses Institut zu bekommen, Punkte herausnimmt und sie im Wissen, welche Wirkung man entfacht, derart zelebriert und als Marketing in den Raum stellt. Dabei nimmt man in Kauf, dass es eine große Empörung gibt – aber man hat die Aufmerksamkeit. Das ist nicht verantwortlich, das ist unverantwortlich.
Die Frage ist doch: Was macht das mit den Menschen? Was ist denn die Botschaft dieses Marketingauftrittes vom IWH? Dabei gibt es mindestens zwei Aufreger: Das eine ist die Aussage, unsere Unternehmen in Ostdeutschland seien unproduktiv. Was macht denn das mit dem Unternehmer? Was macht das mit dem Handwerksmeister? Was macht das mit dem Beschäftigten? Was ist das für eine Wirkung, die dort entfacht wird?
Auch die Aussage, dass man in Zukunft bitte nur noch in die Ballungszentren, in die Städte, investieren soll – auch diese Provokation ist nicht neu, das haben wir bereits von anderen gehört. Was macht das aber mit den Menschen, die in den ländlichen Bereichen leben und die sehr häufig das Gefühl haben, abgehängt worden zu sein oder es
tatsächlich sind? Denen immer wieder zu sagen: „Ihr lebt am falschen Ort“ – das kann doch nicht die politische Antwort sein. Es regt mich so auf, dass man im Wissen, welche Wirkung man entfacht, nur aufgrund von Marketing, so unverantwortlich handelt; dass Thesen öffentlich publiziert werden, deren Neuigkeitswert wirklich übersichtlich ist. Das müssen wir von uns weisen, weil wir als Politikerinnen und Politiker Verantwortung für alle Menschen haben, egal wo sie wohnen, ob in der Stadt oder auf dem Land.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus den Aussagen des Instituts ergibt sich für mich vor allem das folgende Grundproblem: Sie setzen einen Trend fort, den ich problematisch finde, nämlich die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Das heißt, dass alle Antworten, die wir geben, nur unter dem ökonomischen Gesichtspunkt gesehen werden. Es ist überhaupt nicht die Frage, inwieweit Menschen mehr Gesichtspunkte haben, die sie mit dem Thema verbinden, warum Lebensqualität für sie wichtig ist, egal wo sie leben. Das hat etwas mit Bildung, mit Kultur, mit sozialem Zusammenhalt zu tun. Selbstverständlich hat das mit der Sicherheit zu tun, die man haben muss, ob seine Arbeit sicher ist.
Selbstverständlich hat das auch damit zu tun, wie gut eine Wirtschaft sich entwickelt, damit auch gute Arbeit da ist. Das ordnet sich aber in die gesamte Diskussion ein, wie wir Lebensqualität schaffen – eine Lebensqualität, die sich auch vor Umwelt und Natur verantwortet, die sich genauso im Miteinander verantwortet, also die soziale Dimension von Lebensqualität. Das heißt, es wird sich auch verändern müssen, wie wir leben. Das geht aber nicht mit Vorschlägen, die die Grundlage von Existenz infrage stellen. Das ist etwas, bei dem wir diese Kritik so deutlich äußern müssen.
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Analyse sind wir immer stark. Das haben wir heute auch wieder gemerkt. Wir haben hier die Debatte geführt. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass es für manche wichtiger war, in der Vergangenheit hängen zu bleiben, statt die Frage zu beantworten: Was machen wir denn jetzt mit der Situation, in der wir uns befinden?
Um es einmal sehr deutlich zu sagen: Die Fehler, die in den letzten Jahren gemacht wurden, sind von dieser Regierung angegangen worden. Das, was wir in den letzten Jahren repariert haben, zeigt doch, dass wir nicht die rosarote Brille aufhaben, sondern dass wir dort aktiv sind. Das Paket, das wir geschnürt haben, das Bildungspaket, 1,7 Milliarden Euro, ist eine konkrete Antwort, vor allem für die Perspektiven im ländlichen Raum. Wenn ich beispielsweise an meinen Kollegen Thomas Schmidt denke, der mit dem simul+-Programm Ideen aus dem ländlichen Bereich fordert; wenn ich daran denke, was wir gerade in der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik machen, um genau den ländlichen Bereich zu stärken.
Gestern haben wir über Mobilität gesprochen. Das haben Sie sicherlich ausgeblendet. Es passt nicht in Ihr Weltbild.
Wir führen genau deshalb die Plus- und Taktbusse ein, um 80 % der Bevölkerung zu erreichen. Eine Million Menschen mehr werden dadurch erreicht, und sie leben fast alle im ländlichen Bereich. Das sind konkrete Antworten, die wir geben, um den ländlichen Bereich zu stärken.
Meine Politik ist es, die Netzwerk- und Clusterpolitik zu stärken. Man sieht es doch auch, dass sich zum Beispiel Unternehmen dort ansiedeln, wo infrastrukturelle Voraussetzungen gut sind. Man sieht es auch bei der Zulieferindustrie. Das ist wie eine Perlenkette durch ganz Sachsen – vom Vogtland bis Kodersdorf –, aufgereiht an unseren Autobahnen. Von daher ist es nicht die Frage von Leuchtturmpolitik, sondern die Frage, wie wir das nutzen können, was wir als Potenzial haben, damit sich in ganz Sachsen Unternehmen ansiedeln können. Das hat etwas mit Infrastruktur, mit Forschung und Entwicklung zu tun. Das hat etwas mit Bildung und Infrastruktur zu tun. Das hat etwas mit den sogenannten weichen Faktoren zu tun, die für mich harte Faktoren sind, was Kita, Schule, Kultur usw. betrifft.
Das ist die Aufgabe, die wir haben, die Lebensqualität in allen Bereichen zu stärken. Davon dürfen wir nicht abrücken, auch wenn wir unterschiedliche Antworten geben müssen, da ein Ballungsraum eine andere Dynamik hat – das haben wir gestern auch diskutiert. Aber die Menschen, egal wo sie wohnen, müssen wissen, dass an ihrer Seite verantwortliche Politikerinnen und Politiker stehen – egal, ob in den Kommunen oder hier im Land, im Bund und in Europa –, die sich genau um diesen Ausgleich kümmern.
Deshalb versöhnen statt spalten. Das ist eine Aufgabe, die auch jemand hat, der als Wissenschaftler arbeitet und Vorschläge erarbeitet. Er muss bei seiner Wortwahl bedenken, ob man in diesen Zeiten, in denen wir merken, wie viel auseinanderfließt, mit solchen Äußerungen eher der Spaltung Vorschub leistet oder inwieweit man Vorschläge macht und auch in der Art und Weise, wie man sie präsentiert, Teil von Versöhnung und Zusammenführung ist. Wir brauchen ein neues Wir-Gefühl. Dieses WirGefühl brauchen wir deshalb, weil es bedeutet, dass Menschen Verantwortung übernehmen. An diese Verantwortung muss sich auch ein Wissenschaftler halten.
NIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Dr. Lippold. Danach folgen die CDU, DIE LINKE, SPD, AfD, Herr Abg. Wild und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sachsen hat sich für seine Entwicklung viel vorgenommen. Die sächsische Wirtschaft hat sich viel vorgenommen. Das sollten wir auch; denn die anderen schlafen auch nicht. Die Basis all dessen ist eine zukunftsfähige, günstige Energieversorgung. Ohne Energie geht in unserer Gesellschaft einfach nichts, meine Damen und Herren.
In Sachsen kommt der Strom heute zu 75 %, also zu drei Vierteln, aus der Braunkohle. Wir leben in einer Zeit, in der klar ist, dass spätestens in 19 Jahren und circa 290 Tagen in Deutschland der letzte Kohlekraftwerksblock vom Netz geht. Ob er hier in Sachsen steht, ist keineswegs klar. Das entscheiden nicht wir und auch nicht die Staatskanzlei; denn auch in der Energiewirtschaft ist die Planwirtschaft abgeschafft. Es werden ökonomische Entscheidungen getroffen. Dabei kann es auch sehr viel schneller gehen.
Drei Viertel der Stromerzeugung im Kohleland Sachsen stehen definitiv vor dem Auslaufen – das ist die Situation. In dieser Situation blockiert die CDU den Novellierungsprozess für das Energie- und Klimaprogramm des Freistaates für die langfristige Energiestrategie in Sachsen. In dieser Situation knallt die CDU aus ideologischen Gründen jeden Versuch, den Ersatz der wegfallenden Stromerzeugung im Noch-Energieland Sachsen auch nur zu planen, hart gegen die Wand. Das tut sie ganz öffentlich – wie im alten Rom: erst einmal vor großem Publikum durch die Arena gezogen und dann den Daumen gesenkt. Sind Sie denn wahnsinnig? Wo ziehen Sie denn unser Land hinein?
Wie sollte man es denn nennen, was Sie in der letzten Phase des Kohlezeitalters befällt? Energiepolitische Todessehnsucht, wirtschaftliche Selbstverstümmelung? Wer heute eine Manifestation politischer Unzurechnungsfähigkeit sehen will, der muss nicht bis an die Themse fahren, meine Damen und Herren – willkommen an der Elbe!
Ich möchte heute überhaupt nicht zurückschauen, wer wann die Kurve nicht bekommen hat. Wir haben ein Problem zu lösen, dabei geht der Blick nach vorn. Dazu
gehört erst einmal die Erkenntnis, dass der Strom zwar meist aus der Steckdose kommt, aber dass er auch in Sachsen nicht dort entsteht. Wir brauchen eine Strategie, wie wir ihn künftig erzeugen können, wenn wir ein Energieland bleiben wollen. Dabei machen wir gern Vorschläge.