Protocol of the Session on March 14, 2019

All diese Verfahren werden – neben den Verfahren gegen einheimische Straftäter – die Kanäle unserer Justiz verstopfen. Da können sich Richter und Staatsanwälte noch so sehr nach der Decke strecken, da können weitere Mittel für die Einstellung von Personal lockergemacht oder es kann gleich noch Teil 2 des Paktes für den Rechtsstaat nachgeschoben werden – helfen wird es nicht.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Sie wollen bevormunden!)

Das ist letztlich so, als ob man versuchen würde, das Sinken eines leckgeschlagenen Schiffes dadurch zu verhindern, indem man das Wasser mit einem löchrigen

Eimer abschöpft. „Sie“ – nun zitiere ich den Vorsitzenden des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz im Deutschen Bundestag, Stephan Brandner von der AfD, – „von den Altparteien tragen die Schuld für diese Entwicklungen. Sie sind verantwortlich.“

(Martin Modschiedler, CDU: Der König der Ordnungsrufe!)

„Sie stehen für Ignoranz und verschließen sich diesen Problemen unseres Landes, die Sie zum großen Teil selbst verursacht haben.“

(Beifall bei der AfD)

Solange Sie nicht wirklich erkannt haben, wo endlich effektiv nachgesteuert werden muss, diverse Entwicklungen von Ihnen quasi als unvermeidlich hingestellt werden und das Volk diese zu akzeptieren hat, helfen keine Rundverfügungen, um das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen. Ihre Politik – damit wende ich mich insbesondere an die gesamte CDU – ist für die derzeitigen unverantwortlichen Entwicklungen verantwortlich, und die Beruhigungspillen, die Sie den Bürgern verabreichen wollen, werden Sie am 1. September dieses Jahres nach der Verkündung des Wahlergebnisses selbst brauchen.

(Christine Clauß, CDU: Nehmen Sie lieber mal Baldrian!)

Der Wähler vergisst nie!

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Herr Wendt sprach für die AfD-Fraktion. Frau Meier spricht nun für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, darauf folgt Frau

Dr. Muster.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Keine Toleranz für Straftäter“, so trommelt es nicht nur aus der Regierungserklärung des Ministers, sondern auch aus der Rede von Herrn Modschiedler. Dazu kann ich nur sagen: Willkommen im Wahlkampf!

Es gehört tatsächlich zu den ältesten populistischen Taschenspielertricks der Politik, mit Strafrecht Symbolpolitik zu machen. Sie kostet nichts, außer vielleicht überfüllte Gefängnisse, und zielt lediglich auf jene ab, die ohnehin geächtet am gesellschaftlichen Rand stehen, und eignet sich zur billigen Profilierung als „harter Hund“ in der CDU.

Dennoch verändert eine solche Politik die Gesellschaft als Ganzes, weil hier im Strafrecht beginnt, was nach und nach in alle Bereiche der Gesellschaft einsickert: die Definition der Gesellschaft über Feindbilder, das Verlassen rationaler evidenzbasierter Politik, die auf Fakten und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, und der Eintritt in eine Politik der einfachen alternativen Wahrheiten.

Getrieben von der Angst vor dem Wahlverlust und dem weiteren Erstarken der Verfassungsfeinde

(André Barth, AfD: Häh? Von wem?)

hat sich diese Staatsregierung einer Strategie der Symbolpolitik verschrieben gegen Fachkunde, gegen fachliche Substanz und gegen Vernunft.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE – André Barth, AfD: Herr Gebhardt, wir dürfen nicht mehr „Prüffall“ genannt werden! Das ist halt so!)

Angefangen bei der Novelle des Polizeigesetzes über die Verschärfung in den Strafvollzugsgesetzen, die Rundverfügung des Generalstaatsanwaltes, bis heute zum Höhepunkt, der Regierungserklärung, dokumentiert sich ganz klar Ihr populistischer Kurs. Das Ergebnis dieser Strategie stärkt aber die Schreihälse und schwächt die Politik der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Vernunft. Der strafende Staat wird zum Vorläufer für den Aufbau eines Sicherheitsstaates. Dem stellen wir uns als GRÜNE, als Demokratinnen und Demokraten ganz klar entgegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN – André Barth, AfD: Na Hilfe! Alter Schwede!)

Wir wissen alle, dass der Wunsch nach Vergeltung und harten Strafen die einfachsten Regungen in uns Menschen bedient: die Unterscheidung in Gut und Böse, in „Die“ und „Wir“ und in Freund und Feind.

Gleichzeitig sagen uns aber Vernunft und wissenschaftliche Erkenntnis, dass Straftaten nicht durch härtere Strafen verhindert werden können. Maßnahmen der Kriminalpolitik müssen sich deshalb zuallererst an ihrer Wirksamkeit messen lassen. Ob etwas wirkt, lässt sich nicht nach subjektiven Empfindungen und Bauchgefühlen entscheiden. Vielmehr gehört zur Wirksamkeit das Wissen über den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Deshalb sollte es zum kriminalpolitischen Mindeststandard gehören, nicht nur dann eine Maßnahme zu fordern oder anzuordnen, wenn sie mit zusammenhängenden Phänomenen bekannt sind und erklärt werden können.

Ich rede hierbei ganz klar von rationaler Kriminalpolitik. Diese Notwendigkeit und die Basis der Kriminalpolitik haben Sie hier wissentlich und willentlich verlassen. Sie machen eine Wahlkampfstrategie des Populismus, und dem werden wir uns entgegenstellen.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Wir wissen aus der kriminologischen Praxis, dass die Abschreckungswirkung von Anordnung, Verhängung und Vollzug von Strafen äußerst gering ist. Für den Bereich der leichten bis mittelschweren Kriminalität gilt, dass die Höhe und die Schwere der Strafe keine messbare Bedeutung haben. Bislang wurden auch keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass eine Verschärfung des Strafrechts das Normbewusstsein positiv beeinflussen würde. Wenn es überhaupt eine Tendenz gibt, dann ist es die, dass nach

härteren Sanktionen die Rückfallrate bei vergleichbarer Tat und Tätergruppe höher ist.

Diese Erkenntnis, Herr Staatsminister, verschweigen Sie. Dies tun Sie aber nicht aus Unkenntnis, sondern weil sie schlicht nicht in Ihre Erzählung von Gut und Böse passt. Das nennt man Populismus, sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie schaffen damit dort Angst, wo Fakten und Klarheit angebracht und notwendig wären. Sie stellen sich damit in eine Reihe von Regierungen, die mit einer repressiven Wende den Wahlerfolg suchen. Die Indikatoren dieser repressiven Wende sind eindrucksvoll in Ihrer Politik zum Polizeigesetz bis, wie gesagt, zu Ihrer heutigen Regierungserklärung zu erkennen. Das beginnt bei einer veränderten Tonlage zur Kriminalpolitik, wie wir es heute eindrücklich gehört haben. Es zeigt sich dann im Niedergang des Resozialisierungsgedankens, wie wir es bei den Strafvollzugsgesetzen gesehen haben und kulminiert in der Wiederkehr vergeltungsorientierter Sanktionen und einer ausdrucksstarken, symbolisch aufgeladenen Justiz, wie wir es auch heute erlebt haben.

Innerhalb weniger Jahre ist an die Stelle des Ideals der Resozialisierung erneut die überholte Idee der Strafe als Vergeltung getreten. Einst galt das Sächsische Strafvollzugsgesetz bundesweit als fortschrittlich. Resozialisierung war der Leitgedanke jeder Bestrafung. Aber die jetzige Wiederbelebung des Vergeltungsgedankens führt binnen kürzester Zeit zu einer Neuerfindung des Gefängnisses, das nicht mehr als Stätte der sozialen Wiedereingliederung, sondern als Ort der vergeltenden Strafe dargestellt wird.

(Karin Wilke, AfD, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – Sie haben heute sehr viel über die Opfer gesprochen. Nicht gehört habe ich aber, wie Sie denn den Täter-Opfer-Ausgleich und die Wiedergutmachung stärken wollen. Auch von Resozialisierung war so gut wie überhaupt nicht die Rede. Das Wort kam noch nicht einmal vor.

Ferner erinnere ich mich an die Worte des Ministerpräsidenten auf einer Veranstaltung letztes Jahr in Zeithain. In einem Bericht im „Sachsenspiegel“ hat er sich sinngemäß dahin gehend geäußert, dass der Weiterbetrieb der Anstalt wünschenswert sei, weil hier eine besondere Bestrafung vollzogen würde. Die gestrige Rede des Ministerpräsidenten war ebenso bloße populistische Effekthascherei.

Ihrem repressiven Rollback gegen die Expertise von Kriminologinnen und Kriminologen, von Psychologinnen und Psychologen und von Soziologinnen und Soziologen

(Zuruf von der AfD: Und Diversen!)

widersprechen wir entschieden. Denn dieser wissenschaftsfeindliche Affekt bildet den Nährboden für die Aushöhlung unseres Rechtsstaates, und den, geben Sie doch hier vor, immer schützen zu wollen. Der Rechtsstaat bindet die Staatsgewalt an Recht und Gesetz, und diese Bindung legitimiert auch das staatliche Handeln.

Zu den Kernelementen des Rechtsstaates gehören das Übermaßverbot und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Prinzip des Rechtsstaates zielt besonders auf Maßhaltung bei jedem staatlichen Handeln ab. Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung muss deshalb nicht mit selber Härte vor Menschen verteidigt werden, die Ladendiebstähle begehen oder schwarzfahren, oder auch nicht vor Drogenkonsumentinnen und -konsumenten. Sie muss vor den Bestrebungen verteidigt werden, die es zum Ziel haben, diesen Rechtsstaat, so wie er ist, abzuschaffen, und diese gehen leider häufig mit Gedanken von Fraktionen Hand in Hand, die in diesem Landtag vertreten sind. Das ist ein schlimmer Zustand, in dem wir uns gerade befinden.

(Zuruf von der AfD: Sie prügeln schon wieder auf die LINKEN ein – was soll denn das?!)

Sehr geehrte Mitglieder der Staatsregierung – damit spreche ich die gesamte Staatsregierung an –: Hören Sie endlich auf, leichtfertig Ziele mit Ihrem Populismus durchsetzen zu wollen. Fangen Sie damit an, diesen Rechtsstaat glaubhaft zu verteidigen, auch dort, wo es wehtut.

Dies beginnt mit einer Politik, die keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen anbieten will, wie Sie es uns bei der Frage nach Ursache und Wirkung mit Kriminalität vormachen wollen. Packen Sie stattdessen Ihre hausgemachten Probleme an. Sorgen Sie mit ausreichend Personal dafür, dass die sächsische Justiz ihre wichtigen Verfahren sachgerecht und ohne überlange Verfahrensdauer bearbeiten kann, ohne dabei die Verfahrensrechte der Einzelnen einzuschränken und ohne auf Mittel wie das beschleunigte Verfahren zurückgreifen zu müssen.

Schaffen Sie endlich die Voraussetzungen, damit die zunehmenden Staatsschutzdelikte bis hin zum Rechtsterrorismus ohne größere Pannen zeitnah ausermittelt und abgeurteilt werden können.

(Uwe Wurlitzer, fraktionslos: Auch die linken Extremisten, ja?)

Den Prozess gegen die Hooligangruppe „Faust des Ostens“ im mittlerweile sechsten Jahr nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft endlich zu beginnen – das wäre ein starkes Zeichen des Rechtsstaates.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Sehr geehrter Herr Staatsminister, ich sage es Ihnen ganz klar: Wir durchschauen diese plumpe Symbolpolitik, diesen blanken Populismus der Staatsregierung und auch von Ihnen. Auch Ihre Auseinandersetzung mit den Verfassungsfeinden in diesem Saal und draußen auf der Straße

(André Barth, AfD: Oh nein! Es wird nicht besser!)

legitimiert Symbolpolitik nicht, weil sie der Gesellschaft und dem Rechtsstaat selbst schadet. Es stünde Ihnen also wirklich gut zu Gesicht, wenn Sie auf solche Manöver verzichten würden. Kehren Sie mit Ihrer Politik endlich zurück zu dem, was den Rechtsstaat trägt: Fakten und Vernunft!