steller Robert Seethaler legte in seinem Buch „Das Feld“, in dem er die letzten Dinge des Lebens beschreibt, seiner Protagonistin Annelie Lorbeer folgende Worte in den Mund: „Ohne Würde ist der Mensch nichts. Solange es geht, sollte man sich selbst darum bemühen. Sobald es jedoch aufs Ende hin geht, kann einem die Würde nur geschenkt werden. Sie liegt im Blick der anderen.“
Ich habe nicht nur in den vergangenen drei Jahren sehr, sehr viele Texte und Papiere zum Thema Pflege gelesen, aber diese Stelle in dem Buch hat mich sehr beeindruckt; denn sie beschreibt in einer sehr unaufgeregten Art und Weise die Verantwortung, die gerade wir – die wir über Rahmenbedingungen bestimmen, die für Menschenwürde im Alter entscheidend sind – tragen. Diese Verantwortung wiegt schwer insbesondere in einem Bundesland, in dem die demografische Entwicklung im Zusammenhang mit Abwanderung und Wandel der Familienform uns vor besondere Herausforderungen stellt. Die Zahlen wurden bereits von meinen Vorrednern genannt.
Ich denke, dieser Verantwortung ist der Sächsische Landtag in den letzten drei Jahren mit der EnqueteKommission in einer dem Thema wirklich sehr angemessenen Art und Weise nachgekommen. In meinem Redebeitrag möchte ich die Arbeit der Kommission sowie die Schlussfolgerungen für uns als SPD-Fraktion anhand von fünf Punkten würdigen, und ich werde versuchen, möglichst ohne viele Zahlen auszukommen.
Zu Punkt 1. Am Beginn standen für mich viele Zweifel. Warum? Blicken wir auf das Jahr 2015 zurück: Nachdem in der vorherigen Legislaturperiode sowohl im Bund als auch im Land die ausgerufenen Jahre der Pflege relativ taten- und ergebnislos verlaufen sind, sich weder für Pflegebedürftige noch für Fachkräfte viel positive Entwicklungen abzeichneten, war es aus meiner Sicht damals eher notwendig zu handeln, als nur in einer EnqueteKommission über die Themen „zu reden“. Da sich aber im Landtag das Anliegen für eine Enquete-Kommission fraktionsübergreifend entwickelte, war die Entscheidung des Landtages für die Enquete-Kommission folgerichtig und konsequent.
Wider Erwarten entwickelte sich dann, parallel zur Arbeit der Enquete-Kommission, ein unglaublich großes Maßnahmen- und Reformprogramm sowohl auf Bundesebene, beispielsweise mit den Pflegestärkungsgesetzen I bis III und dem Pflegeberufegesetz, als auch auf Landesebene mit den von der Koalition beschlossenen Koordinatoren, den Pflegedialogen und den Pflegebudgets – eine enorme Initiativenlandschaft.
Meine Zweifel, dass eine Enquete-Kommission eher zu Stillstand im Bereich Aktivitäten der Pflege führen könnte, haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil, wir mussten die Arbeit der Enquete-Kommission sogar etwas anpassen an die Vielzahl der in der Schnelle vorgenommenen Reformen. Wir mussten die Arbeit der EnqueteKommission von zwei auf drei Jahre verlängern.
Damit komme ich zu Punkt 2, dem durchaus schwierigen Start der Enquete-Kommission. Dieser schwierige Start
beruht auf zwei Punkten: Zum einen sind es die soeben schon beschriebenen vielfältigen Aktivitäten, die die Bestandsaufnahme, die wir am Anfang in Ruhe vornehmen wollten, zu einer sehr dynamischen Herausforderung machten. Ein Beispiel ist die Entwicklung des Pflegeberufegesetzes. Daraufhin mussten wir den Abschnitt „Fachkräfte“ ans Ende der Arbeit der EnqueteKommission setzen, damit der Bericht, wenn er denn vorliegt, nicht sofort wieder veraltet ist.
Der zweite Punkt war, dass bei der Sortierung aller Themen für uns offensichtlich wurde, welche Vielzahl an Akteuren und welche Komplexität an Themen das Gebiet Pflege beinhaltet. Das sind einerseits die Pflegebedürftigen, die Ansprüche auf eine sichere Versorgung, gutes Wohnen und Finanzierbarkeit haben. Das sind andererseits die Angehörigen, die vor allem die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, verlässliche Rahmenbedingungen und ihren Lebensunterhalt sichern wollen.
Das sind die Träger und Dienste im Bereich der Pflege, die im Wettbewerb stehen, unter festgelegten Budgets arbeiten, Kontrollen und Bürokratie unterliegen und um Fachkräfte kämpfen müssen. Das sind die Fachkräfte, die unter den Arbeitsbedingungen, die immer schwieriger sind, leiden, die eine geringe Entlohnung haben und die keine oder nicht ausreichende Interessenvertretung beklagen. Weiter sind die Pflegekassen zu nennen, die die Versorgungsbedarfe gesetzlich sicherzustellen haben, aber dafür auch nur die vorhandenen Budgets ausgeben dürfen. Nicht zuletzt sind da die Kommunen, die für die Daseinsvorsorge, für die Teilhabe und die Altenhilfe vor Ort zuständig sind und auch da wiederum die Kosten im Blick haben müssen, dass die Leistungen bei der Hilfe zur Pflege nicht wieder ansteigen.
Das sind längst nicht alle, aber ich glaube, es gibt einen guten Blick in dieses komplizierte Gefüge, welches man zusammenstellen muss, wenn man tatsächlich für Menschen mit Hilfebedarf im Alter gute Versorgung und menschenwürdiges Leben sicherstellen will.
Das haben wir als Kommission am Anfang durchaus ein bisschen ruckelig und auch kontrovers sortiert und dann begann eine Arbeitsphase, und ich möchte zum dritten Punkt meiner Würdigung der Arbeit der EnqueteKommission kommen, nämlich diesem Arbeitsprozess, der verbunden war mit einem Lernprozess, der verbunden war mit vielen Anhörungen und unzähligen Sachverständigen – wahrscheinlich hat jemand die Sachverständigen auch gezählt; es waren sehr, sehr viele. Danach folgten stundenlange und in der Summe wahrscheinlich viele, viele Tage der Arbeit in Arbeitsgruppen.
Weil diese Arbeit in den Arbeitsgruppen für mich auch wirklich in diesem Landtag etwas Besonderes war, möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass die vorliegenden 400 Seiten des Berichtes nur deshalb zustande gekommen sind, weil wir in diesen Arbeitsgruppen wirklich um jede Erkenntnis, um jeden Vorschlag, um jede Zeile und manchmal, na Patrick, um jedes Komma gerungen haben. Das war nicht immer schön und das war auch mal
Für diese Diskussionskultur möchte ich mich wirklich bei allen Mitgliedern in diesen Arbeitsgruppen noch einmal extra bedanken.
Wir sollten diese Arbeitsweise in Erinnerung behalten, weil sie auch ein Vorbild sein kann, wie wir bei vielen anderen wichtigen Themen hier im Landtag im Interesse der Sache miteinander umgehen können, wenn wir es nur wollen.
Deswegen komme ich jetzt zum Punkt 4. Ich will ganz kurz auf die Ergebnisse eingehen – das ist bei 400 Seiten nicht so einfach. Wir haben versucht, an den Anfang des Berichtes eine kleine Zusammenfassung zu stellen, und ich möchte kurz auf die für die SPD wichtigen Punkte eingehen.
Der erste Punkt ist das Thema Bezahlbarkeit, was immer wichtiger wird. Wir haben eine Leistungsausweitung, wir haben Leistungsverbesserungen, Vergütungserhöhungen, die wir dringend brauchen, und wir haben eine Teilversicherung, die mit Budgets arbeitet – was dazu führt, dass die Beiträge der Pflegebedürftigen immer weiter steigen und die Gefahr der Überlastung droht.
Deshalb müssen wir die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung in den Blick nehmen. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch – an meinem runden Tisch habe ich schon über die Pflegevollversicherung diskutiert. Bei der Pflegevollversicherung gibt es wiederum viele Möglichkeiten, wie man sie gestalten kann: mit oder ohne Sachleistungsprinzip, mit oder ohne Wettbewerb, mit oder ohne Stärkung der kommunalen Ebene.
Für diese Details haben wir noch nicht hinreichend aussagekräftige Konzepte vorliegen, das Ziel ist aber klar: Es gibt aus Sicht der SPD kein Zurück in eine Welt, in der der pflegebedürftige Mensch der Bittsteller beim Sozialamt ist. Diese Verantwortung habe ich mit meinem Eingangszitat beschrieben, und es ist für mich eine sehr, sehr gute Nachricht, dass die Arbeit an den Konzepten zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung mittlerweile auch in Berlin begonnen hat.
Bis es so weit ist, müssen wir kurzfristige Maßnahmen treffen. Wir reden heute schon über Altersarmut, wir haben heute schon viele Menschen, die Angst haben, sich die Pflege nicht mehr leisten zu können. Hier haben wir beispielsweise im Land die Möglichkeit, über ein Pflegewohngeld kurzfristig Abhilfe zu schaffen und dieses einzuführen.
Daneben brauchen wir einen Pakt für gute Versorgung und Pflege vor Ort. Die regionalen Lösungen müssen mit verlässlichen Rahmenbedingungen gestaltet werden.
Hierzu brauchen wir alle Akteure, insbesondere auch die Kommunen. Hier steht der Freistaat ganz klar in der Verantwortung, das zu organisieren. Aus unserer Sicht
kann das in einem Landespflegegesetz besiegelt werden, welches klare und transparente Zuständigkeiten, verlässliche Finanzierung und Hilfen bei regionalen Lösungen vorsieht.
Der besondere Blick auf pflegende Angehörige muss untersetzt werden. Dabei müssen Arbeitgeber und die Wirtschaft mit ins Boot geholt werden. Arbeitnehmern, die mit einer privaten Pflegesituation konfrontiert werden, muss man helfen, weil sie sonst den Fachkräftemangel verstärken und sich aus dem Arbeitsprozess teilweise oder ganz zurückziehen müssen.
Es waren bei Ihnen fünf Minuten – ich glaube Ihnen das und stoppe jetzt mit der Hand, bis es wieder funktioniert. Fünf Minuten, Frau Kollegin.
Die Gewinnung zusätzlicher Fachkräfte, die wir benötigen – Herr Schreiber ist darauf eingegangen –, wird eine riesige Herausforderung. Hier brauchen wir angesichts einer abnehmenden Bevölkerung, aber höherer Bedarfe ähnlich wie beim medizinischen Personal alle Möglichkeiten – von der Ausbildung über die Verbesserung der Berufsqualifizierung und der Rahmenbedingungen bis hin zu Mitbestimmungs- und Interessensvertretungsmöglichkeiten. Hier gibt es im Land viel Gestaltungspotenzial, das wir nutzen müssen.
An dieser Stelle möchte ich das Ergebnis der EnqueteKommission zum Thema Pflegekammer folgendermaßen interpretieren – die Pflegekammer ist immer ein heiß umstrittenes Thema –: Wir haben uns in der EnqueteKommission zu einer Formulierung durchgerungen, die so zu interpretieren ist, dass die Frage, ob es eine berufsständische Vertretung der Pflege in Form einer Kammer geben soll, diejenigen beantworten müssen, die sich dann einer Pflichtmitgliedschaft unterwerfen, die Pflichtbeiträge zu leisten haben – die Pflegenden selbst.
Deshalb haben wir uns in der Enquete-Kommission darauf geeinigt, dass es eine Befragung geben soll – eine repräsentative Befragung, in der sichergestellt wird, dass sowohl Alten- als auch Krankenpflege beteiligt wird. Ich
bin der festen Überzeugung, dass eine Pflegekammer von oben herab ohne diese Befragung, aber auch eine kategorische Ablehnung einer Kammer keine Lösung sind, sondern dass das beides Sachen sind, die die Pflege in Sachsen spalten werden. Daher sind wir als SPD für diese repräsentative Befragung, aber auch nur dann, wenn man im Anschluss das Ergebnis akzeptiert und umsetzt. Ist es ein Ja zur Pflegekammer, dann muss man sie umsetzen; wenn es ein Nein ist, dann ist es in Sachsen eben noch nicht gewünscht.
Ich komme zum fünften und letzten Punkt, meinem Fazit. Die Arbeit in der Enquete-Kommission war umfangreich, zeitaufwendig, mühsam, aber im Ergebnis hoffentlich nicht nur für mich außerordentlich bereichernd. Ich möchte mich deshalb wirklich aus vollem Herzen bei allen bedanken, die damals dafür gesorgt haben, dass ich meine Zweifel überwunden und mich mit für die EnqueteKommission starkgemacht habe. Ich möchte mich bedanken bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussbüros der Enquete-Kommission, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen, bei den externen Sachverständigen der Fraktionen, bei den externen Sachverständigen der sächsischen Institutionen und Behörden, die uns unterstützt haben, bei den vielen, vielen temporären Sachverständigen in den Anhörungen und nicht zuletzt bei den Abgeordneten, von denen sich viele das erste Mal und intensiv auf das Abenteuer Pflege eingelassen haben. Vielen Dank dafür!
Ich wünsche dem Bericht viele Leserinnen und Leser. Ich wünsche dem Bericht, dass er diese inspiriert und wir alle in Sachsen an der Umsetzung dieses Berichtes arbeiten können.
(Beifall bei der SPD, der CDU, den fraktionslosen Abgeordneten und vereinzelt bei den LINKEN – Beifall bei der Staatsregierung)
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor reichlich einer Woche wurde der Abschlussbericht der Enquete-Kommission Pflege feierlich an den Landtagspräsidenten übergeben – heute nun hier die Aussprache dazu.
Jedem, der trotz der widrigen Rahmenbedingungen in der Pflege Menschen pflegt, gilt meine größtmögliche Anerkennung und mein aufrichtiger Dank. Ohne das Engagement der Angehörigen wäre bereits jetzt Land unter.
Fakt ist: Wir haben einen Pflegenotstand in Sachsen. Dazu bedurfte es nicht der Feststellung durch die Enquete-Kommission. Es brennt an allen Ecken und Enden, und das, was in der Vergangenheit seitens der CDU-geführten Landesregierung getan wurde, war nicht mehr als Notstandsverwaltung. Warum Notstandsverwaltung? Seit
Seit Jahren laufen uns die Pflegekräfte davon, weil beispielsweise in Bayern für die gleiche Arbeit 1 000 Euro im Monat mehr zu verdienen sind. Die seit Jahren betriebene Arbeitsmarktpolitik in allen Branchen führte zu hoher beruflicher Mobilität und vor allem zu Abwanderungen auf dem Land. Angehörige sind zur Pflege ihrer Eltern oder Verwandten in vielen Fällen schlichtweg nicht mehr da. Zunehmend müssen Pflegedienste die entstandenen Lücken schließen, geraten aber durch den Pflegekräftemangel an ihre Grenzen. Auch falsche Vergütungsregeln machen die Versorgung in ländlichen Regionen unattraktiv. Ich nenne hier nur die eigentliche nicht vorhandene Fahrtkostenregelung für ambulante Pflegedienste.
Kommen wir zu einem weiteren Punkt, den Eigenanteil für die stationäre Pflege. Auch dieser steigt seit Jahren und zuletzt sogar dramatisch. Gestiegene Eigenanteile von 500 Euro pro Monat waren zum Jahreswechsel in Sachsen keine Seltenheit. Pflegebedürftigkeit wird ein immer stärkeres Armutsrisiko. Unter Altern in Würde stelle ich mir etwas anderes vor. Denn Würde heißt auch angemessene, bedarfsorientierte und vor allem verfügbare Pflege.
Wie soll das bei der derzeitigen Personalsituation zukünftig gelingen? Ein Beispiel zum Nachtdienst: Eine Fachkraft pro Haus ist die Mindestbesetzung. Mehr Personal ist auch oftmals nicht vorhanden, und das reihenweise. Wer weiß, dass das durchschnittliche Heim in Sachsen heute 61 Pflegeplätze hat, kann sich ausmalen, was diese Regelung in der Praxis bedeutet. Patienten, die sich in ihrem eigenen Urin, in ihren Fäkalien stundenlang wundliegen, weil sie mangels Personal nicht ordentlich gepflegt und gelagert werden können: Ist das in Würde altern? Ist das die Pflege, die Sie sich wünschen? Ich hoffe nicht.