Ich habe zwei gesunde Beine und es ist ein bisschen umständlich, aber ich schaffe das durchaus. Aber was ist mit der Mutter oder dem Vater mit dem Kinderwagen? Was ist mit dem Opa mit dem Rollator? Was ist mit der Frau, die im Rollstuhl sitzt? Sie alle haben schlicht keine Chance.
Da nützt es mir am Ende auch nichts, dass das Gleis nach Dresden barrierefrei erreichbar ist. Gerade im ländlichen Raum haben wir – ich habe es gesagt – wirklich großen Nachholbedarf, was Barrierefreiheit angeht.
Wenn das Leben auf dem Land wirklich attraktiv sein soll – das schreibt sich ja insbesondere die Koalition immer sehr gern auf die Fahnen –, dann müssen auch dort die Menschen mobil sein können, auch jene, die kein Auto haben oder die schlicht keines mehr fahren können, weil sie zu alt sind. Von der Straßenbau-Manie der Landesregierung haben diese Leute nichts, sie profitieren davon am wenigsten.
Das wird von denen, die sich selbst vielleicht als „normal“ betrachten, gerne belächelt. Aber es sollte doch unser Anspruch hier im Landtag sein, dass wir für die betroffenen Menschen Politik machen, damit auch sie an ihr Ziel kommen.
Sorgen Sie dafür, dass in Zukunft alle in Sachsen bequem und sicher mit der Bahn reisen können – nicht nur an den Weihnachtsfeiertagen, sondern immer. Stimmen Sie unserem Antrag zu.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf den ersten Blick klingt Ihr Antrag gar nicht so schlecht. Sie wollen im SPNV vollständige Barrierefreiheit herstellen. Das nützt nicht nur behinderten Menschen, sondern auch Älteren, Muttis oder Vatis mit Kinderwagen und Reisenden mit schwerem Gepäck. So weit, so sinnvoll. Aber Sie versuchen sich wieder einmal an der falschen Stelle.
In der Begründung zu Ihrem Antrag zitieren Sie das Personenbeförderungsgesetz. Von diesem Regelwerk ist die Schiene aber gar nicht betroffen; die Vorgaben zur Barrierefreiheit regelt nämlich das Eisenbahnrecht. Das gilt sowohl für Infrastrukturbetreiber wie für Verkehrsunternehmen. Diese Unternehmen sind verantwortlich für die Umrüstung der Stationen.
Im Freistaat Sachsen sind die nicht bundeseigenen Eisenbahnen alle stufenfrei erreichbar. Bei den Stationen der DB AG sind es etwa 75 %. Schon heute unterstützen der Freistaat Sachsen und die SPNV-Aufgabenträger den Ausbau der Verkehrsstationen, obwohl das eine originäre Aufgabe des Bundes und der DB Station & Service ist. Dafür werden Gelder aus dem Landesinvestitionsplan sowie den Regionalisierungsmitteln verwendet. Hinzu kommen noch Gelder, welche DB Station & Service über die Stationsgebühren erhält. 2016 waren das übrigens über 48 Millionen Euro. Genau diese Gelder sind auch dafür vorgesehen, die SPNV-Haltestellen weiter barrierefrei auszubauen. Was Sie jetzt fordern, ist sozusagen eine doppelte Bezahlung dieser Maßnahmen durch den Freistaat Sachsen.
Dabei haben wir im ÖSPV, dem straßengebundenen Personenverkehr, diesbezüglich viel mehr zu tun, vor allem im ländlichen Raum. Hier eine gute Fördermittelpolitik zu organisieren ist viel wichtiger als bei der Eisenbahn, die in aller Regel Bundesangelegenheit ist.
Die ÖPNV-Strategiekommission hat sich mit diesen Fragen umfassend beschäftigt. Mit den Betroffenenvertretungen wurden intensive Gespräche geführt und sowohl der Status quo erfasst als auch ein Ausbauziel definiert – dies allerdings bis 2030.
Dabei wurde festgestellt, dass heute 5 bis 40 % der ÖSPV-Haltestellen einen barrierefreien Ausbauzustand haben: 5 % im ländlichen Raum und 40 % in den Städten. Bei Straßenbahnfahrzeugen sind heute schon über 80 % barrierefrei, bei Linienbussen in der Stadt 90 % und im Regionalverkehr 60 %.
Durch die Ersatzinvestitionen der nächsten Jahre werden die Fahrzeuge dann bald zu 100 % barrierefrei sein. Sämtliche kommunalen Infrastrukturprojekte werden vom Freistaat nur dann gefördert, wenn ein barrierefreier Ausbau stattfindet. Der Freistaat Sachsen investiert also schon heute erheblich in die Barrierefreiheit, vor allem
Die Arbeitsgruppe Infrastruktur und Fahrzeuge der ÖPNV-Strategiekommission hat aber auch festgestellt, dass eine vollständige Barrierefreiheit bis 2022 nicht zu schaffen sein wird. Daher wurde auch im Einklang mit den Betroffenenverbänden eine weitestgehende Umrüstung bis 2030 festgeschrieben. Eine vollständige Umrüstung aller Haltestellen wird aber aus finanziellen wie auch technischen Erwägungen kaum zu leisten sein. Das entspricht im Übrigen aber auch nicht den Forderungen der Betroffenen.
Wir müssen also Prioritäten setzen. Es gilt zunächst, die zentralen Umsteigeknoten und wichtige Fahrziele wie Wohngebiete, Ärztehäuser und Einkaufszentren barrierefrei auszubauen. Nicht jede Dorfhaltestelle muss barrierefrei sein, denn bei dünnen Takten bzw. On-demandVerkehren kann es im Endeffekt viel barrierefreier sein, wenn künftig ein Minibus auf Anforderung vor der Haustür hält und die Mitarbeiter des Verkehrsunternehmens beim Ein- und Aussteigen Assistenz leisten, wenn dann an einem ausgebauten Umsteigeknoten alles barrierefrei läuft.
Von Zweckverbänden, Kommunen und Verkehrsunternehmen ist für den ÖSPV eine Umrüststrategie zu entwickeln. Dabei sind die Betroffenenverbände intensiv einzubeziehen. Die Schwerpunkte müssen sinnvoll gesetzt werden, damit möglichst viele Nutzer kurzfristig von den Ausbaumaßnahmen profitieren.
Fördermittel sind nur dann auszureichen, wenn barrierefrei gebaut wird. Hier könnten auch Anreizsysteme für die Aufgabenträger eingebaut werden, zum Beispiel durch die Übernahme von Planungskosten.
Im ÖSPV haben wir in Sachsen also mehr zu tun als bei der Eisenbahninfrastruktur, für die wir auch gar nicht zuständig sind, sondern der Bund sowie
Noch ein kurzer Satz zur Bahnsteighöhenproblematik, weil Sie das in Ihrem Antrag erwähnen. Dass wir den Schwachsinn, der da in Berlin versucht wird, ablehnen, versteht sich doch ganz von selbst. Das mitteldeutsche Netz ist bei Zügen und neuen Bahnsteigen auf 55 Zentimeter ausgebaut. Natürlich muss es dabei auch bleiben, wenn neue Bahnsteige erstellt werden.
Diesbezüglich ist die Staatsregierung aber schon in der Spur. Dafür brauchen wir Ihren Antrag nicht. Wir werden ihn aus den dargestellten Gründen ablehnen.
Meine Damen, meine Herren, nun spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Abg. Böhme. Bitte sehr, Herr Böhme.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir besprechen nun ein Problem im sächsischen und im bundesdeutschen Bahnverkehr: die Barrierefreiheit. Barrierefreiheit ist nun einmal Voraussetzung zur unabhängigen Lebensführung und vor allem zur Teilhabe in allen Lebensbereichen. Dies möchte ich hier noch einmal deutlich sagen.
Diese Kernaussage der UN-Behindertenrechtskonvention gilt eben auch für alle Menschen mit langfristigen körperlichen, seelischen, kognitiven oder Sinnesbeeinträchtigungen, die durch verschiedenste Barrieren an der gesellschaftlichen Teilhabe gehindert werden. Der Vertragsstaat Deutschland hat das 2007 unterschrieben und steht damit in der Pflicht, geeignete Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit zu treffen.
Doch es ist nicht nur festzustellen, dass diese Barrierefreiheit im ÖPNV, speziell im Schienen-ÖPNV, dem SPNV, in vielen Fahrzeugen und Stationen noch nicht vorhanden ist. Nun herrscht bundesweit auch noch ein Streit darüber, wie diese Barrierefreiheit künftig zu erreichen ist. In diesem Streit geht es um wenige Zentimeter, ganz konkret um eine Bahnsteighöhe von 76 oder 55 Zentimetern.
Grundsätzlich sagt man – oder sagen wir in Sachsen –, dass die Bahnsteighöhe im Fernverkehr 76 Zentimeter betragen sollte, weil die schnellen, großen und schweren Züge oft höher sind. Im Nahverkehr wiederum sind 55 Zentimeter die bessere Höhe. Darauf haben wir uns in den letzten Jahrzehnten eingestellt, weil Fahrzeuge im Nahverkehr wiederum kompakter sind und deswegen keine so große Höhe brauchen. Daher wurden die Bahnhöfe in Sachsen in den letzten Jahren und Jahrzehnten entsprechend ausgebaut.
Nun möchte der Bund, möchte die Deutsche Bahn das System deutschlandweit vereinheitlichen, und zwar für alle Stationen und Bahnhöfe. Das klingt sinnvoll und ist grundsätzlich auch etwas Selbstverständliches, aber das ist eben nicht so einfach umsetzbar.
Bundesweit gibt es circa 9 200 Bahnsteige an Bahnhöfen und Haltepunkten im Schienenpersonennahverkehr.
Tatsächlich sind die meisten Bahnsteige in Deutschland auf eine Höhe von 76 Zentimeter ausgebaut. Diese mehr als 2 600 Bahnsteige sind vor allem in Westdeutschland zu finden. Letztendlich ist das auch der Grund, warum der Bund und auch die Bahn, die in ihren Entscheidungsgremien mehrheitlich westdeutsch geprägt sind, auf
Das Problem ist aber, wie gerade schon angesprochen: Zahlenmäßig direkt darauf folgt die nächste Kategorie, nämlich 2 300 Bahnsteige in Deutschland mit 55 Zentimetern – nur 300 weniger als in der ersten Kategorie. Wer jetzt richtig gerechnet hat wird feststellen, dass noch circa 4 300 Bahnsteige fehlen, nämlich jene, die weder 55 Zentimeter noch 76 Zentimeter hoch sind. Von daher ist es mitnichten richtig und schon gar nicht so einfach, wie sich die Deutsche Bahn und der Bund das vorstellen, nun alle Neubauten mit 76 Zentimetern einzufordern. Der
Dass dieses Ziel kontraproduktiv ist, zeigt sich zum Beispiel in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Kollegin Kathrin Kagelmann. Da ging es um die Neubaustrecke Hoyerswerda – Görlitz, die vor ein paar Tagen eröffnet worden ist. Früher gab es dort einmal einen Haltepunkt in Horka, der wegen der Umbaumaßnahme geschlossen wurde. Es gab einen Schienenersatzverkehr, was ja auch sinnvoll ist, solange gebaut wird, wenn anschließend die Züge schneller fahren.
Vor ein paar Tagen wurde die neue Strecke wieder eingeweiht, und es gibt eine schnellere Verbindung. Doch was es nicht gibt, ist ein Haltepunkt in Horka, denn der konnte nicht gebaut werden, weil man sich nicht auf die entsprechende Bahnsteighöhe einigen konnte. Zitat der Antwort auf die Kleine Anfrage: „Darin besteht noch Dissens mit der Deutschen Bahn Station&Service AG hinsichtlich der zukünftigen Bahnsteighöhe. Die DB Station&Service AG fordert auch hier unter Berufung auf das Bahnsteighöhenkonzept von 2017 eine Bahnsteighöhe von 76 Zentimetern. Dies lehnen wir von der Staatsregierung und auch der ZVON ab. Alle anderen Stationen dieser Strecke wurden in den letzten Jahren auf 55 Zentimeter Bahnsteighöhe ertüchtigt. Eine Erhöhung auf 76 Zentimeter stünde hier der Barrierefreiheit deutlich entgegen.“ So die Antwort der Staatsregierung.
Das ist auch vollkommen richtig. Denn da liegt auch das Problem. In Sachsen gibt es nämlich 653 Bahnsteige, und davon sind nur 26 auf einer Höhe von 76 Zentimetern ausgebaut, 305 wiederum auf einer Höhe von 55 Zentimetern und der Rest noch niedriger. Es ist also ein grundsätzlich richtiges Ziel, wenn der Bund jetzt eine einheitliche Höhe in Deutschland fordert. Das ist auch nachvollziehbar. Aber praktisch heißt das gerade für Länder wie Sachsen, dass fast alle Bahnsteige umgebaut werden müssten. Hinzu kommen noch die Fahrzeuge, die dann auch nicht mehr passen würden. Es würde also Milliarden kosten und ist nicht umsetzbar.
Aber anders herum klappt es auch nicht. Man kann auch nicht sagen, dass jetzt Westdeutschland oder NordrheinWestfalen zum Beispiel alle Bahnsteige umbauen müssten. Da hätte man nämlich das gleiche Problem, dort ist nämlich der überwiegende Teil bei 76 Zentimetern. Man sollte daher für den länderübergreifenden Verkehr, der mit schnellen und großen Zügen fährt, anstreben, dass dieser eben zukünftig nicht mehr auf den gleichen Strecken wie der Nahverkehr fährt. Das ist das eine Ziel, welches man anstreben sollte. In Frankreich ist das zum Beispiel auch der Fall. Das zweite Ziel, das man schon angestrebt hat und das man umsetzt, ist, dass Fernverkehr und Nahverkehr nicht mehr an derselben Bahnsteigkante halten, sondern es da eben unterschiedliche Höhen gibt, aber gleiche Standards in Deutschland, nämlich Fernverkehr 76 Zentimeter und Nahverkehr regional unterschiedlich, aber angestrebt bei 55 Zentimetern.
Darum muss es gehen, und es muss vor allem darum gehen, dass die Bahnsteige, die weder der einen noch der anderen Kategorie zuzurechnen sind, angepasst werden. Die große Masse der Bahnsteige ist noch gar nicht auf einen einheitlichen Standard ausgebaut. Da gilt es hinzuschauen. Deswegen ist es auch gut, wenn die GRÜNEN in ihrem Antrag fordern, ein Landesprogramm dafür aufzulegen. Das unterstützen wir. Wir unterstützen natürlich auch, dass der Freistaat Druck im Bund macht und dort diese Problematik anspricht, damit es zum Beispiel in Horka zu einer Lösung kommt.
Nun ist die Frage: Warum reden wir eigentlich darüber? Im zweiten Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslage von Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung ist zu lesen, dass es im Jahr 2016 bereits 12,8 Millionen Menschen mit einer Behinderung gab. Das sind 16 % der Bevölkerung, die anerkannt schwerbehindert sind, anerkannt behindert oder chronisch krank sind. So sind die Kategorien. Deswegen sprechen wir heute über die Höhe der Bahnsteige. Mit zunehmendem Alter steigt nun einmal der Bevölkerungsanteil der Menschen mit Beeinträchtigungen. Diese Betroffenenzahlen werden sich in den nächsten Jahre drastisch erhöhen. So wird der Anteil der Menschen im Alter von 65 Jahren und mehr von im Jahr 2017 mit etwa 22 % auf über 30 % im Jahr 2037 steigen. Das ist ein Problem, für das wir dringend eine Lösung brauchen. Deswegen kann man den Antrag letzten Endes nur unterstützen. Ich frage mich, warum Sie das nicht auch tun, Herr Nowak.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns sicher darin einig, dass die Herstellung von Barrierefreiheit eine wesentliche und gemeinsame öffentliche Aufgabe ist, die gerade im ÖPNV und SPNV, über den wir heute reden, eine wichtige Rolle spielt, um den Bedürfnissen von mobilitätseingeschränkten Menschen nachzukommen und ihnen eine Teilhabe am öffentlichen Personennahverkehr zu ermöglichen. Daran ist nichts zu rütteln. Daran arbeiten wir schon seit geraumer Zeit. Insoweit ist der Antrag der GRÜNEN erst einmal nicht verkehrt.
Zugegeben: Anspruch und Wirklichkeit bei der Barrierefreiheit an Bahnhöfen und Haltepunkten im Regionalverkehr fallen noch etwas auseinander. Selbstverständlich müssen wir an diesem Problem dranbleiben, im Dialog mit den Eisenbahnunternehmen, insbesondere mit der Deutschen Bahn, den Landkreisen und den Zweckverbänden den Ausbau voranbringen und uns beim Bund und der DB Station&Service AG dafür einsetzen.
Eine mögliche Umsetzung wurde bereits im Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission skizziert, in dem in
Abstimmung mit den Interessenvertretern der Behindertenverbände empfohlen wird, dass das Ziel einer vollständigen Barrierefreiheit bis 2022 zwar grundsätzlich anzustreben ist, eine schrittweise Umrüstung aufgrund planerischer, baulicher und finanzieller Aspekte bis 2030 aber auch noch im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes wäre. Des Weiteren ist auf einen Ausbaugrad zu setzen, der eine möglichst flächendeckende barrierefreie Erreichbarkeit sichert.