Protocol of the Session on September 27, 2018

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wenn Sie hier das Wort Ausstieg schreiben – und offenbar reicht es auch im Jahr 2018 noch nicht wirklich dazu, Kohleausstieg zu sagen, sondern es reicht nur zum verschämten Ausstieg –: Für Sie ist das natürlich wirklich ein längerer Prozess, denn er beginnt für Sie mit dem Ausstieg aus dem eigenen geistigen Ausstieg, Ihrem eigenen vor vielen Jahren vollzogenen geistigen Ausstieg aus der Verantwortung für die Zukunft dieser Kohleregionen.

(Dr. Stephan Meyer, CDU: Das ist gemein!)

Sie glaubten doch, diese Regionen seien irgendwie final versorgt, wenn Sie nur der Kohlewirtschaft dort den roten Teppich ausrollen. So hat sich die Staatsregierung dann in Bezug auf Perspektiven für die Kohlereviere zurückgelehnt, obwohl Sie natürlich mitbekommen haben, wie sich Klimaschutz und Dekarbonisierung Schritt für Schritt global zu dringendsten Problemen unserer Zeit entwickelt haben, denn Sie haben immer darauf gesetzt, dass diese Prozesse scheitern würden oder zumindest weiter verschleppt werden könnten. Sie haben darauf gesetzt, dass Paris scheitert. Sie haben darauf gesetzt, dass die nationale Umsetzung vielleicht noch scheitert. Sie haben darauf gesetzt, dass der Emissionshandel weiterhin nicht funktionieren würde, und Sie haben auch darauf gesetzt, dass ein zehnjähriger Prozess in der EU zur Festsetzung neuer Grenzwerte für Luftschadstoffe aus Großverbrennungsanlagen scheitert.

Weil das wider Erwarten nicht geschah, zieht jetzt der Freistaat Sachsen gerichtlich ins Feld, um im Interesse der Kohleaktionäre zu verhindern, dass die Menschen auch in Sachsen bestmöglich vor den gefährlichsten Emissionen der sächsischen Braunkohlekraftwerke wie Quecksilber, Feinstaub und Stickoxiden geschützt werden, und das ist wirklich übel.

Wer im Kohleausstieg bestimmen will, wohin die Reise geht, der muss vom Bremserhäuschen des letzten Waggons wirklich auf die Lok umsteigen. Leicht wird das nicht, denn der Zug fährt schon – aber es ist alternativlos. Es ist unser gemeinsamer Job hier als Landespolitik, Strukturwandel im Land der Ingenieure, der engagierten Problemlöser in Aufbruchstimmung zu verwandeln und alles geistige Potenzial, das heute noch bei der Suche nach Verhinderungsstrategien, Umgehungspfaden und klimapolitischen Taschenspielertricks gebunden ist,

endlich für die gemeinsame Suche nach Lösungen freizusetzen.

Wissen Sie, Herr Ministerpräsident, wenn ich in der Energiewirtschaft und Energiepolitik unterwegs bin – auch außerhalb Sachsens –, dann werde ich überall gefragt, ob „die da in Sachsen“ eigentlich von allen guten Geistern verlassen sind. Mit „die“ meinen die vor allem die sächsische CDU und ihre Regierung. Haben Sie eigentlich gemerkt, dass auf dem ostdeutschen Energieforum jeder – außer vielleicht Herr Rendez von der LEAG und Herr Eichholz von der MIBRAG – einfach nur fassungslos war, als Sie dort öffentlich erklärt haben, für die Elektromobilität in Sachsen habe Herr Rendez doch super Kraftwerke und damit könne man auch Elektroautos betanken?! Elektroautos mit Kohlestrom fänden Sie total klasse und das sei das Effizienteste, was es gibt. Viele haben auf die Pointe gewartet, ganz ehrlich, und auf die Auflösung einer Satireeinlage oder einer TrumpPersiflage – und sie warten bis heute.

Wie muss man denn das nennen, wenn jemand sich und seine Partei fortgesetzt und ohne Not an Themen und Aussagen knüpft, die ihm ganz offensichtlich bereits kurzfristig um die Ohren fliegen werden? Ich denke, Ihr

Vorgänger im Amt kann inzwischen aus vielen Studien, Analysen und Anhörungen in der Kommission zu den klimarelevanten und energiepolitischen Themen ein ganz guter Briefing-Partner sein. Ich bin ihm sehr, sehr dankbar für seine ausgewogene Rede und das macht Hoffnung für die Arbeit dieser Kommission. Denn so, wie Sie, Herr Ministerpräsident, bei diesen Themen in der Öffentlichkeit zum Teil unterwegs sind, kommt doch der Herr Kollege Urban abends gar nicht in den Schlaf vor lauter Freude über die unverdiente Wahlkampfhilfe in der Lausitz.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und ganz vereinzelt bei den LINKEN – Zuruf des Abg. Peter Wilhelm Patt, CDU)

Das war Herr Dr. Lippold für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN. Jetzt sind wir am Ende der ersten Aktuellen Debatte angekommen; sie ist abgeschlossen.

Wir kommen nun zu

Zweite Aktuelle Debatte

Seenotrettung ist kein Verbrechen – das andere Sachsen handelt!

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort; bitte Herr Kollege Günther.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Bitte versetzen Sie sich mal in folgende Situation: Stellen Sie sich einmal das Bild vor, Sie sind kurz davor, ein Boot zu betreten, das aufs Mittelmeer hinausfährt, und Sie können sich nicht sicher sein, ob dieses Boot auch irgendwo ankommt. Sie gehen also ein reales Lebensrisiko ein.

(Zuruf des Abg. Carsten Hütter, AfD)

Überlegen Sie, warum Sie das machen – sicher nicht aus Langeweile, sondern da muss einiges hinter Ihnen liegen – Bürgerkrieg, Sie kommen vielleicht aus einem Lager in Libyen, wo Mord, Totschlag oder Vergewaltigung Alltag sind, wo Menschen abgeschleppt und irgendwo in der Wüste ausgesetzt werden. Es muss einen guten Grund geben. Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihre Liebsten dabei – vielleicht Ihre eigenen Kinder –, und trotzdem gehen Sie auf so ein Boot drauf, von dem Sie nicht wissen, ob Sie diese Fahrt überleben werden. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind mit diesem Boot draußen auf dem Wasser und es passiert genau das, wovor Sie alle Angst haben: Dieses Boot geht unter und Sie schwimmen im Meer.

Jetzt gibt es Menschen, die kommen und Sie aufnehmen, die Seenotrettung betreiben. Versetzen Sie sich einmal in die Lage, wie Sie das finden, ob Sie das kritikwürdig finden, wenn die Leute Sie aus Ihrer Verzweiflung retten. Genau solche Menschen gibt es. 2016 haben sich hier in Sachsen Menschen zusammengefunden – hier in diesem Land –, den Verein Mission Lifeline gegründet, haben sich ein Boot, ein Schiff besorgt, um genau solche Menschen aus so einer Not zu retten.

(Zuruf des Abg. Carsten Hütter, AfD)

Als Allererstes sollte man diesen Menschen einmal Danke sagen, denn eigentlich ist auch so eine Rettung eine Aufgabe der EU. Das ist eine staatliche Aufgabe, das

müssten wir hinbekommen – wir bekommen es nicht hin, und diese Menschen machen das für uns, und deswegen Danke dafür!

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und des Abg. Albrecht Pallas, SPD)

Wir haben es im Sommer mitbekommen, als ihr Schiff nicht anlegen durfte in Europa, in Malta. Da hat es die Schlagzeilen des Sommers bestimmt, was Menschen aus Sachsen tun, um Menschenleben zu retten. In dieser Situation habe ich lange darauf gewartet, dass sich auch mal jemand aus der Staatsregierung dazu positioniert, sich vielleicht einmal öffentlich erkennbar dazu äußert. Das hat nicht stattgefunden, bis heute nicht, und ich finde, das ist ein Totalausfall bei diesem wichtigen Thema.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Ich will aber nicht nur das ansprechen. Wir haben dieses Thema zur Aktuellen Debatte erklärt „Seenotrettung ist kein Verbrechen – das andere Sachsen handelt!“, weil nicht nur keine Reaktion kommt, sondern weil von einigen Pseudoexperten von ganz weit rechts ein Haufen Unterstellungen und Vorwürfe kommen, um hier einmal die Falschbehauptungen zu debattieren und richtigzustellen. Die erste ist, Seenotretter würden sich der Schlepperei mitschuldig machen. Das ist totaler Unsinn, genau das Gegenteil ist der Fall.

(Zuruf der Abg. André Barth und Carsten Hütter, AfD)

Erstens, Menschen zu retten, die zu ertrinken drohen – das entspricht internationalem See- und Völkerrecht, und das ist eine Jedermannspflicht. Das hat nichts mit Schlepperei zu tun!

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und des Abg. Albrecht Pallas, SPD)

Im Übrigen – zu dem Vorwurf, dass sie diese Menschen nicht nach Nordafrika zurückbringen – ist es diesen Booten schlicht untersagt, das zu tun. Wenn die nämlich

Hoheitsgewässer nordafrikanischer Staaten befahren

würden, würden sie, erstens, teilweise mit Waffengewalt daran gehindert und zweitens ist es eine Straftat, worauf in diesen Ländern mehrere Jahre Haftstrafe stehen. Das ist verboten – Sie können nicht das Gegenteil behaupten!

Die zweite Falschbehauptung lautet, die Seenotretter würden für ihre Arbeit bezahlt werden. Das stimmt überhaupt nicht. Klar, sie bekommen Spenden. Aber einen Großteil dessen, womit sie es finanzieren, nehmen diese Menschen aus eigener Tasche. Sie nehmen sich Urlaub, sie können hier kein Geld verdienen. Sie finanzieren auch sämtliche Fahrten dorthin. Sie verdienen damit nichts.

Nun zu dem Vorwurf, sie würden die Menschen hier zu uns nach Europa bringen. Das wollen die Seenotretter gar nicht, nein, sie wollen die Menschen aufnehmen und retten. Eigentlich ist es eine staatliche Aufgabe, sie denen abzunehmen. Sämtliche Organisationen, auch Mission Lifeline, wurden von der EU verpflichtet, diesen Code of Conduct zu unterschreiben, der sie verpflichtet, selbst mit ihren Schiffen europäische Häfen anzufahren, nicht mehr wie früher, als es auch noch Missionen von der EU gab, die Menschen dort am Wasser aufgenommen haben. Das möchten sie gar nicht. Sie wollen gar nicht in diese europäischen Häfen einfahren. Auch das ist eine Tatsache.

(Zuruf von den LINKEN: Die müssen!)

Also, sie müssen das, aber wollen das nicht.

Die Redezeit ist zu Ende.

Das Nächste in der zweiten Runde.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf: Wir hören gern weitere Erklärungen!)

Das war Herr Kollege Günther. Er hat die zweite Aktuelle Debatte für seine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eröffnet. Als Nächstes spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Schiemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selbstverständlich sind weder Seenotrettung und Menschlichkeit kriminell, noch gibt es sonst etwas zu beanstanden. Seenotrettung und Menschlichkeit gehören seit Jahrhunderten zusammen; denn es ist die Pflicht eines jeden, der in einem Schiff sitzt, das tauglich ist, das Meer zu befahren, anderen Menschen, die ihr Boot verloren haben, zu helfen.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN und den GRÜNEN)

Dies ist jahrhundertelange Seemannstradition, und wir haben sie in unser Menschsein mit aufzunehmen. Jeder Schiffsführer hat die Pflicht, innerhalb seiner Möglichkeiten Menschen in Not zu helfen und sie zu retten, eine

Tradition, die uns als Menschen wahrnimmt, bei der Menschen auch Verantwortung übernehmen.

Wie ist die Situation im Mittelmeer? Waren es vor zehn Jahren noch eine kleinere Zahl oder wenige, aber seetüchtige Boote, die die Küsten von Afrika verließen und Europa erreichten, so hat sich das Bild leider in den letzten drei Jahren massiv gewandelt. Die Schlepper – das sind ja diejenigen, die die Menschen, die Flüchtlinge, auf die Boote pferchen und auf das Meer schicken – schicken die Flüchtlinge überwiegend mit untauglichen Booten los. Es ist unverantwortlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass Schlepper Menschen in Unwissenheit lassen, dass das ein großes Meer ist, das man eben nicht mit Schlauchbooten überqueren kann. Das ist unverantwortlich von diesen Schlepperorganisationen.

(Beifall bei der CDU)

„Niemand, der bei Verstand ist, würde auf so ein Gummiboot mit 110 Menschen an Bord steigen“,

(Juliane Nagel, DIE LINKE: Das zeigt, wie verzweifelt die Leute sind!)