Um diese Erfahrungen auch künftig auszubauen und weiterzuentwickeln, ist die Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg unverzichtbar; denn aus ihr erwachsen Vertrauen, eine gemeinsame Haltung und die Kraft, Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu finden. Sachsen unterstützt deshalb besonders die wissenschaftliche und wirtschaftliche Verflechtung in den EuroRegionen. So entstehen innovative Lösungen, Arbeitsplätze und Wohlstand auf beiden Seiten. Ein ganz konkretes Beispiel dafür, wie dies gelingen kann, ist das im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankerte Zentrum für digitale Innovationen in der Systemforschung an der deutsch-polnischen Grenze. Wir wollen, dass dieses hier in Sachsen entsteht.
Wenn ich von Infrastrukturprojekten wie beispielsweise der Planung der Eisenbahnneubaustrecke von Dresden nach Prag spreche, dann zeigt dies, dass wir die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn langfristig und strategisch aufstellen und in Zukunft noch weiter intensivieren wollen.
Um alle Formen der Zusammenarbeit mit Polen und Tschechien weit über die bekannten INTERREG-Projekte hinaus noch enger zu gestalten, werden wir die Verbindungsbüros in Breslau und Prag weiter stärken, damit sie ihre Rolle als Orte der Zusammenarbeit und Begegnung der Menschen noch besser wahrnehmen können.
Meine Damen und Herren! Die EU ist ein Projekt gelebter Solidarität. In der EU helfen die Starken den Schwachen. Auch wir bekommen bis heute viel Unterstützung aus Brüssel. Dafür sind wir alle außerordentlich dankbar. Dankbar bin ich auch den Abgeordneten, die in umsichtigen Entscheidungen die europäischen Mittel durch Landesmittel flankiert und die Gesamtmittel in klugen und zukunftsorientierten Programmplanungen veranschlagt haben. Sachsen ist dadurch wirtschaftlich stärker geworden, aber wir alle wissen, wir haben noch eine weite Wegstrecke vor uns. Deshalb werden wir darum kämpfen, dass auch im künftigen EU-Haushalt die Kohäsionsmittel
Noch immer besteht ein Nachholbedarf gerade im Hinblick auf die Wirtschaftskraft der westdeutschen Bundesländer. Sachsen verfügt nach wie vor nur über eine vergleichsweise kleinteilige Wirtschaftsstruktur. Die Innovationskraft und Exportorientierung der Unternehmen sind weiter ausbaufähig. Darüber hinaus stehen wir vor neuen Herausforderungen: Digitalisierung und Strukturwandel, gerade in den Braunkohleregionen, oder aber auch der demografische Wandel. Aus dem Grund wäre es fatal, wenn durch einen Einbruch bei den Mitteln der Strukturförderung der nun eingeleitete Aufholprozess zum Erliegen käme oder sogar bereits erzielte Erfolge infrage gestellt würden.
Das sächsische Kabinett hat diese Woche in Brüssel dazu getagt und in zahlreichen Gesprächen diese Punkte gegenüber der Kommission klargemacht. Wir müssen mit Weitblick in die Verhandlungen des mehrjährigen Finanzrahmens gehen, um auch künftig die gemeinsamen Potenziale heben zu können.
Meine Damen und Herren! Eines ist dabei klar: Nur wenn wir das entscheidende Quäntchen besser sind als unsere Wettbewerber, können wir uns zwischen den wettbewerbsfähigen Regionen Westdeutschlands und den Höchstfördergebieten Osteuropas behaupten und aus unserer Sandwich-Position herauswachsen. Hierfür setzt sich die Staatsregierung ein. Unser bisheriger Einsatz trägt erste Früchte. Der Vorschlag der Kommission für den mehrjährigen Finanzrahmen nach 2020 ist ein brauchbarer Ausgangspunkt für die anstehenden Verhandlungen und Verteilungsdiskussionen.
Die von der Kommission angestrebte klare Ausrichtung des EU-Haushalts auf den europäischen Mehrwert, auf Ergebnisse und Effizienz wurde von uns in der Vergangenheit gefordert und weiter unterstützt. Ich finde es grundsätzlich richtig, die EU angesichts der zahlreichen neuen Herausforderungen finanziell angemessen auszustatten. Eines ist aber wichtig: Mehrausgaben müssen immer auch einen Mehrwert haben. Gibt die EU etwa für die Sicherung der Außengrenzen mehr Geld aus, muss das einen Zusatznutzen gegenüber nationalen Ausgaben stiften.
Ausdrücklich begrüße ich die von der Kommission vorgesehene Anhebung der oberen Schwelle der sogenannten Übergangsregionen, zu denen in der aktuellen Förderperiode Chemnitz und Dresden gehören und die sich durch eine höhere Förderintensität auszeichnet als bei stärker entwickelten Regionen. Bisher endete die Förderung als Übergangsregion, wenn 90 % des EUdurchschnittlichen BIP pro Kopf erreicht waren. Künftig soll dies erst ab 100 % der Fall sein. Genau diese Regelung eröffnet uns die Chance, dass Dresden und Chemnitz hierdurch Übergangsregionen bleiben. Zugleich steigt aber die Gesamtzahl der Regionen, die in dieser Kategorie Fördergeld bekommen können. Noch andere Regionen
fallen dann in diese Kategorie hinein. Das heißt nach bisherigem Stand, es gibt pro Region weniger Geld.
Hinzu kommt, dass die Kommission finanzielle Einschnitte bei der Kohäsionspolitik plant. Deutschland droht dadurch ein überproportionaler Rückgang der Strukturfondsmittel. Das kritisieren die deutschen Europaminister und auch die Staatsregierung. In vielen Gesprächen in Brüssel in den letzten Tagen haben wir das alle gemeinsam noch einmal deutlich gemacht. Die Übergangs- und stärker entwickelten Regionen müssen einen größeren Anteil an den Kohäsionsmitteln bekommen. Hier sind Nachbesserungen erforderlich. Dabei zähle ich auch auf Ihre Unterstützung.
Ich habe dieses Thema in einem Gespräch mit Haushaltskommissar Günther Oettinger noch einmal ausdrücklich angesprochen, und er hat seine Unterstützung zugesagt. Er sieht das Problem sehr deutlich.
Kritisch sehe ich auch, dass die Kommission zusätzlich zu Mittelkürzungen eine massive Absenkung der EUKofinanzierungssätze vorschlägt. Natürlich sind wir in Sachsen stolz darauf, dass wir immer alle EU-Mittel abgenommen und kofinanziert haben. Wir können das, weil wir mit unseren Einnahmen vernünftig umgehen. Aber der höhere Landesanteil würde für alle ostdeutschen Länder und gerade für Sachsen, das in der Vergangenheit von günstigen Übergangsregelungen profitiert hat, massive Probleme verursachen.
Lassen Sie uns deshalb gemeinsam alles unternehmen, um die Absenkung der Kofinanzierungssätze und auch die Pauschalenkürzungen abzuwenden. Dafür habe ich am 22. Juni gemeinsam mit meinen Kollegen aus Brandenburg, Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen einen Antrag in den Bundesrat eingebracht, der im Juli beschlossen wurde. Darin haben wir gefordert, die Verhandlungen intensiv voranzutreiben und möglichst noch vor der Europawahl im Mai kommenden Jahres abzuschließen. Alles andere führt zu Problemen beim Übergang zwischen den Förderperioden und würde viele Projekte gefährden. Dennoch werden wir vorbereitet sein, sollte es erst später zu einer europäischen Beschlussfassung kommen.
Meine Damen und Herren! 28 Jahre nach der Wiedervereinigung und dem Beitritt zur EU sind viele Hoffnungen auf eine gute Entwicklung Wirklichkeit geworden. Vor uns liegen aber auch große Aufgaben. Die Erfahrung lehrt uns, dass unsere Chancen, diese Herausforderungen national wie global zu bewältigen, umso größer sind, je stärker wir an gemeinsamen europäischen Lösungen arbeiten und diese einbringen. Nach wie vor motiviert uns die Hoffnung, dass wir mit Europa eine starke, einflussreiche Rolle in der globalisierten Welt einnehmen. Mich leitet der Optimismus, dass wir Europäer uns immer wieder neu auf der Grundlage gemeinsamer europäischer Werte, gemeinsamer Interessen auf konkrete Politik und
konkrete Projekte verständigen. Achten wir alle miteinander darauf, dass sich Sachsen und seine Partner dabei weiter gut entwickeln.
Ich danke dem Herrn Staatsminister. Wir kommen zur Aussprache zur Fachregierungserklärung. Folgende Redezeiten für die Fraktionen wurden festgelegt: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 24 Minuten, SPD 16 Minuten, AfD 12 Minuten, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12 Minuten und fraktionslose Abgeordnete je 1,5 Minuten. Die Reihenfolge in der ersten Runde ist: DIE LINKE, CDU, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und danach Frau Dr. Petry. Das Wort ergreift zunächst für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Stange.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Staatsminister! „Ist der Zerfall des politischen Europas noch aufzuhalten? Seit 2005 und dem Scheitern einer europäischen Verfassung hat die Erosion immer beunruhigendere Ausmaße angenommen, und doch scheint dies die Funktionseliten nicht aus ihrer selbstsicheren Ruhe aufgerüttelt zu haben. Nichts, nicht die wiederholten Wahlpleiten, nicht die ökonomische Diskrepanz zwischen den Ländern der Eurozone, nicht die Rettungsaktionen der Steuerzahler für verantwortungslose Banker, nicht die Höllenfahrt Griechenlands, nicht das Unvermögen, eine gemeinsame Antwort auf die Migrationsströme zu finden, nicht der Brexit, nicht die Unfähigkeit, amerikanische Diktate unter Missachtung geschlossener Verträge abzuwehren, nicht der Anstieg der Armut, der Ungleichheiten, der Nationalismen und der Fremdenfeindlichkeit, nichts von all dem hat auf der Ebene der Europäischen Union eine breite Debatte über die Perspektiven der Demokratie in Europa eröffnet.“
Dieses Zitat stammt nicht von mir; so schrieben es 17 europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler renommierter europäischer Universitäten und Hochschulen in einem Gastbeitrag am 22. September 2018 unter dem Titel „Die EU muss neu gegründet werden“ für das Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Ihre Fachregierungserklärung, sehr geehrter Herr Staatsminister Schenk, erinnert in fataler Weise genau an diesen Befund, und so darf denn die Krise in ihrem Verlauf auch ohne jegliche Reflexion Ihrerseits fortfahren.
Die EU, besser die Kommission oder auch die Mitgliedsstaaten, verfallen gelegentlich als Begleitprogramm zu den Reden des Kommissionspräsidenten zur Lage der Union in einen gewissen Aktionismus, wobei auch gute und richtige Ideen das Licht der Welt erblicken dürfen. So sind die Reflexionspapiere im Zuge der WeißbuchDebatte unter der Überschrift „Nachdenken über die Zukunft der EU“ ein erster Schritt in die richtige Richtung, wenngleich darin nicht die tiefersitzenden Fragen
angerissen wurden. Die „Säule sozialer Rechte“ hätte dagegen ein echter Renner werden können. Schließlich werden darin brennende Fragen sozialer Gerechtigkeit und konkreter Armutsbekämpfung sowie des sozialen Ausgleichs in den Grenzen der EU angesprochen und sogar sehr konkret benannt. Aber die existenzbedrohende strukturelle Krise der EU wurde nicht aufgehoben. Die Strukturen und Arbeitsweisen der EU werden nicht wesentlich verändert. Die Situation hat sich trotz aller Bemühungen und Aktionen nicht verbessert, im Gegenteil. Es gibt Stimmen, die davon ausgehen, dass die gegenwärtige Situation nicht weniger, eher mehr bedrohlich ist als vor 2008. Woran liegt das?
Die eingangs zitierten Autorinnen und Autoren führen dazu in dem genannten Beitrag weiter aus – ich zitiere –: „Die Korrosion der Systeme von Solidarität, ob es sich um öffentliche Dienste und Infrastrukturen, um Arbeitsrecht oder um soziale Sicherheit handelt, ist paradoxerweise sowohl einer der sichtbarsten Effekte der Integration Europas als auch ein Hauptfaktor seiner Desintegration. Hierbei missachtet die EU ihre proklamierten Werte; denn das Prinzip der Solidarität, bezogen auf den Schutz der Umwelt, war die eigentliche Innovation der EUGrundrechtecharta von 2000/2009. Schon für die Neunzigerjahre hatten Autoren wie Josef Weiler oder Fritz Scharpf eine Asymmetrie in der europäischen Architektur nachgewiesen. Sie“ – die EU – „ist wohl fähig, im Namen ökonomischer Freiheiten nationale Solidaritäten zu beseitigen, zugleich aber unfähig, europäische Solidaritätsvorkehrungen zu errichten, die ihre politische Legitimität und sozialen Zusammenhalt sichern können. Dass Europa heute den unpersönlichen Kräften des Marktes den Vorrang einräumt, führt unvermeidlich dazu, Solidarität als Markthindernis einzuordnen, das es einzugrenzen oder ganz zu tilgen gilt.“
Wie nun positioniert sich die Sächsische Staatsregierung in dieser Situation? Kann man als Abgeordneter oder Bürger erwarten, dass sie Antworten findet und Schwerpunkte setzt, die zumindest auch auf die Bewältigung dieser existenziellen Probleme der EU gerichtet sind? Ich sage Ihnen: Ja, man kann, man muss das sogar von der Sächsischen Staatsregierung erwarten.
Hinsichtlich der europäischen Säule sozialer Rechte schreibt die Staatsregierung ernüchternderweise im 14. Halbjahresbericht zur Europapolitik – ich zitiere –: „Soweit sozialpolitisch relevante Strategien, konkrete Initiativen oder Rechtsakte in Umsetzung der ESSR vonseiten der Kommission bereits auf den Weg gebracht wurden, hat sich die Staatsregierung im Konsultationsverfahren gemeinsam mit Stellungnahmen im AdR und im Bundesrat positioniert. Dabei steht jeder sozialpolitische Rechtsakt unter dem gerade in der EU-Sozialpolitik geltenden Vorbehalt nationaler Verantwortung und Regelungskompetenzen. Jeder konkrete Beitrag zur Umsetzung der ESSR wird daraufhin beurteilt. Insbesondere bei den vorgeschlagenen Revisionen einschlägiger Richtlinien, einer Erneuerung verbindlicher Rechtsakte mit deutlich erweiterten Rahmenvorgaben und sozialen Mindest
Das heißt übersetzt, die Staatsregierung bewertet hier nicht etwa die Zusammenhalt stiftende Wirkung des innereuropäischen sozialen Ausgleichs; vielmehr geht sie deutlich auf Abstand zu dieser sozialpolitischen Säule der EU und stellt sie unter Abwehrkuratel mittels Subsidiaritätsprüfung.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus, so wie es Staatsminister Schenk vorgetragen hat, wie es in allen Berichten zur Europapolitik nachvollziehbar dokumentiert wurde, muss festgehalten werden, dass die konzeptionelle Perspektive der Staatsregierung auf ihre eigene europapolitische Ausrichtung in ihrer wesentlichen Begrenztheit auf Sachsen als nicht zeitgemäß dargestellt werden muss.
In der Pressemitteilung der Staatskanzlei zur Kabinettssitzung in Brüssel am Montag heißt es denn auch – ich zitiere –: „Die europapolitische Tätigkeit der Staatsregierung fokussiert sich weiterhin insbesondere auf Themen, die für Sachsen die größte Bedeutung haben. Außerdem sind es Themen, die nicht durch den Bund, die Länder insgesamt oder andere Mitgliedsstaaten bereits in ausreichendem Maße vertreten werden. Als dritter Aspekt kommt hinzu, dass bei diesen Themen auf europäischer Ebene die Möglichkeit besteht, sächsische Interessen wirksam zu platzieren, gegebenenfalls auch in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Regionen.“
Was hält die Fachregierungserklärung also dazu bereit? Sie erwähnen vollmundig die Highlights wirtschaftlicher Entwicklung, beispielsweise der Mikroelektronik oder der Autoindustrie. Aber diese brauchen für ihre expandierenden industriellen Produktionsweisen immer mehr Rohstoffe oder Energie. Wäre es nicht an der Zeit, darüber nachzudenken, wie wir stärker mit Recyclingquoten unser eigenes Rohstoffpotenzial heben, ohne auf die Ressourcen der sogenannten Dritten Welt zu setzen? Wirkliche Recyclingquoten kennt die sächsische Rohstoffstrategie aber nicht. Es ist an der Zeit, das zu ändern und nicht nur auf Kosten anderer Staaten und Weltregionen zu leben. Ich bin überzeugt davon, dass die nächste Forschungsperiode sich auf jeden Fall mit dem Thema Kreislaufwirtschaft befassen wird.
Das trifft auch auf die Investitionen in neue Mobilitäten zu. Sollte unsere Gesellschaft wirklich nicht auf andere Modelle setzen, als nur mit dem Auto mobil zu sein? Denken wir auch hier an den Rohstoffeinsatz, den Primärenergieverbrauch, den ständig steigenden nachfolgenden Bedarf an Infrastruktur; heute gibt es noch einen Antrag zu Rastplatzkapazitäten. Eine strategisch falsche Entscheidung zieht ja zumeist Folgewirkungen nach sich. Wie sieht es denn beispielsweise mit einer Strategie der Landnutzung beziehungsweise der Vermeidung von Flächenversiegelung beispielgebend in Sachsen aus? Nicht gut, will ich meinen. Vom selbstgesteckten 2-Hek
Meine Kollegin Dr. Pinka weilt in Orleans bei einem europäischen Projekttreffen, bei dem es eben genau darum geht, wie landwirtschaftliche Böden aufgrund von Klimaveränderungen, von Übernutzungen oder eben Versiegelungen oder auch Bergbau etc. verloren gehen. Von einer europäischen Strategie zur nachhaltigen Erhaltung von Böden sind wir ebenfalls meilenweit entfernt.
Das führt mich zum Thema der nachhaltigen Entwicklung Europas. Ist EU-Europa noch wenigstens halbwegs willig, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen fortzuschreiben, so sieht es in Sachsen, wenn ich mir den letzten Nachhaltigkeitsbericht zur sächsischen Nachhaltigkeitsstrategie anschaue, mit anspruchsvollen Maßstäben eher mäßig aus.
Dann sind wir wieder am Ausgangspunkt der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Innovation. Welche Ideen hat die Staatsregierung für die Zeit nach dem Auslaufen des Forschungspakts „Horizon 2020“? Wie wollen Sie sich in die Diskussion auf europäischer Ebene einbringen? Ich konnte Ihrer Regierungserklärung zum Thema Zusammenarbeit mit Nachbarländern gerade einmal einige halbherzige Sätze entnehmen. Zitat: „Sachsen unterstützt besonders die wissenschaftliche und wirtschaftliche Verflechtung in den Euroregionen nach Kräften. So entstehen innovative Lösungen, Arbeitsplätze und Wohlstand auf beiden Seiten.“ Sie führen als Beispiel lediglich ein in der Bundesregierung beabsichtigtes Projekt eines Zentrums für digitale Innovationen auf. Das kann nicht als großer Wurf innovativer sächsischer wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit Nachbarländern gelten.
Zum notwendigen Forschungsbedarf im 21. Jahrhundert in der Dimension Europas schweigen Sie sich gänzlich aus. Dadurch stehen wir vor großen Herausforderungen, die Sie offensichtlich nicht angehen wollen: wie die notwendigen Umsetzungen in Bezug auf das Pariser Klimaschutzabkommen, den Klimawandel und den Beitrag Sachsens in Forschung und Entwicklung. Wie Sie zu einer geänderten europäischen Energiepolitik forschungsseitig beitragen wollen, ist auch nicht erkennbar. Dem Untergang der Solarinnovation in Freiberg haben Sie jedenfalls tatenlos zugesehen. Nach mehr Geld rufen geht leider nicht, ohne sich mit Ideen einzubringen. Fangen Sie doch wenigstens mit einem Brainstorming in den eigenen Forschungseinrichtungen an.
Fazit zu den Ihnen wichtigen Themenfeldern, Herr Staatsminister: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie und die Staatsregierung zu glauben scheinen, eine gute Europapolitik für Sachsen bestünde darin, dafür zu sorgen, aus der EU genug Finanzmittel für die Wirtschaft – darin eingeschlossen Forschung und Entwicklung – herauszuholen. Es gibt da noch Erasmus und den kulturellen Austausch, aber auch hier geht es in der Regel um die Sicherung von Ressourcen für Projekte in diesen Bereichen.
Damit zeigt die Sächsische Staatsregierung, dass sie sich primär als Broker oder Makler für sächsische Wirtschaftsinteressen versteht. So auch Wirtschaftsminister Schenk einführend in seiner Fachregierungserklärung, ich zitiere: „Gerade die Ostdeutschen und Sachsen haben von der europäischen Einigung besonders profitiert. Insgesamt sind rund 20 Milliarden Euro an europäischen Geldern nach Sachsen geflossen, damit wir wirtschaftlich vorankommen und schneller wachsen können.“
Die EU wird aus sächsischer Sicht als eine Geschichte erfolgreicher Fördermittelpolitik verstanden. Meinen Sie, dass dies ausreicht, um EU-Europa fit für die Zukunft zu machen? Meinen Sie, dass dies ausreicht, um den Zusammenhalt – darum geht es heute – in der EU zu stärken und die Menschen und die EU wieder näher zueinander zu bringen? Ich kann daran nicht glauben.
Mit dem Aufzählen wirtschaftlich erfolgversprechender Projekte und Standortentwicklungen und noch so gut gemeinter Vorhaben werden nicht die wirklichen Fragen und das Bedürfnis der Menschen nach Bewältigung der schwerwiegenden Krisensituationen beantwortet. Die Schwäche dieser Perspektive auf die EU und hinsichtlich des Verständnisses über die eigene Rolle in EUAngelegenheiten ist der Mangel bzw. das völlige Fehlen ernsthafter Reflexionen zu folgenden Fragestellungen:
Erstens. Wie ist dem verbreiteten Misstrauen in großen Bevölkerungsteilen gegenüber der EU mit der Folge eines dumpfen Dranges nach einfachen Lösungen, wie er sich im Erstarken des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ausdrückt, zu begegnen? Zweitens. Wie müssen Sachsen und die Staatsregierung die eigene europapolitische Rolle in der Vergangenheit einschätzen, und kann das wirklich mit dem Grundton, im Grunde schon alles richtig gemacht zu haben, gelingen? Drittens. Wie und in welchen Feldern müssen wir über die Zukunft der EU nachdenken? Bislang kann ich kein Nachdenken, geschweige denn überzeugende Antworten zu oder mit neuen Ansätzen und wirklichen Veränderungen in der Europapolitik, also neuen Ideen und Vorschlägen, zur Zukunft der EU entdecken. Stattdessen steht diese Fachregierungserklärung für das „Weiter so“ und „More of the same“. Viertens. In der Folge gehen von dieser Regierungserklärung und auch von der Europapolitik der Staatsregierung keine Impulse für einen neuen Regierungsstil und eine initiale Motivation für die Menschen in Sachsen aus.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um die Herausforderungen für die Europäische Union zu erkennen, muss man weit über den Horizont des sächsischen Tellerrandes hinausblicken und die globalen und regionalen Zusammenhänge zentraler Entwicklungslinien in den Fokus nehmen. Gestatten Sie mir, zentrale Linien zu zeichnen, die von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der EU sein werden.
Zum Ersten sorgen sich die Menschen nicht nur in Sachsen um den Frieden und die Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Die EU und ihre Vorgängerorga
nisation – da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Staatsminister – sind in dem Bewusstsein entstanden, dass der Frieden in Europa nur gesichert werden kann, wenn an die Stelle nationalistischer Fremd- und Feindvorstellungen Kooperation und Verflechtung von Wirtschaften, Gesellschaften und staatlichen Strukturen treten. Deshalb bleibt die Europäische Union für das friedliche Zusammenleben der Menschen und der Mitgliedsstaaten eine historische Errungenschaft, zu der es keine sinnvolle und humanistische Alternative gibt und die unter keinen Umständen leichtfertig preisgegeben werden darf.
Kriege in unmittelbarer Nähe der Europäischen Union, die zunehmende Konfrontation zu Russland und die wirtschafts- und klimabedingten Folgen für große Menschengruppen in Afrika und im Nahen und Mittleren Osten rufen ernsthafte Besorgnis hervor.