Protocol of the Session on May 30, 2018

Den beiden die Bundesregierung tragenden Parteien, die auch hier in Sachsen die Regierung stellen, mag man dies aber nicht zubilligen. Im vorauseilenden Gehorsam und unter Missachtung einer klugen Verhandlungsführung haben sie in ihren Koalitionsvertrag hineingeschrieben – Zitat: „Wir sind zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit.“

Meine Damen und Herren, das ist ungefähr so, als könnte ich ein Haus für 300 000 Euro kaufen und erkläre dem Verkäufer vorab, ich sei zur Zahlung von 350 000 Euro bereit. Absurder geht es kaum noch, aber Herr Oettinger wird es zu schätzen wissen.

Meine Damen und Herren, der Antrag der Koalitionsfraktionen gliedert sich in einen Feststellungsteil und einen Aufforderungsteil. Der Feststellungsteil ist im typischen Altparteienstil verfasst. Nach kritischen Worten oder Gedanken zur EU sucht man vergebens. Stattdessen wird hervorgehoben, wie sehr Sachsen von der Kohäsionspolitik der EU profitiert habe. Allein in der laufenden Förderperiode erhalte Sachsen rund 2,8 Milliarden Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und dem Europäischen Sozialfonds. Das ist großartig, wer wollte das bestreiten? Indes zahlt Deutschland jährlich etwa 11 Milliarden Euro mehr in den EU-Topf ein, als es aus ihm herausbekommt.

(Jörg Vieweg, SPD: Das nennt man Solidarität!)

Hochgerechnet auf eine Förderperiode von sieben Jahren wären dies 77 Milliarden Euro, die Deutschland mehr an die EU bezahlt, als es von ihr ausgezahlt bekommt. Teile ich diese 77 Milliarden Euro gleichmäßig auf alle 16 Bundesländer auf, so ergibt sich für jedes Bundesland ein Betrag in Höhe von etwa 4,8 Milliarden Euro. Selbst bei einer gleichmäßigen Verteilung der Nettozahlungen Deutschlands auf alle 16 Bundesländer ohne Rücksicht auf deren wirtschaftlichen Entwicklungsstand hätte Sachsen also mehr Geld zur Verfügung, als es von der EU bekommt. Aus der Kohäsionspolitik lässt sich für Sachsen ein Mehrwert der EU jedenfalls nicht herleiten.

Von den Aufforderungen des Antrags können wir als AfDFraktion allenfalls den Berichtsteil mittragen, nicht aber den Rest. Zwar sind wir auch dafür, dass Sachsen nach 2020 aus der EU-Kohäsionspolitik so viele finanzielle Mittel wie möglich erhält – pecunia non olet, wussten schon die alten Römer, Geld stinkt nicht –, dass sich die Staatsregierung dafür einsetzen soll, der Bund möge sich für die Ausstattung der EU mit hinreichenden Mitteln starkmachen, können wir aber nicht mittragen.

Was sind hinreichende Mittel? Der Antrag bleibt in seiner Begründung eine Antwort schuldig. Er beschränkt sich darauf, der Kohäsionspolitik auch nach 2020 eine hervor

gehobene Rolle im Mehrjährigen Finanzrahmen sichern zu wollen. Wir können die Aufforderung nur dahin gehend interpretieren, dass der Bund die durch den Brexit entstandenen finanziellen Ausfälle doch bitte ausgleichen möge. Meine Damen und Herren, das lehnen wir als AfDFraktion entschieden ab.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch ein Wort zur aktuellen Entwicklung in der Eurozone. Am Sonntag ist in Italien die Regierungsbildung daran gescheitert, dass der Staatspräsident einen vorgeschlagenen Minister abgelehnt hat. Was hatte sich dieser ausgewiesene Wirtschaftsfachmann zuschulden kommen lassen? Nichts weiter, als dass er als letzte Möglichkeit zur Problemlösung ein Ausscheiden Italiens aus der Eurozone nicht ausschließt. Die Ungewissheit über die Position Italiens zum Euro, so Staatspräsident Mattarella zur Begründung, habe die Investoren und Sparer, die in italienische Staatstitel und Firmen investiert hatten, in Alarm versetzt. Der Anstieg der Zinsen auf italienische Staatstitel vergrößert das öffentliche Defizit.

Man muss sich fragen: Wo sind wir in der Eurozone eigentlich gelandet, wenn faktisch demokratisch zustande gekommene politische Mehrheiten nicht mehr über ihre Minister entscheiden dürfen, sondern die Akteure an den Finanzmärkten? Darüber sollten wir alle einmal nachdenken.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Erstens ging es um Italien und zweitens hat es der Präsident entschieden!)

Und so komme ich zum Ende noch einmal zu Herrn Oettinger. In einem Interview hat er gestern seine Erwartungen ausgedrückt, die Märkte würden den italienischen Wählern schon signalisieren, dass sie bei der kommenden Wahl nicht die von ihm –

Kollege Beger, darf ich Sie darauf hinweisen, dass es um den Mehrjährigen Finanzrahmen geht.

– so bezeichneten Populisten zu wählen hätten. Natürlich hat er damit in Italien einen Sturm der Entrüstung entfacht.

Ich bitte Sie, zum Thema zurückzukehren!

Kein Politiker der AfD würde sich eine solche Unverschämtheit gegenüber einer anderen Nation erlauben.

Aus den genannten Gründen wird die AfD-Fraktion mit aller Entschiedenheit diesen Antrag ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Es sprach Herr Kollege Beger für die AfD-Fraktion. Jetzt spricht für die Fraktion GRÜNE Frau Dr. Maicher.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über den europäischen Mehrjährigen Finanzrahmen und die Kohäsionspolitik. Das kann man machen, das sollte man machen, da die Kohäsionspolitik ein wichtiger Baustein für Sachsens Entwicklung in Europa ist.

Ich muss jedoch gleich im ersten Punkt des Antrags widersprechen. Kohäsionspolitik ist, zumindest aus meiner Sicht, nicht das allein entscheidende Instrumentarium, um den Zusammenhalt der Regionen zu unterstützen. Ich sehe da auch – und das ist hier bisher nicht zur Sprache gekommen – das gemeinsame europäische Wertefundament: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte. Das hält Europa bisher eng zusammen und das sollte uns bewusster sein, damit das auch so bleibt, auch wenn die Kohäsionspolitik die wirtschaftliche, soziale und territoriale Konvergenz in der EU unterstützt.

Aber: Die Kohäsionspolitik fördert nicht automatisch in allen europäischen Regionen Innovation, Wettbewerbsfähigkeit, Bildung und nachhaltiges Wachstum. Dafür muss sie neu gedacht und stärker als bisher an Nachhaltigkeitskriterien gekoppelt werden. Ausgaben sollten zukünftig darauf geprüft werden, wie klimafreundlich oder schädlich sie sind, welchen Beitrag sie zur Beschäftigung und zur sozialen Stabilisierung in den Regionen leisten.

Wir haben die gestrigen Vorschläge der Kommission zur Modernisierung der Kohäsionspolitik mit Interesse wahrgenommen, auch was die Prioritäten der Investitionsförderung angeht. Unterstützt werden soll zum Beispiel die CO2-arme Kreislaufwirtschaft im Interesse der Bekämpfung des Klimawandels gemäß den Klimazielen des Übereinkommens von Paris.

Auch die zweite Feststellung des Antrags ist aus meiner Sicht falsch. Kohäsionspolitik ist nicht „das wirkungsvollste Instrument, um bei den Bürgern direkt vor Ort den Mehrwert gemeinsamen europäischen Handelns sichtbar zu machen und zu vermitteln“, wie Sie schreiben. Sie beschränken sich hier, wie ich finde, wo Offenheit, neue Ideen, Beteiligungen auch jenseits der finanzpolitischen Fragen gefordert sind. Ich sehe auch die europapolitische Bildung als wichtiges Instrument an. Dafür könnte der Freistaat viel, viel mehr machen. Wichtig sind der europäische Austausch und die Betonung der Grundfreiheiten.

Die Absicht der Kommission, Erasmus+ und das Forschungsprogramm aufzustocken, ist richtig. Auch mehr jungen Sachsen soll ein Austausch innerhalb Europas ermöglicht werden. Davon profitiert Sachsen. Das ist Europa!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist zu kurz gedacht, wenn Sie den Sachsen Europa immer nur als etwas nahebringen, was Sachsen Geld einbringt. Sie schielen eben immer nur aufs Geld. Die Europäische Union ist aber mehr, und sie kann auch mehr.

Sachsen hat sich wirtschaftlich gut entwickelt, nicht zuletzt durch die vielen EU-Fördermittel. Das finde ich

auch gut. Aber nehmen Sie doch Ihre eigene landespolitische Verantwortung endlich ernst! Kümmern Sie sich um die Entwicklung der ländlichen Räume, die Sie in den letzten Jahren schamhaft im Stich gelassen haben! Sie haben sich immer nur auf die EU-Förderprogramme verlassen, und jetzt versuchen Sie verzweifelt, sich an den Erhalt der Programme zu klammern.

Wir GRÜNEN appellieren seit Jahren dahin gehend, dass Sachsen EU-geförderte Projekte nicht als Ersatz für Kernaufgaben des Freistaates nutzt, sondern dass der Mehrwert von EU-geförderten Maßnahmen deutlicher hervorgehoben wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen uns jetzt Gedanken darüber machen, wie wir mit den europäischen Fördergeldern intelligent und effektiv umgehen wollen. Dazu finden wir in dem Antrag leider gar nichts. Wo will Sachsen hin? Wie will es sich für die Zukunft wandeln? Darüber müssen wir reden.

Die Regierungen der Mitgliedstaaten müssen natürlich ihrer Verantwortung gerecht werden, nationale Egoismen hintanstellen und ihren Anteil zahlen. Deswegen freue ich mich über die Forderung, die Sie in Ihren Antrag geschrieben haben, „dass sich der Bund dafür stark macht, die EU mit hinreichenden Mitteln für ihre Aufgabenerfüllung auszustatten“. Dieser Forderung stimmen wir zu. Deutschland darf sich – aus eigenem Interesse! – da keinen schlanken Fuß machen.

Eine selbstbewusste Europäische Union darf zudem nicht nur von der Zahlungsmoral ihrer Mitglieder abhängig sein. Die Schaffung von Einnahmequellen wie eine EUDigitalsteuer für Digitalkonzerne, Steuern auf Plastik und eine CO2-Steuer sind aus unserer Sicht der richtige Ansatz. Wir GRÜNEN bekennen uns zu einer starken Europäischen Union. Wir wollen eine EU, die Zukunftsfragen löst, und ein Europa, in dem die Regionen ihre Verantwortung wahrnehmen und durch die EU gestärkt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das sehen auch die Europäer so. Laut aktuellem Eurobarometer denken über zwei Drittel der EU-Bürgerinnen und -Bürger und sogar 75 % der Deutschen, dass ihr Land von der EUMitgliedschaft profitiert. Das sind die höchsten Werte seit 1983. Das sind positive Signale der Menschen an die Europäische Union und auch an uns als Sächsischen Landtag.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns GRÜNE ist die EU kein rein ökonomisches Renditeprojekt. Uns geht es nicht nur darum, wie viel wir herausbekommen. Für uns stellt sich jetzt auch vielmehr die Frage: Wie und wofür sollen die EU-Fördermittel in Sachsen ab 2021 konkret eingesetzt werden? Zur Stärkung der Regionen und damit auch zur Stärkung der EU! Darüber sollten wir weiter reden.

Zu Ihrem Antrag werden wir uns der Stimme enthalten, da er aus unserer Sicht zu kurz und zu einseitig gedacht ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als nächster Rednerin erteile ich Frau Kollegin Dr. Petry das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die EUKohäsionspolitik als eine der wichtigsten Maßnahmen zu betrachten beschreibt das Problem recht deutlich. Frau Maicher, es kommt selten vor, aber ich stimme Ihnen in der Tat zu, dass diese nicht das wichtigste Instrument der europäischen Zusammenarbeit ist.

Sie haben es „Werte“ genannt. Lassen Sie es mich „gemeinsame kulturelle Grundlagen“ nennen, die uns zusammenbinden und die in der Tat durch Geld nicht ersetzt werden können. Zu dem Antrag der Regierungsfraktionen stellt sich die Frage, warum man nicht viel deutlicher die Probleme in der kommenden Finanzierungsperiode der EU benennt. Vielleicht haben Sie die Zahlen noch nicht vorliegen; das haben Sie ja schon erwähnt. Wir sollten hier darüber reden, dass bei einer erhöhten Beitragsleistung Deutschlands – die leider zu erwarten ist – die Mittelzuweisungen für Deutschland tatsächlich um geschätzte 21 % sinken werden.

Nun kann man in der Tat Solidarität grenzenlos propagieren; sie wird aber auf Dauer realistisch so nicht funktionieren. Deswegen hat Solidarität ohne Frage Grenzen. Wir begrüßen diese, glauben aber, dass die Umleitung vieler Fördermittel über die Europäische Union – über die Behörden in Brüssel und Straßburg – aus dem Geld nicht den effizientesten Einsatz herausholt, und plädieren deswegen dafür, die EU-Finanzierung grundsätzlich zu reformieren, das heißt, die Europäische Union deutlich zu verschlanken.

Ein Anfang wäre es in der Tat gewesen, wenn die neue Bundesregierung nicht ungefragt erklärt hätte, den deutschen EU-Beitrag erhöhen zu wollen. Dass das EUParlament in Straßburg in dieser Woche am Ende einer Erhöhung der Ausgaben zugestimmt hat? Nun ja, meine Damen und Herren, das ist nicht verwunderlich, weil am Ende die Nehmerländer in der Mehrheit und die Geberländer in der Minderheit waren. Das heißt noch lange nicht, dass diese Entscheidung richtig ist.

Meine Damen und Herren! Man sollte auch die Tatsache, dass ausgerechnet Kritiker der aktuellen europäischen Politik wie die italienische Regierung und die polnische Regierung zu denjenigen zählen, die am Ende möglicherweise mehr EU-Förderung erhalten. Da wird, wie schon so oft, mit EU-Mitteln, die am Ende Mittel der Geberländer, also Frankreichs, Deutschlands und Italiens, waren, Kritik ruhiggestellt. Das können wir nicht begrüßen.

Die Redezeit!

Deswegen erwarten wir von Ihnen, dass Sie sich für eine Neuordnung der europäischen Finanzen einsetzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den fraktionslosen Abgeordneten)

Mit Frau Dr. Petry sind wir am Ende der Rednerliste angekommen.