Protocol of the Session on February 1, 2018

Tagesordnungspunkt 7

30 Jahre nach der friedlichen Revolution:

SED-Unrechtsbereinigungsgesetze novellieren –

Soziale Lage ehemals politisch Verfolgter der SBZ/DDR verbessern

Drucksache 6/12077, Antrag der Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Es beginnt die CDU, danach folgen SPD, GRÜNE, DIE LINKE, AfD und die Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich erteile Herrn Abg. Modschiedler das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang Dezember 1989, knapp vier Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer, besetzten mutige Frauen und Männer die StasiBezirksverwaltungen in Erfurt, in Dresden und auch in Leipzig. Damit kam ein Prozess in Gang, der am

15. Januar 1990 auch in der Besetzung der Zentrale der Staatssicherheit in der Berliner Normannenstraße mündete.

Diesen mutigen Bürgern haben wir es zu verdanken, dass viele Stasiakten vor der Vernichtung gerettet wurden.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Wir können noch immer sehen, wie hektisch die Stasi damals die Akten schredderte. Nur durch das engagierte bürgerschaftliche Handeln war diese systematische

Aufarbeitung des SED-Unrechts überhaupt möglich. Sie dauert bis heute an und bleibt für uns eine wichtige Aufgabe. Das dürfen wir auch nicht vergessen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Genau deshalb diskutieren wir heute, 28 Jahre nach der Besetzung der Normannenstraße, über die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze. Politisch Verfolgte der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR haben auf dieser Grundlage die Möglichkeit, für erlittenes Unrecht rehabilitiert zu werden bzw. finanzielle Entschädigung zu erhalten. Die damals für eine begrenzte Gültigkeitsdauer festgelegten Gesetze zur SED-Unrechtsbereinigung und in diesem Zusammenhang auch zu einer Überprüfung einer früheren Stasitätigkeit drohen uns nun auszulaufen. Die Frist für die Antragstellung auf Rehabilitierung endet nämlich am 31.12.2019 – Ende nächsten Jahres. Zudem endet am 31.12.2019 auch noch die im Stasi-Unterlagen-Gesetz normierte Frist für die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zur Überprüfung der im Gesetz genannten Personen. Die Aufarbeitung von Unrecht darf aber kein Verfallsdatum haben.

Der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Herr Roland Jahn, hat das sehr treffend so formuliert: „Erst durch die jahrzehntelange Arbeit der verschiedenen Aufarbeitungsinstitutionen und auch der Opferverbände, der Landesbeauftragten und des Bundesbeauftragten für Stasiunterlagen konnte das ganze Ausmaß der systematischen und auch staatlichen Benachteiligung und Verfolgung in der SED-Diktatur aufgedeckt werden.“

Der Prozess, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch lange nicht abgeschlossen. Für die Betroffenen ist es oft schwer, einen Nachweis über die persönliche Verfolgung, die entstandenen Nachteile und die damit verbundenen Rehabilitations- und Entschädigungsansprüche zu führen. Viele haben überhaupt – und das ist nachvollziehbar – erst nach vielen Jahren den Mut und die Kraft gefunden, sich mit ihren dramatischen Erlebnissen auseinanderzusetzen.

Die Stasi hat Menschen und Biografien zerbrochen. Viele ehemals politisch Verfolgte hat sie in heute noch wirtschaftlich schwierige Situationen und sozial prekäre Lagen gebracht, die bisher nur ungenügend aufgearbeitet und unterstützt wurden. Etwa 200 000 Menschen saßen in der DDR aus politischen Gründen in Haft. Sie waren der Überwachung und Einschüchterung ohnmächtig ausgeliefert. Zahllose Biografien von Oppositionellen und ehemaligen Häftlingen sind durch staatliches Unrecht gezeichnet.

Nicht zu vergessen sind auch die Kinder, die von ihren Eltern getrennt und in DDR-Kinderheime oder sogenannte Jugendwerkhöfe eingesperrt wurden. Zur Stärkung der Rechte von Heimkindern der ehemaligen DDR hat die Sächsische Staatsregierung bereits Ende 2017 eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat eingebracht. Der Ministerpräsident hat in seiner gestrigen Regierungserklärung seine Unterstützung der Initiative nochmals bekräftigt.

Der heute zur Debatte stehende Antrag schließt als gemeinsamer Antrag der CDU-Fraktion mit dem Koalitionspartner SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN direkt dort an.

Wir begrüßen die von der Staatsregierung mitinitiierte Bundesratsinitiative. Wir werden die Sächsische Staatsregierung bei ihrem Einsatz für die Rechte der SED-Opfer nach Kräften unterstützen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen weiter die Rechte derer, die durch das SED-Regime verfolgt oder benachteiligt wurden, wahren und verbessern. Das tun wir seit der friedlichen Revolution. Das machen wir heute mit diesem Antrag. Ich denke, das werden wir auch gemeinsam in Zukunft tun. Mit diesem fraktionsübergreifenden Antrag gewährleisten wir auch weiterhin genau diese Arbeit.

So weit die CDU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Für die SPD spricht Frau Abg. Kliese.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Juli 1994 trat des Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz in Kraft. Nicht jeder im Raum wird wissen, was genau dieses Unrechtsbereinigungsgesetz beinhaltet. Es setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen, dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und dem beruflichen Rehabilitierungsgesetz.

Seit dem Inkrafttreten wurden – um einmal ein Gefühl für Zahlen zu bekommen – bis 2002 – ab da gibt es leider keine bundeseinheitliche Datenerhebung mehr –

35 763 Anträge allein auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung gestellt.

Welche Bereiche betrifft die berufliche Rehabilitierung? Das betrifft beispielsweise Menschen, denen aus politischen oder religiösen Gründen verwehrt worden ist zu studieren oder die ihr Studium aus politischen Gründen abbrechen mussten, oder Menschen, die in ihrem Betrieb zu Hilfsarbeiten degradiert worden sind, weil sie politisch eine andere Meinung hatten.

Die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung betrifft zum Beispiel Fälle von Grundstücksenteignungen, rechtswidrigen Polizeieinsätzen oder Eingriffen in das Vermögen. Eingriffe in das Vermögen gab es beispielsweise, wenn politisch Inhaftierte freigekauft und aus der DDR entlassen worden sind und diese dabei ihr komplettes Vermögen eingebüßt haben. Das wurde unrechtmäßig eingezogen.

Nun könnte man meinen, dass seit 1994 sehr viel Zeit war, um entsprechende Anträge zu stellen. Für manche Menschen ist es aber mit der Aufarbeitung nicht so einfach. Jeder Mensch verarbeitet Leid und Depression anders, manche offensiv fordernd, manche eher ängstlich zurückhaltend. Deswegen ist unser Antrag heute wichtig.

Ich möchte Ihnen die Relevanz an drei Beispielen verdeutlichen.

Im Dezember letzten Jahres sprach mich nach einer lebhaften Diskussion mit einer Schülergruppe ein Junge an. Sein Vater habe im Kaßberg-Gefängnis, der größten Stasi-U-Haftanstalt der DDR, zu DDR-Zeiten als politischer Häftling eingesessen. Ich fragte den Jungen dann, ob sein Vater nicht vielleicht Lust hätte, sich für unseren Verein zu engagieren und als Zeitzeuge Führungen zu machen. Da sagte der Junge: „Nein, das wird nicht möglich sein; denn mein Vater hat gesagt, er will diesen Ort nie wieder betreten.“ Ein solches Beispiel zeigt, wie schwer sich manche Zeitzeugen, manche Opfer noch heute mit der Auseinandersetzung tun und dass sie die Zeit brauchen.

Ein weiteres Beispiel aus dem Umfeld der Jugendwerkhöfe: Im Jahr 2010 startete eine Betroffenengruppe vom Jugendwerkhof Torgau erstmals einen Aufruf über ihre Homepage, dass sich Opfer sexualisierter Gewalt aus Jugendwerkhöfen melden sollten. Das Thema sexualisierte Gewalt in Jugendwerkhöfen war auch vor 2010 hin und wieder aktuell. Hier ging es aber eher um sexualisierte Gewalt innerhalb des Betroffenenkreises und weniger als gezielte Autoritätsausübung von Führungspersonen in diesen Anstalten, die besonders schwerwiegende Folgen hatten. Auf diesen Aufruf hin meldeten sich zahlreiche Menschen, unter anderem, so ist es nachzulesen, ein 56 Jahre alter Mann, der über Jahre hinweg im Jugendwerkhof missbraucht worden ist und noch nie in seinem Leben, nicht mit seiner Frau und nicht mit seiner Familie, über den an ihm verübten sexuellen Missbrauch gesprochen hat.

Eine weitere Opfergruppe ist die Gruppe der Dopingopfer. Hier gibt es eine Einmalzahlung aus dem Dopingopferhilfefonds, die man in Anspruch nehmen kann. In schwerwiegenden Fällen ist es auch möglich, eine Rente über das Unrechtsbereinigungsgesetz zu beziehen.

Im Bereich der Dopingopfer gibt es noch sehr viele Dunkelstellen. Nicht selten stellen die Betroffenen erst viele Jahre später einen Zusammenhang zwischen heutigen gesundheitlichen Beschwerden und ihrer Sportlerbiografie her. Dabei ist bereits durch mehrere Studien erwiesen, dass diese Gruppen von Menschen besonders anfällig für Depressionen, Essstörungen und sogar Krebserkrankungen sind.

Frau Meiwald ist heute nicht hier. Ich antizipiere einmal ihren Einwand, der sonst immer kommt: dass es nämlich die Dopingopfer auch im Westen gab. Das ist richtig. Auch hierzu haben wir Studien. Die DDR war das erste Land, das ein staatsgesteuertes Doping hatte. Doping fand systematisch und zentral statt. Im Westen fand Doping ebenfalls statt, teilweise mit Wissen oder auch auf Wunsch des Innenministeriums, allerdings eher systemisch und föderal – was die Sache allerdings nicht besser macht.

Wenn man heute mit Opfergruppen spricht, also mit DDR-Dopingopfern, dann kommt von ihnen immer

explizit der Wunsch – deshalb kann ich allen ein solches Gespräch nur empfehlen –, man möge dem Problem Doping entgegenwirken; denn es ist ein grundsätzliches Problem, von dem wir auch heute im Sport noch nicht befreit sind. Aber in unserer heutigen Debatte geht es eben speziell um jene, die zu DDR-Zeiten Dopingopfer geworden sind.

Für all diese Menschengruppen, die ich aufgezählt habe, ist es wichtig, dass das Gesetz entfristet wird. Jeder muss selbst entscheiden können, wann für ihn der richtige Zeitpunkt für die Aufarbeitung gekommen ist. Diese Freiheit geben wir den Opfern damit, und ich danke sehr herzlich meinem Kollegen Herrn Modschiedler von der CDU für die Kooperation und Frau Meier von den GRÜNEN für ihren steten Nachdruck.

Es gibt auch Dinge – das ist bei Rehabilitationsfragen immer ein Problem –, die wir nicht mit irgendwelchen Entschädigungsleistungen aufwiegen können. Das ist das grundsätzliche Dilemma aller Rehabilitationsleistungen, die es gibt. Dazu möchte ich ein Zitat eines ehemaligen politischen Häftlings bringen, der einmal sagte: „Was man nicht rehabilitieren kann, ist der Verlust von Menschenwürde.“ Gerade weil das so ist, ist es unsere Pflicht, dieser Gruppe das, was machbar ist – auf der einen Seite materielle Leistungen, auf der anderen Seite aber auch Respekt und Anerkennung –, zu geben.

(Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Die Fraktion GRÜNE; Frau Meier, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf Initiative aller ostdeutschen Bundesländer wird der Bundesrat bereits morgen beraten und hoffentlich auch entscheiden, ob es nicht angezeigt ist, die derzeit geltenden Ausschlussfristen für das Stellen von Anträgen auf Rehabilitierungsleistungen in allen drei SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen gänzlich zu streichen.

Diesem Bundesratsentschließungsantrag sind Beschlüsse aus den ostdeutschen Landtagen vorausgegangen, die wir BÜNDNISGRÜNEN – das gehört zur Ehrlichkeit dazu – in allen Landtagen vorangetrieben haben. Ich bin dankbar, dass wir heute in der Lage sind, den entsprechenden Antrag zu beschließen – einerseits die Entfristung der Gesetze, andererseits eine Besserstellung der Verfolgten in der DDR –; denn nach der derzeitigen Rechtslage – das haben wir bereits gehört – ist es ab 2020 bzw. teilweise ab 2021 nicht mehr möglich, solche Anträge zu stellen, ganz egal, aus welchen Gründen die Opfergruppen dies bisher noch nicht getan haben.

Die Fristen wurden in den 1990er-Jahren aufgrund von Zukunftsprognosen und um des Rechtsfriedens willen festgelegt. Jedoch haben sich die Prognosen nicht verwirklicht, und auch heute noch stellen Opfer des DDRUnrechts Anträge auf Rehabilitierung. Es wird sicher noch Jahrzehnte dauern, bis sich die Menschen erstmals

damit auseinandersetzen und ihre Anträge stellen. Ich denke, der Zeitpunkt, einen Schlussstrich zu ziehen, ist noch lange nicht gekommen.

Die Opfer müssen dann genauso entschädigt werden wie die Personen, denen dies bereits früher gelungen ist. Aber auch wenn der Bundesrat morgen diese Möglichkeit für die Zukunft eröffnet, gibt es bei der Rehabilitation von Verfolgungsopfern noch einige weitere Baustellen und Lücken, deshalb ist unser Antrag auch nicht obsolet. Denn damit fordern wir einerseits die Staatsregierung auf, sich im Bundesrat und gegenüber der Bundesregierung auch für die inhaltliche Verbesserung in den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen und damit auch für eine soziale Stärkung der Unrechtsopfer starkzumachen.

Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz – das ist das, welches Frau Kliese noch nicht genannt hatte – sieht für bedürftige und anerkannte Haftopfer eine monatliche Unterstützungsleistung in Höhe von 300 Euro vor. Solch eine monatliche Leistung, die gegebenenfalls der entscheidende Baustein zur Existenzsicherung im Alter ist, wollen wir eben auch für Personen, die auf andere Art und Weise Opfer von SED-Unrecht waren und nach den anderen SED-Unrechtsbereinigungsbesetzen ausgleichsberechtigt sind. So erhalten, wie Frau Kliese sagte, viele der beruflich Rehabilitierten in vielen Fällen unzureichende Rentenausgleichsleistungen. Dadurch bestehen Zugangshürden und nur in wenigen Fällen entsprechende Ausgleichsleistungen.

Es hat sich gezeigt, dass von den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen bisher auch andere, weitere politisch Verfolgtengruppen nicht hinreichend erfasst sind. So hat Lutz Rathenow in seinen Tätigkeitsberichten auch immer wieder auf die verfolgten Schülerinnen und Schüler hingewiesen, die bespitzelt und verfolgt wurden. Viele von ihnen konnten eine bestimmte Schullaufbahn nicht einschlagen, und der staatliche Eingriff in die Schul- und Berufsausbildung hat sie oftmals gerade deshalb so nachhaltig getroffen, weil er in einer Lebensphase stattfand, in der sie noch keine stabile Persönlichkeit besaßen. Viele sind deshalb durch niedrige Renten und psychische Folgeschäden starken existenziellen Verunsicherungen ausgesetzt.

Ich denke, wir sollten heute ein gemeinsames Signal aussenden, nachdem dies alle anderen ostdeutschen Landtage bisher ebenfalls getan haben, ein Signal an den Bund, was einerseits die Entfristung und andererseits eine Besserstellung der Opfer betrifft; denn – ich denke, das ist wichtig – wir sollten auch die Lebensleistung der bisher ungenügend unterstützten Verfolgtengruppen anerkennen. Dies sollten wir auch tun, um ihnen ein würdiges Altern zu ermöglichen. Deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn Sie alle diesen Antrag unterstützen, damit ein geschlossenes Signal aus dem Sächsischen Landtag hinausgeht. Das würde ich mir für diese Debatte sehr wünschen.