Protocol of the Session on January 31, 2018

Wenn Sachsen Vorreiter der ökologischen Modernisierung wird, dann ist das doch der beste Garant dafür, dass zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen.

Wir GRÜNEN haben mit Unternehmen und Wissenschaft einen Plan für die Lausitz erarbeitet. Ein Vorschlag in diesem Plan ist die Entwicklung eines Post-MiningKompetenzzentrums; denn es gibt in der Lausitz einen riesigen Erfahrungsschatz mit den langwierigen Folgeproblemen der Braunkohle. Da das fossile Zeitalter unaufhaltbar zu Ende geht, wird weltweit auch die Zahl der Kunden wachsen, die auf der Suche nach Know-how für Bergbaufolgenbewältigung und Energiewende sind. Das kann die Basis für qualifizierte Arbeitsplätze werden. Das schafft exzellente Gründungs- und Wachstumsbedingungen.

Meine Damen und Herren, ich habe es bei der großen Demonstration der IG Metall in Görlitz erlebt. Dort kämpft eine ganze Region um zukunftsfähige Arbeitsplätze. Das Selbstbewusstsein, der Ingenieurgeist, die Innovationskraft sind doch da. Die Lausitz hat das Potenzial, Zukunftsregion zu werden. Unterstützen Sie dieses Potenzial, anstatt die Region in eine fossile Sackgasse zu schieben, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein Foto neben einem E-Golf ist auch noch kein Plan zum Umbau der Autoindustrie. Gerade die Beschäftigten im Zulieferbereich haben große Ängste. Das Festklammern an fossilen Technologien führt nur dazu, dass die Fahrzeuge der Zukunft woanders gefertigt werden. Ein Bekenntnis zur Elektromobilität reicht dabei nicht. Das Ziel von einer Million Elektroautos bis zum Jahr 2020 wird doch in Größenordnungen verfehlt.

Herr Kretschmer, Sie nehmen doch immer gern Einfluss in Berlin. Kämpfen Sie bitte dafür, dass der Bund den Umbau dieser für Sachsen enorm wichtigen Branche auch entschlossen unterstützt, damit Chemnitz und Zwickau, die gesamte Automobilregion Sachsens, nicht zuschauen muss, wie uns andere Länder abhängen.

Auch die üblichen Bekenntnisse zum ÖPNV reichen nicht, um zukunftsfähige Mobilität zu ermöglichen. Betreffs Sachsenticket, Bildungsticket, PlusBusse – darüber wollen Sie wieder nur sprechen –,

(Staatsminister Martin Dulig: Nein, umsetzen!)

während für den Straßenbau Hunderte Millionen vorhanden sind. Ein älteres Ehepaar aus Annaberg hat mir mit Sorge von immer mehr betagten Menschen berichtet, die nicht Auto fahren wollen, aber müssen, da sie sonst keine Chance haben, selbstbestimmt durch den Alltag zu kommen. Diese Menschen brauchen funktionierende, attraktive, barrierefreie Mobilitätssysteme, vernetzt sowie umweltfreundlich, Systeme, die auch abseits der Ballungsräume gute Mobilität garantieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Dulig, wie solche Systeme funktionieren, haben wir GRÜNEN seit Jahren vorgelegt. Sie versprechen, dass alle Menschen in Sachsen auch ohne eigenes Auto mobil sein können. Das dürfen aber nicht länger Sprechblasen bleiben. Wie oft haben Sie eigentlich schon das Bildungsticket versprochen oder neue Radwege? Lieber Martin Dulig, es geht doch nicht darum, Ankündigungsweltmeister zu werden, sondern darum, die Weichen in Richtung Zukunft zu stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die sächsische Koalition ist insgesamt sehr kreativ dabei, wenn es darum geht, Ankündigungen zu verpacken und zu verkaufen: unzählige Prüfaufträge im Koalitionsvertrag, Maßnahmenpakete, Absichtserklärungen, 100-TageProgramm, ein Masterplan Ländlicher Raum. Immer wieder gibt es etwas zu berichten. Immer wieder können Sie ein Handeln ankündigen. Immer wieder können wir belegen, dass es allzu oft leere Ankündigungen bleiben. Hier und da im Land wieder kräftig Geld zu verteilen, das freut die Empfänger, löst aber die zentralen Probleme nicht. Dabei kommen Sie offenbar gemeinsam im Moment nicht weiter.

Auf eine Zukunftsherausforderung gehen Sie so gut wie gar nicht ein. Aktuell werden mit hoher Geschwindigkeit ganze Ökosysteme instabil, Systeme, die letztendlich uns Menschen am Leben erhalten.

Erst im Oktober wurden alarmierende Zahlen zum Insektensterben bekannt. Sie müssen doch heute darauf eine Antwort geben. Oder sind Sie angesichts des Verlustes von zwei Dritteln der Insektenmasse seit 1990 ernsthaft der Meinung, dass das Sachsen nicht betrifft und es keinen unmittelbaren Handlungsbedarf gibt oder dass alles so weitergehen kann, auch in der Landwirtschaft? Ein Plan für Sachsen, meine Damen und Herren, muss

doch die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser stoppen und schädliche Gifte von Umwelt und Menschen fernhalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt müssen Lösungen für eine gesunde Landwirtschaft gemeinsam mit den Landwirten erarbeitet werden. In Deutschland zeigen über 500 000 Bauern, dass es ohne Glyphosat geht, auch in Sachsen. Das ist moderne Landwirtschaft. Das ist Zukunft. Ein Regierungsprogramm muss doch in die Zukunft führen. Es muss den dramatischen Rückgang der Artenvielfalt nicht nur verlangsamen, sondern beenden. Es geht ja nicht nur um Bienen, Nachtfalter oder Singvögel, sondern es geht um unsere elementaren Lebensgrundlagen als Menschen. Sie dürfen nicht weitere Jahre abwarten, denn dann werden die Entwicklungen unumkehrbar.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die sehenden Auges herbeigeführte Lehrerkrise dominiert die politische Debatte wie keine andere große Herausforderung im Bildungsbereich. Die Inklusion, die Digitalisierung werden dadurch ein ganzes Stück in den Hintergrund gedrängt. In dieser sich seit Jahren zuspitzenden Situation wurde das Kultusministeramt regelrecht zum Schleudersitz. Die Mindestverweildauer ist inzwischen auf acht Wochen geschrumpft. Es steht aber fest, dass diese Lehrerkrise nur durch ressortübergreifendes gemeinsames Handeln überwunden

werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir GRÜNE sind bereit, an der Lösung dieser dramatischen Situation konstruktiv mitzuwirken. Unsere Vorschläge zum Abbau von Ungerechtigkeiten und einer insgesamt besseren tariflichen Bezahlung liegen vor. Aber die Blockade in der Koalition können wir nicht lösen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihre ganzen Prüfabsichten zur Verbesserung der Lehrkräftegewinnung ändern nichts daran, dass Sie sich jetzt einigen müssen. Auch eine Absichtserklärung zur Stärkung frühkindlicher Bildung ist noch kein Plan, der trägt. Inzwischen droht die überfällige Verbesserung der Betreuung am Mangel an Erzieherinnen und Erzieher zu scheitern. Bessere Kitas – das war die erste Forderung, die Martin Dulig im Jahr 2014 in Stein gemeißelt hat. Heute ist Sachsen immer noch Schusslicht beim Betreuungsschlüssel.

Aber was hören wir von Ihnen zur Kita-Finanzierung? Verschoben in die FAG-Verhandlungen. Was hören wir zur Qualität in der frühkindlichen Bildung? Verschoben in einen Fragebogen. Was ist mit den Vor- und Nachbereitungszeiten? Ich frage Sie als stellvertretenden Ministerpräsidenten: Werden Sie die dringend notwendigen Veränderungen jetzt auch durchsetzen oder wollen Sie als ewiger Steigbügelhalter der CDU in die Geschichte eingehen?

(Beifall bei den GRÜNEN – Heiterkeit bei der AfD)

Ein Plan für Sachsen braucht funktionierende Lösungen für gute Bildung und Chancengerechtigkeit von Anfang an. Dringend notwendig ist auch ein Aufbruch der politischen Bildung, nicht nur bei der Landeszentrale. Unterstützen Sie die demokratische Bildungsarbeit, auch die unbequeme, auch die, die nicht auf CDU-Linie ist.

Herr Kretschmer, Sie waren Generalsekretär der Sächsischen Union, als diese Polizei und Justiz in einen wirklich dramatischen Personalnotstand geführt hat. Die Folgen dieses Notstands hat die Leipziger Polizei gerade aktuell analysiert. Wenn kein Beamter mehr im öffentlichen Raum zu sehen ist, wenn es zu lange dauert, bis Einsatzkräfte vor Ort sind, wenn Versammlungen nicht mehr ausreichend abgesichert werden können, dann entsteht eine Verunsicherung in der Bevölkerung. Diese Verunsicherung versuchen Sie jetzt als Vorwand zu nutzen für Forderungen nach Verschärfungen im neuen Polizeigesetz, nach Ausweitungen der Video- und Telekommunikationsüberwachung. Das ist doch verantwortungslos.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist nicht die Ausweitung von Überwachungstechnologien, die sicheres Leben gewährleistet, sondern eine personell gut ausgestattete und gut ausgebildete Polizei, die vor Ort präsent ist und ihre Aufgaben vollumfänglich erfüllen kann. Es ist auch keine Lösung, den Einsatz der Wachpolizei zu verlängern.

Meine Damen und Herren, ein Plan für Sachsen muss doch beschreiben, wie Polizei und Sicherheitsorgane wieder in die Lage versetzt werden, vor Kriminalität und Angriffen auch die Menschenwürde zu schützen. Dies darf nicht mit dem Abbau von Bürgerrechten und Freiheiten erkauft werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die steigende Zahl Pflegebedürftiger zählt zu den größten Herausforderungen. Es werden – wie wir diese Woche lesen konnten – bereits Aufnahmestopps in sächsischen Pflegeheimen verhängt. Ja, Versorgung und Teilhabe hilfsbedürftiger Menschen vor Ort zu verbessern, das ist richtig. Es reicht aber nicht, mit regionalen Pflegebudgets kurzfristig Löcher zu stopfen. Wohnungen, Quartiere, die gesamte Infrastruktur müssen auf den steigenden Pflegebedarf vorbereitet werden.

Eine Woche der pflegenden Angehörigen – wie Sie es beschrieben haben – ist ja gut gemeint. Es muss aber noch viel mehr geschehen. Pflegesensible Unternehmenskultur, Pflegezeit, ähnlich wie beim Elterngeld, professionelle Begleitung der Pflegenden. All das sind Herausforderungen, die stehen. Auch ein Pflegedialog ist ja gut gemeint, Herr Kretschmer. Aber es müssen dringend Arbeitsbedingungen und Bezahlung der Pflegeberufe verbessert werden, da sonst niemand mehr einen solchen Beruf wählt.

Ein Plan für Sachsen, meine Damen und Herren, muss die Gesundheits- und Sozialberufe insgesamt stärken. Was nützen technologischer Fortschritt und materieller Wohlstand, wenn letztendlich Würde und Menschlichkeit auf der Strecke bleiben?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sehr geehrter Herr Kretschmer! Sie wollen den Zusammenhalt festigen. Ich weiß nicht, wie oft Sie die bedrohlich klingende Warnung der AfD wiederholt und verstärkt haben, dass durch den Familiennachzug aus einer Million Flüchtlinge schnell zwei oder drei Millionen werden können. Glauben Sie ernsthaft, dass diese Bedrohungs- und Abgrenzungsrhetorik geeignet ist, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern? Ich weiß nicht. In Sachsen gibt es ja einige, die sich ständig darüber beschweren, in die rechte Ecke gestellt zu werden, nachdem sie sich selbst dorthin gestellt haben. Diesen Leuten springen Sie aber gern zur Seite und bestärken diese auch noch in ihrem Gefühl, Opfer angeblicher Meinungsdiktate zu sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Richtig schockiert war ich allerdings, als der Bürgermeister von Arzberg Ihnen im MDR erklärte, dass Sie der erste Sachse als Ministerpräsident seien. Die ersten beiden seien ja Wessis gewesen und der dritte ein Sorbe.

(Heiterkeit bei der AfD)

Dabei haben Sie geschwiegen. Das lässt mich zweifeln. Wollen Sie überhaupt klare Haltung zeigen? Stattdessen bedanken Sie sich später indirekt bei der Pegida, weil diese Fremdenfeinde Ihrer Meinung nach wichtige Fragen aufgeworfen hätten, die eine Chance zur Veränderung bergen würden.

Aber es ist doch nicht die Aufgabe eines Ministerpräsidenten, rechte Aufwallungen als Modernisierungsprogramm für Sachsen zu begreifen, meine Damen und Herren. Sie sind der Ministerpräsident aller Menschen, die hier leben, nicht nur der CDU-Anhänger oder der AfD-Wähler, die Sie möglicherweise wieder mit der CDU versöhnen wollen.

(Zuruf des Abg. André Barth, AfD)

Wer den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken will, stellt Integration und Teilhabe in den Mittelpunkt, nicht nur die Leistungsgerechtigkeit. Er fördert den Zusammenhalt von Familien und kämpft nicht gegen ihre Zusammenführung. Er stärkt alle, die sich einbringen und ein weltoffenes Sachsen gestalten wollen, die Demokratie leben und unser Land bei der Integration, bei der Bildung und den großen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen voranbringen wollen. Er hat vor allem das respektvolle Miteinander aller in Sachsen lebenden Menschen unter Wahrung ihrer eigenen Identität zum Ziel.

Meine Damen und Herren, ich will in einem weltoffenen, toleranten und demokratischen Land leben. Herr

Kretschmer, Sie sicherlich auch. Zeigen Sie dies bitte deutlich mit Ihrer Haltung als Ministerpräsident!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Jetzt sprechen die fraktionslosen Abgeordneten. Frau Dr. Petry beginnt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Regierungserklärung von zwei Amtsinhabern, wobei man sich fragt, wer nun Nummer 1 oder Nummer 2 ist, ist einzigartig. Herzlichen Glückwunsch dazu! Ob dieser neue Stil gut für Sachsen ist, das werden wir jedoch erst sehen. Im Dezember haben Sie erklärt, dass es Ihnen wichtig sei, Probleme aktiv anzugehen, und Sie haben dies in einer gemeinsamen Erklärung niedergelegt. Wow, herzlichen Glückwunsch!