Protocol of the Session on November 16, 2017

Herr Wehner, was in Sachsen – zumindest aus der Sicht der Staatsregierung – nicht funktionieren soll, machen andere Bundesländer jedoch vor, zum Beispiel Hamburg: Dort soll es ab dem 1. August 2018 eine Regelung geben, nach der Beamtinnen und Beamten, so sie es wünschen, statt der individuellen Beihilfe der halbe Beitrag zu einer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung gezahlt wird. Dazu sagt die Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks – ich zitiere –: „Es ist weder zeitgemäß, sozial gerecht noch verfassungsrechtlich geboten, dass die Krankheitskosten von Beamtinnen und Beamten ausschließlich über Beihilfe oder die private Versicherung abgedeckt werden. Wir schaffen mit diesem Angebot echte Wahlfreiheit im öffentlichen Dienst und den Zugang von Beamtinnen und Beamten in die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung.“ – Recht hat die Senatorin! Dies wäre ein erster Schritt, der zeigt, dass es geht.

Die Vorsorge für Erkrankungen, die notwendigen Behandlungen müssen natürlich jeder und jedem ohne Ansehen seiner ökonomischen und sozialen Situation zuteilwerden. Das bedeutet eben eine solidarische Krankenversicherung. Wir alle wollen die erforderlichen Leistungen für jede und jeden auf der einen Seite, Beiträge aber nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf der anderen Seite. Wir können den Menschen mit einem solidarisch organisierten Krankenversicherungssystem zwar nicht das Lebensrisiko von Erkrankungen nehmen, aber wir können dafür sorgen, dass die bestmögliche Behandlung von Erkrankungen unabhängig vom ökonomischen oder sozialen Status erfolgen kann.

Stimmen Sie deshalb bitte unserem Antrag zu!

(Beifall bei den LINKEN)

Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Dies scheint nicht der Fall zu sein. Frau Staatsministerin, Sie dürfen wieder nach vorn kommen. Das ist heute der „Gesundheitstag“.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Thematik der Bürgerversicherung bzw. der Krankenversicherungspflicht für Beamte und Selbstständige ist kein neues Thema und hat zuletzt durch die Entscheidung in Hamburg zur Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für Beamte und zur Einführung einer wahlweisen Pauschalbeihilfe wieder Aktualität erlangt. Die Sächsische Staatsregierung steht zum System der dualen Krankenversicherung. Ich möchte auf einige Ausführungen kurz näher eingehen.

Erstens. Die duale Krankenversicherung mit ihren Säulen GKV und PKV ist eines der tragenden Elemente des deutschen Gesundheitswesens. Das Nebeneinander der beiden Systeme sichert die Qualität und die Innovations- und Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems. Dass der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung heute einen solchen Stand hat, ist nicht zuletzt auch der Tatsache geschuldet, dass er sich stets mit der privaten Krankenversicherung messen muss.

Zweitens. Für den Freistaat Sachsen würde die von Ihnen geforderte Krankenversicherungspflicht zu deutlich

höheren Ausgaben führen, da wir relativ wenige Pensionäre und niedrige Beihilfeausgaben pro Kopf haben. Diese Berechnung ist nicht von der Staatsregierung, sondern diese Berechnung bezieht sich auf das im Antrag genannte und bei der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegebene Gutachten. Ich möchte von Seite 52 zitieren, dort steht: „Schließlich bleibt eine Gruppe von Ländern – hier Sachsen –, die sowohl kurzfristig als auch langfristig durch die Einbeziehung ihrer Beamten in die GKV per Saldo belastet werden. In den Fällen von Sachsen ist dies auf die Kombination aus niedrigem Niveau der Beihilfeausgaben und geringen Pensionärsanteilen zurückzuführen.“

Das heißt unter dem Strich: Aus der gesetzlichen Krankenversicherung für Beamte würde sich weder für den Beamten noch für das Land Sachsen ein Vorteil ergeben. Was für die Länder Nordrhein-Westfalen, Bayern und Rheinland-Pfalz vielleicht sinnvoll ist, muss für ostdeutsche Bundesländer nicht von Vorteil sein.

Außerdem sollten wir uns die Ergebnisse der Studie genauer ansehen. Die kommunizierten Ergebnisse und Milliarden an Einsparungen beruhen auf der Fiktion, dass sämtliche Beamte und Richter und deren Angehörige schlagartig in die gesetzliche Krankenversicherung überführt werden. Das halte ich für unrealistisch. Auch in dieser eingangs angeführten Studie wurden verfassungsrechtliche und beamtenrechtliche Bedenken nicht betrachtet, aber diese Bedenken sind definitiv in den Blick zu nehmen.

Drittens. Neben der Versorgungsrücklage wurde im Jahr 2005 im Freistaat Sachsen auf freiwilliger Basis der Generationenfonds gegründet und in den Folgejahren schrittweise erweitert. Mit der Einrichtung des Generationenfonds haben wir eine solide finanzielle Vorsorge zur Finanzierung der Beamtenpensionen und der Beihilfe für die Versorgungsempfänger und deren Angehörige getroffen.

Aus all den genannten Gründen sieht die Sächsische Staatsregierung daher keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich rufe das Schlusswort auf. Frau Schaper, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schluss mit der Rosinenpickerei der privaten Krankenversicherungen! Wir wollen eine Kasse für alle! Das spart nicht nur Verwaltungskosten. Im ersten Schritt sollen Beamte, Selbstständige und Freiberufler in die gesetzliche Krankenkasse eintreten. Dafür soll die Sächsische Staatsregierung nicht mehr tun als auf Bundesebene, also sie soll im Bundesrat aktiv werden. Die Bertelsmann Stiftung gibt uns Rückenwind.

(Zuruf der Abg. Ines Springer, CDU)

Sie sagt, dass 90 % der Beamtinnen und Beamten problemlos in die gesetzliche Krankenversicherung eintreten können. Dadurch sparen die öffentlichen Haushalte entgegen dieser Schimären, die von Bund und Ländern dargeboten wurden, Milliarden Euro, weil sie keine Beihilfen mehr einzahlen müssen. Krankenversicherte Beamtinnen und Beamte müssen weniger Beiträge bezahlen, und auch alle gesetzlich Versicherten können mit Beitragssenkungen rechnen, wenn mehr Geld im Topf ist.

(Frank Kupfer, CDU, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich.

Ich will es nur verstehen. Wenn wir annehmen, dass die Ausgaben für die Gesundheit die gleichen bleiben und jeder einspart, dann passt das doch aber nicht zusammen. Sie sagen, die Beiträge für die Privaten sinken, und die Beiträge für die Normalversicherten werden geringer. Aber die Aufgaben bleiben doch die gleichen. Das passt doch nicht zusammen.

Wieso passt das nicht zusammen? Die Beihilfen werden eingespart, es kommt mehr Geld in den Topf, weil mehr Menschen in eine Versicherung einzahlen: Mehr Menschen zahlen ein, das bedeutet: mehr Geld.

(Beifall bei den LINKEN – Ines Springer, CDU: Und mehr Krankheiten!)

Nicht mehr Krankheiten! – Die Rechnung ist ganz einfach. Ich hoffe, ich konnte es ausreichend beantworten.

(Zuruf des Abg. Frank Kupfer, CDU)

Wir wollen eine bessere Gesundheitsversorgung und auch -vorsorge. Das geht nur mit einer solidarischen Krankenversicherung, in die alle entsprechend ihrem Einkommen einzahlen: die Gesunden, die chronisch Kranken – alle in eine Kasse, das ist Solidarität.

Herr Zschocke hat recht. Man könnte auf Landesebene bestimmte Dinge tun. So weit wollten wir gar nicht im ersten Schritt gehen. Wir wollten klein anfangen und bitten um eine breite Unterstützung.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Ich stelle nun die Drucksache 6/8129 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Keine Stimmenthaltungen, eine ganze Anzahl von Stimmen dafür. Dennoch ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt worden.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 9

Erstellung einer Dunkelfeldstudie zur

Kriminalitätsbelastung im Freistaat Sachsen

Drucksache 6/10642, Antrag der Fraktion AfD, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die Fraktionen können Stellung nehmen. Es beginnt die einreichende Fraktion, Herr Abg. Wippel. Danach folgen CDU, DIE LINKE, SPD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht.

Herr Wippel, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Die AfD-Fraktion beantragt die Erstellung einer Dunkelfeldstudie zur Kriminalität im Freistaat Sachsen.

Wozu brauchen wir so eine Studie? Wir brauchen sie zur Erkennung der uns verborgenen, aber tatsächlich stattfindenden Kriminalität in diesem Land. Wer braucht so etwas? Ich sage Ihnen: Wir als Landtag brauchen das, weil wir regelmäßig darüber sprechen, wie viele Polizisten wir in diesem Land brauchen. Wir haben schon mehrfach darüber debattiert. Wir sind dafür zuständig, der Polizei bei den Haushaltsverhandlungen – hier im Stellenplan – die entsprechenden Stellen einzuräumen, damit sie in Zukunft auch besetzt werden können und damit die Polizei ihrer Aufgabe nachkommen kann.

Wir haben ein Gewaltmonopol. Dieses Gewaltmonopol hat zwei Bedingungen: Auf der einen Seite verzichtet der Bürger auf Selbstjustiz, auf der anderen Seite ist der Staat, der dem Bürger verspricht, für Sicherheit zu sorgen. Wenn wir beide Seiten miteinander vergleichen, stellen wir fest, dass es ein Ungleichgewicht geben würde, sozusagen eine

falsche Bewertung, wenn wir allein auf die subjektive Sicherheit, also die gefühlte Sicherheit, der Bürgerinnen und Bürger abstellen würden. Die Abmachung heißt aber: Sicherheit. Damit ist auch die objektive Sicherheit gemeint.

Die Aufgabe des Staates ist es, dafür zu sorgen, dass die tatsächlich stattfindende Kriminalität zurückgedrängt wird. Dafür müssen wir aber wissen, wie hoch die tatsächliche Kriminalität ist. Es gab an der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg einen Professor, der hieß Karlhans Liebl, der im Jahr 2010 das Buch „Viktimisierung, Kriminalitätsfurcht und Anzeigeverhalten im Freistaat Sachsen“ veröffentlicht hat.

Daraus möchte ich Ihnen ein paar Zahlen vortragen, damit wir eine ungefähre Vorstellung bekommen, wie es denn mit der tatsächlichen Kriminalität im Freistaat Sachsen im Jahr 2010 ausgesehen hat. Ich nenne zuerst die Zahl der Straftaten in Sachsen, die in der PKS auftaucht, und als Nächstes die Dunkelziffer. Ich beschränke mich dafür auf die Delikte, die ein sehr hohes Dunkelfeld haben. Es gibt natürlich auch Delikte, die ein sehr geringes Dunkelfeld haben.

Ich beginne mit der Bedrohung: 4 261 Straftaten waren angezeigt worden, nach Hochrechnung dürften in Sachsen allerdings circa 29 800 tatsächliche Bedrohungen stattgefunden haben. Wir haben hier einen Faktor 7. Körperver

letzung – schwere nennt er es; allerdings muss man dazusagen, hier ist die schwere und gefährliche Körperverletzung zusammengefasst: angezeigt 4 225 Delikte, wahrscheinlich tatsächlich stattgefunden haben dürften 16 500 – also Faktor 3,5.

Beleidigung: 9 467 angezeigte Beleidigungen. Dagegen stehen 530 100 hochgerechnete wirkliche Beleidigungen, die stattgefunden haben – Faktor 55.

Betrug: 52 367 Anzeigen wegen Betrugs hat es in dem Jahr gegeben. Wahrscheinlich wirklich stattgefunden haben 471 300 Betrugsfälle. Um einmal die Zahl gegenüberzustellen: Das ist mehr als die Gesamtanzahl von Straftaten, die in der PKS im tatsächlichen Hellfeld aufgeführt werden – Faktor 9,0.

Unterschlagung: 4 416 Fälle angezeigt und wahrscheinlich stattgefunden haben 247 000 – auch hier der Faktor 55.

Diese Studie hatte eine verhältnismäßig kleine Stichprobe: Nur 5 000 Bürger sind über Fragebögen angeschrieben worden.