Protocol of the Session on January 28, 2015

Meine Damen und Herren! Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 12

Stärkung direkter Demokratie durch Einführung

von Volksentscheiden auf Bundesebene

Drucksache 6/734, Antrag der Fraktion AfD

Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: AfD, CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht.

Wir beginnen mit der Aussprache. Für die Fraktion AfD Herr Abg. Barth; Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die meisten Politikwissenschaftler sind sich einig: Die Ursache für die niedrige Wahlbeteiligung liegt in der Gewissheit des Wahlvolkes, dass man sowieso nichts daran ändern kann, was „die da oben“ machen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Einige Wähler bleiben deshalb zu Hause, weil sie mit den politischen Verhältnissen durchaus zufrieden sind.

Meine Damen und Herren, ein Grund, warum in den letzten Jahren die Zahl von Bürgerinitiativen im ganzen Land deutlich gestiegen ist, liegt darin, dass die Bürger zwar politisch sehr interessiert sind; viele aber bezüglich der üblichen Wahlmodalitäten bereits resigniert haben.

Es ist daher unsere Aufgabe, meine Damen und Herren, Möglichkeiten zu schaffen, damit die Bürger an bedeutsamen Entscheidungen unmittelbar mitwirken können.

Nach herrschender Auffassung der Politik- und Sozialwissenschaften sind Elemente der direkten Demokratie eine sinnvolle Ergänzung der deutschen Legislative und damit ein wirksamer unmittelbarer demokratischer Weg. Wie in allen Bundesländern gibt es auch in Sachsen die Möglichkeit von Volksabstimmungen, auch wenn es hieran durchaus Kritikpunkte gibt, über die wir später noch sprechen werden müssen.

Die meisten Gesetze in Deutschland, welche die Länder betreffen, werden allerdings durch den Bundestag erlassen. Unser Grundgesetz sieht – außer im Falle einer Länderneuregulierung – keine Volksabstimmungen vor. Hier besteht aus unserer Sicht unbedingter Handlungsbedarf.

Meine Damen und Herren, der Landtagspräsident Dr. Rößler bittet in seinem Internetauftritt die Bürger darum – O-Ton –, „der Politik richtig einzuheizen“. Lassen Sie uns den Bürgern dazu auch die richtigen demokratischen Mittel in die Hand geben, damit sich politischer Frust in der Zukunft nicht allein auf der Straße, sondern auch in konstruktiven Diskussionen mit anschließenden Abstimmungen entlädt.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die CDU-Fraktion Herr Abg. Modschiedler. Bitte, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, Herr Wehner! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den vorliegenden Antrag das erste Mal las, stellte sich die Frage, was die AfD denn eigentlich will. Was sollen wir als Souverän des Freistaates Sachsen beim Bund erreichen und wie soll das geschehen? Ich habe gedacht, es kommt noch mehr – es kam aber nicht. Ich habe immer noch das Gefühl, Sie wollen die repräsentative Demokratie ablösen. Das wäre für mich ein starkes Stück, ganz ehrlich. Wir wählen und entsenden die Volksvertreter in den Bund, in die Länder und die Kommunen – in zeitlichen Intervallen von vier bzw. fünf Jahren; wir fünf Jahre, der Bund vier Jahre. Meiner Ansicht nach ist eine geordnete Politik nur unter dieser rechtlichen Konstellation möglich. Glücklicherweise ist das auch verfassungsrechtlich eindeutig geregelt. Das wird so bleiben.

Wir sind neben einer repräsentativen Demokratie auch ein föderales Bundesland in der Bundesrepublik Deutschland – neben 15 anderen Bundesländern. Subsidiarität ist unser Prinzip, also: von unten nach oben, Kommune – Land – Bund.

Der Antrag der AfD-Fraktion zielt genau in die entgegengesetzte Richtung. Wir sollen demnach der Bundesregierung oder dem Bundesparlament etwas vorschreiben – so jedenfalls der Antrag. Wir würden uns also in Bundesrecht einmischen. Klar, man kann über Artikel 29 des Grundgesetzes gern mitdiskutieren. Aber sollten wir nicht eher im Rahmen unserer Sächsischen Verfassung – Artikel 70 ff. – aktiv sein bzw. noch aktiver werden?

CDU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag für noch mehr Bürgernähe auf einzelnen Gebieten ausgesprochen.

(Zuruf der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE)

Das ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben, Frau Jähnigen.

Das tun wir, obwohl wir uns in den Artikeln 70 ff. der Sächsischen Verfassung bereits eine sehr moderne und bürgernahe Regelung der Bürgerbeteiligung gegeben haben, und das bereits 1990. Im Vergleich mit anderen Bundesländern lag Sachsen in Sachen Volksanträge und Bürgerbegehren beim „Volksentscheids-Ranking 2013“ auf Platz 8. Gutes Mittelfeld!

Auf kommunaler Ebene ist Sachsen in vielerlei Hinsicht wirklich direktdemokratisch – das Wort finde ich sehr kryptisch –, auf jeden Fall mehr als in anderen Bundes

ländern. Wir haben auf kommunaler Ebene nur wenige Themen von der Bürgerbeteiligung ausgeschlossen. In anderen Bundesländern ist das sehr viel restriktiver.

Das sind die Themen, mit denen wir uns als Sachsen befassen müssen. Die Koalition tut dies auch.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem Antrag deutet die AfD an, dass wir ohne die Einbindung des Bundes nur wenige Gestaltungsmöglichkeiten hätten; das haben Sie gerade noch einmal breit vorgetragen. Das ist schlichtweg falsch. Allein durch die Föderalismusreform sind neue Regelungsgebiete in die Länderhoheit gefallen: Beispiel Strafvollzug – haben wir in der letzten Legislatur durchdekliniert. Beispiel Beamtenrecht – haben wir in der letzten Legislatur auch geregelt. Weitere Beispiele sind der Katastrophenschutz und die Bildungspolitik. All diese Themen sind mittlerweile voll in Landeshoheit. Dies ist nämlich die Antwort der damals eingesetzten Kommission gewesen – genau, weil die Kritik der Kommunen und der Länder an der eingeschränkten Selbstständigkeit immer größer geworden war bzw. der Bund sich immer breiter gemacht hatte. Damals hätten Sie recht gehabt. Aber das hat sich geändert. Die Zustimmungsgesetze sind stark eingeschränkt worden. Der Bund hat nicht mehr überall mitzureden.

Gleiches gilt in erheblichem Maße für die konkurrierende Gesetzgebung. Dieses Problem wurde im Rahmen der Föderalismusreform – wie oben ausgeführt – zugunsten der Länder gelöst. Es ist eben nicht mehr so, dass allein der Bund die Rahmenbedingungen der Gesetze gestaltet und die Länder diese mit eigenen Gesetzen lediglich ergänzen können. Das ist anders geworden. Mithin hat die Koalition auf Bundesebene in ihrem Vertrag formuliert, auch die Bürgerbeteiligung zu überarbeiten. Warum also müssen wir als überzeugter Part der repräsentativen föderalistischen Demokratie in Deutschland uns genau da einzumischen versuchen, wo wir uns umgekehrt von der Bundesregierung bzw. dem Bundestag reingeredet bzw. eingeengt fühlen? Das kann nicht sein. Der Bund soll seine Arbeit auf Bundesebene machen; das hat er sich auch vorgenommen. Kümmern wir uns weiter um unsere Bürgerbeteiligung auf Landesebene! Das haben wir uns vorgenommen. Die Voraussetzungen in Sachsen – Artikel 70 ff. der Verfassung – könnten besser nicht sein. Einzig: Sie müssen auch umgesetzt werden. Das soll so geschehen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und des Staatsministers Sebastian Gemkow)

Herr Abg. Richter für die Fraktion DIE LINKE. Sie haben das Wort, Herr Richter.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich teile die Einschätzung meines Vorredners und muss sagen: Vor uns liegt ein Antrag, der eigentlich über Slogans auf Ihren

Wahlplakaten nicht hinausgeht. Sie bleiben dabei, sich in Überschriften zu erschöpfen und unkonkret zu sein. Ich glaube nicht daran, dass man das damit erklären kann, dass die AfD neu im Parlament ist. Ich glaube, dass die Oberflächlichkeit, die Unkonkretheit und das Vortragen von Plakatlosungen zu Ihrem politischen Konzept gehört.

(Zuruf von der AfD: Damit wären wir nicht allein!)

Deswegen sage ich Ihnen: Haben Sie doch einfach mehr Mut zur Wahrheit! Sagen Sie, was Sie ganz genau wollen! Vielleicht hätten Sie das auch in diesen Antrag schreiben sollen. Auch in der Rede des AfD-Vertreters ist nichts gekommen, womit man sich vernünftig auseinandersetzen könnte.

Da Sie das nicht tun, da Sie nicht sagen, worauf Sie genau hinauswollen, sondern letztlich nur eine Überschrift in Ihren Antrag schreiben, muss man sich damit auseinandersetzen, was Sie sonst zu dem Thema publizieren. Nehmen wir Ihre Wahlplakate: Dort findet sich beispielsweise die Forderung: „Mehr Lehrer – weniger Abgeordnete!“ Damit komme ich genau auf den Punkt zu sprechen, den Herr Modschiedler schon thematisiert hat: Das alles hat den Beigeschmack, dass Sie das Parlament schwächen wollen.

(Dr. Frauke Petry, AfD: So ein Blödsinn!)

Sie glauben anscheinend, Parlament und Volk gegeneinander ausspielen zu können. Aber ich finde es falsch, das Parlament zu schwächen; denn das schwächt die Demokratie. Richtig ist: Das Parlament muss stark sein, weil wir eine starke Kontrolle auch gegenüber der Regierung brauchen.

(Beifall bei den LINKEN)

Ein starkes Parlament und eine starke Opposition müssen kein Gegensatz sein. Es gibt Möglichkeiten der direkten Demokratie. Dazu bleiben Sie Aussagen schuldig, und das macht uns misstrauisch.

Ich will mich nicht weiter an Ihrem Dreizeiler abarbeiten, sondern zunächst darüber sprechen, wie DIE LINKE die Fragen von direkter Demokratie sieht. Um es vorwegzunehmen: Wir haben in der Vergangenheit das Thema immer wieder aufgegriffen und auf die Tagesordnung des Plenums gesetzt. Das werden wir auch in Zukunft tun. Wir werden weiter verlässlich sein – für Vereine, Initiativen und Organisationen, die sich für mehr direkte Demokratie, für mehr Bürgerbeteiligung einsetzen. Da kann man sich weiter auf uns verlassen.

Natürlich gibt es auf Bundesebene schon entsprechende Anträge, die sehr konkret sind. Diese Anträge stammen von uns. Vor wenigen Monaten hat DIE LINKE im Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, der Änderungen des Grundgesetzes mit dem Ziel der Ermöglichung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Bürgerentscheiden vorsieht. DIE LINKE hat nicht allein diesen Gesetzentwurf, sondern darüber hinaus den Entwurf eines Bundesabstimmungsgesetzes eingebracht, das konkrete

Verfahren vorsieht, Volksabstimmungen also konkret regelt. Das alles gibt es. Wir brauchen deswegen auf Landesebene keine entsprechenden Anträge für die Bundesebene zu beschließen.

Sie merken es schon: Die Stimme für mehr Demokratie auch auf Bundesebene ist schon da. Wir engagieren uns dafür und bleiben verlässlich.

Zurück zur Landesebene, in dieses Hohe Haus und noch einmal zu Ihrem Text: In Ihrer Begründung handeln Sie die Frage, was direkte Demokratie auf Landesebene eigentlich bedeutet, nur kurz ab. Für alle, die Ihren Antrag nicht vorliegen haben, will ich daraus zitieren:

„In Deutschland verfügen die Bundesländer im Wesentlichen nur noch in Bildungsfragen sowie Angelegenheiten der Polizei über breite eigene Gestaltungsmöglichkeiten. Im Übrigen ist mittelbar oder unmittelbar ohne Einbindung des Bundes eine eigenständige selbstverantwortliche Gesetzgebung nur noch schwer möglich.“

Ich übersetze das für mich so: Für Sachsen lohnt sich direkte Demokratie eigentlich überhaupt nicht.

(Zuruf von der AfD: Das haben Sie falsch übersetzt!)

So klingt das. Ich finde, man muss es ganz klar sagen: Ihnen geht es nicht darum, etwas für die direkte Demokratie zu tun. Ihnen geht es nur um Ihre Losungen und Überschriften.

Im Gegensatz zu dem, was Sie hier sagen, finden wir, dass es wichtig ist, weitere Anstrengungen für mehr direkte Demokratie in Sachsen zu unternehmen. Ich nenne als Beispiel die Absenkung der Hürden für Volksbegehren und Volksentscheide. Dafür sind wir als LINKE am Kämpfen. Das wird so bleiben.

Ich will jetzt nicht einem Antrag von uns vorgreifen, in dem wir das erneut thematisieren werden. Wir wollen das Thema weiter ansprechen, wir werden dranbleiben. Allerdings werden wir dafür ein vernünftiges Verfahren finden. Für uns zählt am Ende mehr die Qualität als die Quantität. Zu diesem Thema möglichst der Erste im Landtag zu sein, aber nichts dazuzuschreiben – das ist kein vernünftiger Ansatz.