Protocol of the Session on May 18, 2017

Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege Barth.

(André Barth, AfD, verlässt das Rednerpult. – Beifall bei der AfD)

Das war Herr Kollege Barth von der AfD-Fraktion. Jetzt spricht Frau Kollegin Dr. Maicher. Sie vertritt hier die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der durchaus pathetische Titel dieser Debatte „Unser Herz schlägt für Europa“ trifft sicherlich den Nerv vieler Menschen in Sachsen und durchaus auch meinen. Um es vorwegzunehmen: Es ist wichtig, dass wir als Europäerinnen und Europäer mit der heutigen Debatte eine Botschaft an die Menschen in Sachsen senden: Wir schützen dieses Europa. Wir kämpfen für Europa.

Schließlich wollen wir die Europäische Union noch besser machen. Sie ist unsere Zukunft, denn im Vergleich zu anderen Kontinenten und Regionen hat Europa den Mehrwert von enger Zusammenarbeit verstanden und in den letzten Jahrzehnten sehr deutlich gespürt.

Ich bin fest davon überzeugt – auch im Rückblick auf die letzten Wahlen in Europa: im Dezember in Österreich, im März in den Niederlanden und jetzt in Frankreich –, dass eine Mehrheit in Europa dies genau so sieht, auch wenn es mich erschrocken macht, dass – wie wir eben gehört haben – diese einfachen und populistischen europafeindlichen Töne so viele Menschen fangen. Ich glaube, wir müssen alles dafür tun, uns bewusst zu werden, was Europa für uns alle leistet.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN und der SPD)

Fast 80 % der Deutschen wollen eine stärkere Zusammenarbeit in bestimmten Politikfeldern. Sie wollen eine stärkere gemeinsame Politik. Auch ihnen ist klar, dass die Herausforderungen zu groß und unsere Länder zu klein

sind, beispielsweise im Kampf gegen den Klimawandel oder beim Arbeiten für ökologische, soziale und wirtschaftliche Innovationen, bei der Asylpolitik, aber eben auch beim Schutz unserer Pressefreiheit.

Was heißt nun aber „Unser Herz schlägt für Europa“? Ich habe mir einmal überlegt, was diese Phrase eigentlich für mich selbst heißt. Meine Generation ist in Europa erwachsen geworden. Da ist vieles eine Selbstverständlichkeit, zum Beispiel das passlose und grenzenlose Reisen, das gemeinsame Geld – es ist schon ein Ereignis, wenn meine Kinder in Schweden anderes Geld in der Hand haben –, ein ERASMUS-Semester, weil es üblich ist und weil viele Kommilitonen dies wahrnehmen, eine Krankenversicherung, mit der man überall in Europa versichert ist, ohne dass man sich vorher Europakrankenscheine besorgen muss, europäische Vielfalt, kulturelle Vielfalt, europäische Kulturhauptstädte, Solidarität, Freiheit,

Frieden, gesellschaftlicher Aufbruch in den letzten Jahren und eben auch soziale Errungenschaften im Vergleich zu anderen Regionen der Welt.

Auch für mich ist es eine Freude und ich bin dankbar, in anderen Regionen der Welt sagen zu können, dass Europa meine Heimat ist. Das ist eine ganze Menge. Das alles zu erhalten gelingt leider nicht mehr anstrengungslos, wie es für meine Generation lange Zeit schien. Ja, unser Herz schlägt für Europa, aber das reicht eben nicht mehr.

(Zuruf von den LINKEN: Ja!)

Wir müssen dieses Europa, diese Errungenschaften schützen: vor Demagogen, vor Europafeinden und vor Nationalisten. Wir müssen dieses Europa vor denjenigen schützen, die diese EU im Rahmen der Reformdiskussionen mit Blick auf die EU auf die Verwirklichung des Binnenmarktes oder auf weniger ausgewählte kleine Zuständigkeitsbereiche beschränken möchten. Stellen wir ihnen unseren Einsatz für die Stärkung der europäischen Demokratie und mehr Mitwirkungsrechte für die Bürgerinnen und Bürger an europäischen Entscheidungen entgegen.

Die EU ist demokratisch legitimiert. Lassen Sie uns darüber diskutieren, wie wir die EU noch demokratischer machen können, zum Beispiel mit einem Gesetzesinitiativrecht für das Europäische Parlament, mit niedrigeren Beteiligungshürden bei der europäischen Bürgerinitiative, mit einem Anhörungsrecht des Europaparlaments bei Subsidiaritätsrügen der Parlamente der Mitgliedsstaaten oder mit der Stärkung der EU-Institutionen, damit sie auch gegenüber den großen europäischen Hauptstädten etwas zu sagen haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die sächsische Europapolitik beginnt mit der Eigenverantwortung für den Zusammenhalt Europas. Für mich heißt das nicht nur damit aufzuhören, die EU pauschal schlechtzureden. Wir müssen darüber hinaus damit anfangen, den Gedanken des europäischen Zusammenhalts auch in Sachsen zu stärken, und zwar aktiv. Sorgen Sie dafür, dass die vielen

pro-europäischen Vereine und Organisationen in ihrer europapolitischen Arbeit gestärkt werden.

Schauen wir einmal nach Sachsen. Die Hälfte der Mittel im sächsischen Haushalt, die für Projekte zur Förderung des Europagedankens zur Verfügung stehen, wurden nicht abgerufen. Herr Staatsminister, haben Sie sich einmal gefragt, warum das so ist? Die Richtlinie zur Förderung solcher Projekte ist nicht auf die Projektarbeit, die auf teils ehrenamtlicher Arbeit und einer sehr dünnen Personaldecke beruht, abgestimmt. Die jüngste Überarbeitung der Richtlinie scheint nicht ausreichend zu sein. Dabei sollte es doch jetzt gerade in unser aller Interesse sein, dass diese Mittel ausgeschöpft werden und vor Ort die europäische Bildungsarbeit gemacht werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Ein zweites Manko ist folgendes.

Die Redezeit ist zu Ende.

Eine europapolitische Bildungsarbeit in Sachsen, die sich nur auf einzelne Anlässe wie den 9. Mai, den Europatag, konzentriert, reicht nicht aus. Es reicht nicht aus, einmal im Jahr Europaluftballons aufzublasen.

Die Redezeit ist zu Ende, Frau Kollegin.

Wir müssen etwas mehr dafür tun.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Mit Frau Kollegin Maicher von der Fraktion GRÜNE sind wir am Ende der ersten Rednerrunde angekommen. Wir eröffnen eine zweite Runde. Ich sehe, dass Herr Kollege Schiemann zum Rednerpult schreitet. Er vertritt die einbringende Fraktion der CDU. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde keine Zensuren vergeben, wie es der eine oder andere meiner Vorredner gemacht hat. Ich danke aber Frau Kollegin Dr. Maicher ausdrücklich, dass sie noch einmal deutlich gemacht hat, was für uns als Sachsen in Europa wichtig ist und uns vielleicht mit anderen Nationen verbindet. Wir brauchen neue Impulse.

Wir brauchen stärkere Impulse, um uns selbst und unsere Bürger in das europäische Thema einzubringen. Gleichsam müssen wir die Fragen beantworten, die von den Bürgerinnen und Bürgern gestellt werden. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, ihre Fragen beantwortet zu bekommen. Sie haben ebenfalls ein Recht, die Fehler, die es in Bezug auf Entwicklungen gibt, entsprechend korrigiert zu sehen. Sie haben ebenfalls ein

Recht, auf Fehler aufmerksam zu machen, die es in allen Entwicklungen gibt, ob im Freistaat Sachsen oder in Europa.

Lassen Sie mich dennoch auf das Thema Visionen zurückkommen. Es lohnt sich, Visionen zu haben. Sie kann man im privaten Bereich und man muss sie auch im staatlichen Bereich haben. Wir müssen mehr für das Thema Subsidiarität in Europa tun. Wir brauchen starke Regionen in Europa.

Wir müssen uns endlich darauf verständigen, dass Freiheit und Demokratie nur mit Sicherheit erreicht werden können. Wir können das Thema Sicherheit nicht mehr so wie in den letzten Jahren weiter diskutieren. Wir haben die Sicherheit in Europa gravierend verletzt und vernachlässigt.

(Zurufe von der AfD: Hört, hört!)

Hierbei müssen wir nachsteuern.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Stärkung der Bürger hat auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Wir müssen uns dem Thema Arbeitsplatzverlust aufgrund der Globalisierung viel stärker entgegenstemmen. Wir müssen Antworten darauf finden, was es bedeutet, wenn durch die Globalisierung auf der einen Seite Arbeitsplätze gewonnen werden, aber auf der anderen Seite verloren gehen. Dieses Thema müssen wir besprechen.

Lassen Sie mich aber auf ein ganz besonderes Thema hinweisen, das für den Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich in allen Gesprächen von großer Bedeutung ist. Europa beginnt mit guter Nachbarschaft. Das ist die beste Grundlage für Frieden. Wer mit seinen Nachbarn solidarisch, fair und partnerschaftlich umgeht, der wird den besten Beitrag für eine Friedenssicherung in Europa leisten. Deshalb ist für den Freistaat Sachsen eine gute Nachbarschaft mit der Tschechischen Republik, aber auch mit der Republik Polen eine Staatsaufgabe, die wir weiter verfolgen sollten. Das ist ein wichtiger Weg, so wie es vielleicht unsere Freunde im Saarland mit der Republik Frankreich gemacht haben. Wir sollten diese Partnerschaft aus unserer Erfahrung heraus mit unseren Nachbarn weiter pflegen. Wir sollten eine Zukunftssicherung dieser Partnerschaft vornehmen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das beutet gleichwohl, dass wir aus unserer Erfahrung heraus auf die Visegrád-Staaten anders reagieren müssen, als es vielleicht jemand macht, der in Nordrhein-Westfalen oder im Saarland zu Hause ist. Wir haben die Erfahrungen einer gemeinsamen Geschichte. Es ist wichtig, dass wir das entsprechend kommunizieren und eine Brücke mit Blick auf diese Fragen bauen.

Die Bürgerinnen und Bürger haben in unserem Staat, aber auch in Europa das Recht, dass wir uns mit dem Thema Bürokratie auseinandersetzen. Wir müssen dieses Thema

im Interesse auch der Nutzung durch die Bürger fair diskutieren. Es kann nicht sein, dass nur große Wirtschaftsunternehmen partizipieren und der Bürger an vielen bürokratischen Hürden, zum Beispiel bei Beantragungen, scheitert. Wir müssen uns dem Thema Bürokratie stellen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es lohnt sich natürlich auch der Blick nach vorn. 60 % unseres Aufholprozesses wurden in den letzten Jahren abgearbeitet. Wir brauchen für die Zukunft aber weiterhin Unterstützung seitens der Europäischen Union. Wenn der Haushalt für das EU-Jahr 2020 vorbereitet wird, dann müssen wir unsere Stimme erheben. Wir brauchen weiterhin die Unterstützung durch die Europäische Union. Der gute Anfang darf nicht abgebrochen werden.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Es sollte auch eine Ermunterung sein, dass alle Regionen in Europa gestärkt werden. Wir müssen diese Diskussion führen. Subsidiarität und Verantwortung der Regionen, diesen Themen müssen wir uns stellen.

Die Redezeit ist zu Ende.

Herr Präsident, lassen Sie mich einen Schlusssatz sagen.

Bitte.

Vielen herzlichen Dank.

Einen letzten Satz gestatte ich Ihnen.

Wir brauchen Unterstützung bei den Strukturfonds, der Forschung und Entwicklung, der Agrarpolitik, der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Es lohnt sich dafür zu streiten. Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen, sie wurde zur Hoffnung für viele.

Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.