Meine Damen und Herren, ich stelle nun die Drucksache 6/6634 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Gibt es Gegenstimmen? – Keine. Gibt es Stimmenthaltungen? – Einige Stimmenthaltungen. Damit ist die Drucksache 6/6634 mit großer Mehrheit beschlossen und der Tagesordnungspunkt beendet.
Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge ist: DIE LINKE, CDU, SPD, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Für die einbringende Fraktion DIE LINKE ergreift jetzt Frau Kollegin Schaper das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum dritten Mal in dieser Legislaturperiode beschäftigen wir uns mit einem Thema, welches es in einem so reichen
Es gab eine Große Anfrage inklusive Entschließungsantrag zu diesem Thema sowie einen Antrag von uns, welcher zum Ziel hatte, die Bildungslandschaft unter Berücksichtigung der Kinderarmut neu zu gestalten. Diese Anträge finden jedoch hier wenig Gehör geschweige denn Zustimmung. Nach der Veröffentlichung des Fünften Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregie
rung hoffen wir, dass nun endlich auch bei der Regierungskoalition die Erkenntnis gereift ist, gegen Kinderarmut aktiv zu werden und etwas zu unternehmen.
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. In diesem Bericht finden Sie die Folgen von Kinderarmut beschrieben. Weiter davor die Augen zu verschließen und sie zu leugnen, ist unverantwortlich. Wir versuchen heute noch einmal, Ihnen das Thema näherzubringen. So geht aus dem Bericht hervor, dass der sozioökonomische Status der Eltern immer noch entscheidende Auswirkungen auf Bildungswege und Schulerfolg hat. Bildungsungleichheit kann auf Armut zurückgeführt werden. So zeigt sich, dass auch das Bildungs- und Teilhabepaket wenig an der Situation geändert hat. Wenn nur 10 Euro monatlich für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft oder 100 Euro pro Schuljahr für den persönlichen Schulbedarf zur Verfügung stehen, ist das wenig verwunderlich, von der Bürokratie mal ganz abgesehen.
Weiterhin ist dem Armuts- und Reichtumsbericht zu entnehmen, dass Kinder aus einkommensschwachen Haushalten öfter an psychischen Auffälligkeiten wie ADHS leiden und auch das Risiko, daran zu erkranken, in dieser Gruppe wesentlich höher ist. Kinder und Jugendliche aus diesen Haushalten leiden doppelt so häufig – nämlich bis zu 20 % – an Übergewicht wie Kinder aus Haushalten mit mittlerem und hohem Einkommen. Sie erkranken auch häufiger an Adipositas, und der Tabakkonsum ist bei ihnen wesentlich stärker verbreitet.
Das, meine Damen und Herren, ist das Ergebnis der Hartz-IV-Gesetzgebung, wofür sich hier fast alle Fraktionen auf die Schulter klopfen dürfen, denn Hartz IV hat zu einer Vergrößerung der Armut in Deutschland sowie zunehmender Ungerechtigkeit geführt. Ihre Einstellung zu Hartz IV ist uns hinlänglich bekannt. Wir wissen auch, dass Sie nicht bereit sind, die unwürdigen Sanktionsmaßnahmen gegen Hartz-IV-Bezieher auszusetzen, mit denen Sie letztendlich auch deren Kinder treffen.
Um diese Kinder soll es im heutigen Antrag gehen, denn diese können für die Armut ihrer Eltern nichts. Damit auch Sie den dringenden Handlungsbedarf endlich erkennen, fordern wir Sie auf, einen runden Tisch zur Bekämpfung von Kinderarmut im Freistaat Sachsen zu etablieren, zu welchem Sie Expertinnen und Experten der Kinder- und Jugendhilfe, Sozialforschung und Sozialwissenschaft, der Kinderrechts- und Kinderschutzorganisationen, der Familienverbände, der Selbstvertretungen von Kindern und Jugendlichen sowie Kommunen einbeziehen. Dessen Ziel soll es sein, konzentrierte Maßnahmen zur Beseitigung von Kinderarmut herauszuarbeiten und zu ergreifen.
Weiterhin fordern wir Sie auf, sich parallel auf Bundesebene für eine Kindergrundsicherung in Höhe von 560 Euro, die Erhöhung des Kindergeldes auf 328 Euro als ersten Schritt in Richtung Kindergrundsicherung, die nur hälftige Anrechnung des Kindergeldes auf den Unter
haltsvorschuss und die Nichtanrechnung des Kindergeldes auf SGB-II-Leistungen sowie für die Einführung eigenständiger bedarfsgerechter Regelsätze für Kinder und Jugendliche einzusetzen.
Für die Forderung nach einer Kindergrundsicherung erwarten wir zumindest von der SPD eine breite Zustimmung, hat doch die SPD-Landtagsfraktion in Bayern eine solche in Höhe von 573 Euro gefordert. Mit der Forderung nach einer solchen Kindergrundsicherung schließen wir uns außerdem etlichen Fachverbänden und Expertenmeinungen an, die schon lange erkannt haben, dass nur eine eigenständige Kindergrundsicherung in Höhe von 560 Euro die gesellschaftliche Teilhabe, Bildungschancen und Gesundheit von Kindern unabhängig vom Einkommen der Eltern gewährleistet.
Wenn von fast 100 000 Kindern in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften nur rund ein Drittel bis die Hälfte Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket in Anspruch nehmen, eben auch weil man als Eltern zu Bittstellern wird, muss man einen Handlungsbedarf erkennen und feststellen, dass es nicht das Allheilmittel gegen Kinderarmut und Benachteiligung von Kindern zu sein scheint, so wie Sie es hier immer wieder verkünden und lobpreisen, vor allem, wenn man den Armuts- und Reichtumsbericht liest und feststellen muss, dass sich an der Benachteiligung von Kindern aus einkommensschwachen Haushalten seit Jahren überhaupt nichts geändert hat.
Einen Rechtsanspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen haben insbesondere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die Arbeitslosengeld II, Sozialgeld oder Sozialhilfe erhalten oder deren Eltern den Kindergeldzuschlag oder Wohngeld beziehen. Auch Eltern, die keine Sozialleistungen beziehen, haben ein Recht auf Bildungs- und Teilhabeleistungen, wenn sie entsprechend bereit sind, einen Antrag auszufüllen und Nachweise vorzulegen. Mit einer Kindergrundsicherung entfiele diese von manchen als entwürdigend wahrgenommene Praxis. Die Kindergrundsicherung würde Eltern unabhängig von ihrem Einkommen in die Lage versetzen, ihren Kindern die gesellschaftliche, kulturelle und soziale Teilhabe zu ermöglichen.
Da es bis zur Kindergrundsicherung sicher ein weiter und steiniger Weg sein wird, wäre ein erster Schritt in diese Richtung die Anhebung des Kindergelds auf mindestens 328 Euro. Ebenso wie bei der Berechnung des Unterhaltanspruchs von Kindern gegenüber dem unterhaltspflichtigen Elternteil beim Unterhaltsvorschuss dürfte dies aber nur zur Hälfte auf SGB-II-Leistungen angerechnet werden, damit es dort ankommt, wo es ankommen soll: beim Kind.
In Sachsen leben rund 87 500 Kinder unter 18 Jahren in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften und gelten somit als arm. Aber nicht nur Kinder aus den Bedarfsgemeinschaften sind betroffen. Tatsächlich sind in Sachsen weitaus mehr Kinder von Armut betroffen, wenn die Maßstäbe des Konzepts „child well-being“ von UNICEF Anwendung finden.
Arme Kinder in Deutschland leiden aufgrund der wirtschaftlichen Situation ihrer Familien unter körperlichen und seelischen Belastungen, haben schlechtere Aussichten für ihre schulische und berufliche Ausbildung, werden schlechter mit materiellen Gütern versorgt und sind zuweilen fehlernährt, für Krankheiten anfälliger und haben weniger soziale Kontakte und Freunde. Gerade angesichts der Tatsache, dass Kinder aus wirtschaftlich starken Familien bundesweit über 10 Milliarden Euro zur Verfügung haben, wird die eigene relative Armut – „Ich habe nichts, und wenn, dann nicht das Neueste“ – als diskriminierend, ausgrenzend und beschämend empfunden.
Heute früh lautete der Titel der Ersten Aktuellen Debatte „‘Dem Volk aufs Maul schauen‘ – Luther heute – Kennen und leben christlicher Werte in unserer Zeit“. In Psalm 82 heißt es:
„Schaffet Recht dem Armen und dem Waisen und helfet dem Elenden und Dürftigen zum Recht.“ Stimmen Sie unserem Antrag daher zu und leben Sie selbst christliche Werte!
Der Antrag der Fraktion DIE LINKE wurde durch Kollegin Schaper eingebracht. Jetzt spricht Herr Kollege Krauß für die CDU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte es mir jetzt einfach machen und sagen:
Das ist abgelehnt worden, aus guten Gründen. Sie haben ja noch nicht einmal darüber gesprochen, wie viel das Ganze kostet, was Sie fordern – 14 Milliarden Euro.
Aber ich möchte es mir nicht einfach machen, sondern schon noch einmal in die Debatte einsteigen und ein paar Argumente einführen.
Sie definieren Kinder, die im Hartz-IV-Bezug sind, als arm. Das war Ihre Definition, die Sie anführen. Ich will dahinter zumindest ein Fragezeichen setzen. Denn genau diese sozialen Sicherungssysteme, die wir haben, sollen ja dazu führen, dass niemand in Armut fällt. Dazu haben wir sie. Dafür sind wir weltweit sehr anerkannt, weil es kaum ein Land gibt, das eine so hohe soziale Sicherung hat wie Deutschland.
Aber schauen wir uns die Zahlen trotzdem an; lassen wir uns einmal auf das Argument ein. Wir wollen natürlich, dass möglichst wenige Menschen, wenige Kinder im Hartz-IV-Bezug sind. Sie haben richtig gesagt, dass wir in Sachsen jetzt 76 000 Kinder unter 15 Jahren im Hartz-IVBezug haben. Vor acht Jahren waren es 110 000. In den letzten acht Jahren gab es also einen rapiden Rückgang um 34 000.
Es gibt eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung vom vergangenen Jahr, in der man die Zahlen von 2011 mit jenen von 2015 verglichen hat. Bei dieser Untersuchung ist eines deutlich geworden: In keinem anderen Bundesland der Bundesrepublik Deutschland ist die Zahl der Kinder im Hartz-IV-Bezug so stark gesunken wie in Sachsen.