Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der jüngsten Meldungen aus Brüssel könnte man sich heute ja entspannt zurücklehnen und sagen: Der Kelch der Pkw-Maut wird mit hoher Wahrscheinlichkeit sowieso an uns vorübergehen. Was müssen wir uns heute damit befassen?
In Anbetracht dessen, dass die CSU unter Rückendeckung der Bundeskanzlerin und offensichtlich auch der Koalition in diesem Haus unbeirrt an der Maut auf Bundesebene festhält, kann ich den Antrag der LINKEN voll und ganz verstehen. Die Maut tangiert viele Sachsen, sie greift massiv in die Grundrechte ein. Wir haben gerade gehört, wie es größtenteils technisch abläuft. Geplant ist eine automatische Kennzeichenerfassung sämtlicher Fahrzeuge auf deutschen Autobahnen. Hinzu kommt die Einrichtung eines zentralen Registers mit Fahrzeughaltern, Adressen, teilweise mit Bankverbindungen und der entsprechenden Kennzeichen, die zur Erhebung zwingend notwendig sind. Kurzum: Geplant ist offensichtlich in dieser Kombination die größte und vor allem dauerhafteste Massendatenerhebung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, getarnt als sogenannte Pkw-Maut.
Zusammen mit den Daten, die dort vorliegen, ist es jederzeit möglich, umfassende Bewegungsprofile der Fahrzeughalter zu erstellen. In Anbetracht dieser Datenerhebung wirken die letzten großen Datenerhebungen und selbst die große Volkszählung nahezu wie Kinkerlitzchen im Verhältnis zu dem, was hier im Rahmen der institutionalisierten Kennzeichenerfassung durch die Maut gestartet wird.
Herr Rohwer, ich finde, Datenschutz ist bei dieser Frage kein Nebenaspekt, sondern das zentralste Thema, was der Realisierung dieser Maut entgegensteht.
Wir GRÜNE wehren uns gegen diese Form der Maut nicht grundsätzlich, sondern vor allem aufgrund der Datenschutzbestimmungen. Immer wieder wird betont, dass das natürlich nicht anderen Behörden zur Verfügung gestellt wird und dass das Ganze härtestmöglichen Datenschutzregelungen untersteht – wie Sie soeben ausgeführt haben –, das glaube ich, mit Verlaub, beileibe nicht.
Denn es ist noch keine zwei Monate her, da hat das BKA wieder einmal den Zugriff auf die Mautdaten gefordert. Im Zusammenhang mit der Koalitionsbildung auf Bundesebene stand in einem Arbeitspapier von SPD und CDU, dass man durchaus an der Nutzung der Mautdaten für die Bekämpfung schwerster Straftaten interessiert sei, und unter Innenminister Schäuble war man 2005 schon
einmal kurz davor, die Zweckbindung bei der Lkw-Maut entfallen zu lassen und eine entsprechende Nutzung durchführbar zu machen.
Man muss somit kein Prophet sein, um eine Zweckentfremdung dieser Daten auf Dauer vorauszusagen, zumal Große Koalitionen – sei es auf Bundesebene oder auch in diesem Hause – nun nicht gerade die Verteidiger der Bürgerrechte par excellence sind. Als Beweis brauche ich hier nur den Fraktionsvorsitzenden der hiesigen CDU, Herrn Kupfer, aus der letzten Plenarsitzung zu zitieren. Ich zitiere aus der 3. Plenarsitzung: „Ich bin dankbar dafür, dass wir uns im Koalitionsvertrag auf die Kennzeichenerfassung einigen konnten. Denn Datenschutz, meine Damen und Herren, darf kein Verbrecherschutz sein.“
Da wissen wir doch, wohin die Reise geht. Hier vertraue ich nicht den leeren Versprechungen der Koalition zum Datenschutz. Ich fürchte, hier wird sich ein Ei gelegt, bezüglich dessen sich auf Dauer sehr deutlich zeigen wird, dass es mit dem Datenschutz nicht so weit her sein wird.
Kurzum: Die Maut ist sinnlos und – wie schon dargestellt – teuer. Sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit europarechtswidrig und sie ist ein Totalangriff auf die Bürgerrechte. Sachsen stünde es somit gut zu Gesicht, sich auf Bundesebene dagegen zu wehren, und deswegen werden wir GRÜNEN diesem Antrag zustimmen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die mobile automatisierte Kennzeichenerfassung ist eine polizeiliche Maßnahme von einiger Grundrechtssensibilität. Denn ohne, dass der einzelne Bürger irgendeinen Anlass dazu gegeben hätte, wird er allein aufgrund des Umstandes, dass er rein zufällig mit seinem Auto zu einem rein zufälligen Zeitpunkt zufällig irgendeine Straße hier in Sachsen befährt, von den Behörden automatisch elektronisch erfasst. Und wenn er das Pech hat, mehrfach in eine derartige Maßnahme zu geraten, ist die Polizei anschließend durchaus dazu in der Lage, diese Daten miteinander zu verknüpfen und daraus zum Beispiel ein Bewegungsprofil zu erstellen.
Lassen Sie mich dazu das Bundesverfassungsgericht zitieren, das in einer Entscheidung das Folgende ausgeführt hat: „Mittels elektronischer Datenverarbeitung sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer Person unbegrenzt speicherbar und jederzeit und ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar. Sie können darüber hinaus mit anderen Datensammlungen zusammengefügt werden, wodurch vielfältige Nutzungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten entstehen. Dadurch können weitere Informationen erzeugt und so Schlüsse gezogen werden, die sowohl die grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen des
Betroffenen beeinträchtigen als auch anschließende Eingriffe in seine Verhaltensfreiheit nach sich ziehen können.“ – Soweit, meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht.
Dass nun diese Gefahren für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auch in Sachsen bestehen, und zwar ganz konkret, zeigt eine aktuelle Antwort der Staatsregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN. Denn danach werden Kennzeichen vorbeifahrender Autofahrer durch die sächsischen Behörden in einem ganz enormen zeitlichen Umfang systematisch erfasst. Allein im vergangenen Jahr wurden Autofahrer in Sachsen insgesamt über 1 981 Stunden auf diese Weise ausgespäht. Anschließend wurden die erfassten Kennzeichen systematisch mit verschiedenen Informationssystemen abgeglichen.
Dass nun von einer derart ausufernden Kennzeichenerfassung eine enorme Zahl rein zufällig vorbeifahrender Menschen betroffen ist, liegt auf der Hand. Um zumindest eine parlamentarische Kontrolle der Behörden bei der Erfassung von Autokennzeichen zu gewährleisten, wurde in § 19 a Abs. 5 des Sächsischen Polizeigesetzes eine jährliche Berichtspflicht des Staatsministers des Innern gegenüber dem Landtag normiert. Nachdem es nun Herr Ulbig bis November 2014 nicht vermocht hatte, seiner Berichtspflicht nachzukommen – für das Jahr 2013, wohlgemerkt –, hat die Fraktion DIE LINKE mit dem vorliegenden Antrag die Initiative ergriffen. Sie hat beantragt, dass der Innenminister nun endlich seiner Berichtspflicht nachkommen möge. Und siehe da: Am Abend werden die Faulen fleißig. Um der Blamage hier im Landtag zu entgehen, wurde eilig ein Bericht zusammengestellt und dem Landtag justament vor Beginn dieser Sitzung zugeleitet. Bei diesem Thema, Herr Ulbig, mussten Sie also ganz offensichtlich genauso zum Jagen getragen werden wie bei der von Ihrer Partei herbeigequälten Oberbürgermeisterkandidatur in Dresden.
Aber ich kann Ihnen schon ankündigen: Im kommenden Jahr wird Rot-Rot-Grün in Dresden eine sehr geeignete und sehr gute Antwort darauf finden. Aber dies zu diesem Thema.
Da sich nun unser Antrag zur Berichtspflicht erledigt hat, möchte ich den hiermit auch für erledigt erklären und danke ganz herzlich für die Aufmerksamkeit.
(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Wir haben die Debatte für erledigt erklärt! Sie müssen jetzt nicht reden!)
on“ vom Dr.-Külz-Ring, der sich als selbsterklärter Oppositionsführer der Landeshauptstadt Dresden und jetziger Regierungsführer versteht, nutzen. Da nehme ich die Einladung gern an.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, als Erstes – zur Richtigstellung –: Herr Schollbach, das liegt vielleicht auch ein bisschen daran, dass Sie neu im Parlament sind und noch nicht alle Gepflogenheiten kennen, aber das wird sicherlich im Laufe der Zeit deutlich besser werden. Das Sächsische Staatsministerium des Innern hat am 26.06. einen entsprechenden „Ersten Bericht über die Datenerhebung mit besonderen Mitteln sowie die technischen Mittel zur automatisierten Kennzeichenerfassung durch die sächsische Polizei“ dem Hohen Hause der 5. Legislatur des Sächsischen Landtags zugeleitet. Dann unterlagen wir auch der Diskontinuität des entsprechenden Abgleichs, und in der Tat möge man jetzt verzeihen, dass insoweit die erneute Zustellung an die 6. Legislatur des Sächsischen Landtags durchaus etwas verspätet erfolgte. Aber hier die Unterstellung zu fahren, man habe einfach einmal schnell einen Bericht zusammengeschustert, weil Ihnen die Einlassung gekommen ist, einen Antrag zu stellen: Ich glaube, das ist nicht die Arbeitsqualität der Sächsischen Staatsregierung.
Unbenommen bleibt es dabei: Der Bericht war zum Ende der 5. Legislatur dem Hause schon einmal zugeleitet worden; nunmehr liegt er auch ordnungsgemäß vor. Ich denke, dass die sicherlich berechtigte, auf Grundlage der neuen Legislatur eingetretene Situation dies entschuldigt
und wir im nächsten Jahr rechtzeitig und pünktlich entsprechend den Regeln der Legislatur diesen Bericht zugeleitet bekommen.
Ansonsten, meine sehr geehrten Damen und Herren, bleibt mir noch festzustellen, dass ich große Sorge über das Fernsehverhalten des Herrn Abg. Schollbach habe,
der so manchen Agentenfilm wahrscheinlich sehr inhaliert haben muss, wenn er natürlich hier die großen Bilder des Datenschutzskandals malt.
Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, es liegt in der Natur der Sache, dass es eine entsprechende Datenerfassung gegeben hat, nämlich insbesondere bei der Datenerhebung im Freistaat Sachsen. Hier kann ich dann hochrichterlich – Herr Schollbach, Sie zitieren so gerne – das Bayerische Oberverwaltungsgericht und mittlerweile auch den entsprechenden Gerichtshof in Leipzig empfehlen, der hinsichtlich der Datenerfassung in diesem Fall festgestellt hat, dass die Praxis der bayerischen Polizei – im Übrigen in Anlehnung an das, was wir in Sachsen haben –
regelmäßig und ordnungsgemäß erfolgt, insoweit die hier vorgetragenen Bedenken sich auch hinsichtlich der höchstrichterlichen Entscheidungsebene als eher unbedenklich zeigen.
Der Datenschutz ist ein sehr zentrales und sehr wesentliches Thema und wird von uns sehr ernst genommen. Ich bin mir auch sehr sicher, dass sich die Bundesregierung im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens zur Frage der Pkw-Maut – das ist originäre Zuständigkeit des Bundes und der Bundesregierung – dem Thema intensiv widmen wird und ein entsprechender Gesetzentwurf – so er zustande kommt – die Fragen des Datenschutzes sehr verantwortungsvoll betrachten wird.
Ansonsten bin ich mir sehr sicher, dass die Opposition dieses Thema verantwortungsvoll – ebenso wie die Datenschutzbeauftragten – begleiten wird.
Ich befürchte nicht den Untergang des Abendlandes hinsichtlich der Einführung der Maut hier in Sachsen und in Deutschland und glaube, dass der Datenschutz bei uns ernst genommen wurde, ernst genommen wird und auch zukünftig ernst genommen werden wird.
Eine Kurzintervention. – Herr Kollege Hartmann, da Sie sich für mein Fernsehverhalten interessiert haben, möchte ich Sie in Kenntnis setzen, dass ich in der Tat über eine komplette Sammlung der James-Bond-Kollektion verfüge – so viel dazu.
Jetzt zu der Frage, ob wir uns Sorgen machen müssen über den Datenschutz in Sachsen. – Wissen Sie, dazu besteht eben einiger Anlass. „Handygate“ hat nämlich nicht irgendwo stattgefunden, sondern in Sachsen, wo durch die Behörden Millionen Daten von Menschen erfasst worden sind.