Protocol of the Session on February 2, 2017

(Zurufe von der CDU und den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Mein Amt und die Sitzungsleitung gestatten mir nicht, mich hier zu äußern. Herr Lippmann, Sie haben das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte sehr.

Vielen Dank, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das mit den Maßnahmen ist bei der AfD offensichtlich so eine Sache. Wenn Sie unter Disziplinarmaßnahme die Beförderung in den Deutschen Bundestag verstehen, dann sollten wir vielleicht darüber reden, womit Sie versuchen, Leute zu strafen. Mit Blick auf die Causa Höcke muss ich immer wieder feststellen, dass es bei Ihnen ein großes Problem zu sein scheint, ausgewiesene Rechtsextreme oder Personen, die zumindest am rechten Rand fischen, aus der Partei auszuschließen. Sie kommen irgendwann nicht mehr umhin festzustellen, dass es eben keine Einzelfälle bei Ihnen sind, sondern dass sie gezielt in der AfD geduldet, akzeptiert und auch hofiert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Herr Lippmann, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Frau Dr. Muster.

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Lippmann, vielen Dank für die Möglichkeit der Frage.

Wie lange haben denn die Fraktion bzw. die Partei der GRÜNEN gebraucht, sich von den K-Gruppen zu absentieren?

(Beifall bei der AfD)

Wenn ich Herrn Trittin sehe, dann haben Sie die immer noch bei sich. Wenn ich Herrn Kretschmann in BadenWürttemberg sehe, dann frage ich mich: Ist das noch am Gange?

(Proteste bei den GRÜNEN)

Ich bin ganz gespannt auf Ihre Antwort.

(Zuruf von den LINKEN: Schade, dass der Gesichtsausdruck jetzt nicht übertragen wurde!)

Herr Lippmann, bitte.

Frau Dr. Muster,

(Glocke des Präsidenten)

es fällt mir schwer, sinnreich auf diese Frage zu antworten.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Zum einen muss man, glaube ich, artikulieren, dass dieser Versuch des Ablenkungsmanövers von den Versäumnissen Ihrer Partei, den Sie gerade starten, doch sehr durchschaubar ist. Zum anderen ist es etwas anderes, wenn es um Personen geht, die momentan aktiv in der AfD politisch tätig sind, wie das Herrn Höcke oder Herrn Maier betrifft, und die das während ihrer Amtszeit bei der Ausübung von Mandaten äußern, und es dann die Partei nicht schafft, sich davon zu distanzieren.

Dass es GRÜNE gibt, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren ein Vorleben hatten, bei dem man sich durchaus die Frage stellen kann, ob sie dem heute noch ähnlich frönen würden, ist eine andere Geschichte. Da würde ich Ihnen allerdings einen Blick ins Geschichtsbuch empfehlen, damit Sie den gesellschaftlichen Zusammenhang sehen. Das ist keine Entschuldigung.

Die Frage, ob der Ministerpräsident des Landes BadenWürttemberg einmal K-Gruppen nahestand, ist keine Entschuldigung dafür, dass Sie Rechtsextreme in Ihrer Partei dulden.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN – Zuruf von der AfD: Schön abgelenkt vom eigentlichen Problem!)

Ich würde jetzt mit meinen Ausführungen zur Großen Anfrage beginnen.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon mehrfach angesprochen worden: Im Freistaat Sachsen gibt es ein Problem mit Rechtsextremismus. Die Erkenntnis ist gewiss keine neue. Man braucht zu dieser Erkenntnis keine Anfragen und auch die Große Anfrage, so wertvoll sie ist, grundsätzlich nicht. Ein tagtäglicher Blick in die Zeitungen genügt bekanntermaßen. Das haben die zurückliegenden Monate deutlich veranschaulicht. Namen wie Heidenau, Freital und Clausnitz, aber auch Dresden oder Meißen haben bundesweit unrühmliche Bekanntheit erlangt. Entspannt sich die Lage in einem Ort wieder – oder vielleicht ist die Lage dort mittlerweile so normal geworden, dass es keinen mehr interessiert –, so stehen andere Orte in den Startlöchern, wie zuletzt die Debatten insbesondere rund um Bautzen gezeigt haben.

Die Namen dieser Orte haben eine Aufmerksamkeit weit über die Landesgrenze hinaus erreicht. Sie sind in der bundesdeutschen Wahrnehmung zu Symbolen geworden, zu Symbolen für Alltäglichkeit von Neonazismus und rechter Gewalt in Sachsen, wie auch diese Große Anfrage eindeutig belegt. Sie sind auch zu Symbolen für einen Staat geworden, dessen Behörden mitunter dieser Gewalt kaum etwas entgegensetzen können.

Der Verfassungsschutz ist heute schon angesprochen worden. Ich habe zunehmend das Gefühl, der Verfassungsschutz ist zum Überraschungsei unter den Sicherheitsbehörden geworden, stets überraschend bei neuen Vorfällen und bei jedem siebten Mal ein Treffer. Alles, was ihm einfällt, ist, dass sich Rechtsextremisten möglicherweise asylfeindlichen Demonstrationen nähern bzw. sich unter sie mischen. Diese Naivität ist kaum zu ertragen. Dass die Grenzen zwischen den einen oder den anderen schon längst verschwommen sind und sich am rechten Rand eine im wahrsten Sinne des Wortes explosive Mischung bildet, ist für Szenekenner offenkundig, aber für den Verfassungsschutz mitunter offensichtlich nicht.

Die Polizei ist mitunter spät vor Ort. Auch wenn unzureichende Personalstärken ein großes Problem sind, gelingt es ihr häufig erst Tage später, wieder Ordnung herzustellen. Das ist besorgniserregend. Die Berichterstattung der Polizei ist mitunter auch geprägt von Beschwichtigung und Bagatellisierung. Uns allen sitzen noch die Märchen von „eventorientierten Jugendlichen“ im Ohr.

Auch die ortsansässige Politik verkündet dann in den Kommunen gern mit Tremolo in der Stimme, dass die Nazis ja nicht von hier kämen – als würden Nazis als eine Art Plage plötzlich vom Himmel fallen.

Diese Tatsachen werden auch durch die vergleichsweise gute Ermittlungsarbeit des OAZ nicht konterkariert. Gestatten Sie mir einen Einschub, Herr Innenminister, zu den Plänen zum PTAZ: Ich halte es für keine gute Idee mit Blick auf die politisch motivierte Kriminalität im Freistaat Sachsen, jene Expertenbehörde für deren Verfolgung aufzublähen und die Arbeit damit zu verbessern. Ich sage aber auch: Wir werden das, was Sie vorschlagen,

sehr intensiv prüfen und schauen, ob sie diese Anforderungen erfüllt.

Der Kampf gegen Rechtsextremismus kann überdies auch nur dann funktionieren, wenn die Verfahren nicht monatelang, gar jahrelang, wie im Falle der rechtsextremen Holligangruppe „Faust des Ostens“ vor Gericht vor sich hin dümpeln, ohne dass sich etwas tut, außer dass die Beschuldigten weiter munter Straftaten begehen können. An die Täter, aber auch an die Opfer gleichermaßen ist das ein fatales Signal. Neonazis können ihre hegemonialen Ansprüche, ihre Gewalt und ihren Hass ungeniert ausleben. Sie haben mit keiner ernsthaften staatlichen Gegenwehr zu rechnen, ganz im Gegenteil. Ihnen wird aufgezeigt: Prügelst du nur lange genug Flüchtlinge durch die Stadt, wirst du politisch gehört. Dies zeigen unter anderem die unsäglichen Gesprächseinladungen von Bürgermeister und Landrat in Bautzen an bekennende Rechtsextreme.

In den seltensten Fällen sind solche Exzesse jedoch zufällig. Dies belegt die Antwort auf die Große Anfrage. Die extreme Rechte ist in Sachsen personell gut aufgestellt. Gruppen verschiedener Couleur – angefangen von den Identitären über Freie Kameradschaften und rechte Parteien bis hin zu Hooligans und Freefightern sowie der organisierten Kriminalität nahestehenden Rockerklubs – stehen im regen Austausch und sind untereinander über die Grenzen des Freistaates hinaus gut vernetzt. Ihr Vorgehen hat Struktur und Plan und ist keinesfalls zufällig.

Was das für Menschen bedeutet, die nicht in die Enge des Weltbildes dieser Gruppen passen, zeigen die Antworten auf die Große Anfrage eindrücklich. Das Aufkommen rechtsmotivierter Straftaten ist stetig auf hohem Niveau. Im abgefragten Zeitrahmen ereigneten sich über 10 000 rechtsmotivierte Straftaten. Immer häufiger befinden sich darunter Straftaten gegen Leib und Leben, unter anderem nahezu 500 Körperverletzungsdelikte.

Mit dem Zuzug von Geflüchteten steigt die Zahl noch einmal drastisch an. Geflüchtete, ihre Unterkünfte sowie ihre Unterstützer werden zur Hauptzielscheibe des Hasses. Manche Regionen sind im besonderen Maße betroffen. Hierzu gehören die Städte Dresden und Leipzig sowie der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Rund 6 000 Tatverdächtige konnten ermittelt werden. Sie stammen nahezu alle aus Sachsen.

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Hört, hört!)

So viel zu den auch heute wieder vorgetragenen Märchen, dass die Nazis hier eingefallen seien, nicht von hier kämen und insbesondere aus den anderen Bundesländern zugereist wären.

Aufgeklärt werden dennoch nur knapp 40 % der Delikte. Im angefragten Zeitraum kam es trotz der hohen Zahl von Tatverdächtigen zu nur 1 215 rechtskräftigen Verurteilungen.

Neonazis sind darüber hinaus auch infrastrukturell gut aufgestellt. Ich will dazu exemplarisch, wie auch Kollege

Homann es schon getan hat, auf einen Punkt eingehen. Im Untersuchungszeitraum standen ihnen in allen Landkreisen und kreisfreien Städten mehrere Immobilien zur Verfügung. Insgesamt 62 sind es an der Zahl. Allerdings befanden sich nur 16 dieser Objekte auch tatsächlich im Besitz von Rechtsextremen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Rechtsextremisten 46 Objekte nutzen konnten, weil es Menschen gab, die bereit waren, ihnen diese zu vermieten, zu verpachten oder anderweitig zur Verfügung zu stellen. Besonders fatal ist, dass bei sieben Objekten die öffentliche Hand als Vermieter auftrat. Vor allem so manche kommunale Wohnungsgesellschaft hat hier bei der Zurverfügungstellung von Lokalen und dergleichen sich wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Ob dies nun ein Zeichen von Naivität und Unwissenheit oder vielleicht sogar von Sympathie ist, möge jeder selbst beurteilen. Es ist aber ein Problem, dem man sich definitiv widmen muss.

Herr Innenminister, wie viele Exzesse von Neonazis in Sachsen braucht es noch, bis wir zumindest in diesem Punkt ein stärkeres Problembewusstsein in Sachsen haben? Wie viele Menschen müssen noch Gewalt von Neonazis erleiden, bis in diesem Freistaat dann auch ein öffentlich sichtbares Umdenken trotz aller Bemühungen stattfindet? Muss auch hier, wie in Bayern geschehen, erst ein Mensch durch den Lauf einer Waffe getötet werden, bevor die Handlungen wieder deutlich intensiviert werden?

Ich fordere Sie auf, ähnlich wie Kollegin Köditz: Legen Sie eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung des grassierenden Rechtsextremismus vor! Stärken Sie die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Akteure der Demokratie, aber auch der Flüchtlingsarbeit! Sorgen Sie für die notwendige Personalstärke bei Polizei und Justiz und für einen Verfolgungsdruck, der den Namen auch tatsächlich verdient hat! Schulen Sie Polizei und Verwaltung und sorgen Sie für stärkere interkulturelle Kompetenz bei den Beamten! Eine Bitte habe ich besonders: Entwaffnen Sie endlich die extreme Rechte!

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Wir haben dazu gerade einen Antrag in den Geschäftsgang eingereicht. Was bei Reichsbürgern möglich ist – bei denen Sie es ja auch bewiesen haben, dass es möglich ist –, ist bei Neonazis notwendig und sollte umgesetzt werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde in der Aussprache. Gibt es aus den Reihen der Fraktionen Redebedarf für eine weitere Runde? – Die Fraktion DIE LINKE? – Nicht. Die CDU-Fraktion? – Herr Abg. Pohle; bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Recht vielen Dank. Eigentlich hat der Verlauf der Debatte mich dazu gebracht, jetzt noch einmal ans Pult zu gehen. Ich

bin Marko Schiemann besonders dankbar, der gerade im besonderen Verlauf seines Redebeitrages, der sehr lang war, einen kompletten Bogen zur Problematik gespannt hat.

Es ist Ihnen als LINKE unbenommen, Große Anfragen zu stellen. Das ist das Recht eines Abgeordneten, und es ist auch gut so, dass Sie das als Fraktion machen und Probleme benennen. Das ist unbesehen. Aber Ihren Entschließungsantrag, der darauf fußt, möchte ich jetzt noch einmal besonders betrachten.

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Den haben wir doch noch gar nicht eingebracht!)