Dass Armut ein großes Gesundheitsrisiko ist, dürfte inzwischen allgemein bekannt sein. Armut hat Auswirkungen auf die Ernährungssituation, auf das Freizeitverhalten, auf den Zugang zu Bildung, auch jenseits der Schule, auf soziale Kontakte. Kinder, die in Armut aufwachsen, haben also lange mit den Folgen zu kämpfen.
Meine Damen und Herren! Dieser kurze Abriss macht deutlich, dass enormer Handlungsbedarf besteht. Er macht auch deutlich, dass bestehende Sozialleistungen und das Bildungs- und Teilhabepaket bei Weitem nicht ausreichen. Vor allem legen die Ausführungen aber nahe, was wir in unserem Antrag fordern: Wenn wir der Benachteiligung von Kinderarmut wirklich entgegenwirken wollen, müssen wir dies ausgehend vom Lebenslagenansatz machen. Armut kann nicht pauschal beseitigt werden. Es bedarf eines differenzierten, am Sozialraum orientierten Maßnahmenplans.
Auf die weiteren konkreten Lösungsansätze, die wir mit unserem Antrag zur Debatte stellen, werden wir in der zweiten Runde eingehen.
Meine Damen und Herren! Für die CDU-Fraktion Frau Abg. SaborowskiRichter. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jedes Kind hat Träume. So möchten Jungs gern Profifußballer oder Kfz-Mechatroniker werden, Mädchen lieber Kinderkrankenschwester oder Tierärztin.
Das ist richtig! – Unser Land bietet viele Möglichkeiten, besonders für Kinder und Jugendliche. Sehr viele nutzen diese Chancen mit der Unterstützung ihrer Eltern. Sie erfahren Vertrauen, Liebe, Fürsorge und Erziehung in ihren Familien. Begabungen und Fähigkeiten werden erkannt und entsprechend gefördert. Aber auch Selbstständigkeit und Neugier werden geweckt. Die meisten Kinder wachsen genau so auf.
Es gibt jedoch auch Kinder, die in schwierigen Verhältnissen leben. Die Eltern sind mit der Erziehung und der Förderung ihrer Kinder überfordert. Es fehlt an Zuwendung, an Vorbildfunktion der Eltern, aber manchmal auch an den finanziellen Mitteln.
Mit dem Prioritätenantrag der Fraktion DIE LINKE wird gefordert: „Lebenslanger Benachteiligung durch Kinderarmut aktiv entgegenwirken – Bildungslandschaft am Lebensumfeld der Kinder orientiert gestalten!“
Die Antragsteller nehmen dabei Bezug auf die Ergebnisse der aktuellen Bertelsmann-Studie zur Entwicklung der Kinderarmut in Deutschland.
Danach hat die Zahl von Kindern unter 18 Jahren in Familien, die Grundsicherungsleistungen erhalten, im Jahre 2015 im Vergleich zum Jahr 2011 zugenommen. In Westdeutschland ist ein Zuwachs von 12,4 auf 13,2 % zu verzeichnen. In Ostdeutschland hingegen nahm der Anteil von 24 auf 21,6 % und in Sachsen von 20,1 auf 16,9 % ab. Nein, wir finden das nicht klasse, sondern wir wissen genau, dass wir an dieser Stelle noch eine ganze Menge zu tun haben.
(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN – Sebastian Scheel, DIE LINKE: So sieht es wohl aus!)
Ziel Ihres Antrags ist zum einen eine Verbesserung der Lebenssituation der betroffenen Kinder und Jugendlichen, insbesondere auf kommunaler Ebene. Zum anderen soll die systematische Forschung über Kinderarmut verbessert und eine regionalisierte, sozialraumorientierte Bildungsplanung erstellt werden. Für die Umsetzung wird eine bedarfsgerechte Verstärkung der personellen Ressourcen für die pädagogische, schulische, psychologische, soziale, sozialpädagogische und erzieherischer Arbeit sowie die Bereitstellung der erforderlichen organisatorischen,
personellen, sächlichen und finanziellen Mittel zur Gewährleistung eines nachhaltigen und flächendeckenden Netzes von Orten und Einrichtungen in Sozialräumen mit überdurchschnittlicher Armutsquote gefordert.
In unseren Augen ist Ihr Antrag jedoch undifferenziert und fordert zum Beispiel von allem ein bisschen mehr. Ein Beispiel: ein flächendeckendes Netz von Kitas und Schulen. Also, wenn wir das nicht haben, dann weiß ich ja nicht. Jedes Kind hat einen Anspruch auf einen Kita-Platz und jedes Kind besucht eine Schule.
Das Gleiche gilt für die Forderung einer bedarfsgerechten Verstärkung der personellen Ressourcen in allen möglichen Lebensbereichen. Auch hier hat die Fraktion DIE LINKE sich nicht die Mühe gemacht, diese Forderung konkret zu untersetzen. Ist eine bedarfsgerechte Verstärkung in der Kita ein Schlüssel von 1 : 10, von 1 : 5 oder von 1 : 1?
Die finanziell notwendigen Aufwendungen sind dabei völlig egal und werden wohl vom Freistaat getragen.
An dieser Stelle möchte ich einmal die Summen nennen, welche bereits für sozialstaatliche Aufgaben im Bildungsbereich aufgebracht werden. So haben Bund, Länder und Gemeinden im Jahr 2013 insgesamt rund 35,5 Milliarden Euro für die Kinder- und Jugendhilfe ausgegeben. Auch an das Investitionspaket „Brücken in die Zukunft“ ist zu denken. Von den rund 800 Millionen Euro ist ein überwiegender Teil für Investitionen in Kitas und Schulen vorgesehen. Aber nichtsdestotrotz: Kinderarmut ist regional sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Daher sind gerade im Bereich Bildung die Akteure vor Ort gefragt. Es gibt durchaus sehr gute Ansätze von sogenannten lokalen Bildungslandschaften, die die Bildung als Schlüssel für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sehen und dabei verschiedene Akteure aus den verschiedensten Bereichen des Lernens einbeziehen. Wichtig ist dabei, ein Gesamtsystem zu entwickeln, das Bildung, Betreuung und Erziehung verzahnt.
Ein Beispiel für eine lokale Bildungslandschaft möchte ich anführen, und zwar die 25. Grundschule in Dresden. In einem ersten Schritt arbeiteten Schule und Hort enger als vorher zusammen. Statt eines Nebeneinanders soll es nun ein Miteinander geben mit dem Ziel einer pädagogisch sinnvollen und effektiven Ganztagsbetreuung. Die Lernbedingungen sollen sich so verbessern, dass die Qualität des Bildungsniveaus der Grundschüler wächst. Es werden verschiedene Vereine aus dem Stadtteil einbezogen, an der Schule bereits laufende Projekte, wie die Integration von Kindern mit Behinderung, ebenfalls. Nach drei Jahren Planungszeit startete der Modellversuch: Teamarbeit statt Ellenbogen.
Mit der Schule-Hort-Vernetzung kann der Tagesablauf von 06:15 bis 18 Uhr gemeinsam gestaltet werden. Je nach Bedarf ist Früh- und Spätbetreuung – je nachdem, wie die Eltern sich das vorstellen – möglich. Es gibt gemeinsame Mahlzeiten und unterrichtsergänzende
Projekte. Die Nachmittags- und die Feriengestaltung knüpfen am Lernstoff der Schule an. Partner sind dabei die Eltern, Schuljugendarbeiter, Sport- und Schachklubs, der Polizeisportverein Dresden und die Musikschule. Die einzelnen Anbieter arbeiten vernetzt, sodass eine differenzierte Hausaufgabenbetreuung und Fördermaßnahmen entsprechend dem Leistungsniveau der Kinder stattfinden können.
Fazit: Die flexiblen Betreuungszeiten und das Schul-HortKonzept mit den vielen Möglichkeiten und Angeboten spricht sich im Stadtteil herum und spiegelt sich in hohen Anmeldezahlen wider. Das Image der Schule ändert sich.
Gute Beispiele kann man auch im Landkreis Görlitz finden. Dabei lag allerdings in diesem Verbund der Fokus auf Berufsorientierung. In der Stadt Leipzig ging es mehr um Medienkompetenz. Das sind für uns die richtigen Ansätze, und diese gilt es weiterzuentwickeln.
Jedes Kind, jeder Jugendliche hat eine faire Chance verdient und darf nicht verloren gehen. Dort, wo Hilfe notwendig ist, ist es die Aufgabe des Staates zu helfen, und er tut dies mit Kinderzuschlägen, mit Freibeträgen und mit Elterngeld. Es gibt das Bildungs- und Teilhabepaket. Es ist sicherlich nicht alles perfekt. Aber der Schlussbericht wird uns Ergebnisse und Empfehlungen aufzeigen, was in Zukunft dabei besser gemacht werden kann.
Kitas werden zu Eltern-Kind-Zentren. Diese ermöglichen unter anderem den Austausch der Eltern untereinander, sollen Hilfestellungen bei Problemen in Erziehungsfragen geben, eventuell auch die Vermittlung an Fachstellen übernehmen. Unterstützung für die Kinder gibt es auch bei den Hausaufgaben-, Nachmittags- und Ferienbetreuungen bei den unterschiedlichsten Trägern. Genannt sei dabei aus meiner Heimatstadt das Haus „Kinderland“ oder auch das „Don-Bosco-Haus“. Ich könnte hierzu noch viele Angebote nennen, die es speziell in Sachsen gibt.
Im schulischen Lernprozess gibt es ebenfalls eine Menge begleitender Angebote. Ich denke an das Projekt „Produktives Lernen“, die Schülercamps und Schulverweigerungsprojekte; nicht zuletzt die Schulsozialarbeit. Wir wollen die Kommunen bei dieser Aufgabe in den nächsten beiden Jahren mit je 15 Millionen Euro unterstützen. Wir haben ein gutes System, wenn es darum geht, Kinder zu unterstützen, wenn sie aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen. Hierfür wird eine Menge getan. Wir lehnen Ihren Antrag ab.
Meine Damen und Herren! Für die SPD-Fraktion Frau Abg. Friedel. Frau Friedel, bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE ist so ein bisschen ein zweigeteilter Antrag. Er hat einen theoretischen Teil – das sind die ersten zwei Punkte – und einen eher praktischen Teil – das sind die Punkte danach. Da ich ein praktisch orientierter Mensch bin, habe ich mich, als ich mir den Antrag durchgelesen habe, auf drei Punkte fokussiert. Für uns stellt sich bei einem Antrag immer die Frage: Was sollen wir tun? Was möchte der Antragsteller, dass es getan wird? Dann müssen wir uns überlegen, ob wir das tun wollen, ob wir das tun können, und wenn ja, ob wir zustimmen, und wenn nein, dann nicht.
(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Das glauben wir aber nicht wirklich! – Zuruf der Abg. Sarah Buddeberg, DIE LINKE)
Dann schauen wir uns das einmal an. In Punkt 3 wird vom Antragsteller die bedarfsgerechte Verstärkung der personellen Ressourcen für die pädagogische, schulische, psychologische, soziale, sozialpädagogische und erzieherische Arbeit einschließlich der offenen und mobilen Jugendarbeit gefordert. Etwas kürzer formuliert: mehr Lehrer, mehr Sozialarbeiter, mehr Erzieherinnen und Erzieher.
Dabei dachte ich mir: Es ist eigentlich schön, dass DIE LINKE einen solchen Antrag stellt und uns damit eine Vorlage gibt, weil: Dann haben wir das nicht umsonst gemacht. Das, was wir in den letzten zwei Jahren – dafür haben wir gekämpft, dann haben wir es beschlossen – gemacht haben, trägt genau diesen Ansatz. Wir haben die Jugendpauschale auf 12,40 Euro erhöht, um den Kommunen zu ermöglichen, mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu beschäftigen.
Wir haben den Betreuungsschlüssel in der Kita gesenkt und senken ihn weiter. Für die Krippe folgt es im nächsten Jahr. Wir haben 1 000 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen und wir werden noch ein paar mehr brauchen. Wir werden ein Landesprogramm für Schulsozialarbeit bekommen. Das ist ein Riesenfortschritt. Die Eltern-Kind
Zentren sind von der Kollegin schon angesprochen worden. Es war eine schöne Vorlage – vielen Dank dafür.
Ich greife noch einen anderen Punkt heraus. Gewünscht wird die Verstärkung der finanziellen Ressourcen, um öffentliche Räume des alltäglichen Lebens, wie Spielplätze, Grün- und Freizeiträume, Parks und andere als Rahmen für Orte für informelle Bildung nutzen zu können. Diese sollen insbesondere die Kommunen in die Lage versetzen, das alles bereitzustellen, und auch darauf kommt es uns an. Deswegen haben wir vor längerer Zeit bei der Schuldenbremse über den Schutzschirm für die Kommunen verhandelt und dies in die Wirklichkeit gebracht. Wir haben die Finanzausstattung der Kommunen verbessert und die Sportförderung erhöht. Die Mittel für den Schulhausbau waren in den letzten Jahren nicht so hoch. Es gibt Mittel für die Kita-Sanierung, das Brachflächenprogramm, die Stadtentwicklung und nicht zuletzt das Programm „Brücken in die Zukunft“.
Es ist völlig klar: Zu all diesen Punkten kann man sich noch mehr wünschen. Manchmal wünschen auch wir uns mehr. Aber auch wir müssen uns damit zufrieden geben, dass in der Realität nicht alles auf einmal finanzierbar ist. Man muss schrittweise vorgehen.
(Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Es geht um die Sozialräume! Die müssen Sie dazunehmen! Deshalb haben wir den Antrag gestellt! – Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)
Stellen Sie mir gern eine Zwischenfrage! – Es geht bei einem Brachflächenprogramm nicht nur darum, eine Brachfläche zu beseitigen, sondern darum, einen öffentlichen Raum zu schaffen. Es geht bei der Erhöhung der Jugendpauschale nicht nur darum, Geld in die Kommunen zu geben, sondern darum, am Ende ganz leibhaftig vor Ort zusätzliches Personal in den Jugendhilfeeinrichtungen zu haben.