Protocol of the Session on June 22, 2016

(Beifall bei den LINKEN sowie des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Für die Fraktion DIE LINKE hörten wir gerade Frau Köditz. Jetzt spricht Herr Baumann-Hasske für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Morgen in der Aktuellen Stunde über Digitalisierung diskutiert. In dieser Debatte haben insbesondere der Kollege Mann und der Kollege Rohwer anhand von Beispielen lebendig vor Augen geführt, welche Chancen und Möglichkeiten die Verbesserung des Datennetzes in Sachsen bietet. Herr Staatsminister Dulig hat bei aller Euphorie auch darauf hingewiesen, welche Gefahren es gibt, wenn mit Daten unsachgemäß umgegangen wird.

Wenn wir heute Morgen feststellen konnten, dass die Digitalisierung und der Zugang zu Datennetzen eine der wesentlichen Gerechtigkeitsfragen des 21. Jahrhunderts werden könnten, dann wird zugleich deutlich, welche Bedeutung die Unterscheidung zwischen Datengebrauch und Datenmissbrauch haben wird. Der Schritt in eine vollkommen vernetzte Welt kann zivilisatorischer Fortschritt sein, aber auch zur weitgehenden Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger führen. Für die Erhaltung und Fortentwicklung unserer Freiheitsrechte in einer digitalen Welt ist der Datenschutz von zentraler Bedeutung.

Meine Damen und Herren! Der 17. Bericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Stellungnahme der Staatsregierung belegen die hohe Bedeutung, die dem Datenschutz im Freistaat Sachsen zukommt. Auch von meiner Fraktion und von mir persönlich der herzliche Dank an Andreas Schurig und seine Behörde für die ausgezeichnete Arbeit, die sie mit wenigen Personen bewältigen müssen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Der Datenschutz dient dem Schutz von fundamentalen Rechten der Bürgerinnen und Bürger, nämlich dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, und dem korrespondierenden Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, beides abgeleitet durch das Bundesverfassungsgericht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Artikels 2 und dem Grundrecht auf Menschenwürde aus Artikel 1 Grundgesetz.

Der Staat hat nicht nur die Aufgabe, diese Rechte zu schützen, das Verbot, sie zu verletzen, zu beachten und das Gebot zu beachten, sie nur so weit einzuschränken, wie das zum Wohle der Allgemeinheit unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit unumgänglich ist. Der Staat hat auch in Gestalt des Datenschutzbeauftragten eine Aufsichtsbehörde geschaffen und sie der unabhängigen Aufsicht des Landtags unterstellt, einer Institution, die darüber wacht, dass sich seine Organe und Behörden an diese Gebote und Verbote halten.

Meine Damen und Herren! Der Bericht belegt, dass der Staat diese Aufgaben ernst nimmt und die Schranken weitestgehend akzeptiert, die ihm der Verfassungsgeber auferlegt hat. Gelegentlich muss er allerdings darauf hingewiesen werden. Das gilt übrigens auch in Bereichen, in denen der Staat unter Druck steht und die Sicherheit

der Bürgerinnen und Bürger, die zweifellos im öffentlichen Interesse liegt, gewährleisten soll. Die aktuell medial allgegenwärtige Terrorismusgefahr verführt dazu, Datenflüsse zu speichern und durch Algorithmen automatisch auswerten zu lassen, um so vermutete Absprachen zu Gewalttaten frühzeitig zu erkennen und ihre Realisierung zu verhindern. Dieser Verführung darf der Staat nicht erliegen.

(Beifall des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Dabei werden technische Möglichkeiten, Instrumente mit solchen Zielen einzusetzen, beinahe täglich erweitert. Trotzdem erlegt sich der Staat Zurückhaltung auf, denn er hat die Daten des Individuums zu achten und darf nur auf sie zugreifen, wenn er dazu einen konkreten Verdacht, einen konkreten Anlass hat.

Meine Damen und Herren! Dem wird der Freistaat zwar weitgehend gerecht. Der Bericht nennt aber auch einige Bereiche – und vieles davon war schon Gegenstand der vorangegangenen Beiträge –, in denen die Anwendung technischer Mittel datenrechtlich verbesserungsfähig wäre oder aus Gründen der Verhältnismäßigkeit hinterfragt werden müsste.

Ich will ein Beispiel herausgreifen. Es scheint mir belegt zu sein, dass die automatische Kennzeichenerfassung für Pkws recht unzulänglich arbeitet und das Ergebnis aufgrund der Fehleranfälligkeit außer Verhältnis steht zu den Grundrechtseingriffen, denen Unschuldige nur deshalb ausgesetzt sind, weil sie bestimmte Straßen in bestimmten Regionen befahren.

(Beifall des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Dies hat der Beauftragte bisher wohl weitgehend vergeblich angemahnt.

Lassen Sie mich abschließend auf einen Bereich der Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten kommen, der regelmäßig außerhalb der Wahrnehmung liegt. Er hat nämlich die Aufgabe, auch die Beachtung der Vorschriften über den Datenschutz in privaten Unternehmen zu kontrollieren. Für diese Zwecke ist er aber rein personell überhaupt nicht ausgestattet. Die besten Vorschriften über den Schutz der Daten von Kunden und Mitarbeitern, von Verbrauchern und Lieferanten nutzen nichts, wenn niemand da ist, der ihre Einhaltung kontrollieren kann. Ob es in einem Betrieb einen Beauftragten für Datenschutz gibt, ob er Gehör findet und ob Daten nicht nur als Ware, sondern auch als für die Rechte-Inhaber schützenswertes Gut betrachtet werden, das lässt sich nur feststellen, wenn es jemand prüft. Wenn diese Kontrolle in der Weise stattfindet, dass ein Unternehmen nur aller 20 bis 25 Jahre geprüft wird, braucht es Datenschutz kaum zu beachten.

Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich mit den bisherigen Rednern, auch mit Kollegen Hartmann, einer Meinung bin, dass wir dafür sorgen müssen, dass diese für unsere Gesellschaft und unsere Freiheitsrechte so wichtige Funktion entsprechend ausgestattet wird. Wir werden in den nächsten Monaten im Zuge des Haushaltes

ohnehin zu beraten haben, wie der Datenschutzbeauftragte im Lichte der Europäischen Datenschutzgrundverordnung in Zukunft anzusiedeln ist. Wir sollten dabei seine Schlüsselfunktion für die Mechanismen von Staat und Gesellschaft in einer digitalen Welt beachten und ihm die Wahrnehmung seiner Aufgaben umfassend ermöglichen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE, und der Staatsregierung)

Kollege BaumannHasske sprach für die SPD-Fraktion. Für die AfD spricht Herr Wippel. Bitte, gleich von Mikrofon 7.

Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Datenschutzbeauftragter, für die AfD-Fraktion möchte ich Ihnen mitteilen, dass wir Ihren Bericht und auch die Ausführungen im Innenausschuss dankend zur Kenntnis nehmen, insbesondere, was die festgestellten Verfehlungen und Anregungen angeht.

Das war Herr Wippel, AfD-Fraktion. Jetzt spricht Herr Kollege Lippmann für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Schurig! Es ist in diesem Hause und insbesondere bei uns GRÜNEN sehr guter Brauch, an dieser Stelle nicht nur Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu danken – was ich hiermit herzlich tue –, sondern auch mit Bedauern zum Ausdruck zu bringen, dass Sie nach wie vor nicht das Recht haben, vor diesem Hause zu sprechen und Ihren Bericht selbst vorzustellen.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Stattdessen müssen Sie hier unseren Interpretationen lauschen. Ich erlaube mir die leise Hoffnung anzumelden, dass wir mit der Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung und der erforderlichen Änderungen vielleicht auch noch einmal darüber reden, ob es diesem Haus nicht gut zu Gesicht stehen würde, wenn der Datenschutzbeauftragte bei seinen ureigensten Berichten ein Rederecht erhält.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN – Christian Piwarz, CDU: Wo kommen wir denn da hin?)

Unsere heutige Diskussion über den Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten fällt in eine Zeit, in der das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung am Scheideweg steht. Den Bericht muss man daher zum Anlass nehmen, um über den Stand des Datenschutzes hier und heute sehr grundsätzlich zu reden.

Da gilt es zu konstatieren: Der Ausverkauf des Grundrechtes auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung hat nicht nur mit Bezug auf international agierende Geheimdienste, sondern auch hier im Freistaat Sachsen schon längst begonnen. Die terroristische Bedro

hungslage in Europa ruft derzeit all jene auf den Plan, denen das Recht auf Datenschutz schon immer ein Dorn im Auge war, und auch jene, bei denen dieser Dorn offensichtlich zur Aufgabenbeschreibung bei ihrem Innenministerressort gehört.

Allen voran verkündete Bundesinnenminister Thomas de Maizière nun die Forderung nach der Verbindung aller Datentöpfe im Kampf gegen den Terrorismus oder gar eine flächendeckende Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen und blies damit zum Generalangriff auf den Datenschutz in Deutschland.

Der sächsische Innenminister: Sie sind in diesem Zusammenhang bekanntermaßen auch kein unverdächtiger Waisenknabe. Sie stehen dem Kollegen in nichts nach und setzen jetzt noch einen drauf: Sie kündigten letzte Woche tatsächlich ohne jeden Skrupel an, Body-Cams, Gesichtserkennungssysteme und Vorhersagesoftware im Freistaat einzuführen. Herzlichen Glückwunsch für diese Aushöhlung des Datenschutzes!

(Demonstrativer Beifall bei der CDU)

Dabei war es doch – und so viel Zeit muss sein, sich dem zu widmen –, Herr Minister, Ihre Polizei, die gerade eindrucksvoll und selbstentlarvend gezeigt hat,

(Zuruf des Abg. Steve Ittershagen, CDU)

dass viele Daten nicht plötzlich mehr Erkenntnisse bringen. Es ist doch wohl ein Treppenwitz, dass Sie Daten von über tausend mutmaßlichen Hooligans in Ihren Datenbanken sammeln und es dann nicht auf die Reihe bekommen, vor der Fußball-EM auch nur eine einzige Gefährderansprache zu vollziehen, und zwar mit der tatsächlich hanebüchenen, aber vielsagenden Begründung, man wisse ja aufgrund der Vielzahl der gespeicherten Leute gar nicht, wen man da konkret ansprechen sollte. Einen besseren Kronzeugen für die Sinnfreiheit ausufernder Datenbestände als die sächsische Polizei hätte es in dem Fall wirklich nicht geben können.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht, das mit seinen Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung, zur Antiterrordatei oder zuletzt zum BKAGesetz versucht hat, deutlich Grenzen aufzuzeigen, hat mehr oder minder Wirkung entfaltet, aber nur im Nachhinein.

Dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten kommt bei der Frage des Scheideweges, wie man mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung umgeht, eine wichtige Funktion zu. Er ist Wegweiser für die Verwaltung und den Gesetzgeber, einer, der Grenzen aufzeigt, der mahnt, der vermittelt und dem Grundrecht auf Datenschutz tatsächlich zur Wirkung verhilft.

Ich danke dem Datenschützer für die vielen klaren Worte, die er in den Berichten gefunden hat. Sie haben deutlich gemacht, dass die durch Snowden veröffentlichte millionenfache geheimdienstliche Überwachung eben kein

Problem allein der Kanzlerin, sondern aller Deutschen ist und dass die Sächsische Staatsregierung Maßnahmen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor massenhafter Überwachung treffen kann und auch muss.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Sie haben dem Gesetzgeber nochmals deutlich ins Stammbuch geschrieben – und Herr Baumann-Hasske, ich bin Ihnen dankbar für die klaren Worte vonseiten der SPD zu dieser Frage –, dass die 2011 eingeführte automatisierte Kennzeichenerfassung immer noch grundsätzlichen Bedenken unterliegt. Die jüngsten Erkenntnisse zeigen es doch ganz deutlich: Nein, es ist nicht verhältnismäßig, die Daten von Millionen Menschen zu erfassen, um einige wenige Kfz-Diebstähle in Sachsen aufzuklären.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Sie, Herr Datenschutzbeauftragter, haben das Versammlungsgrundrecht gestärkt – Frau Köditz sprach es an –, indem Sie die Polizei mit Nachdruck auf das Verbot der Bild- und Tonaufnahmen bei friedlichen Versammlungen hingewiesen haben. Allein in der Praxis verhallen diese Worte – das sage ich auch aus Erfahrung – weitgehend wirkungslos.

Nicht zu vergessen ist, dass Sie und Ihre Mitarbeiter in über 800 Fällen eine datenschutzrechtliche Prüfung nicht öffentlicher Stellen vorgenommen haben, davon allein in 146 Fällen von Videoüberwachungen. Dass Sie bei jeder dritten Kontrolle Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften festgestellt haben, zeigt, wie wichtig eine starke Aufsichtsbehörde in diesem Bereich ist.

Liest man Ihren Bericht gründlich, dann wird ganz deutlich, dass Sie immer noch nicht so können, wie Sie eigentlich wollten und wie Sie vor allen Dingen müssten. Für eine regel- bzw. anlassfreie Kontrolle fehlen Ihnen die Kapazitäten. Keine einzige der systematischen Kontrollen konnte im Berichtszeitraum im nicht öffentlichen Bereich durchgeführt werden.

Vor diesem Hintergrund müssen wir uns eines klarmachen: Der Sächsische Datenschutzbeauftragte ist vor allem auch ein niedrigschwelliges Angebot für die sächsischen Bürgerinnen und Bürger. Sie müssen nicht den Klageweg beschreiten, um gegen rechtswidriges, weil gegen den Datenschutz verstoßendes Verwaltungshandeln vorzugehen. Sie können sich kostenfrei an den Datenschutzbeauftragten wenden, der sie als Anwalt gegenüber den Behörden und sonstigen Stellen vertritt. Diese Aufgabe aber kann und wird der Sächsische Datenschutzbeauftragte vollumfänglich nur erfüllen können, wenn er ausreichend personell ausgestattet ist. Aber davon sind wir leider momentan meilenweit entfernt.

Es ist jetzt an uns als Gesetzgeber, diesen Zustand schnellstmöglich zu beheben. Ich verlange von der Koalition – und auch deswegen hat meine Fraktion einen entsprechenden Entschließungsantrag eingereicht – ein klares Bekenntnis in Richtung Haushalt. Ich werde all jene, die heute wohlfeile Worte für den Datenschutzbeauf

tragten gefunden und ihm gedankt haben, spätestens zu den Haushaltsberatungen daran erinnern, wenn wir dann sehen, was das konkret in Stellen heißt.