Protocol of the Session on May 26, 2016

Kurzum: Dieser Paragraf des Polizeigesetzes in Sachsen muss dringend überprüft werden.

Aber nicht nur das. Bürgerrechtspolitik in Sachsen ist in den letzten Jahren vor allem ein Kampf gegen die Einschränkung der Bürgerrechte statt ein Kampf für mehr Freiheiten gewesen. Dabei ist es egal, ob die CDU mit der FDP oder der SPD regierte. Wurde ein Sicherheitsgesetz angefasst, kam es stets nur zur Verschärfung und ganz selten zur Erleichterung für die Bürgerinnen und Bürger.

Nach dem 11. September 2001 begann auch in Sachsen das, was der renommierte Staatsrechtler Günter Frankenberg als den Weg von der Gefahrenabwehr zur reinen Risikovorsorge beschrieben hat. Es ist nun an der Zeit für eine Evaluation der Sicherheitsgesetzgebung in Sachsen. Es müssen endlich die Auswirkungen der Verschärfung überprüft und gegebenenfalls im Sinne einer liberalen freiheitlichen Bürgerrechtspolitik Anpassungen vorgenommen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen eine Evaluation des Wildwuchses bei den Eingriffsbefugnissen. Mindestens die Verschärfungen, die

2012 von der CDU und einer vermeintlichen Bürgerrechtspartei wie der FDP verabschiedet wurden, gehören auf den Prüfstand.

Damals wurde unter anderem die Kennzeichenerfassung vollumfänglich verankert, die offensichtlich ein „durchschlagender“ Erfolg ist: Sage und schreibe fünf aufgeklärte Kfz-Diebstähle und unzählige Verstöße gegen das Pflichtversicherungsgesetz

(Staatsminister Markus Ulbig: Nicht zu verachten!)

standen 2014 dem massiven Eingriff in Bürgerrechte und bis zu drei Millionen erfassten Kennzeichen gegenüber. Das ist unverhältnismäßig und gehört einer Überprüfung unterzogen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ebenfalls 2012 kam die mutmaßlich rechtswidrige Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse gegen Kontakt- und Begleitpersonen, wie sie jüngst das Bundesverfassungsgericht maßgeblich beanstandet hat, in das Gesetz. Zudem wurde der Gefahrenbegriff „Rasterfahndung“ weitgehend aufgeweicht.

Niemand weiß bis heute, ob das notwendig war, ob es einen einzigen Vorteil für die Sicherheitsbehörden gebracht hat und ob es mit Blick auf die Schwere der Grundrechtseingriffe notwendig und vor allen Dingen verhältnismäßig war. Dies gilt es zu klären, auch vor dem Hintergrund der jüngeren Rechtsprechung.

Oder nehmen wir § 41 des Sächsischen Polizeigesetzes, die Regelung zur präventiven Wohnraumüberwachung. Prof. Hartmut Aden fragte seinerzeit in der Anhörung zum Polizeigesetz, welchen Anwendungsbereich es überhaupt für § 41 Polizeigesetz gebe.

Wir können ihm nun, fünf Jahre nach Inkrafttreten dieser Regelung, antworten: Keine! Nicht ein Mal wurde Gebrauch von der Befugnis gemacht! Angesichts dessen muss man doch ernsthaft prüfen, ob die Vorschrift nicht doch auf den Müllhaufen der Sicherheitsgesetzgebung gehört, werte Kolleginnen und Kollegen.

Wir brauchen eine Evaluation der Datenerhebung und der Weitergabefugnisse. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht noch einmal klare Maßstäbe angelegt, was zulässig ist und was nicht. Auch deshalb müssen wir die Vorschriften unserer Sicherheitsgesetzgebung unter die Lupe nehmen.

Aber eine Evaluation der Sicherheitsgesetzgebung kann auch ganz praktische Gründe haben. Wir brauchen nämlich auch eine Evaluation hinsichtlich der Anwenderfreundlichkeit der rechtlichen Grundlagen. Die rechtlichen und mitunter auch sprachlichen Unklarheiten unserer Sicherheitsgesetzgebung, Dopplungen und unterschiedliche Tatbestandsmerkmale, sind nicht geeignet, praxistauglich für die Anwender, zum Beispiel Polizistinnen und Polizisten, zu sein. Hier gilt es, Nachbesserungsbedarf zu erkennen und gegebenenfalls umzusetzen. Nach unserer Auffassung braucht es dafür eine externe Evaluation der

Sicherheitsgesetzgebung in einer Kommission mit Experten, die sich hier auskennen und die tatsächlich in der Lage sind zu bewerten, was in Sachsen angepasst werden muss.

Der Bund ist bei der Evaluation mit gutem Beispiel vorangegangen und hat 2013 eine höchst umfassende Evaluation seiner Sicherheitsgesetzgebung vorgenommen, die übrigens in Politik und Wissenschaft sehr, sehr positiv rezipiert wurde. An dieses gute Beispiel sollten wir uns in Sachsen anlehnen und eine eigene, externe Evaluation mit Fachleuten durchführen, um Transparenz und Klarheit zu schaffen – gegenüber dem Gesetzgeber, aber auch den Menschen im Freistaat Sachsen, die potenziell von diesen Maßnahmen betroffen sein könnten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine Evaluation ist auch nichts Ungewöhnliches. Bei der Bestandsdatenauskunft wurde 2013 sogar explizit eine Einzelevaluation is Gesetz aufgenommen und in § 42 verankert. Wir sind gespannt, was dieses Haus mit Auslaufen der Evaluationsfrist Ende des Jahres erreichen wird. Überdies ist der gesamte Koalitionsvertrag von CDU und SPD eine einzige Evaluationsanordnung. Von daher gehe ich davon aus, dass das Ziel einer Evaluation hier auf breitestmögliche Mehrheiten treffen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Eine der Säulen des liberalen Rechtsstaates ist das gesunde Misstrauen in staatliches Handeln, gerade im sensiblen Bereich der Sicherheitsgesetzgebung. Schon deshalb braucht es hier eine stetige Evaluation und ein stetiges Überprüfen des gesetzgeberischen Handelns. Dies wollen wir mit unserem Antrag unterstützen.

Lassen Sie uns gemeinsam mit einem solchen Evaluationsprozess deutlich machen, dass unsere Antwort auf die derzeitige Bedrohung der Freiheit die Überprüfung der Einschränkung der Freiheit ist und wir in einem Freistaat leben wollen, der diesen Namen nicht nur auf dem Papier verdient.

Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion ist an der Reihe. Herr Abg. Hartmann, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legt uns heute den Antrag vor: „Evaluierung der sächsischen Polizei- und Sicherheitsgesetze einleiten“. Im Kern wird eine Kommission gefordert, die diese Evaluierung vornehmen soll.

Hintergrund ist die Erweiterung und Ergänzung der Aufgaben und Befugnisse der Polizei und des Verfassungsschutzes seit den Anschlägen des 11. September 2001, was seitens der antragstellenden Fraktion mit

weitreichenden Eingriffen in grundrechtlich geschützte Bereiche der Privatsphäre gleichgestellt wird. Die Debatte um eine mögliche weitere Verschärfung der Sicherheitsgesetze nach den Anschlägen von Brüssel und Paris wird hier nun durchaus als Frontalangriff auf die fundamentalen Bürgerrechte gesehen.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Ja, da haben Sie recht!)

Es scheint, als stünden sich bei diesem Thema zwei unversöhnliche Positionen gegenüber, wie auch der Bericht der Regierungskommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland zeigt. Die Sicherheitsgesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland wurde durch eine im Jahr 2011 eingesetzte Kommission überprüft, deren Bericht im August 2013 vorgelegt wurde. Auf diesen Bericht stellt letzten Endes auch die Antragstellerin ab.

Allerdings – und das gilt es an dieser Stelle zu betonen – fällt der Bericht der Kommission nicht so einseitig aus, wie es dargestellt wurde. Es ist keinesfalls so, dass sich die Kommissionsmitglieder bei der Bewertung der Gesetze in Bezug auf die sicherheitsrelevanten Akteure und ihre Zusammenarbeit einig wären.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Das ist logisch!)

Entgegen der Darstellung in der Antragsbegründung sind die Mitglieder Harms und Kaller, an deren Beispielen ich meine Argumentation fortführen werde,

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Wie überraschend!)

der Auffassung, dass durch das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Straftaten ein wichtiger Schritt zur effektiven Bekämpfung terroristischer Handlungen durch Einzeltäter gegangen worden ist. Beide halten sogar eine Erweiterung der Straftatbestände für notwendig; denn nach wie vor ist nach Auffassung der Mitglieder Harms und Kaller die Werbung für terroristische Gruppierungen nicht angemessen strafrechtlich erfasst. Weiter heißt es in dem Bericht:

„An einer solchen Werbung besteht nach ihrer Auffassung keinerlei berechtigtes Interesse, umgekehrt birgt diese Werbung ein erhebliches Radikalisierungspotenzial und ist daher unter Strafe zu stellen.“

Auch bei der Bewertung präventionspolizeilicher Terrorismusabwehr durch das Bundeskriminalamt kommen die Kommissionsmitglieder zu teilweise diametral entgegengesetzten Bewertungen. So sehen die Mitglieder Harms und Kaller insbesondere in diesem Punkt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts als sehr genau umgesetzt an.

Auch in dem Punkt „Eingriffsbefugnisse von Nachrichtendiensten“ ist die Empfehlung der Kommission in dem Antrag ungenau wiedergegeben. Sie lautet nämlich richtigerweise: „Die Nachrichtendienste haben nicht die Aufgabe der Gefahrenabwehr im polizeilichen Sinn. Hinsichtlich einiger nachrichtendienstlicher Befugnisse“ –

der Schwerpunkt liegt auf „einiger“ – „ist es jedoch verfassungsrechtlich geboten, das Vorliegen einer Gefahr als Eingriffsvoraussetzung gesetzlich festzulegen.“

Richtig ist: Die Kommission hat eine zügige Umsetzung der Evaluierung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes, des Bundesverfassungsschutzgesetzes sowie weiterer Gesetze beschlossen. Hierfür wurde bei der Novellierung des Bundesverfassungsschutzgesetzes die Frist auf Oktober 2016 gelegt. Auch die CDU-SPD-Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag auf Seite 97 verpflichtet, die Arbeit der Polizei durch Effizienzsteigerung zu unterstützen und zu verbessern und die gesetzlichen Grundlagen zu überprüfen. Angesichts der Tatsache, dass die Ergebnisse der Evaluierung der Bundesgesetze frühestens Ende dieses Jahres vorliegen werden, ist das im Antrag vorgeschlagene Verfahren, bis Ende 2017 alle sächsischen Sicherheitsgesetze durch eine Kommission überprüfen zu wollen, nicht zielführend; denn für eine Bewertung der sächsischen Sicherheitsgesetze einschließlich ihrer Architektur sind die Evaluationsergebnisse zu den Bundesgesetzen durchaus wichtig, um möglichst effizient und auf der Grundlage der Ergebnisse des Bundes die eigene Gesetzeslage überprüfen zu können.

Zudem ist der Fokus des Antrags aus unserer Sicht sehr einseitig auf die etwaigen Eingriffsbefugnisse in die Grundrechte von Betroffenen, auf datenschutzrechtliche Belange sowie mögliche Befugnisüberschreitungen

sächsischer Sicherheitsbehörden gerichtet, anstatt Sicherheitslücken in den Gesetzen aufzuzeigen und mit geeigneten Regelungen zu schließen oder Effizienzsteigerungen zu erreichen. Einem solchen einseitigen Antrag, der zudem aus unserer Sicht zu einem falschen Zeitpunkt kommt, nämlich mit Bezug auf die ausstehende Evaluierung der bundesrechtlichen Vorschriften, kann unsere Fraktion nicht zustimmen. Wenn man sich die Aufgabe stellt, die Sicherheitsgesetze in Sachsen zu evaluieren, dann mit dem Ziel, die Arbeit von Polizei und Sicherheitsbehörden effizienter zu gestalten, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu optimieren, gemeinsame Standards in der Terrorismus- und Gefahrenabwehr zu überprüfen und, wenn notwendig, zu überarbeiten. Dass bei einer solchen Evaluierung und möglichen Anpassung gesetzlicher Regelungen stets die Rechte Dritter zu beachten und Grundrechtsabwägungen vorzunehmen sind, versteht sich doch von selbst.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Maßnahmen in Sachsen, die in den letzten Jahren getroffen wurden, wird mein Kollege Pallas noch vortragen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und schließe nochmals mit der Feststellung, dass aus heutiger Sicht dieser Antrag abzulehnen ist.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Nachdem Herr Hartmann sich nun den Beifall erschlichen hat, rufe ich die Fraktion DIE LINKE auf. Herr Abg. Bartl.

(Christian Hartmann, CDU: Herr Präsident, bemüht, nicht erschlichen!)

Herr Bartl, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit diesem Antrag will, findet in Grundsätzen unsere große Sympathie. In den letzten 15 Jahren seit den dschihadistischen Anschlägen auf die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York am 11. September 2001 sind tatsächlich beinahe 40 Sicherheitsgesetze in der Bundesrepublik Deutschland neu verabschiedet oder geändert worden. Ich zähle sie jetzt nicht auf, obwohl es interessant wäre. Der Antrag wäre Anlass, das wieder einmal durchzusehen. Da staunt schon der Laie und der Fachmann wundert sich, was da alles zusammengekommen ist.