Protocol of the Session on April 20, 2016

drohender Arbeitsplatzverlust bei Bombardier –

Gründe für das hilflose Agieren der Staatsregierung

Antrag der Fraktion DIE LINKE

In dieser Debatte hat zunächst der Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Herr Martin Dulig, um das Wort gebeten, das ihm übrigens nach § 86 unserer

Geschäftsordnung jederzeit als Vertreter der Staatsregierung zusteht.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Schön ist es trotzdem nicht!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind solidarisch mit den Beschäftigten bei Bombardier. Wir sind solidarisch mit den Verantwortlichen bei Bombardier, die mit uns an einer konstruktiven Lösung arbeiten, und wir sind solidarisch mit der gesamten Region. Denn Bombardier ist einer der wichtigsten industriellen Arbeitgeber, eines der wichtigsten industriellen Unternehmen in der Region, die so oder so schon in den letzten Jahren ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Bombardier steht auch für eines der vielen Unternehmen, die den Bahnstandort Sachsen ausmachen.

Circa 13 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 240 Unternehmen in Sachsen zeigen, dass die Bahn für uns ein wichtiger Standort ist. Nur leider haben wir auch mitbekommen, dass vom Wachstum der globalen Bahnbranche – immerhin ein Plus von 2,7 % – Bombardier aufgrund der Billigkonkurrenz aus Asien und vor allem aus China nicht profitierte. In den letzten Jahren hat sich die Anzahl der Mitbewerber verdoppelt. Wenn Sie sich die Bilanz von Bombardier anschauen, weist diese inzwischen 6 Milliarden US-Dollar Schulden auf, und einen großen Anteil davon hat die Deutsche Bombardier angehäuft, die in den letzten Jahren erhebliche Verluste eingefahren hat.

An dieser Stelle muss man aber deutlich sagen: Es ist unanständig, wenn jetzt auch Managementfehler der letzten Jahre auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

und dass Sachsen überproportional davon betroffen ist. Von den 1 430 Stellen, die im Gesamtabbaukonzept jetzt geopfert werden sollen, sollen 900 in Sachsen und davon 700 allein am Standort Görlitz betroffen sein.

Ich habe damals, als die erste Entscheidung zur Zusammenlegung der Standorte Görlitz und Bautzen getroffen wurde, mit Sorge gesehen, dass die StraßenbahnbauKompetenz abgezogen werden soll. Wenn es jetzt aber darum geht, das gesamte Engeneering abzuziehen, dann geht es an die Substanz und an die Zukunftssicherheit von Bombardier an den sächsischen Standorten. Das ist schlichtweg nicht akzeptabel, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir sind nicht untätig. Von Anfang an sind wir in Gesprächen. Es gibt einen intensiven Kontakt sowohl auf politischer als auch auf Arbeitsebene mit Mitgliedern des Aufsichtsrates, der Geschäftsleitung, dem Betriebsrat, den örtlichen Gewerkschaften. Ja, seit dieser Legislaturperiode gibt es wieder gute Kontakte aus dem Wirtschafts- und Arbeitsministerium zur Arbeitnehmerseite. Es gehört auch dazu, dass man sich auf beiden Seiten und nicht nur auf einer starkmacht.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ministerpräsident unterstützt unsere Bemühungen durch Gespräche mit der Unternehmensleitung in Berlin. Wir haben regelmäßig einen Austausch im Kabinett über den aktuellen Stand.

Die Anstrengungen seit der Ankündigung der Restrukturierung des Arbeitsplatzabbaus im Februar 2016 wurden weiter verstärkt. Wir haben uns mehrfach zu Gesprächen vor Ort und im Ministerium getroffen. Ich habe meinen Staatssekretär Brangs beauftragt, auf Arbeitsebene alle Gespräche zu begleiten. Ich bin selbst in die Gespräche mit den Beteiligten involviert. Wir haben unmittelbar nach dem Wechsel der Geschäftsleitung den Kontakt zum neuen Geschäftsführer, Herrn Wacker, aufgenommen. Es wird in Kürze ein Gespräch geben, ein Gespräch, das dazu dienen soll zu überprüfen, inwieweit wir mit der neuen Geschäftsleitung an einem Zukunftsmodell arbeiten können.

Was sind jetzt unsere Ziele? Zur Ehrlichkeit gehört es zu sagen: Wir werden nicht alle Arbeitsplätze erhalten können. Das betrifft vor allem die Zeit- und Leiharbeiter, die einfach vom Unternehmen abbestellt werden. Deshalb muss man die Ziele klar definieren.

Erstens. Unser wichtigstes Ziel ist Standortsicherheit für beide Standorte in Sachsen über 2018 hinaus. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Standorte ausgespielt werden. Ich verstehe jeden Oberbürgermeister, wenn er seine eigene Stadt im Blick hat. Aber wir brauchen keine individuellen Konzepte, sondern ein Zukunftskonzept, das die Standorte in Bautzen und Görlitz sichert. Das gehört an die erste Stelle bei der Zieldefinition.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Zweitens. Wir wollen das Engeneering in Sachsen halten. Wenn wir an einer Lösung arbeiten und die Möglichkeiten nutzen, die wir als Freistaat Sachsen zum Beispiel mit unserer Technologieförderung haben, dann muss es darum gehen, die Ingenieurleistungen in Sachsen zu halten. Das ist die Zukunftsperspektive. Es geht eben nicht nur um den Fertigungsstandort, sondern darum, dass wir mit dem Standort Innovation verbinden und damit Zukunftssicherheit schaffen, die über 2018 hinausgeht.

Drittens. Wir wollen natürlich die Fachkräfte halten. Deshalb appelliere ich an dieser Stelle an Bombardier, genau zu überlegen, ob die Abbestellung der Zeit- und Leiharbeiter ihnen nicht tatsächlich irgendwann einmal auf die Füße fällt, weil sie mit einem Zukunftskonzept Fachkräfte brauchen werden. In einer Region, in der die attraktiven Angebote inzwischen durchaus zugenommen haben und die Bundesanstalt für Arbeit inzwischen aktiv unterwegs ist, um zu vermitteln, wird es dann nicht mehr so leicht sein, wieder Fachkräfte ins Unternehmen zu holen. Das ist die Verantwortung, die dann Bombardier hat. Deshalb appelliere ich an Bombardier zu prüfen, ob es nicht mit anderen Modellen möglich ist, die Arbeitskräfte zu halten.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute hier eine Debatte, die die LINKEN mit einer Überschrift beantragt haben,

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Jetzt fällt es Ihnen auf!)

die ich deshalb ärgerlich finde, weil Sie uns damit hilfsloses Agieren unterstellen. Ich sage Ihnen: Sie machen Klassenkampf auf dem Rücken der Beschäftigten.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Wenn es Ihnen darum gehen würde, hier Solidarität zu zeigen,

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Wir haben das beantragt!)

dann bräuchten Sie nicht so eine Art von Polemik, die an dieser Stelle, wo es um Schicksale geht, völlig unangebracht ist – um es einmal ganz klar zu sagen –,

(Starker Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe der Abg. Sebastian Scheel und Rico Gebhardt, DIE LINKE)

da ich ahne,

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ich ahne!)

was in Ihren Textbausteinen steht, zumal es jetzt schon in Ausschusssitzungen gesagt wurde.

Da wurde zum Beispiel die Frage gestellt: Warum sitzen der Ministerpräsident oder der Wirtschaftsminister nicht schon längst im Flugzeug nach Kanada? – Was nützt es, wenn Sie mit leeren Händen nach Kanada fliegen und mit leeren Händen zurückkommen? Es funktioniert doch nur, wenn wir jetzt, und zwar mit den Gewerkschaften, mit dem Betriebsrat, ein Zukunftskonzept erarbeiten, bei dem man dann dem Aufsichtsrat in Kanada sagen kann: Das ist unser Angebot. Mit diesem Angebot verbinden wir die Forderung nach einer Garantie für die Standortsicherheit, die uns gegeben werden muss. Dann sind wir auch bereit, unsere Möglichkeiten mit der Technologieförderung, mit dem Weiterbildungsscheck einzusetzen, damit wir eine Perspektive haben. Das ist die Verabredung, die wir sowohl mit der alten Geschäftsleitung und hoffentlich auch mit der neuen haben und die wir vor allem mit dem Betriebsrat haben, die alle mit dem Dresdner Beratungsunternehmen Kemper & Schlomski dabei sind, dieses Konzept zu erarbeiten. Das ist ein gangbarer Weg. Dann macht es Sinn, sich tatsächlich in das Flugzeug zu setzen. Dieses Angebot ist dann unsere Leistung, um den Standort in Sachsen zu halten. Alles andere, was Sie da vorhaben, ist Aktionismus und hilft nicht einem einzigen Beschäftigten in Görlitz oder Bautzen. Das ärgert mich.

Polemik gehört dazu. Das halte ich aus. Jemand, der austeilt, muss auch einstecken können. Das ist nicht mein Problem.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Sie missbrauchen Ihr Rederecht, das ist alles!)

Ich sage Ihnen: Bei dem Thema geht es um zu viel. Da geht es um Menschen, Beschäftigte, Familien, um eine ganze Region, die gebeutelt ist. Da brauche ich keine Polemik, sondern Solidarität, wie ich es am Anfang gesagt habe,

(Zurufe von den LINKEN)

Solidarität mit den Beschäftigten, Solidarität und keinen Klassenkampf.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Sie können gern weiterhin polemisieren. Ich arbeite hart an einer Lösung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Sebastian Scheel, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Staatsminister Martin Dulig hatte das Wort für die Staatsregierung. Jetzt sehe ich am Mikrofon 1 Herrn Kollegen Scheel mit einer Kurzintervention?

Sie nehmen richtig an, Herr Präsident.

Vielen Dank. Bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Sehr geehrter Herr Staatsminister Dulig, das hier ist immer noch das Haus des Parlaments. Wenn Parlamentsfraktionen Aktuelle Debatten zu einem Thema ihrer Wahl beantragen, dann ist es mittlerweile eine Unsitte, dass die Staatsregierung offensichtlich meint, hier verkappte Regierungserklärungen halten zu müssen. Sie haben noch nicht einmal gehört, worüber wir reden wollen und welche Position wir hier einnehmen. Sie meinen sich anmaßen zu können, hier über die Arbeit des Parlaments und ihrer Fraktionen zu urteilen.

(Beifall bei den LINKEN, der AfD und den GRÜNEN)

Herr Präsident, ich bin der Auffassung, dass wir uns sehr dringend – auch im Präsidium – darüber unterhalten müssen, inwieweit die Staatsregierung hier die Rechte, die ihr nach der Geschäftsordnung zustehen, in diesem Fall vielleicht etwas gemäßigter wahrnehmen sollte.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.