Sachsen ist ein Bahn-Land, wie ich eingangs sagte, und wir sollten es nicht, wie die CDU es möchte, zu einem Auto-Land machen. Dabei haben wir in Sachsen mit die niedrigsten Pkw-Zahlen pro Einwohner, nämlich gerade einmal 518 Pkws pro 1 000 Einwohner. Zusammen mit Mecklenburg-Vorpommern, wo es 517 Pkws pro 1 000 Einwohner gibt, ist Sachsen damit das Flächenland, das von allen Bundesländern die niedrigste Anzahl von Pkws pro 1 000 Einwohner hat. Gründe dafür sind unter anderem, dass es hier eine lange Tradition gibt, mit Bus und Bahn zu fahren. Aber auch ein gut ausgebautes Netz, das früher einmal viel dichter war, existiert in Sachsen noch. Viele Mittelzentren und die Großstädte Leipzig, Dresden und Chemnitz sind im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr dicht beieinander, was auch die Wirtschaftsstärke dieses Bundeslandes ausmacht.
All das droht hier zusammenzubrechen, wenn Sie nicht gegensteuern. Auch die Fahrgastzahlen haben sich in den letzten Jahren positiv entwickelt. 2001 hatten wir eine Milliarde Personenkilometer im öffentlichen Personennahverkehr. Dafür haben die Zweckverbände 300 Millionen Euro im Jahr vom Freistaat als Regionalisierungsmittel bekommen. 2015, also knapp 15 Jahre später, waren es schon anderthalb Milliarden Personenkilometer. Das ist eine Steigerung von 50 %. Die Regionalisierungsmittel für die Zweckverbände sind aber nur um 33 % gestiegen – trotz massiver Kostensteigerungen und dieser enormen Personenzuwächse im öffentlichen Nahverkehr. Das haben die Zweckverbände allein durch Optimierung, Erneuerung und Innovation erreicht. Dies droht nun, wie gesagt, zusammenzubrechen, denn weiter optimieren kann man nicht. Was nützt es, wenn wir die vielen neuen Strecken, den City-Tunnel, die vielen elektrifizierten Strecken, den viergleisigen Ausbau der S-Bahn in Dresden oder die Modernisierung in Hoyerswerda haben, wenn am Ende dort kein Zug fahren kann?
Auch Aussagen des CDU-Kollegen Michel in der „Sächsischen Zeitung“ vom 1. Februar, dass die Leute doch auch künftig einfach Bus statt Bahn fahren können, führen zu Hass, zu Frust und zu Wut, die wir hier in Sachsen als Politiker täglich erleben. So eine Aussage kann auch nur von einem Autofahrer kommen. Jemand anders würde so etwas nicht sagen. Denn was es heißt, lange Strecken mit dem Bus statt mit der Bahn zu fahren, wird mein Kollege Horst Wehner im zweiten Redebeitrag ausführen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Böhme, wenn man Ihnen so zuhört, könnte man zu dem Ergebnis kommen, ab übermorgen werde der Eisenbahnverkehr im Freistaat Sachsen komplett eingestellt. Es ist natürlich nicht so.
Um die Dinge ein bisschen zu sortieren: Es geht natürlich nicht nur um den ÖPNV, sondern man muss das im Ganzen denken. Aber ich beginne einmal bei dem Vorwurf, den Ministerpräsidenten betreffend. Es wird geflissentlich immer einmal gesagt, dass Stanislaw Tillich an der gesamten Misere schuld sei.
Auch Ihr Ministerpräsident in Thüringen, Bodo Ramelow, hat das Problem, und Herr Sellering von der SPD in Mecklenburg-Vorpommern. Das ist schlicht eine OstWest-Frage, und es ist egal, ob es ein SPD-, ein CDU- oder ein linker Ministerpräsident oder ein grüner wie in Baden-Württemberg ist.
Die zehn Westländer haben sich an dieser Stelle gegen die fünf Ostländer plus Berlin durchgesetzt. Das ist schlichte Mathematik. Mit diesen Dingen müssen wir jetzt einmal umgehen. Diese Schuldzuweisungen der Sächsischen Staatsregierung gegenüber, das ist doch wirklich kompletter Quatsch.
Zu den Regionalisierungsmitteln: Sie tun ja so, als ob sich der Finanzminister mit dem Geld die Taschen vollmacht. Das ist doch genauso Unfug. Die Gelder kommen doch komplett im Verkehr an. Es wird daraus das Landesinvestitionsprogramm bezahlt, es wird daraus Schülerverkehr gemacht, es wird daraus die Schmalspurbahn bezahlt – das alles ist auch ÖPNV.
Wenn das übrigens rechtswidrig wäre, dann hätte sich das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur
an dieser Stelle schon mal zu Wort gemeldet. Und Sie werden es erleben: Wenn die Regionalisierungsmittel verteilt sind, werden die Westländer diesem Beispiel folgen. Das kommt also zu 100 % im öffentlichen Verkehr an und nicht, wie Sie hier glauben machen wollen, nur zu 75 %.
Die Fragen sind aus meiner Sicht ganz andere: Setzen wir das Geld denn effizient ein? Sind unsere Strukturen die richtigen? Bisher haben wir zum Beispiel zum Busverkehr überhaupt keine Zahlen, weil der in der letzten Zeit komplett in kommunaler Verantwortung organisiert wurde.
Das ist jetzt dank der Arbeit der ÖPNV-Strategiekommission einmal angefasst worden. Unsere Berater, die da gerade das Basisgutachten erstellen – Sie arbeiten dort ja auch mit und wissen das –, bringen die Dinge jetzt alle einmal zusammen. Ich denke, danach kann man sich das anschauen und überlegen, was man wie finanzieren und wo man welches Geld hineingeben muss.
Natürlich muss man auch schauen: Sind wir mit den richtigen Fahrzeuggrößen unterwegs? Ich selbst bin bekennender Eisenbahnfan, aber ich verstehe auch den einen oder anderen Verbund, wenn er sagt, an dieser und jener Stelle sei der Bus vielleicht effizienter – oder vielleicht auch eine neue Bedienform, die wir noch gar nicht ausprobiert haben. Da sollte man alles nicht so generalisieren.
In meinen Augen darf man auch nicht so sehr in Verkehrsträgern denken, sondern eher in Reiseketten. Das machen die Fahrgäste ja auch entsprechend. Wie gesagt: Ich würde mir gerne die Strukturen ansehen. Es kann sein, dass wir zu dem Ergebnis kommen, dass das, was wir jetzt haben, sehr gut ist; es kann aber auch sein, dass wir feststellen: Wir müssen dort optimieren. Ich denke, bevor das nicht einmal ordnungsgemäß durchdacht und untersucht ist, verbieten sich irgendwelche Schuldzuweisungen.
In meinen Augen sind die Schwerpunkte, die wir in den nächsten Jahren haben, völlig klar. Wir müssen – das ist in der Vergangenheit vielleicht in der Tat nicht so optimal gelaufen – in Berlin mehr Lobbying für uns machen, das heißt, Sachsen an dieser Stelle einfach noch mal größer hinaustragen. Wir müssen uns aber auch Verbündete suchen, zum Beispiel im Bereich Investitionen. Wir haben ein erhebliches gemeinsames Interesse mit den Bayern zusammen, dass die Strecke nach Regensburg elektrifiziert wird, weil dann nämlich auch unsere SachsenFranken-Magistrale ins Rennen kommt.
Wir haben ein erhebliches gemeinsames Interesse mit den Hamburgern und den Bremern zusammen – und allem, was so dazwischenliegt.
Wir müssen die Neubaustrecke Dresden – Prag hinbekommen. Da geht es nämlich nicht nur darum, im Personenverkehr eine Stunde schneller in Prag zu sein – das ist aus meiner Sicht gar nicht so sehr das Ding, um das es
geht –, sondern das ist existenziell wichtig für unsere Logistik-Cluster, das ist existenziell wichtig für die Häfen und es ist eigentlich auch wichtig für die nordböhmischen Industriegebiete. Die Tschechen wollen bis 2025 nach Lobositz eine Strecke bauen. Wir wissen, dass wir damit im Wettbewerb mit Regensburg stehen, die wollen diese TEN-Achse auch.
Ich denke, an dieser Stelle müssen wir uns einmal zusammentun und kraftvoll Lobbyarbeit für Sachsen machen, aber nicht den Eindruck erwecken, als würde hier ab übermorgen gar nichts mehr fahren. Wir müssen kraftvoll daran arbeiten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung darüber, wie viele Regionalisierungsmittel unser Freistaat bis zum Jahr 2030 vom Bund anteilig bekommen wird, wird sicherlich in Kürze – bald, in wenigen Tagen, in wenigen Wochen – fallen. Aber bisher war alles, was dazu in den vergangenen Wochen von einigen und von mancher Seite dazu geäußert wurde, ein Lesen in der Glaskugel. In meinen Augen ist es durchaus legitim, dass die Opposition den Finger in offene Wunden legen möchte. Was hier aber in der Presse und auch von Oppositionspolitikern und Zweckverbünden in die Öffentlichkeit und in die Medien gestreut wurde, ist für mich Panikmache. Das ist das Verbreiten von Angst.
Doch, Frau Meier. Dass Sie sich am letzten Wochenende mit den Worten zitieren lassen haben, „es droht die größte Abbestellung von sächsischen Bahnstrecken seit 25 Jahren“, das ist Panikmache – sorry.
(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sie hat ja recht! – Valentin Lippmann, GRÜNE: Das ist Realität! – Zuruf der Abg. Dr. Jana Pinka, DIE LINKE – Vereinzelt Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)
Als Mitglied der Strategiekommission wissen Sie doch, dass wir dabei sind, diese Probleme zu diskutieren. Ich kann Ihnen sagen: Dieses Szenario ist vermeidbar, und, soweit es meine Fraktion betrifft, wird es auch vermieden werden.
Klar ist leider: Sachsen wird genauso wie die anderen ostdeutschen Bundesländer in Zukunft weniger Bundesmittel haben; das wissen wir ja. Klar ist allerdings auch – das wurde richtigerweise schon gesagt –, dass einige dieser Probleme tatsächlich auch von den ostdeutschen Ländern hausgemacht sind.
Allerdings galt dieser sogenannte Kieler Schlüssel – Herr Böhme hat es vorhin angesprochen – unter der Maßgabe der sogenannten Sperrklinke. Das heißt, dass jedes Bundesland nominal 1,25 % an absoluter Steigerung der Mittel erhalten sollte. Kieler Schlüssel und Sperrklinke funktionieren jedoch nur, wenn der Bund diese insgesamt 8,5 Milliarden Euro bei 2 % Dynamisierung pro Jahr so eingestellt hätte. Das ist nun nicht der Fall, denn die Einigung der Ministerpräsidenten – Sie hatten es vorhin gesagt – vom 24. September vergangenen Jahres hat letztlich bedeutet, dass diese Sperrklinke eben nicht mehr funktioniert.
Grundlage des neuen Verteilungsschlüssels – darauf möchte ich noch einmal hinweisen – ist eben nicht nur die Anzahl der Einwohner, sondern sind auch, und das ist der entscheidende Punkt, die bestellten Zugkilometerleistungen im Jahr. Dort hat Sachsen unter der vergangenen Koalitionsregierung seine Schlechterstellung leider selbst herausgefordert,
indem dem SPNV unter Herrn Morlok als Wirtschaftsminister 132 Millionen Euro entzogen wurden. Infolgedessen hatten die sächsischen Verkehrsverbünde keine andere Option, als Zugkilometerleistungen abzubestellen.
Ich möchte aber doch noch einmal sagen: Anstelle der Panikmache und des Hoffens auf Wunder – wie anderenorts auch zu lesen war – geht es für uns letzten Endes darum, neue Ziele zu finden und sich zu SPNV und ÖPNV klar zu bekennen.
Es ist das ausdrückliche Ziel der Koalition, den öffentlichen Personennahverkehr in Sachsen zu stärken. Da reicht ein Blick in unseren Koalitionsvertrag. Wir werden gemeinsam – davon gehe ich jedenfalls aus – alles dafür tun, dass diese Horrorszenarien, die auch Sie immer verkünden, nicht eintreten werden.