Protocol of the Session on March 16, 2016

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Ich stelle die Drucksache 6/4397 zur Abstimmung. Wer die Zustim

mung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Keine Stimmenthaltungen, eine Reihe von Stimmen dafür. Damit ist der Antrag dennoch mit Mehrheit abgelehnt worden.

(Unruhe bei der CDU)

Ich würde nun gern den Tagesordnungspunkt schließen und rufe auf

Tagesordnungspunkt 10

Erklärung von Subsidiaritätsbedenken nach Artikel 12 b des EU-Vertrages

zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und

des Rates zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des

Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung

(COM[2015] 0625 final) – Keine Abstriche bei rechtsstaatlichen

Standards im Strafrecht zulassen!

Drucksache 6/3967, Antrag der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 6/4012, Beschluss des Europaausschusses zu Rechtsetzungsvorhaben der

Europäischen Union im Rahmen des Subsidiaritätsfrühwarnsystems gemäß § 21 Abs. 4 GO

sowie Widerspruch der Abg. Rico Gebhardt und Enrico Stange

Meine Damen und Herren, gemäß § 21 Abs. 4 der Geschäftsordnung kann der Europaausschuss bei Vorlagen zu Rechtsetzungsvorhaben der Europäischen Union im Rahmen des Subsidiaritätsfrühwarnsystems eine abschließende Beschlussfassung über die Vorlage herbeiführen. Gegen den vorliegenden Ausschussbeschluss in der Drucksache 6/4012 wurde von den Abg. Rico Gebhardt und Enrico Stange fristgerecht Widerspruch eingelegt, welcher Ihnen ebenfalls vorliegt. Nach § 21 Abs. 4 Satz 5 der Geschäftsordnung wird im Falle eines Widerspruchs der Ausschussbeschluss als Beschlussempfehlung auf die Tagesordnung der nächsten ordentlichen Sitzung des Landtags gesetzt.

Das Präsidium hat eine Redezeit von 10 Minuten je Fraktion festgelegt, und ich schlage vor, da der Widerspruch von der Fraktion DIE LINKE kam, dass sie beginnt. Herr Abg. Stange, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Widerspruch gemäß § 21 Abs. 4 Satz 3 der Geschäftsordnung richtet sich gegen den Beschluss – ich führe es jetzt nicht weiter aus – im Rahmen des Subsidiaritätsfrühwarnsystems zum Richtlinienvorschlag zur Terrorismusbekämpfung.

Die generelle Praxis der Ausschussmehrheit in der Behandlung von Subsidiaritätsanträgen, also Subsidiaritätsrügen und Stellungnahmen im Rahmen des politischen Dialogs – letzterer als Subsidiaritätsbedenken bezeich

net –, muss nach unserer Auffassung allen Mitgliedern des Hauses und auch der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden, denn das Verfahren zu Subsidiaritätsanträgen im Rahmen des Frühwarnsystems findet sonst hinter verschlossenen Türen statt.

Wir müssen die Koalitionshaltung bei der auch kritischen Vertretung sächsischer Interessen in wichtigen europapolitischen Angelegenheiten nach unserer Erfahrung im Umgang mit Subsidiaritätsanträgen thematisieren und hoffen auf eine Zustimmung zum ursprünglichen Antrag.

Es geht nicht um die Frage, ob unsere Argumentation zur weiteren Aufrechnung rechtsstaatlicher Standards im Strafrecht ausreichend ist. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollen verstehen, welche leidlichen Zulässigkeitsdebatten uns im Europaausschuss zu Stellungnahmen im sogenannten politischen Dialog mit der Europäischen Kommission zugemutet werden.

Worum dreht es sich also? Ich darf aus dem Bericht des Ausschusses zitieren: „Der Sprecher der CDU-Fraktion erklärte, dass es vor einer abschließenden Entscheidung im Ausschuss wichtig sei zu prüfen, ob die Gesetzgebungskompetenz des Freistaates Sachsen betroffen sei.“ Im nächsten Abschnitt heißt es weiter: „Der Sprecher der SPD-Fraktion gab zu bedenken, dass es bei einer Subsidiaritätsrüge oder wie im vorliegenden Fall bei einfachen Bedenken, darauf ankäme, ob die Gesetzgebungskompetenz des Freistaates betroffen sei oder nicht.“

Es stellt sich die Frage, ob das stimmt. Die Lösung ist einfach: Die Koalition nimmt den nach Rechtslage und Praxis der Subsidiaritätskontrolle durch nationale Parlamente und regionale Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnis in der EU klaren Unterschied bei Subsidiaritätsrügen einerseits und bei Subsidiaritätsbedenken andererseits nicht zur Kenntnis.

Wir haben es wiederholt erklärt und auf die Praxis verwiesen. Dennoch glauben CDU und SPD, für Stellungnahmen im Rahmen des politischen Dialogs gelten die gleichen Zulässigkeitsvoraussetzungen, wie für Subsidiaritätsrügen im engeren Sinne. Wenn Sie uns nicht glauben, dann glauben Sie doch bitte dem Subsidiaritätsmonitoring-Netzwerk des Ausschusses der Regionen, AdR. Die regionalen Akteure nehmen im Rahmen des Frühwarnsystems mit Stellungnahmen am politischen Dialog teil; bis heute mit insgesamt 242 derartigen Einträgen im REGPEX beispielsweise. Seit dem Lissabon-Vertrag haben Regionalparlamente mit Gesetzgebungsbefugnis 113-mal entsprechende Stellungnahmen in das REGPEX eingespeist. Zwei deutsche Landtage stehen an der Spitze: der Landtag Thüringen – Achtung, noch unter CDURegide! – seit 2010 mit 27,4 % der Stellungnahmen, gefolgt von Bayern mit 16,8 % und mit 12,4 % von der regionalen Gesetzgebungsversammlung Emilia-Romagna, dem Landtag Baden-Württemberg mit 8,8 %, dem Landtag Schleswig-Holstein, dem Landtag Niederösterreich mit 5,3 %, dem Regionalparlament der Lombardei und weiteren zehn regionalen Parlamenten aus Spanien, Italien, Österreich, Großbritannien, Finnland und

Deutschland. Das sind 16 Regionalparlamente, die sich in der EU aktiv über den politischen Dialog einbringen.

Sie können auch feststellen, dass im Jahr 2012 die Anzahl der Stellungnahmen regionaler Parlamente besonders hoch war, als regionale Parlamente zur Direktzuleitung von Stellungnahmen an die EU-Kommission aufgefordert wurden. Deshalb bleibt uns die Abrede der Zulässigkeit unserer Anträge aus der falschen Gleichsetzung von Subsidiaritätsrüge und politischem Dialog nach wie vor rätselhaft.

Die cepStudie „Jährlicher EU-Indikator der EU-Gesetzgebung, Subsidiarität und demokratische Kontrolle – Eine Bestandsaufnahme“ drückt das so aus – ich zitiere –:

„Es wäre verkürzt, aus der niedrigen Inanspruchnahme des Subsidiaritätsrügerechts durch die nationalen Parlamente abzuleiten, dass diese sich kaum mit EU-Vorhaben befassen. Nationale Parlamente übersenden der EU im Rahmen des ‚politischen Dialogs‘ mit der EU-Kommission auch allgemeine Stellungnahmen zu einzelnen Legislativvorschlägen.“

Dann folgt der in diesem Zusammenhang entscheidende Satz: „Diese Stellungnahmen beschränken sich nicht auf den Aspekt der Subsidiarität, sondern umfassen auch inhaltliche Aspekte oder gehen auf die Verhältnismäßigkeit der Vorschläge ein.“

Nichts anderes tun wir mit den von uns im Rahmen des Verfahrens gemäß § 21 Abs. 4 der Geschäftsordnung eingereichten Subsidiaritätsanträgen.

Der findige Jurist kann nun – ich bin kein solcher – an dieser Stelle natürlich die Behauptung aufstellen,

(Christian Piwarz, CDU: Herr Bartl ist doch da! Schicken Sie den doch mal!)

dass das, was für nationale Parlamente im Rahmen der EU gilt, noch lange nicht für regionale Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnis gelten muss. Dieser Einwand ist zunächst in dieser abstrakten Form völlig plausibel.

Im Lissabon-Vertrag und in den Protokollen ist nicht geregelt, dass sich Regionalparlamente mit Gesetzgebungsbefugnis nur dann im Rahmen des politischen Dialoges an der Subsidiaritätskontrolle beteiligen können. Zum anderen liegt es in der Natur europäischer Gesetzgebung, dass sie die jeweils nationalen Gesetzgebungen der Mitgliedstaaten betrifft. Das heißt, die Möglichkeit der Subsidiaritätsrüge ist hier offenkundig.

Zu den Möglichkeiten der Einflussnahme bzw. der Kontrolle des Sächsischen Landtags gegenüber der Sächsischen Staatsregierung in solchen Fragen hat der sächsische Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil 44-1-03 vom 20. April 2004 festgestellt: „Handlungen oder Unterlassungen des Freistaat Sachsen durch die Sächsische Staatsregierung unterliegen auch insoweit der parlamentarischen Kontrolle, als der Freistaat an der Gesetzgebung des Bundes nach Artikel 50 sowie Artikel 76 ff. Grundgesetz mitwirkt. Außerdem könnte die Zuständigkeit des Freistaates schon immer dann eröffnet sein, wenn sich die Antragsgegnerin auf politischem Weg außerhalb des förmlichen Gesetzgebungsverfahren mit Bitten um Berücksichtigung der Belange des Freistaates an Verfassungsorgane des Bundes wenden kann.“

Etwas Analoges findet statt oder sollte stattfinden, wenn Subsidiaritätsbedenken im Rahmen des politischen Dialoges in einer Aufforderung an die Staatsregierung münden. Mit anderen Worten: Handlungen oder Unterlassungen des Freistaates Sachsen durch die Sächsische Staatsregierung unterliegen auch insoweit der parlamentarischen Beteiligung an der Staatsleitung, wie es die Sächsische Verfassung vorsieht, wenn sich die Staatsregierung auf politischem Weg, nämlich im Rahmen des politischen Dialogs, mit der Kommission außerhalb des engeren Rahmens der Subsidiaritätskontrolle nach Artikel 5 Abs. 3 EU-Vertrag mit Bitten um Berücksichtigung der Belange des Freistaates über den Bundesrat an die EU wendet.

Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass weder die Bestimmungen unserer Geschäftsordnung noch die Subsidiaritätsvereinbarung mit der Staatsregierung dem entgegenstehen. Die Kürze der Redezeit erlaubt es nicht,

(Heiterkeit)

noch einmal tiefergehend auf die inhaltlichen Bedenken gegen den Richtlinienvorschlag zur Terrorismusbekämp

fung einzugehen. Dazu wird einiges im Antrag, den Sie gelesen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, sowie in der Begründung des Widerspruchs – auch den haben Sie zur Kenntnis genommen – und in der beigefügten Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundesrates gesagt.

Für uns steht außer Zweifel, dass es erhebliche Bedenken gegen die Tendenzen der rechtsstaatlichen Aushöhlung des Strafrechts unter der Überschrift der Terrorismusbekämpfung gibt. Wenn zwei Bundesländer, Thüringen und Brandenburg, im Bundesrat einen in dieser Hinsicht kritischen Antrag einbringen, der von der Mehrheit der Vertreter der Landesregierungen in Gestalt einer diesem Antrag folgenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses angenommen wird, die Annahme zwar nicht passiert, dennoch aber auf der Bundesratssitzung am 29. Januar 2016 eine Protokollerklärung von Niedersachsen, von Nordrhein-Westfalen, von Schleswig-Holstein, von Thüringen, von Rheinland-Pfalz und von Bremen abgegeben wird, in der ebenfalls eine rechtspolitisch bedenkliche weitergehende Ausdehnung der Strafvorschriften in das Vorfeld einer Rechtsgutverletzung angemahnt werden, kann man sich zwar in Sachsen hinstellen und diese Bedenken nicht teilen, aber man kann nicht mehr sagen, dass es hier keine substanziellen Bedenken gebe.

Das wurde im Übrigen auch dadurch belegt, dass drei nationale Parlamente – man höre und staune! – auf dem Wege des politischen Dialogs, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich mit Stellungnahmen zu diesem Richtlinienvorschlag an das EU-Parlament und die Kommission gewandt haben: der EU-Ausschuss des österreichischen Bundesrats, der Rechtsausschuss des Repräsentantenhauses Zypern und der Europaausschuss des portugiesischen Parlaments. Neben allgemeiner Zustimmung, insbesondere auch zum Schutz der Opfer von Terrorakten, wird gerügt, dass im Nachgang zum Terror in Paris vorschnell und plakativ gehandelt wird und selbst auf eine Folgenabschätzung wegen der großen Eile verzichtet wird usw.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind überzeugt: Es ist zunächst eine Frage des politischen Willens und der Einsicht, dass europapolitisch regionale Aktivität, die nicht allein auf Fördertöpfe abstellt, Not tut. Wird die derzeit vorherrschende Perspektive beibehalten, erscheint alles Neue nur als Mehrarbeit und eigentlich als Ressourcenverschwendung. Das halten wir für grundfalsch.

Bitte zum Ende kommen!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Die Koalition und die Staatsregierung sollten dringend ihre diesbezügliche Grundeinstellung überdenken und am Ende klar und deutlich erklären, ob sie ihre Rolle als aktiver regionaler Akteur in der EU spielen will oder ob es so weiter gehen soll wie bisher.

Hier und heute wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gelegenheit, aus der Erfahrung zu lernen und umzuschwenken.

Stimmen Sie unserem – jetzt wird es verfahrenstechnisch schwierig – stimmen Sie mit uns,

(Zurufe)

dann machen Sie nichts falsch. Also stimmen Sie mit uns für unseren Antrag

(Beifall des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE – Lachen bei der AfD)