Der Koalitionsvertrag wiegt schwer, zumindest erst einmal im wahrsten Sinne des Wortes; denn er ist mit 111 Seiten deutlich dicker als das, was uns in den vergangenen zehn Jahren als Regierungsplan für eine Wahlperiode vorgelegt wurde. Ich habe einmal nachgeschaut: 2004 waren es bei CDU und SPD 86 Seiten, 2009 bei CDU und FDP gerade einmal 59 Seiten. Nun also das Doppelte. Nur: Masse ist nicht automatisch Klasse. Deshalb haben wir etwas genauer hingeschaut.
Fast genau auf den Tag vor fünf Jahren, und zwar am 11. November 2009, haben Sie, Herr Ministerpräsident, eine schwarz-gelbe Zehnjahresplanung angekündigt.
Diesem Plan ist am 31. August 2014 mit einem jähen Ende begegnet worden. Die sächsische Bevölkerung hat Ihnen, Herr Ministerpräsident, die Chance eingeräumt, sich von Ihren selbst geschaffenen Irrtümern zu befreien.
Was meine ich damit? Ihre einzige, wirklich konkrete Zielstellung vor fünf Jahren war die willkürliche Zielzahl für die Anzahl von 70 000 Beschäftigten im gesamten öffentlichen Dienst im Land Sachsen. Dieses Ziel war zu keinem Zeitpunkt realistisch und auch nie durch realistische Planungen untersetzt. Jedoch wurde daraus fünf Jahre Regierungshandeln. Den Preis dafür haben viele bezahlt. Ich erinnere nicht zuletzt an all die Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Mangel an Lehrerinnen und Lehrern und dem Polizeipersonalabbau.
Der Rechnungshof stellte in seinem Sonderbericht zu personalwirtschaftlichen Konzepten zu Recht fest, dass es für den vom Ministerpräsidenten vorgesehenen radikalen Stellenabbau von über 16 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern keinerlei – ich wiederhole: keinerlei – konzeptionelle Überlegungen gab. Deshalb ist es zu begrüßen, dass nun laut Koalitionsvertrag endlich die Aufgaben des öffentlichen Dienstes und die zur Aufgabenerfüllung erforderliche Personal- und Sachausstattung einer Überprüfung unterzogen werden sollen. Zu diesem Zweck soll eine Kommission bis 2016 eine aufgabenorientierte Personalbedarfsplanung erstellen und zugleich mögliche Konsequenzen für den Behördenaufbau und die Struktur der Landesverwaltung aufzeigen. Damit ist die neue Koalition zunächst schlicht eine Reparaturbrigade.
Sie versucht, mit längst überfälligen Korrekturen die von der CDU/FDP-Koalition verschuldeten Schäden an dem größten Personalkörper, nämlich der Lehrerschaft sowie der Polizei, zu begrenzen. Wir werden weiter Druck machen, damit es über die notwendigen Reparaturen hinaus zu einem wirklichen Kurswechsel bei Bildung und öffentlicher Sicherheit kommt; denn den brauchen die Menschen für ein besseres Leben in Sachsen.
Das Schulgesetz wollen die Koalitionäre „auf der Basis dieses Koalitionsvertrages novellieren“. Ein Gesetzentwurf soll im kommenden Jahr vorgelegt werden. Doch Strukturreformen, die das längere gemeinsame Lernen befördern, sind im Koalitionsvertrag nicht zu finden. Offenbar droht diese Koalition, noch hinter die dürftigen Ergebnisse der ersten CDU/SPD-Koalition beim Thema Gemeinschaftsschulen zurückzufallen, und das, obwohl die überwiegende Mehrheit der sächsischen Bevölkerung eine Aufhebung der unseligen verfrühten Trennung der Kinder nach der Klasse 4 wünscht. Das finde ich bei einer Koalition, die für sich in Anspruch nimmt, den Willen der Wählerinnen und Wähler zu verkörpern, mehr als schwach.
Das jahrzehntelang von CDU-geführten Regierungen verordnete Schulsterben verschärft die Ungleichheit der Chancen von Kindern und Jugendlichen bei ihrer Lebens
planung. Sie wollen „dem erhöhten Bedarf für die schulische Inklusion angemessen Rechnung tragen“. Wie das gehen soll, bleibt das interne Geheimnis von CDU und SPD. Die „unbefristete Einstellung von mindestens 6 100 Lehrerinnen und Lehrern bis 2019“, die der Koalitionsvertrag vorsieht, ersetzt möglicherweise die aus dem Schuldienst ausscheidenden Pädagogen. Aber das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ja wohl das Minimum, zumal wir steigende Schülerzahlen haben. Alles, was darüber hinaus geht, beispielsweise schulische Inklusion oder jahrgangsübergreifenden Unterricht umzusetzen, von anderen Dingen gar nicht zu reden – Fehlanzeige. Von Aussichten auf ein zukunftsweisendes Schulgesetz kann aus unserer Sicht deshalb nicht gesprochen werden.
Im Bereich der frühkindlichen Bildung gehört zur historischen Wahrheit: Bereits 2004 war die Verbesserung des Personalschlüssels auf 1 : 12 vom Sozialministerium vorbereitet und scheiterte dann an der ersten CDU/SPDKoalition. Im aktuellen Koalitionsvertrag von SPD und LINKEN in Brandenburg ist die Verbesserung des Betreuungsschlüssels im Kindergartenbereich von 1 : 12 auf 1 : 11 vorgesehen. Brandenburg ist uns also mindestens fünf Jahre – bzw. geht man vom bisherigen sächsischen Tempo aus sogar zehn Jahre – voraus. Das finde ich für den selbst ernannten Anspruch, das beste Sachsenland der Welt zu sein, ziemlich peinlich.
Zum zweiten und großen landespolitischen Thema öffentliche Sicherheit: Auf Seite 96 lassen Sie sich eine Zahl der Neueinstellung von mindestens 400 Polizeianwärtern entlocken, dies aber „in den nächsten Jahren“ – was immer das bedeutet. Was feiern Sie da eigentlich? Im nächsten Jahr scheiden 444 Polizisten planmäßig aus dem aktiven Dienst aus, im Jahre 2018 476 und im Jahr 2019 509. An den Zahlen sieht man deutlich, dass der von Ihnen verabredete Einstellungskorridor deutlich zu kurz gegriffen ist. Im Übrigen: Um diese Zahlen zur Kenntnis zu nehmen, braucht man keine Kommission, die Sie einsetzen wollen. Die können sie aus Ihrer eigenen Statistik ablesen.
Klar ist: Die Stellenausstattung der Polizei entspricht nicht dem Personalbedarfsplan, und damit werden Sie auch nicht das Sicherheitsgefühl der Menschen in diesem Land wieder herstellen.
Was ist von Ihrem Wahlkampfthema „Freiwillige Feuerwehren stärken“ übrig geblieben? Ein paar Allgemeinplätze, dazu magere sieben Sätze zum Rettungsdienst. Gerade hier, wo es oft um Leben und Tod geht, ist der Koalitionsvertrag schwach, lebensgefährlich schwach. Unsere konkreten Vorschläge liegen auf dem Tisch. Zum Beispiel sagen wir klar: Eine Feuerwehrabgabe, wie Sie sie planen, macht nur dann Sinn, wenn sie für hauptamtlich besetzte Standortfeuerwehren genutzt wird, damit gerade die Kameradinnen und Kameraden auf dem Land, deren Zahl wegen der demografischen Entwicklung immer geringer wird, unterstützt werden. Eine Gebühren
Kinder und Jugendliche sind die Zukunft des Landes. Neben Lobenswertem können wir uns mit der Festlegung der Jugendpauschale auf 12,40 Euro nicht zufrieden geben. Sicher ist das eine Verbesserung, aber aus unserer Sicht sind mindestens 15 Euro für jeden jungen Menschen notwendig, damit die Kommunen ihrer Verantwortung gerecht werden können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehrere Dutzend Mal findet sich in Ihrem Koalitionsvertrag die Ankündigung, es müsse geprüft werden. Dabei haben Sie mindestens einen Prüfungsauftrag vergessen: das von der letzten Koalition auf den Weg gebrachte Standortegesetz, also den Behördenumzugszirkus, der Beschäftigten wie Bürgerinnen und Bürgern auf die Nerven gegangen ist und geht. Diesen beschlossenen Unsinn sollten Sie tatsächlich noch einmal auf den Prüfstand stellen.
Mit Blick auf die Institutionen des Rechtsstaates hätten wir uns konkretere Angaben gewünscht, wie der zu erwartende Altersabgang in der Richter- und Staatsanwaltschaft ausgeglichen werden soll, zumal vom vorigen Staatsminister der Justiz öffentlich bereits die Schaffung von mindestens 20 zusätzlichen Stellen jährlich als notwendig dargestellt worden ist, um die Lage im Griff zu behalten.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Zu den Irrtümern oder gepflegten Legenden gehört ja die Behauptung, die sächsischen Kassen seien permanent leer. Diese neue Koalition stellt nun fest, dass doch Geld da ist – was sich mit unseren Berechnungen zu Sachsens Staatsfinanzen und insbesondere den erheblichen Rücklagen deckt. Also: Willkommen in der Realität und viel Spaß, Herr Finanzminister, mit dieser neuen Koalition.
Die Fraktion DIE LINKE begrüßt den Ansatz der Koalition, künftig dem geltenden Grundsatz der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Wie das mit dem neuen Finanzminister passieren soll, weiß ich zwar noch nicht, wir gehen aber davon aus, dass der auf unsere Initiative in der Verfassung verankerte und neu beschlossene Haushaltsgrundsatz des sozialen Ausgleichs bei der Aufstellung des Doppelhaushalts 2015/2016 und den nachfolgenden seine Beachtung findet.
Erfreut nehmen wir den angekündigten Kurswechsel beim Umgang mit den Beteiligungen des Freistaates Sachsen zur Kenntnis. Auch hier sollen die Defizite mangelnder Transparenz aus den vergangenen Legislaturperioden abgebaut werden. Vermutlich wäre uns viel zerschlagenes Porzellan bei der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – erspart geblieben, hätte das schon die letzte Koalition getan.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der neue Koalitionsvertrag benötigt allein sechs Seiten, um die Reparaturliste im Wirtschaftsministerium aufzureihen. Ich zitiere auszugsweise: „Zur besseren Abstimmung der Wirtschafts- und Innovationspolitik werden die Koalitionspartner einen Wirtschafts- und Innovationsbeirat etablieren, dem die Handwerkskammern, die Industrie- und Handelskammern, die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände und bei Bedarf auch wissenschaftliche Einrichtungen angehören sollen.“
Die Zielrichtung stimmt. Nur gab es einen solchen Beirat schon zu Zeiten der Wirtschaftsminister Gillo und auch Jurk, bis er durch den unter Gewerkschaftsphobie leidenden FDP-Minister abgeschafft wurde. Gleiches gilt auch für die Wiederbelebung der Außenwirtschaftsstrategie, die Messeförderung sowie die Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft. Man sieht, es wird eine Zeit lang dauern, bis der von der sächsischen FDP angerichtete Flurschaden in der Wirtschaftspolitik behoben sein wird. Dabei wünsche ich der SPD im Interesse der Beschäftigten im Lande von Herzen viel Erfolg.
Mit Interesse und Genugtuung nehmen wir die im Koalitionsvertrag erfolgten Rückgriffe auf Erfahrungen anderer Länder zur Kenntnis, zum Beispiel auf brandenburgische Regierungserfahrungen hinsichtlich der gezielten Unterstützung regionaler Wirtschaftskreisläufe sowie der Aufnahme sozialer und tariflicher Standards und dafür geeigneter Förderprogramme. Auch den von uns geforderten Fusionsfonds finden wir ja als Ankündigung im Koalitionsvertrag. Dafür sage ich Danke.
Deswegen wäre es gut gewesen, Herr Ministerpräsident, auch an die demokratischen Oppositionsfraktionen hier im Sächsischen Landtag einen Dank zu richten, denn zumindest haben wir dazu beigetragen, dass Sie sich jetzt wahrscheinlich auf den richtigeren Kurs begeben werden.
In den letzten 25 Jahren sind viele größere und kleinere Betriebe in Sachsen für immer von der Bildfläche verschwunden. Damit ging der Verlust zigtausender Arbeitsplätze einher, vor allem im industriellen Bereich. Ein aktuelles Beispiel zeigt dies derzeit den Menschen in Zwickau. Dort soll der Standort der Deutschen Bahn zur Fahrzeuginstandhaltung Ende 2015 geschlossen werden. Damit wird eine über 100-jährige Tradition des Eisenbahninstandsetzungswerkes in Zwickau beendet. Zu DDR-Zeiten waren hier einmal 3 000 Menschen beschäftigt. 2001 gab es einen Kampf um den Erhalt von rund 300 verbliebenen Arbeitsplätzen, und nun sollen die letzten 80 wegfallen. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, was hat Ihre Regierung in all den Jahren getan, um Standortschließungen zu verhindern?
Wir erwarten von Ihnen, dass Sie Ihre Verantwortung für bestehende Arbeitsplätze in diesem Land endlich wahrnehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die mehr als 100 000 Langzeitarbeitslosen in Sachsen angeht, löst ein Blick in den Koalitionsvertrag Ernüchterung aus. Dort ist nichts Verbindliches zu finden. Es ist die Rede davon, den Bund zu bestärken, „ein angemessen großes Programm zur Förderung langzeitarbeitsloser Menschen aufzulegen und zu finanzieren“.
Bundesarbeitsministerin Nahles hat jedoch gerade letzte Woche klargestellt, dass sie kein ordentliches Programm zur öffentlichen Förderung von mehr Beschäftigung auf den Weg bringen will. Demzufolge gibt es also keine zusätzlichen Mittel. Sie müssen folglich selbst handeln – hoffen und nach Berlin schauen bringt nichts.
Gleichstellung, Antidiskriminierung sowie Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion haben mit dem Ausscheiden der FDP allein schon rhetorisch einen spürbaren Aufschwung genommen. Allerdings gilt auch hier: Bisher gibt es mehr Ankündigungen und Prüfaufträge als kalkulierbare Ergebnisse. Natürlich begrüßen wir den höheren Stellenwert von Gleichstellung und Integration, der mit der Installierung einer Ministerin für diesen Bereich zum Ausdruck kommt. Eigentlich wäre ein eigenständiges, kleines, aber feines Vollministerium vonnöten, denn es darf im Freistaat Sachsen nicht so weitergehen wie bisher.
Als Beispiel nenne ich einmal die Frauenpräsenz unter den Abgeordneten im Sächsischen Landtag. Wenn wir in dem bisherigen Schneckentempo weitermachen würden, gäbe es in 150 Jahren einen geschlechterparitätisch besetzten Landtag. Im Klartext hieße das, der 36. Sächsische Landtag im Jahr 2164 wäre dann so weit, wie die Fraktion DIE LINKE heute schon ist. Diesen Spitzenplatz würden wir gern schneller mit Ihnen teilen.
Die Vorlage eines Inklusionsgesetzes – das heißt, die grundsätzliche Überarbeitung des bestehenden Integrationsgesetzes – wird von der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes und der Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes abhängig gemacht. Für uns bedeutet dies: In der 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages wird es wahrscheinlich kein Inklusionsgesetz geben.
In einem Punkt hat die untergegangene FDP zweifelsfrei recht: Sachsen ist nicht Berlin. Deshalb sollten Sie, werte Koalitionäre, auch bei diesem Thema den Mut zu mehr selbstständiger Politik aufbringen, gerade bei einer so wichtigen gesellschaftspolitischen Frage wie der Inklusion.
In der Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik fehlen konkrete Aussagen dazu, mit welchen Mitteln „ein Klima
der Akzeptanz, der Empathie und des gemeinsamen Miteinanders“ hergestellt werden soll. Ein aufgeschlossenes Klima kann nicht herbeibeschworen werden. Dazu brauchen wir das öffentliche Engagement aller Mitglieder der Staatsregierung und nicht nur der neuen Ministerin und des oder der Ausländerbeauftragten. Wir alle in diesem Land müssen uns aktiv, sichtbar und hörbar für dieses Klima einsetzen.
Zum gesellschaftlichen Klima tragen die Medien nicht unmaßgeblich bei. Das Bekenntnis zu einem öffentlichrechtlichen Rundfunk, der mehr leistet als nur eine Mindestversorgung, unterscheidet sich erfreulicherweise
deutlich von den öffentlichen Äußerungen des bisherigen Rundfunkministers Beermann. Auf unsere Zustimmung trifft auch, dass künftig neben privaten lokalen Fernsehstationen auch nicht kommerzielle Lokalradios eine Förderung erhalten sollen.
Eine frohe Botschaft des Koalitionsvertrages zu Europa lautet: „Die sächsischen Interessen müssen auf EU-Ebene besser vertreten werden.“ Ja, wir wollen Europa in Sachsen und zum anderen Sachsen in Europa, das heißt die aktivere Vertretung sächsischer Interessen in der EU. Wir nehmen positiv zur Kenntnis, dass entsprechende strukturelle Voraussetzungen geschaffen werden sollen: die Einrichtung eines Europaausschusses hier im Sächsischen Landtag und die Verstärkung der Verbindungsbüros in Brüssel, Prag und Wrocław sowie die Wiedereinführung des Personalpools Europa in der Staatskanzlei.