Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 29. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags. Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Frau Petry, Frau Grimm, Frau Zais, Frau Dombois, Frau Kliese und Herr Lehmann.
Meine Damen und Herren! Gemäß § 77 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtags habe ich den Landtag für den heutigen Tag einberufen. Anlass dazu ist zum einen ein entsprechender Antrag der Staatsregierung zu einer Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zum Thema „Starker Staat und aktive Bürger: Gemeinsam unsere Werte verteidigen und Radikalisierung bekämpfen“.
Weiterhin liegt mir ein Antrag von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN auf Einberufung einer Sondersitzung nach § 77 Abs. 5 der Geschäftsordnung vor. Der Antrag trägt die nach dieser Vorschrift erforderliche Anzahl von Unterschriften. Beratungsgegenstand ist der Antrag der
GRÜNEN in Drucksache 6/4364 zum Thema „Nach Clausnitz und Bautzen: Bedauern reicht nicht, die Staatsregierung muss endlich aufwachen – Haltung zeigen, Zivilgesellschaft unterstützen, demokratischen Rechtsstaat stärken.“
Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung für unsere heutige Sitzung liegt Ihnen vor. Ich schlage Ihnen vor, die beiden Tagesordnungspunkte gemeinsam zu behandeln, was nach § 79 Abs. 5 der Geschäftsordnung ohne Weiteres möglich ist. Gibt es dagegen Widerspruch? – Ich sehe keinen Widerspruch. Wir können so verfahren. Für die gemeinsame Behandlung der Tagesordnungspunkte 1 und 2 stehen damit folgende Redezeiten zur Verfügung: CDU 48 Minuten, DIE LINKE 34 Minuten, SPD 24 Minuten, AfD 21 Minuten, GRÜNE 17 Minuten, Staatsregierung 55 Minuten.
Ich sehe keine weiteren Änderungsvorschläge oder Widerspruch gegen die Tagesordnung. Die Tagesordnung der 29. Sitzung ist mit dieser Maßgabe bestätigt.
Wir beginnen mit der Regierungserklärung. Ich übergebe zunächst das Wort an den Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Stanislaw Tillich. Bitte, Herr Ministerpräsident.
Vielen Dank, Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition im Sächsischen Landtag, haben einen Antrag auf unverzügliche Einberufung einer Sondersitzung gestellt. Mit Blick auf das morgen beginnende NPD-Verbotsverfahren am Bundesverfassungsgericht war es mir wichtig, dass wir schon heute klar Stellung beziehen können. Deshalb hat auch die Staatsregierung um Einberufung einer Sondersitzung nach § 77 Abs. 5 der Geschäftsordnung gebeten.
Die Ermittlungen zum Brand einer zukünftigen Asylbewerbereinrichtung in Bautzen und den fremdenfeindlichen Störungen haben die Behörden übernommen. Diese werden mit Hochdruck vorangetrieben. Wie zum Beispiel in Freital, in Meißen, in Heidenau wollen wir auch in Bautzen schnell aufklären und die Täter vor Gericht bringen. Im Fall Clausnitz hat ein Ermittlungsteam den Sachverhalt umfassend aufgearbeitet und an die Staatsanwaltschaft übergeben. Am Freitag der vergangenen Woche hat der Sächsische Landtag im Rahmen seiner parlamentarischen Kontrollrechte seinerseits die Vorgänge in Clausnitz untersucht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gemeinsam müssen wir Demokraten die widerlichen und immer wieder stattfindenden rechtsextremen Umtriebe in unserem Land bekämpfen, zurückdrängen und stoppen.
Die Ereignisse erschüttern mich als Christ und als Politiker maßlos. Es geht um unser Land, und der großen Mehrheit der Menschen geht es gut. Es wird einem nichts geschenkt, aber mit Eigenverantwortung und Einsatz kann jeder aus seinem Leben etwas Sinnvolles und Zufriedenstellendes machen.
Auf der anderen Seite haben die Menschen viele Anstrengungen durch die tief greifenden Veränderungen seit 1990 erlebt. Die zunehmende Komplexität der Welt durch Globalisierung, Internet und Herausforderungen wie Kriege und Klimawandel und deren Folgen ist für viele nicht leicht. Einige Menschen in unserer Gesellschaft sind verunsichert und an den Rand gedrängt, weil sie sich benachteiligt fühlen. Die Lebensversicherung wirft keine Rendite ab, bei der Bank gibt es keine Zinsen, das Vertrauen in die Altersabsicherung schwindet, die Energiepreise und andere Lebenshaltungskosten steigen.
Es ist aber nicht zu entschuldigen, wenn man darauf mit Fremdenfeindlichkeit reagiert oder wenn man deshalb den extremen Rand stärkt, wo Rechtsradikale mit Hass und Gewalt ihre innere Verirrung und Verrohung an anderen, meist Schwächeren, auslassen. Besonders abscheulich und menschenverachtend ist es, wenn sie sich dafür diejenigen aussuchen, die vor Krieg und vor Vertreibung geflohen sind.
Es ist ein jämmerliches und abstoßendes Verhalten, wenn Flüchtlinge attackiert, Unterkünfte angezündet und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht
Da werden Aufklärung, Freiheitskampf und Demokratisierung hinweggespült, der Humanismus wird durch Barbarei verdrängt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dafür darf es keinen Raum in Sachsen geben. Dagegen muss es den Widerstand aller geben, und wir müssen an die Ursachen heran, noch stärker unsere Werte verteidigen und die Radikalisierung bekämpfen.
Das „Nie wieder Krieg!“ muss zwangsweise in Deutschland auch heißen: Kein Rechtsradikalismus in unserem Land.
Die fremdenfeindlichen und rechtsextremen Ereignisse in Sachsen bilden eine lange Kette, die mich und uns alle beschämt. Ja, es stimmt: Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus, und es ist größer, als viele – ich sage es ehrlich: auch ich – wahrhaben wollten.
Es sind wenige Menschen, aber doch zu viele, die dem Rechtsradikalismus nicht widerstehen. Keiner wird so geboren. Aber zu vielen ist er vorgelebt worden oder sie lassen sich von den dumpfen Parolen verführen.
Zu viele Menschen stehen daneben oder sympathisieren damit auf dem Sofa. Mit einem schweigsamen Dulden, mit einem zustimmenden Nicken oder dem schnellen „gefällt mir“ auf Facebook legen auch sie die Axt an unsere Grund- und Werteordnung.
Ich habe im Juli im Plenum gesagt, Rassismus ist der Nährboden für Verbrechen. Dieser Nährboden ist das Fundament, um Menschen anzugreifen, unsere Werte zu verletzen und die Grundfesten unseres Staates zu zerstören. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir die Abwehrkräfte gegen den Rechtsextremismus stärken. Während von Bühnen gehetzt wird und Rechtsradikale randalieren, stehen viele Menschen in Sachsen dagegen auf oder setzen starke Willkommenszeichen. Sie sind fremdenfreundlich, sie zeigen das „Sachsen mit Herz“, zu dem ich im September letzen Jahres hier vor dem Plenum aufgerufen habe. Allen Bürgern und Initiativen, die so handeln, bin ich sehr dankbar.
Ich wehre mich daher dagegen, dass durch eine radikale Minderheit der gesamte Freistaat und seine Bürger in Misskredit geraten.
Die übergroße Mehrheit der Sachsen sind engagierte Menschen, die anständig und redlich dieses Land wieder aufgebaut haben und es gesellschaftlich und demokratisch tragen. Die Sachsen haben 1989 Freiheit und Demokratie erkämpft. Wir werden sie heute ebenso verteidigen. Wir Sachsen haben von der Hilfe anderer und deren Weltoffenheit profitiert. Wir wollen heute selbst hilfsbereit und weltoffen sein.
Mein Ziel ist es, dass ein starker Staat und aktive Bürger gemeinsam eine gesellschaftliche Mobilisierung in Sachsen schaffen, die unsere Werte verteidigt und Radikalisierung entschieden bekämpft. Das erreichen wir, wenn wir uns weiter um zukunftsfähige Arbeit, gute Bildung und umfassende Sicherheit für alle in unserem Freistaat Sachsen kümmern. Das erreichen wir, wenn wir bei der Integration den Dreiklang von Werten, Sprache und Teilhabe einhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Kompass ist ein schlichter, aber damals wie heute wahrhafter Satz
aus der Bergpredigt: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen.“ In ihm stecken unsere demokratischen Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Die Freiheit und Würde des anderen nicht antasten, auf das Anderssein anderer nicht mit Ausgrenzung, sondern mit Toleranz reagieren und vor allem im anderen den Nächsten sehen und ihm helfen, wenn er Hilfe braucht. Nach diesem Maßstab ist das Reden und Handeln einer Minderheit moralisch unanständig, politisch undemokratisch und extremistisch sowie oft kriminell. Es reicht zu fragen, was wir erwarten würden, wenn wir Kriegsflüchtlinge wären und in einem fremden Land Zuflucht suchen würden: Nahrung, Unterkunft, medizinische Versorgung, vor allem aber Achtung und eine würdevolle Behandlung – nicht Hetzreden und Steinewerfer, auch nicht, dass die Häuser, in denen wir vorübergehend leben sollen, angezündet werden. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit gegenüber jedem Menschen, egal, woher er kommt, und egal, wie lange er sich bei uns aufhalten wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deshalb ist für jeden Demokraten klar: Solche Untaten sind ein Angriff auf unsere Werte, auf unsere Grundordnung, ja, auf uns selbst. Es ist ein Angriff auf Sachsen, auf Deutschland und alles, was Europa ausmacht. Jeder solcher Angriffe ist einer zu viel, jede Rede, die dazu anstiftet, ebenfalls. Wir alle gemeinsam müssen diese Angriffe abwehren. Radikalismus bekämpft man nicht mit Radikalismus!