Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wenn wir jetzt in Bayern wären, würde uns die CSU – mit Blick auf die katholische Kirche – den Hinweis geben, dass man vor der Ehe enthaltsam leben solle und das Problem damit erledigt wäre.
Lassen Sie mich zu Ihrem Antrag zurückkommen. Dieser beinhaltet im Grunde die Forderung, Hartz-IV-Empfänger sollten Geld für Empfängnisverhütung bekommen. Genau das bekommen sie heute schon. Das ist geltende Rechtslage. Der Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger enthält die Mittel, um sich die Pille oder Kondome zu kaufen. Ich glaube, dass diese Rechtslage ganz in Ordnung ist.
Frau Schaper, Sie haben in diesem Zusammenhang auch von Abtreibungen gesprochen. Dazu will ich noch einen Satz sagen. Ihre Grundaussage war – ich finde, darüber sollten Sie noch einmal nachdenken –: Abtreibungen finden nur bei Hartz-IV-Empfängern statt, bei anderen nicht. Was ist denn das für ein Menschenbild, das dahintersteckt?
Natürlich hat sie das gesagt. Sie hat die Zahlen von mehreren Jahren addiert und dann gesagt, mit dem Antrag werde sich das erledigen, dann gebe es in Sachsen überhaupt keine Abtreibungen mehr. Das war ihre Botschaft.
Dahinter steht ein interessantes Menschenbild: Die HartzIV-Empfänger sind zu blöd, benehmen sich wie Karnickel und wir müssen dann das Ganze ausbaden. – Das ist das Menschenbild, das dahintersteht.
Jetzt kommen wir zum Grundansatz. Die entsprechenden Mittel sind im Regelsatz enthalten. Wir haben uns bei der Umstellung auf Hartz IV dazu entschlossen – das finde ich sehr gut –, Leistungen zu pauschalieren. Wir wollen nämlich nicht, dass ein Sozialhilfeempfänger zum Amt gehen muss, damit dann irgendein Beamter entscheidet, ob der Antragsteller drei oder fünf Kondome am Tag bekommt. Eine solche Situation möchte ich nicht haben. Deswegen ist eine Pauschalierung richtig.
Wie soll denn das nach Ihrer Ansicht vor sich gehen? Wollen Sie, dass jemand zur Mitarbeiterin des JobCenters geht und ihr sagt: „Ich möchte heute Abend Sex haben. Deswegen brauche ich ein Kondom.“
Ich möchte den Mechanismus noch einmal erklären, weil er nicht sonderlich bekannt ist. Wie wird denn die Höhe des Hartz-IV-Satzes errechnet? Wieso sagen wir, dass es – gegenwärtig – 399 Euro plus Mietkosten sind? Grundlage ist eine Einkommens- und Verbrauchsstichprobe bei 55 000 Haushalten in Deutschland. Dazu gehören unter anderem die Haushalte der Krankenschwester, des Me
chatronikers und des Ingenieurs. Dann wird festgestellt, was die unteren 15 % der Einkommensbezieher, die jeden Tag arbeiten gehen, zum Beispiel der Bäcker, erhalten. Dann sagen wir: Das, was der Bäcker für Lebensmittel, Kondome und Urlaub zur Verfügung hat, soll auch der Hartz-IV-Empfänger bekommen. – Ich finde, das ist eine gerechte Lösung. Der Anteil für Verhütungsmittel ist also, wie gesagt, schon im Regelsatz enthalten. Damit hat sich das Problem geklärt.
Ich will noch ein Argument bringen. Frau Schaper hat Zahlen genannt und unter anderem von 3 Euro pro Monat gesprochen. Das wären 10 Cent pro Tag. Wollen wir wirklich beschließen, dass wegen 10 Cent pro Tag ein Antrag gestellt werden muss? Wissen Sie eigentlich, wie hoch die damit verbundenen Verwaltungskosten wären? Da passt doch etwas nicht zusammen. Das wäre eine halbe Zigarette. Was sagen wir denn einem Raucher, der 20 Zigaretten am Tag braucht? Fordern Sie wirklich, dass jemand für eine halbe Zigarette einen Antrag stellen muss?
Ihr Antrag ist beim besten Willen für uns nicht zustimmungsfähig. Er ist menschenunwürdig. Das will ich ganz deutlich sagen. Er ist menschenunwürdig denen gegenüber, denen Sie angeblich etwas Gutes tun wollen. Tatsächlich wollen Sie diese Menschen zu Bittstellern machen. Stattdessen sollten Sie sie wie ordentliche, erwachsene Menschen behandeln, die sehr wohl in der Lage sind, selbst zu entscheiden, ob sie sich ein Kondom kaufen wollen und ob sie Sex haben wollen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche, das ganze Thema wieder vor einen sachlichen Hintergrund zu stellen. Eine ungewollte Schwangerschaft – und um nichts anderes geht es in dem Antrag – bedeutet für jede betroffene Frau und ihre Familie eine enorme psychische Belastung. Es stellen sich viele existenzielle Fragen, deren Beantwortung keinesfalls konfliktfrei sind. Abtreibung oder nicht? Wie kann es aber auch gehen mit einem Kind, wenn doch die persönliche Lebenssituation gar nicht darauf eingestellt war und Folgeprobleme, wie beispielsweise die eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes, in Frage stehen? Auch wenn hier eingewendet werden kann, dass für viele die Hilfestellung und Unterstützung möglich sind, ist es dennoch in dieser konkreten Situation mehr als schwierig für die Betroffenen. Ich bitte darum, dass wir darüber ernsthaft reden und nicht versuchen, das ins Lächerliche zu ziehen – von beiden Seiten.
Ergo ergibt sich für mich, dass wir die Nutzung der modernen Möglichkeiten von Familienplanung möglichst allen zur Verfügung stellen müssen mit dem Ziel, dass solche Konflikte vermieden werden, auch im Interesse der Kinder.
Bei der Betrachtung der Ursachen für ungewollte Schwangerschaften spielt der finanzielle Aspekt sicher eine wichtige Rolle. Auch deshalb hatten wir als SPD 2010 einen entsprechenden Antrag aufgegriffen zu einer Zeit, als gerade in Berlin über die Neuordnung und die Zuordnung dieser Leistung im Rahmen der GKVSozialleistung debattiert worden ist. Damals ging es darum, den Regelsatz neu zu berechnen und die Grundsicherung einer Überprüfung zuzuführen. Der Verschiebebahnhof zwischen GKV und Sozialhilfeträger wurde auch durch das Bundessozialhilfegericht 2012 zulasten der Sozialhilfe entschieden.
Im Ergebnis dieser Diskussion ist jetzt im Regelsatz eine Summe von ungefähr 17 Euro für den gesamten medizinischen Bedarf im Monat vorgesehen. In der Theorie reicht das natürlich. Ich möchte nicht rechnen, wie viele Kondome das dann sind. In der Theorie reicht das, aber die Praxis ist doch viel komplizierter und es gibt eben nicht nur die Pille oder Kondome, es gibt auch andere Verhütungsmethoden, die manchmal auch medizinisch angezeigt sind. Dann reicht dieser Regelsatz tatsächlich nicht aus.
Man muss aber auch an dieser Stelle feststellen, dass der finanzielle Aspekt dabei nur ein Fakt ist, wenn man sich damit beschäftigt, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Das zeigen die nach wie vor problematischen Zahlen bei Teenagerschwangerschaften. Auch da kann der finanzielle Aspekt keine Rolle spielen, weil die Kosten erstattet werden, und dennoch ist das ein Problem. Das zeigt auch ein Modellprojekt von Manuela Schwesig, das sie noch als Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern gestartet hat: Es stellt einkommensschwachen Frauen kostenfrei verschiedene Verhütungsmittel zur Verfügung. Das Projekt läuft Ende dieses Jahres aus und wir hören, dass es nicht so angenommen wird und sogar Mittel übrig bleiben. Warum das so ist, wird aufbereitet und ausgewertet, und dann können wir vielleicht so eine Debatte wieder ergebnisorientierter führen.
Es ist auch Tatsache, dass es in der Hälfte der Bundesländer regional organisierte, wirksame Kostenzuschüsse oder sogar Kostenübernahmemodelle für Frauen mit Sozialhilfebezug gibt. Das wird vor allem von der kommunalen Ebene organisiert und über das SGB XII ausgezahlt. Wir sollten auch keinen Zusammenhang zu den Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche herstellen. Weder ist es ein Argument, wenn die Schwangerschaftsabbrüche steigen, dass wir die Kosten wieder übernehmen, noch, wenn es nicht ein Problem ist, dass die Kosten nicht übernommen werden sollen. Ich finde, dass Familienplanung und der verantwortungsvolle Umgang mit Sexualität und Verhütung mehr braucht als nur ein kostenfreies Rezept.
Abtreibung und ungewollte Schwangerschaften kommen in allen Bevölkerungsschichten vor und sind daher auf vielfältige Ursachen zurückzuführen. Diese müssen in den Blick genommen werden. Das ist aus meiner Sicht auch der Kern des Problems. Wie auch immer – nach der Auswertung des Modellprojekts in Mecklenburg
Vorpommern wird Ministerin Schwesig das Thema ganz sicher auf Bundesebene wieder aufgreifen. Dann können wir uns aus Sachsen wieder einschalten. Zum jetzigen Zeitpunkt werden wir dem Antrag nicht zustimmen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe gerade an Ihrem Zuruf gehört, dass Sie jemand anderen erwartet haben. Ich muss Sie leider enttäuschen. Es bleibt sachlich. Danke.
Ich würde jetzt gern zu meinem Vortrag kommen. Der Antrag der Fraktion DIE LINKE erstaunt mich sehr, will sie doch mit dem Antrag aktiv in die Familienplanung der Geringverdiener in Sachsen und/oder Deutschland eingreifen. Viele der anwesenden Abgeordneten machen sich seit Jahren Sorgen bezüglich der sich deutlich abzeichnenden Überalterung der Gesellschaft in Sachsen. Ich hoffe, das Thema war anders zu verstehen. Selbst ich, der als Christ einer modernen Familienplanung aufgeschlossen gegenübersteht, wundere mich an dieser Stelle. Ja, Verhütung ist auch bei Christen an der Tagesordnung, trotz verbietender Worte aus Rom, trotz Verteufelung von Hardlinern und unabhängig davon, ob die Familie arm oder reich ist.
Ich räume ein, dass das Thema, welches DIE LINKE in den Landtag eingebracht hat, manchen konservativen Politiker aufstöhnen lassen wird. Meiner Fraktion und mir ist aber klar, dass es viele Menschen auch hier in Sachsen gibt, die das Thema wirklich betrifft. Und doch kann ich mir zunächst einen kleinen Seitensprung nicht verkneifen und neben dem Antragsthema darauf hinweisen, dass es müßig ist, wenn wir immer und immer wieder –
schön, wenn Sie Spaß haben – Themen debattieren dürfen, die eigentlich vom Bundestag geregelt werden müssten. Die Sächsische Staatsregierung aufzufordern, sich für die Regelung der Familienplanung in Sachsen und in Deutschland einzusetzen, halte ich für eher aussichtslos.
Nun aber zurück zu Ihrem eigentlichen Antrag. Glaubt man der Studie, auf die die LINKEN in Ihrem Antrag verweisen, und möchte den Damen und Herren unterstellen, dass sie sich ergebnisoffen informiert haben, dann scheint es tatsächlich notwendig zu sein, dass der Staat die Kosten für ärztlich verordnete Empfängnisverhütung übernimmt. Da liegt meine Betonung deutlich auf „ärztlich verordnet“.
Noch etwas macht mich nachdenklich: In der Kieler Erklärung heißt es, Verhütung wäre derzeit in Deutschland vom sozialen Status abhängig. Das Menschenrecht auf freie Wahl der Verhütungsmethode, das die größtmögliche Sicherheit bietet und gleichzeitig gesundheitsverträglich ist, ist nicht mehr für alle garantiert. Davon betroffen sind besonders Frauen, die in der Ausbildung sind, studieren, Arbeitslosengeld II oder Grundsicherungsleistungen erhalten, aber auch Asylbewerberinnen, Geringverdienerinnen und Männer, die aufgrund ihrer finanziellen Situation die Kosten für eine Sterilisation nicht aufbringen können.
Im Antrag der LINKEN steht entsprechend, dass die Übernahme ärztlich verordneter Mittel zur Empfängnisverhütung für Frauen und Männer, die Leistungen nach SGB II oder SGB XII und dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen oder über ein vergleichbar geringes Einkommen verfügen, zu übernehmen sind. Ich muss Sie daher fragen, meine Damen und Herren von der Linksfraktion: Wollen Sie allen anderen Betroffenen die Übernahme der Kosten verwehren? Selbst dann, wenn sie ärztlich verordnet sind? Wo wollen Sie die Grenze ziehen? Wenn man mehr als 100 Euro im Monat zur Verfügung hat oder als Hartz-IV-Empfänger viel weniger, oder vielleicht bei 200 Euro? Wo wollen Sie die Grenze ziehen? Werden Sie nicht rot vor Scham, wenn Sie einer alleinerziehenden berufstätigen Mutter erklären müssten, dass sie das ärztlich verordnete Mittel zur Empfängnisverhütung bezahlen soll, eine Studentin aus wohlhabenden Elternhaus jedoch diese Mittel vom Staat, also über die Steuereinnahmen sogar von der alleinerziehenden Mutter bezahlt bekommt? Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein.
Geehrte Linksfraktion! Wir gehen davon aus, dass alle Menschen gleich sind, wir vor dem Herrn und Sie vor Ihrer Partei.