Protocol of the Session on October 7, 2015

Ich habe zum ersten Mal vor etwa vier, fünf Jahren einen Zeitungsartikel zum Thema Predictive Policing gelesen. Dort wurde über eine amerikanische Stadt berichtet – ich weiß nicht mehr genau, über welche –, in der das eingeführt wurde. Als ich das las, habe ich ein total ungutes Gefühl bekommen und dachte: Oh, wenn das die Zukunft ist, wird es wirklich ulkig. Mich hat das ein wenig erinnert an – – Ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen den Film „Timecop“ mit Jean-Claude van Damme gesehen hat. Dort wurde im Jahr 2004, als Zeitreisen schon möglich waren, eine Special Unit gebildet, um in die Vergangenheit zu reisen und Verbrecher von den Straftaten abzuhalten, die sie ausüben werden. Daran hat mich das erinnert, und ich fand das schlimm.

Ich habe mich aber etwas schlauer gemacht, weil ich ein technikaffiner Mensch bin. Ich habe herausgefunden, dass es grundsätzlich zwei verschiedene Arten gibt, Predictive Policing zu betreiben: zum einen die Art, die personenbezogene Daten einsetzt. Dort werden Daten über Täter, über Opfer erhoben. Es werden Zusammenhänge hergestellt und quasi einer Rasterfahndung gleich Listen von Personen erstellt, bei denen es wahrscheinlich ist, dass sie Straftaten begehen. Das sind Systeme, die ich rundweg ablehnen würde und die Gott sei Dank bei der gesetzlichen Lage in Deutschland auch gar nicht möglich wären, die es aber zum Teil in den USA gibt. Chicago zum Beispiel hat das eingesetzt und so eine Gruppe von 400 möglichen Straftätern identifiziert, die dann präventiv Besuch von der Polizei bekommen haben. Das ist etwas, was ich mir für unser Land nicht vorstellen kann und das, glaube ich, jeglichem Grundrechtsverständnis widerspricht.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt eine zweite Art und Weise. Der Kollege von der AfD hat vorhin gesagt, man muss genau erklären, was dahintersteckt. Er hat es versucht. Leider ist es ihm nicht ganz gelungen, weil er sagte, personenbezogene Daten werden mit eingepflegt. Das ist nicht der Fall. Es gibt eine zweite Art und Weise, wie man Predictive Policing betreiben kann, nämlich unter der reinen Verwendung von ortsbezogenen Daten, also dort, wo Straftaten stattgefunden haben, zurückliegende Einbrüche. Es gibt auch Systeme, die neben dem Tatort noch die Beute und das Einbruchswerkzeug aufnehmen – also alles Daten, die nichts mit den Personen zu tun haben, die Täter, Opfer oder Mitbewohner sind, sondern reine Ortsbezogenheit besitzen.

Auf diesen ortsbezogenen Daten funktioniert zum Beispiel das System Precobs, das hier im Antrag aufgeführt ist. Nun ist schon dreimal gesagt worden, dass Grundlage für den Antrag eine Pressemitteilung des bayerischen Innenministeriums gewesen ist. Das finde ich an sich erst einmal legitim; ich hätte es nur klug gefunden, wenn die Kollegen von der AfD die Pressemitteilung auch bis zum Schluss gelesen und etwas genauer hingeschaut hätten.

Im Raum Nürnberg wurde Precobs im Oktober 2014 eingeführt, Kosten: 100 000 Euro – haben wir gehört. Daraufhin sind im November 2014 tatsächlich die Zahlen von Wohnungseinbrüchen leicht nach unten gegangen, im Dezember 2014 waren sie höher als im Oktober 2014. Was kann ich jetzt statistisch daraus ableiten? Noch nicht viel. Zudem stellt das bayerische Innenministerium selbst dar, dass die Einführung von Precobs von einem FünfPunkte-Programm begleitet worden ist, das unter anderem darin bestand, eine verstärkte Bestreifung der Gebiete vorzunehmen, eine stärkere Schleierfahndung bei der Polizei zu machen, eine Kampagne für die Neuanschaffung von Fensterverriegelungen und Alarmanlagen. Man sieht schon, Precobs ist ein Teil eines solchen Programms, wo es sehr schwer ist – und das macht auch Bayern selbst nicht, da sind die ein bisschen lauterer –, zu sagen: Das ist

jetzt der einzige Hebel, den wir angesetzt haben, um Wohnungseinbrüche zu vermindern. Die anderen Punkte waren mindestens ebenso wichtig.

Da kommt der AfD-Antrag schon ein wenig hemdsärmelig daher. Es wurde vorhin gesagt: drei Zeilen. Die drei Zeilen sind es ja auch nur deshalb, weil man geschrieben hat, „Precobs oder ein ähnliches System“. Ansonsten wären es nur zwei Zeilen gewesen. Der Antrag sagt nämlich einfach: Freistaat Sachsen, bitte kauf diese Software. Das ist wirklich ein bisschen dünn. Wir haben schon gehört, es gibt Pilotprojekte in Bayern, in NRW, auch Berlin denkt über die Einrichtung eines Pilotprojektes nach oder hat es schon aufgesetzt – da bin ich nicht über den Stand der letzten Wochen informiert. Es gibt unterschiedliche Erfahrungen aus diesen Pilotprojekten. Warum sollten wir denn jetzt noch ein viertes oder fünftes oder sechstes Pilotprojekt starten, wenn noch nicht einmal die anderen ausgewertet sind? Das macht wenig Sinn.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Es gibt zum Beispiel die Erkenntnis, dass Precobs in städtischen, in urbanen, in verdichteten Räumen ganz gut funktionieren könnte – noch nicht nachgewiesen, aber es könnte sein –, in ländlichen Räumen aber überhaupt nicht. Nun schauen Sie sich einmal den Freistaat Sachsen an. Lohnt es sich hier wirklich, ohne genauere Erkenntnisse das Geld in die Hand zu nehmen? Mir ist es, ganz ehrlich, da wohler, auf den Grundsatz zu vertrauen: Technik ersetzt nicht Personal. Erst wenn ich wirklich ganz sicher bin, dass diese 100 000 Euro im Gewinn eines Softwareunternehmens besser angelegt sind als in Polizeistellen, würde ich erwägen, diesen Antrag einmal genauer anzusehen. Wir sind aber noch lange nicht an dem Punkt. Es macht wenig Sinn, hier eine überstürzte Entscheidung für ein System zu treffen, dessen Nutzen man nicht erkennen kann.

Deswegen wäre meine Bitte: Geben Sie Ihren Anträgen künftig etwas mehr Substanz und vielleicht fünf oder sechs Zeilen, in denen man sich mit den richtigen Gründen auseinandersetzt.

Frau Friedel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Jetzt verzichte ich auf die zweite Hälfte des Schlusssatzes, um selbstverständlich noch eine Frage zu ermöglichen.

Bitte, Herr Wurlitzer.

Sie sprechen von überstürzt. Leipzig ist die Hauptstadt der Wohnungseinbrüche.

Dresden steht an fünfter Stelle. Ist es nicht mehr überstürzt, wenn Dresden an zweiter Stelle ist, oder wäre es nicht sinnvoll, irgendwann etwas zu tun, anstatt immer nur darüber zu reden?

Herr Wurlitzer, ich weiß nicht, wo Sie in den letzten Monaten waren. Herr Hartmann hat Ihnen schon gesagt, was beim Thema Polizei und Stellen passiert. Wir haben heute früh eine Debatte über Crystal gehabt. Wir wissen, dass ein Großteil von Wohnungseinbrüchen der Beschaffungskriminalität geschuldet ist. Es ist mir klar, dass es schwierig nachzuvollziehen ist, dass man mit der Bekämpfung von Drogenkriminalität auch Einbruchskriminalität bekämpft. Das ist ein komplexer Zusammenhang, der sich vielleicht nicht jedem erschließt. Aber es ist tatsächlich so. Es gibt mehrere Maßnahmen, die der Freistaat hier unternimmt.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Wie arrogant sind Sie eigentlich, Frau Friedel?)

Frau Petry, Sie können gern eine Zwischenfrage stellen.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Das lohnt sich bei Ihnen gar nicht!)

Ich sage Ihnen, wann es an der Zeit ist, ein solches System einzusetzen: nicht, wenn sich in Dresden die Wohnungseinbrüche verdoppelt oder in Leipzig vervierfacht haben, sondern wenn ich weiß, dass es funktioniert. Das ist nicht klar.

Vielen Dank

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist an der Reihe. Herr Abg. Lippmann, bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte AfD, der Antrag entbehrt in der Reihenfolge Ihrer Schmalspuranträge, die Sie in diesem Haus einreichen, nicht einer gewissen Logik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Offensichtlich verlieren Sie über der Tatsache, dass Sie sich permanent in Ihren Pressemitteilungen zu Geschehen außerhalb Sachsens äußern, ein bisschen das Gefühl für die relevanten Themen in diesem Freistaat und antizipieren dann eben schnell – es ist schon vielfach ausgeführt worden – Vorschläge, die unausgegoren oder in der Form nicht tauglich sind, wie Sie sie hier darstellen.

Ich habe zuerst eine kleine Anmerkung. Man könnte ketzerisch sagen: Die Beschaffung ist schön und gut. Aber was wollen Sie damit machen? Vom Einsatz steht im Antrag nichts.

Kurzum: Warum lehnen wir GRÜNEN das Analysesystem ab?

Erstens. Die Entwickler und Verwender von Precobs beteuern zwar, dass sie nicht mit personenbezogenen Daten arbeiten, was auch die Anbieter anderer Programme sagen. Aber die Aussage ist so nicht richtig. Das hat jüngst auch der Bayerische Datenschutzbeauftragte

bestätigt. Schon allein die Verwendung des Merkmals eines konkreten Tatorts kann sehr wohl ein personenbezogenes Datum darstellen. Damit kommt man sehr schnell in datenschutzrechtliche Probleme. Zwar kommt der Bayerische Datenschutzbeauftragte auch zu dem Schluss, dass die derzeitige Verwendung des Systems datenschutzrechtlich nicht zwingend zu beanstanden sei, er macht aber auch deutlich, dass das nur dann gilt, wenn der Polizeibeamte und eben nicht die Software das letzte Wort hat.

Bei der Einschätzung kommt viel zu kurz, dass mit der automatisierten Datenverarbeitung schlicht die Möglichkeit geschaffen wird, eine Vielzahl von Daten auszuwerten und zu verknüpfen. Wenn auch ein einzelnes Datum zunächst keinen Personenbezug erkennen lässt, so wird mit einer solchen Software die Möglichkeit der Verknüpfung einer Vielzahl von Daten geschaffen. Dann liegt es quasi logisch nahe, dass die Vorhersagegenauigkeit mit den Daten, die ich in das System einpflege, steigt. Damit befinden wir uns dann tatsächlich am Rande des auch nach deutschem Datenschutzrecht Zulässigen.

Auch wenn Precops heute noch nicht die Möglichkeit hat, auf polizeiliche Datenverarbeitungssysteme zuzugreifen, so gehe ich fest davon aus, dass früher oder später die Schnittstelle kommen wird. Dann droht ein ähnlicher Dammbruch wie bei allen Systemen, die gern gefordert werden und viele Daten erheben. Ist das System erst einmal eingeführt, folgt als Nächstes nur noch die Diskussion darüber, wie man es auswertet. Hier lässt die auch aus bayerischem Hause stammende Maut grüßen. Dies gilt es zu verhindern, indem man ein solches System gar nicht erst einführt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zweitens. Es spricht noch ein anderes gewichtiges Argument gegen eine solche Prognosesoftware. Es treten – und das hat Kollege Hartmann schon ausgeführt – dadurch klassische Ermittlungsansätze und -methoden in den Hintergrund. Die Technikgläubigkeit ist dann relativ schnell auch ein Problem für die Beamtinnen und Beamten. Mich wundert es schon ein wenig, dass von Ihrer Fraktion, die hier sonst eher bei Techniksachen die Aluhutfraktion gibt, jetzt das große Technikgläubigkeitsdogma ausgegeben wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Drittens. Wenn Sie jetzt in Ihrem Antrag als Fahndungserfolg von Precobs verkaufen, dass es der bayerischen Polizei gelungen sei, 26 Personen beim Ausspähen geeigneter Einbruchsobjekte zu ertappen und festzunehmen, dann gilt es zu konstatieren: Das Ausspähen von Wohnungen ist in Deutschland an sich noch keine Straftat. An diesem Beispiel wird das Problem deutlich. Diese Software setzt weit im Vorfeld der Straftatbegehung an, weit bevor eine Straftat überhaupt realisiert wird. Da droht durch die Hintertür – deswegen lehnen wir GRÜNEN das in Sachsen sehr deutlich ab – der polizeiliche

Präventivstaat aus der Taufe gehoben zu werden, wenn man das weiterdenkt.

Viertens. Sie argumentieren mit dem, was herstellerseitig über die Software ausgeführt wird, nämlich eine Vorhersagegenauigkeit von 85 %. Worauf sich das bezieht, und ob tatsächlich ein einziges Verbrechen durch eine solche Software bisher verhindert werden konnte oder ob nicht tatsächlich ganz andere Rahmenbedingungen – dazu haben die Kollegen schon ausreichend ausgeführt – die Hintergründe dafür sind, dass in bestimmten Bereichen die Kriminalität minimiert wurde, bleiben diese Ausführungen schuldig.

Für uns ist klar: Für eine wirksame Verbrechensbekämpfung braucht es gut ausgebildete und in ausreichender Zahl vorhandene Beamte und nicht vorrangig technische Lösungen. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde in der Aussprache. – Herr Urban?

Eine Kurzintervention.

Bitte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den anderen Fraktionen!

Nein, Herr Urban, das geht nicht. Die Kurzintervention muss sich immer auf den vorangegangenen Redebeitrag beziehen.

Dann stellvertretend für die anderen: Herr Lippmann, Sie haben sich große Mühe gegeben, unseren Antrag als flachbrüstig und wenig fundiert darzustellen.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Ist er ja auch! – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Was ja stimmt!)

Ich glaube, unsere Anträge, die dann oft von der CDU wiederholt werden und durch das Parlament gehen, können so schlecht nicht sein. Ich glaube, der Bürger draußen auf der Straße sieht vor allen Dingen, dass die AfD sich Sorgen macht um seine Sicherheit und nicht versucht, die bestehenden Probleme wegzureden, indem man evaluiert und sagt: Ihre Anträge taugen nichts.