Protocol of the Session on September 17, 2015

(Beifall bei der AfD)

Zunehmend habe ich begründet das Gefühl, Sie wollen sich der Kontrolle durch dieses Hohe Haus entziehen. Ich möchte ein Beispiel anführen, Herr Staatsminister Dulig – leider ist er nicht anwesend. Von Ihrem Staatsministerium wollte ich in einer Kleinen Anfrage, Drucksache 6/2441, unter anderem wissen, wie viele Betriebe es in Sachsen im Fliesenplatten- und Mosaiklegerhandwerk im Jahr 2014 gab. Sie antworteten zwar fristgerecht, aber ohne Inhalt. Nach dieser Antwort habe ich mich selbst über andere Wege informiert und kann Ihnen heute mitteilen, Herr Dulig: Es waren zu Beginn 2014 2 258 Betriebe

(Enrico Stange, DIE LINKE: Das tut aber nichts zur Sache!)

und am Jahresende 2 342 Betriebe in Sachsen.

(Zuruf von der CDU: Das ist schön!)

Hier frage ich mich ernsthaft: Warum weiß das eine Staatsregierung nicht?

(Enrico Stange, DIE LINKE: War das Bestandteil der Großen Anfrage?)

Kann es sein, dass Sie sich gar nicht wirklich dafür interessieren, was in unserem Land vor sich geht? Sollte das so sein, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn immer mehr Bürger einfach keine Lust mehr auf Politik haben, nicht zur Wahl gehen und ihren angestauten Frust auf die Straße bringen.

Die Alternative für Deutschland wird alles daransetzen, diesen fehlgeleiteten Politikstil zu korrigieren, um dem Volk wieder eine Stimme zu geben.

Schlussendlich beantragen wir eine punktweise Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE, weil wir nicht mit allen geforderten Maßnahmen einverstanden sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Frau Abg. Zais, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir GRÜNE begrüßen den Antrag der LINKEN, der heute zum Thema Hartz IV vorgelegt wurde. Ich möchte zu Beginn meiner Rede darauf verweisen, dass wir natürlich sehr wohl wissen, dass die Sozialgesetzgebung Bundesangelegenheit ist. Aber man muss sagen, Auswirkungen dieser Sozialgesetzgebung kommen natürlich auch hier im Freistaat Sachsen in den Gemeinden und den Kommunen an. Ich möchte hier nur das Thema Kosten der Unterkunft erwähnen. Es müsste deshalb sehr wohl ein hohes Maß an Interesse im Freistaat daran geben zu erfahren, welche tatsächlichen Auswirkungen eine der grundlegendsten Reformen in der Sozialgesetzgebung auf den Freistaat Sachsen hat.

Insofern teilen wir die Kritik der LINKEN daran, dass die Staatsregierung nicht besonders auskunftswillig gewesen ist. Meine Fraktion meint zu beobachten, dass sich dieser Trend bei der einen oder anderen Anfrage, insbesondere aus den Reihen der Opposition, fortsetzt.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Wir hoffen sehr, dass das hier nicht zum Duktus wird. Auch die Feststellung von Herrn Krauß, man könne doch googlen, ist schon sehr neben der Spur. Das Fragerecht ist eines der grundlegenden Rechte eines Abgeordneten.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN – Zuruf des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Wer hier meint, mit solchen pöbelnden Bemerkungen dieses Fragerecht einschränken zu können, ist schon ein

bisschen außerhalb der uns selbst gegebenen Geschäftsordnung.

(Alexander Krauß, CDU: Aber googlen ist nicht verboten, Sie haben das Google-Recht! – Zurufe von den LINKEN)

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte darauf verwiesen, dass der Freistaat natürlich ein erhebliches Interesse an einer gelingenden Sozialgesetzgebung haben muss. Dazu gehört eben auch der Umstand, dass diese Sozialgesetzgebung tatsächlich tief greifende Auswirkungen auch auf den Arbeitsmarkt hat. Da ist es schon von Interesse zu wissen: Sind die gut oder sind die schlecht?

Eine grundsätzliche Bilanz zu zehn Jahren Hartz IV in Bezug auf Sachsen lehnt die Staatsregierung ab. Sie mauert. Die Gründe bleiben offen. Sie handelt nach dem Prinzip: Wir sind nicht zuständig, mehr Daten sind nicht nötig, wir sehen keinen grundlegenden Handlungsbedarf. Das wurde auch durch den Beitrag von Herrn Krauß unterstützt.

Wir als GRÜNE sind nicht ganz unschuldig daran, dass Hartz IV oder die Sozialreform existiert. Hartz IV polarisiert wie kaum eine andere Reform in den letzten Jahrzehnten. Es ist festzustellen, dass die Gräben in unserer Gesellschaft durch diese Reform tatsächlich tiefer geworden sind. Nicht nur die SPD, auch die GRÜNEN schauen heute kritisch zurück und überlegen schon, was gut und was schlecht gelaufen ist. Insofern ist es schon etwas eigenartig, dass sich hier Herr Krauß als Vertreter der CDU mit Ergebnissen von Hartz IV schmückt.

(Alexander Krauß, CDU: Sie dürfen das doch auch machen!)

Dass das ein Teil der erfolgreichen Wirtschaftspolitik der CDU gewesen ist, sehen wir natürlich nicht so.

„Fördern statt Fordern“, mit diesem Postulat wurde ein Versprechen gegeben, das der Realität zu keiner Zeit standgehalten hat. Die Reform war und ist – das muss man ganz klar sagen – vor allem eine, die die Deregulierung des Arbeitsmarktes zum Ziel hatte und die Arbeitgeber zu den Gewinnern der Reform machte. Auch deshalb, Frau Neukirch, denken wir, dass eine Sozialberichterstattung dringend notwendig ist. Es ist – Sie haben darauf verwiesen – im Koalitionsvertrag für 2016 vereinbart. Denn es ist schon von politischer Relevanz, Armut und soziale Ausgrenzung zu erfassen und zu erkennen. Dazu gehört eine Datenanalyse, um landespolitisch zu handeln und den Einfluss auf Bundesebene geltend zu machen. Bis 2006 hatte Sachsen immerhin eine Sozialberichterstattung. Wir sind gespannt, was neu kommt.

Ich möchte noch ein paar Punkte nennen, bei denen aus GRÜNEN-Perspektive deutlich wird, was die Folgen dieser Sozialgesetzgebung, insbesondere der Neuordnung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, tatsächlich gewesen sind.

Wir haben es heute mit einem hohen Maß an sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung zu tun, insbesondere,

wenn wir auf den hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen blicken. Es waren im Juni 2014 in Sachsen immerhin 62 % der nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Alter zwischen sieben und 15 Jahren, die bereits länger als vier Jahre auf Leistungen angewiesen sind. Das muss uns alle kritisch sensibilisieren.

Eine weitere nicht ausdiskutierte Folge dieser Reform ist, dass sie einen erheblichen Druck auf Betriebsräte und Gewerkschaften insbesondere im Osten und ganz besonders in Sachsen ausübte. Hier gab es eine relativ gering ausgeprägte Tarifbindung. So viel hat sich da nicht getan. Insofern möchte ich an den gestrigen Beitrag des Herrn Staatsministers Dulig erinnern, der das sehr wohl als eine Aufgabe auch für den Freistaat Sachsen formuliert hat.

Ein weiterer Punkt, den ich in diesem Resümee zu Hartz IV ansprechen möchte, ist die Altersarmut als Spätfolge dieser Reform.

Altersarmut und insbesondere – dies wurde bereits von der Kollegin Neukirch angesprochen – die Streichung der Einzelleistungen, aber auch der Beiträge zur Rentenversicherung, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Niedriglöhne, die auch durch den jetzigen Mindestlohn hinsichtlich der Armutsfestigkeit beim Bezug von Renten nicht ausreichen, das sind Dinge, die wie eine Lawine auf uns zu rollen, und wir haben weder in Sachsen noch in der Bundesrepublik im Moment eine Strategie, wie wir mit diesem hohen Maß an Altersarmut umgehen wollen.

Als Grüne finde ich es besonders wichtig, darauf hinzuweisen: Insbesondere die Frauen – auch jene im Osten bzw. in Sachsen – waren ganz klar die Verlierer der Reform. Die Kategorie der Bedarfsgemeinschaften hat zu einer wesentlich stärkeren Anrechnung des Partnereinkommens geführt und in der Konsequenz völlig neue Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen. Das ist aus meiner Perspektive etwas Dramatisches und müsste dringend geändert werden. Wir brauchen einen eigenständigen Sicherungsanspruch, auch in den partnerschaftlichen Verhältnissen.

Herr Prof. Butterwegge – er ist kein Unbekannter; Sie werden ihn kennen – sagte Folgendes: „Hartz IV machte einen Teil der vorher verdeckten Armut sichtbar, verstärkte aber zugleich vorhandene Armut und erzeugte darüber hinaus neue Armut, wie es sie in dieser ausgrenzenden, erniedrigenden und entwürdigenden Form in der Bundesrepublik bis dahin kaum je gegeben hat.“ Diesem Zitat ist in der Einschätzung von Hartz IV eigentlich nichts hinzuzufügen.

Was wären die Perspektiven? Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Arbeitsförderung. Wir brauchen bei den Zugängen in den Arbeitsmarkt verlässliche Perspektiven. Wir müssen weiter daran arbeiten, prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu reduzieren, und wir brauchen – ein ganz dringender Punkt – eine Erhöhung der Kinderregelsätze, um Kinderarmut entgegenzuwirken. Wir GRÜNEN haben mit dem Modell unserer Kindergrundsicherung dazu einen guten Vorschlag gemacht. Wir werden dem

Antrag der LINKEN zustimmen. – So viel zu unserer Position.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Wird weiterhin das Wort von den Fraktionen gewünscht? – Frau Schaper, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Keine Sorge, Herr Piwarz, ich bin wieder völlig entspannt.

(Christian Piwarz, CDU: Das freut mich!)

Gestatten Sie mir dennoch, dass ich kurz auf Sie, Herr Krauß, eingehe. Jeder, der mindestens 15 Stunden pro Woche arbeitet, fällt aus der Statistik heraus. So kann man immer beschönigen. 10 % der Bevölkerung in Sachsen beziehen Hartz IV. Da nützen die 7 % Arbeitslosigkeit nichts. Bei 3 % reicht das Arbeiten allein nicht, sie müssen aufstocken. Das ist doch unglaublich! Da kann man sich doch nicht hinstellen und so tun, als sei die Welt in Ordnung.

(Beifall bei den LINKEN)

Wird von der CDU das Wort gewünscht? – Gibt es weitere Redewünsche? – Dies scheint nicht der Fall zu sein. Somit bitte ich nun die Staatsregierung, das Wort zu nehmen; Frau Staatsministerin Klepsch.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, die Staatsregierung hat die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zu Ergebnissen, Erfahrungen und Schlussfolgerungen zu „10 Jahre Hartz IV in Sachsen“ beantwortet und auf ein umfangreiches Datenmaterial verwiesen.

Wie die Debatte aber auch gezeigt hat, sind die Leistungen, die als Hartz IV bekannt sind, nicht nur ein sehr komplexes, sondern vor allem ein sehr, sehr sensibles Thema. Es sollte daher auch weiterhin unser gemeinsames Anliegen sein, eine sachliche Diskussion auf Augenhöhe zu führen. Lassen Sie uns deshalb in Zukunft nicht alle Begriffe und Fachtermini unreflektiert verwenden.

Hartz IV, Armut, Altersarmut, Ausgrenzung, Zwangsrente und Zwangsumzüge sind nicht dasselbe.

Natürlich kann man, wenn man von Hartz IV spricht, nicht von Wohlstand sprechen. Die Leistungen sind finanzielle Hilfen, die den Lebensunterhalt sichern, und der Wortlaut des SGB II ist: „Grundsicherung für Arbeitsuchende, eine vorübergehende und begrenzte finanzielle Unterstützung des Staates.“ Entsprechend der Vorgabe des § 1 SGB II sollen alle ein Leben führen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Angemessenheit der Höhe der Leistungen des SGB II ist höchstrichterlich bestätigt; aber – dies ist wichtig und auch bereits angeklungen – es

muss unser aller Anliegen sein, Menschen wieder in Arbeit zu bringen.

Bereits gestern in der Regierungserklärung des Wirtschaftsministers sowie bei meinem Vorredner Alexander Krauß wurde noch einmal die Arbeitslosenquote angesprochen. Ja, es ist ein Erfolg, dass die Arbeitslosenquote im Freistaat Sachsen seit 2005 deutlich rückläufig ist. Aber auch das – dies haben die Vorredner deutlich zum Ausdruck gebracht – kann und darf uns nicht zufriedenstellen.