Protocol of the Session on September 16, 2015

Es läuft doch etwas gewaltig schief, wenn ausgerechnet eines der zentralen Abwehrrechte der Bürgerinnen und Bürger gegen den Staat und damit auch gegen die Staatsgewalt unter dem permanenten Damoklesschwert der faktischen Disposition durch die Sicherheitsbehörden steht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den LINKEN)

Wenn ich das terrorgefahrinduzierte Versammlungsverbot in Dresden außen vor lasse – zwei Versammlungsverbote aufgrund eines polizeilichen Notstands innerhalb von sechs Monaten. Würde das in anderen Ländern stattfinden, ich glaube, hier hätten sich schon Kolleginnen und Kollegen gefunden, die in diesem Zusammenhang an der Rechtsstaatlichkeit in diesen gezweifelt hätten. Das Problem ist allerdings, wir sind im Freistaat Sachsen, in dem offensichtlich die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands augenscheinlich nicht mehr die absolute und letzte Ausnahme ist. Ich persönlich bleibe dabei, zwei Erklärungen eines polizeilichen Notstands innerhalb von sechs Monaten sind ernst zu nehmen. Es gilt, endlich zu handeln und auch aus der meines Erachtens Blamage mit Ansage vor dem Bundesverfassungsgericht die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Darauf rekurriert der Antrag der Fraktion DIE LINKE.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben eine Polizei, die in Anbetracht der vielen Aufgaben, die sie gerade zu bewältigen hat, logischerweise in solchen Situationen vollkommen überfordert sein muss. Ich kann mir konkret durchaus vorstellen, dass in Heidenau – auch ausweislich des Geschehens vom Wochenende zuvor – nicht ausreichend Kräfte zur Verfügung standen. Seit Jahren wird die Polizei in Sachsen kaputtgespart, erst der Stellenabbau unter Schwarz-Rot, dann unter SchwarzGelb, und auch die Makulatur, die man unter der jetzigen schwarz-roten Koalition betrieben hat, hat das Ganze nicht ausräumen können.

Wir sind mittlerweile in einer Situation, in der wir selbst vermeintlich alltägliches Versammlungsgeschehen, wie drei angemeldete Versammlungen an zwei Tagen an einem Ort, eben nicht mehr absichern können.

Mit dieser Politik wurde die Grundlage dafür gelegt, dass wir hier und heute über die Gewährleistung des Versammlungsrechts debattieren müssen. Daher kommen wir zu der Frage: Wie können wir künftig der Gewährleistung des Versammlungsrechts im Freistaat Sachsen zur Geltung verhelfen? Meines Erachtens und auch dem Erachten unserer Fraktion nach – damit deckt sich das mit dem Antrag der LINKEN – brauchen wir ein Konzept zur Gewährleistung der Versammlungsfreiheit in Sachsen. So etwas in einem demokratischen Rechtsstaat fordern zu müssen verbietet sich eigentlich, scheint aber aufgrund der momentanen Situation notwendig zu sein.

In diesem Konzept muss die Frage erörtert werden, wie wir ausreichend Polizeikräfte zur Verfügung gestellt

bekommen, um die Versammlungslagen im Freistaat Sachsen – gegebenenfalls auch unter Mithilfe anderer Länder – absichern zu können. Fakt ist doch momentan – das hat Heidenau auch noch mal gezeigt –, dass das System des bundesweiten Kräfteaustauschs bei der Polizei faktisch in sich zusammengebrochen ist. Deswegen braucht es jetzt eine bundesweite Vereinbarung über prioritäre Einsatzlagen.

Als ich dies im letzten Plenum schon einmal vorgetragen habe, hat der stellvertretende Ministerpräsident von der Seite gerufen, dass man für so etwas jetzt keine Zeit habe. Ich habe am Wochenende erfahren dürfen, dass der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen da doch deutlich offener ist, jetzt eine Debatte darüber zu führen, wie wir Polizeikräfte „freigeschaufelt“ bekommen, die wir für Versammlungslagen einsetzen können.

Dabei muss man sicherlich auch die Frage Fußball und die Frage, wie viel Polizei bei Fußballspielen eingesetzt wird, stellen. Das ist eine schmerzliche Debatte, aber wir müssen sie vor dem Hintergrund des Schutzes eines Grundrechts tatsächlich führen.

Herr Innenminister, ich wende mich jetzt an Sie in Ihrer Eigenschaft als Versammlungsminister. Vor diesem Hintergrund finde ich es aber reichlich absurd, dass Sie die Einschränkung der Versammlungsfreiheit dann nicht in dem Maße kritisieren, die faktisch dadurch entstehen kann, dass Sie Grenzkontrollen befürworten. Was haben wir denn jetzt faktischerweise? Die komplette Bundespolizei in Deutschland ist faktisch mit Grenzsicherungsmaßnahmen beschäftigt – das hat auch der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft deutlich ausgeführt –, was, wenn dieser Zustand länger anhält, unweigerlich dazu führen muss, dass Versammlungen, Fußballspiele oder Großereignisse abgesagt werden müssen.

Wenn Sie den Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ernst nehmen wollen, dann hätte ich erwartet, dass Sie als Versammlungsminister dort deutliche Worte der Kritik finden; denn wir laufen hier in die nächste Katastrophe mit Ansage in Bezug auf das Versammlungsrecht hinein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Kurzum, wir haben ein Problem bei der polizeilichen Bereitstellung von Kräften und damit auch eine polizeiseitige Problematik bei der Gewährleistung des Versammlungsrechts und nicht eine gerichtsseitige Problematik, weswegen ich auf diesen Teil noch einmal fokussieren möchte. Deswegen werde wir dem Antrag der LINKEN auch zustimmen. Wir selbst haben einen Antrag im Geschäftsgang, zu dem wir eine Stellungnahme der Staatsregierung beantragt haben. Ich erhoffe mir dort Klarheit über die tatsächlichen Hintergründe der versammlungsrechtlichen Allgemeinverfügung in Heidenau.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Gibt es Redebedarf für

eine zweite Runde, Herr Bartl? – Für die CDU-Fraktion? – Herr Abg. Hartmann, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich mache es in aller gebotenen Kürze. Es ist die Stunde der Rechtspolitiker. Ich möchte nur eines deutlich machen: Wenn Sie vor Ort eine Versammlungsbehörde haben, die auf Grundlage der allgemeinen Voraussetzungen eine Entscheidung zu treffen hat, das im Rahmen der bestehenden Sicherheitsarchitektur beurteilt und bei einer besonderen Belastungssituation die Frage aufwirft, wie die öffentliche Ordnung und Sicherheit gesichert werden kann, und diese Fragen auf Grundlage der erheblichen Einsatzbelastungen zum aktuellen Zeitpunkt nicht abschließend zu klären sind, dann handeln Sie verantwortungslos, ohne entsprechende Sicherungsmaßnahmen hier aufzutreten.

Insoweit ist die Kernfrage, wie ich die entsprechende Sicherheitsarchitektur schaffe, und wir sind dabei in zwei Bereichen:

Erstens. Trennen Sie bitte die besondere Belastungssituation, in der wir uns derzeit befinden – im Übrigen kein sächsischen Alleinstellungsmerkmal –; denn insbesondere stehen wir vor der Herausforderung, dass mit der Übertragung der Aufgaben des Bundesgrenzschutzes auf die Bundespolizei eine erhebliche Reduktion der Kräfte der Bundespolizei, insbesondere der geschlossenen Einheiten, im Weiteren aber auch in 15 anderen Bundesländern die Reduzierung von Polizeikräften, insbesondere der Bereitschaftspolizei, stattgefunden hat, bis dahin, dass es Bundesländer ohne Strukturen der Bereitschaftspolizei gibt.

Das führt dazu, dass sie in Zeiten, in denen sich in allen Bundesländern auf Grundlage der besonderen Herausforderung der sicheren Unterbringung der Asylbewerber, der Großdemonstrationen, aber eben auch der Spezifik von entsprechenden Aggressionen linker und rechter Ränder zusätzliche Kräfte bündeln, nicht mehr jede Einsatzlage aktuell abbilden können und insbesondere die Fragen der Prioritäten stellen müssen, welche Maßnahmen sie derzeit garantieren.

Damit sind wir beim Kern dessen, worum es jetzt geht, nämlich nicht um die Debatte, die sich rechtstheoretisch sicher führen lässt und wo ich gar keinen Widerspruch im Kern feststellen kann, sondern um die Frage der praktischen Umsetzung. Dann sind wir bei der Frage, der veränderten Sicherheitsarchitektur Rechnung zu tragen und in Anbetracht der höheren Einsatzbelastung der Polizei in Erkenntnis dessen, was wir gerade in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben, den Blick darauf zu richten, wie die Polizeistärke anzupassen ist.

Hierbei sind wir uns in der Koalition, glaube ich, der Verantwortung sehr bewusst, neben dem Thema der Wachpolizei, das wir jetzt auf der Agenda haben, auch unmittelbar das Thema Kräfteeinsatz der sächsischen Polizei anzugehen.

Insofern, glaube ich, ist das der Kern der Diskussion: dass die Versammlungsbehörden, die vor Ort zu entscheiden haben, und nicht das Sächsische Staatsministerium des Innern, das die entsprechende Sicherheitsarchitektur ergänzend zur Verfügung stellt, in diesem Rahmen ihre Arbeit zu leisten haben. Wenn es eine gesamtdeutsche Herausforderung an dieser Stelle gibt, dann ist es diese.

(Beifall bei CDU und SPD)

Meine Damen und Herren! Mir liegen aus den Reihen der Fraktionen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wird dennoch das Wort gewünscht? – Herr Pallas, SPD-Fraktion, bitte; Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde gern an das anknüpfen, was Kollege Hartmann gerade begonnen hat, und der rechtspolitischen Betrachtung weitere innenpolitische Aspekte hinzufügen; denn ich glaube, dass das die eigentlichen Punkte sind, über die wir bei dieser Gesamtthematik reden müssen.

Der Darstellung der versammlungs- und verfassungsrechtlichen Situation ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen. Das haben insbesondere die Kollegen Modschiedler und Baumann-Hasske in hervorragender Art und Weise, wie ich finde, getan. Aber ich möchte noch einmal unterstreichen, dass ich es für eine merkwürdige Befassung mit diesem Thema halte, wenn die Fraktion DIE LINKE schon in der Überschrift sozusagen unterstellt, dass die sächsischen Behörden die Absicht hätten, dass die Staatsregierung die Absicht hätte, das Versammlungsrecht in Sachsen auszuhöhlen. Das ist so absurd, dass man schon deswegen, ohne den Antrag zu lesen, den Antrag ablehnen müsste.

(Beifall bei SPD und CDU)

Aber wir haben uns damit befasst. Sie wollen uns vorführen, das ist Ihr Recht. Mehr braucht man eigentlich an dieser Stelle auch nicht zu sagen.

Dennoch kurz zu den Anlässen, auf die Sie sich auch beziehen. Sie haben zu Recht angeführt, dass anlässlich des Versammlungsverbots in Dresden im Innen- und im Verfassungs- und Rechtsausschuss eine Anhörung stattgefunden hatte. Dabei waren Sachverständige, die sich klar positioniert haben. Aber es waren eben auch einige dabei – und diese waren für mich an dieser Stelle die entscheidenderen Sachverständigen –, die gesagt haben: Ohne umfassende Kenntnis über die Grundlagen der Entscheidungen zu haben – sprich: ohne alle Informationen zu kennen, die zu dieser Entscheidung führten –, kann man auch als Sachverständiger unmöglich zu diesem Zeitpunkt einschätzen, ob die Entscheidung rechtmäßig oder nicht rechtmäßig war.

(Beifall bei SPD und CDU)

Zweitens – Heidenau: Das Ergebnis des Prozesses gibt den Kritikern in der Sache recht, dass diese Entscheidung rechtswidrig war. So weit, so gut. Aber es zeigt auch, dass unser System funktioniert. Es gab eine Entscheidung der Versammlungsbehörde, und es gab eine Anfechtung dieser Entscheidung. Es ging durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht, und das Gericht hat die Behörde nicht nur kontrolliert, sie hat diese Entscheidung revidiert. Damit ist deutlich, dass das Prinzip der Gewaltenteilung auch in diesem Fall funktioniert hat. Auch hier zu unterstellen, wir würden das System, das Versammlungsrecht und die Regierung aushöhlen wollen, ist absurd.

Es zeigt aber auch, dass in konkreten und teils akuten Situationen Versammlungsbehörden Entscheidungen

treffen müssen, sei es nun in Form eines Polizeibeamten, der in wenigen Sekunden eine Entscheidung über einen Grundrechtseingriff bei einem Adressaten der polizeilichen Maßnahme zu treffen hat, oder aber Versammlungsbehörden, die, wenn es hart auf hart kommt, innerhalb weniger Stunden oder Minuten über die Ankündigung einer Versammlung entscheiden müssen.

In diesem Fall wurden ihnen Informationen durch die Polizei zuteil, was die Absicherung der geplanten Versammlungen anging, und sie haben entschieden. So weit, so gut. Zum Weiteren habe ich ausgeführt: Das System hat funktioniert. Das heißt aber nicht – –

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Hat keiner einen Fehler gemacht?)

Nein, darum geht es nicht. Es geht um den Vorwurf der flächendeckenden Aushöhlung.

Dass das Bundesverfassungsgericht so entschieden hat, heißt nicht, dass es keine Grundlage für die Entscheidung der Versammlungsbehörde gab. Denn die haben ja im Grunde nur gesagt, dass die Begründung für den polizeilichen Notstand nicht ausreichend war. Aber in der Sache – oder umfassender – ist da eigentlich gar nichts entschieden worden, wenn man es jetzt einmal als Laie, wie ich einer bin, auf den Punkt bringen möchte.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Ist gar kein Fehler gemacht worden? – Klaus Bartl, DIE LINKE: Da fällt mir nichts mehr ein! – Unruhe bei den LINKEN)

Was war vorher in Heidenau passiert, liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der Fraktion DIE LINKE? Was ist denn vorher passiert? Am Wochenende vorher gab es an zwei Tagen in Folge einen rassistischen Mob, der die Unterkunft in Heidenau angreifen wollte und sich aber an den Polizeibeamten abgearbeitet hat. Und Sie waren, glaube ich, die schärfsten Kritiker und äußerten, dass nicht genug Polizei vor Ort gewesen sei, um das abzusichern, insbesondere am zweiten Tag.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Berechtigt!)

Da kamen ganz viele Vorwürfe, es habe zu wenig Polizei gegeben. Eine Woche später, unter dem Eindruck des Erlebten, angesichts der angekündigten Versammlungen und den sonstiger Einsatzanlässe – –

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Damit genau das nicht mehr passiert, Herr Pallas! – Sebastian Scheel, DIE LINKE: Wollen Sie uns die Schuld in die Schuhe schieben? Das ist ja wohl eine Frechheit! Dieser Innenminister bekommt es nicht auf die Reihe! – Weitere Zurufe)

Herr Scheel, sagen Sie das einmal den Kollegen der Polizei, die seit Monaten Woche für Woche bei zahlreichen Versammlungen „ihren Arsch hinhalten“ und die in Größenordnungen verletzt werden.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der AfD – Lebhafte Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Das ist doch klar, dass Behörden das in ihre Entscheidungen einbeziehen müssen, Herr Scheel, müssen!

(Zurufe von den LINKEN)

Das eigentliche Problem haben Herr Kollege Hartmann und auch Herr Kollege Lippmann angesprochen: die momentane Entwicklung bei Einsatzanlässen für die Polizei, das Versammlungsgeschehen, die Rahmenbedingungen an der Grenze etc. Als Koalition haben wir uns schon vor Längerem auf den Weg gemacht, grundsätzlich den Stellenbedarf zu evaluieren; aber wir müssen natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass es darüber hinaus eine Entwicklung gegeben hat. Deswegen werden wir auch reagieren.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das erzählen Sie uns schon ein halbes Jahr! Die Reaktion ist, dass Sie Veranstaltungen absagen!)