Protocol of the Session on September 1, 2015

Viele Menschen im Freistaat Sachsen tun genau das seit vielen Monaten. Auch ihre Arbeit gilt es zu würdigen. Ihnen allen gilt mein aufrichtiger Dank und ihnen gebührt unser allergrößter Respekt.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Deutschland ist nicht isoliert in der Welt. Viele in der Bundesregierung wollen mehr Verantwortung in der Welt wahrnehmen und schwatzen mal ganz schnell von „militärischer Verantwortung“. Ich sage: Wenn Deutschland Verantwortung in der Europa- und Weltpolitik übernehmen will, dann bitte bei der Solidarität und Hilfe für Geflüchtete, aber auch bei der Bekämpfung der Fluchtursachen.

Ob in der Ukraine, in der arabischen Welt, in Afrika – weltweit gab es in den letzten Jahren mehr Krisenherde als je zuvor in der Geschichte. Wir brauchen ein entschiedenes Eintreten für den Frieden, aber auch gegen weltweite Armut, Hunger und Umweltzerstörung.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

In fast alle Kriegs- und Krisenherde, aus denen sich die Menschen in Richtung Deutschland aufmachen, hat die sogenannte westliche Welt, also wir, massiv eingegriffen und da mitgemischt. Die Ergebnisse sind zum Davonlaufen. Das kann man den Menschen, die genau das jetzt tun, nicht vorwerfen.

Wir brauchen ein radikales Umdenken in der europäischen Flüchtlingspolitik. Statt Unsummen in die Abschottung der Festung Europa zu investieren, müssen wir legale Wege nach Europa schaffen. Wir müssen aufhören, durch Waffenexporte auch noch an den Konflikten in dieser Welt mitzuverdienen.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Sie denken, wir hätten damit im Freistaat Sachsen nichts zu tun? – Doch! Wir als Politikerinnen und Politiker sind danach gefragt, und die Menschen lassen sich nicht mehr mit Ausreden abspeisen wie: Das entscheiden nur „die da“ in Brüssel oder in Berlin.

Die CDU-Fraktion ist auch der Meinung, wir könnten mit einem Beschluss im Sächsischen Landtag die Brüsseler Behörden dazu bewegen, Deutsch als gleichwertige Arbeitssprache in der Europäischen Union weiter zu fördern.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Sehr gut!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Sie wissen, dass nicht alle Asylbewerber und Asylbewerberinnen hier in Sachsen bleiben. Ein Großteil der Asylsuchenden verlässt uns nach der Anerkennung in Richtung Westdeutschland und Berlin, weil dort bereits Familienangehörige leben, weil man dort leichter Arbeit zu bekommen scheint, und ja, auch wohl, weil dort die Stimmung Fremden gegenüber offener wirkt. Wir haben neben aller Humanität ein Eigeninteresse daran, dass der syrische Arzt zum Beispiel in Bautzen bleibt, obwohl er familiäre Bindungen nach Bremen hat.

Den Freistaat Sachsen haben in den vergangengen 25 Jahren 800 000 Menschen verlassen. Ich will die Zahl wiederholen: 32 000 Menschen haben uns jährlich 25 Jahre lang verlassen. Es sollte also nicht an Platz für Neuankömmlinge mangeln.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Herr Landtagspräsident hat am vergangenen Dienstag im Landtag zwei Ausstellungen vom Bund der Vertriebenen eröffnet. Die eine Ausstellung beschäftigt sich mit der Besiedlung durch deutsche Auswanderer in ost- und südeuropäischen Gegenden. Auf einer Tafel – jeder kann das nachlesen – werden Gründe für die Auswanderung genannt: Hunger, Arbeitslosigkeit, Überbevölkerung und Krieg, um nur vier Gründe zu nennen.

Auf der Homepage des Landtages kann man dazu nachfolgenden Satz lesen: „Gezeigt werden wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklungen, die zu Einwanderungsreizen geführt haben.“

Ich wünschte mir, dass wir beim Umgang mit der derzeitigen Fluchtbewegung eine vergleichbare Differenziertheit an den Tag legen würden; denn dann hätten wir schon lange einen Schritt in die richtige Richtung gemeinsam getan.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Die Chemnitzer Oberbürgermeisterin hat festgestellt, Sachsen habe keinen Plan in der Asylpolitik – und recht hat sie. Ähnliches ist von der Stadtspitze aus Dresden und Leipzig zu hören. Wenn künftig der Schwerpunkt der Erstaufnahme im Bereich der drei sächsischen Metropolen liegen soll – der Innenminister sprach gerade davon, was wir auch unterstützen –, dann müssen solche Stimmen ernst genommen werden und zu praktischen Konsequenzen führen. Wegschauen und Wegverwalten geht nicht mehr.

Ja, unsere Gesellschaft wird sich durch die Flüchtlinge verändern, in Deutschland sowieso und in Sachsen erst recht. Wir sind sozusagen nicht mehr unter uns.

Nun feiern wir in wenigen Wochen 25 Jahre Freistaat Sachsen. Der Freistaat Sachsen ist die Frucht eines Öffnungsprozesses, der mit der Maueröffnung im Herbst 1989 begann. Diese Öffnung haben die Sachsen mit herbeidemonstriert. Viele Sachsen haben sie durch ihre eigene Flucht beschleunigt. Wir erinnern uns an die

Szenen an der Prager Botschaft und an die Züge, die über Dresden gefahren sind. Sie alle kennen diese Bilder.

Diese Öffnung hat unsere Gesellschaft in Sachsen nachhaltig verändert. Es kam nicht nur die D-Mark, sondern es kamen auch viele Neubürger zu uns – zunächst vor allem westdeutsche. Auch die Zusammensetzung dieses Landtags wäre ohne diese Migrationsbewegung eine andere. Es kamen auch Ausländerinnen und Ausländer, mehr als vorher da waren. Aber insgesamt blieb der Anteil ein Vierteljahrhundert lang verschwindend gering.

Nun will ich niemanden vor die Entscheidung stellen, sagen zu müssen, wer schwieriger zu integrieren ist: ein Wessi oder ein Syrier? Das ist sowieso Ansichtssache.

Wenn aber beispielsweise die Stadt Bautzen dank Asylsuchenden wieder mehr als 40 000 Einwohner hat, wenn Schulen – auch abseits der Metropolen – wieder mehr Kinder haben, dann ist das doch ein Grund zur Freude. So, wie wir viele der längst kulturell eingebürgerten Neusachsen mit westdeutschem Migrationshintergrund – Herr Panter! – nicht mehr missen wollen, werden wir uns auch an diese Neusachsen gewöhnen.

(Dirk Panter, SPD: Danke für diese Güte!)

Man kann mir auch nicht mit dem Argument daherkommen: Nun kämen alle, vor allen Dingen Muslime. Wir haben es gerade von Herrn Kupfer gehört. Es kommen aber gerade die Muslime, die dem Islamismus entflohen sind. Es sind die in ihrem Herkunftsland eher Liberalen, die zu uns kommen, und nicht die Fundamentalisten. Natürlich ist ihre Liberalität nicht identisch mit dem, was wir hierzulande als freizügig bezeichnen. Aber wir ertragen ja schließlich auch einen Landesbischof mit homophoben Ansichten,

(Starker Widerspruch bei der CDU)

und Medienbeobachter rechnen es ihm schon als – –

(Zurufe von der CDU)

Ihre Aufregung ehrt nur mich.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Medienbeobachter rechnen es dem Bischof schon als Pluspunkt an, dass er innerkirchliche Leute mit anderen Ansichten nicht offensiv verfolgt.

(Zuruf von der CDU: Geht’s noch?! – Zurufe der Abg. Christine Clauß und Marko Schiemann, CDU)

Mir persönlich ist Religion etwas vollkommen Fremdes.

Aber ich bedauere den Weggang von Herrn Koch aus Sachsen zutiefst, weil er zu den leuchtenden Beispielen universaler Menschenfreundlichkeit gehört, die wir jetzt so dringend in Sachsen brauchen.

(Marko Schiemann, CDU: Das ist genau der Punkt, wenn man Religion nicht richtig bewerten kann!)

Ja, wir werden uns alle verändern, Herr Schiemann, auch Sie, auch der Landtag, die Fraktionen, die Parteien, die Vereine und gesellschaftliche Gruppen.

(Zurufe des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen, Herr Schiemann.

Dass Sachsen heute auf fast ein Jahrtausend erfolgreicher Tradition von Erfindergeist zurückblicken kann, liegt daran, dass sich dieses Land immer wieder zu verändern verstand.

(Beifall bei den LINKEN)

Ja, es kommen nicht nur Ärzte, Wissenschaftler und Handwerker, sondern es kommen auch Analphabeten. Na und? Doch auch sie sind doch hoch spannende Menschen mit vielen Talenten, deren unkonventionelle Erschließung uns vielleicht zu neuen Wegen im Umgang mit deutschen Schulabbrechern führt, von denen wir in Sachsen bekanntlich überdurchschnittlich viele haben.

Es kommen nicht zuletzt viele Menschen mit zuvorkommender Art im zwischenmenschlichen Umgang, von denen wir vielleicht viel lernen können. Nach der Unterbringung, die uns gerade vollständig zu überfordern scheint, beginnt erst die eigentliche Aufgabe, nämlich die der Integration in die Kita, in die Schule, in die Berufsausbildung, in die Arbeits- und in die Lebenswelt bei uns in Sachsen. Dazu brauchen wir die notwendigen strukturellen und personellen Voraussetzungen: Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Dolmetscherinnen und Dolmetscher, um nur einige zu nennen. Wir brauchen sie nicht befristet, sondern wir werden sie dauerhaft benötigen.

Machen Sie nicht den Fehler und denken: Es wird morgen vorbei sein. Wir brauchen diese Frauen und Männer nicht nur wegen zu uns kommender Menschen, sondern auch für die Einheimischen. Denken wir immer daran: Was wir tun, tun wir für die ganze Gesellschaft. Nur so können Integration und Inklusion funktionieren.

(Beifall bei den LINKEN)

Dem dient der Antrag der LINKEN und der GRÜNEN, den wir gemeinsam zu dieser Sondersitzung eingebracht haben. Es wird Sie nicht überraschen, dass ich dafür bei Ihnen um Zustimmung werbe.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Für die CDUFraktion spricht der Herr Abg. Hartmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist eine durchaus interessante und belebte Debatte, die wir seit 10 Uhr erlebt haben, und ich glaube, dass ich aus Sicht der CDU-Fraktion dazu noch einiges ergänzend beitragen kann.